- Gewitter
Gewitter, ein mit deutlichen elektrischen Erscheinungen begleiteter, rasch vor sich gehender Witterungswechsel von Lufttrockenheit zu atmosphärischer Wasserbildung. Die G. bilden sich vorzugsweise in Folge eines aufsteigenden Luftstroms, od. sind Begleiter eines Kampfes zwischen entgegengesetzten Winden. Wesentlich für dasselbe sind, außer Blitz u. Donner, auch die raschen Wolkenbildungen an vorher ganz heiterem Himmel (Aufsteigen von Gewitterwolken), womit immer auch dieser Vorgang anhebt, die sodann hinzutretende heftige Luftbewegung (Gewittersturm) u. der nun in Strömen fallende Regen (Gewitterregen), mit Aufhören der vorherigen (gewöhnlich als Gewitterschwüle bezeichneten) Windstille u. Temperaturerhöhung. Man kann demnach bei einem G., wenn es sich in völlig ausgebildeter Gestalt zeigt, vier Stadien unterscheiden.: a) Stadium der Vorbereitung. In ihm befindet sich die Atmosphäre in elektrischer Spannung, die immer mehr steigt, aber nach Ausgleichung strebt. Schnell entstandene Sommerwärme begünstigt sie; die Atmosphäre ist mit trockenen Dünsten erfüllt; aus diesen bilden sich kleine, meist an mehreren Stellen zerstreute Federwolken, die Sonne scheint, wenn dieser Vorgang etwas länger anhält, matt, zeigt zuweilen Höfe u. Nebensonnen; diese Federwolken gehen in dichte Federschichtwolken od. sich aufthürmende Haufenwolken über. Besonders deutlich ist dem Beobachter diese Wolkenbildung, wenn das G. sich in der Nähe des Horizontes zusammenzieht. Die Farbe dieser Wolken ist dunkel od. blaugrau, hier u. da, bes. nach der Sonne zu, ins Gelbe spielend. Das Barometer sinkt vor u. während der Gewitterbildung langsam u. anhaltend, die Atmosphäre ist sehr ruhig, woher die schwüle, drückende Hitze, weil von unserem Körper die verdunstenden Stoffe nicht schnell genug weggeführt werden. Das Thermometer steigt nicht bedeutend, doch in den unteren Luftschichten mehr, als in den oberen. Zuweilen vertreibt ein während dieser Bildung sich erhebender Wind das G. von dem Orte seiner Erzeugung. Meist bilden sich solche Gewitterwolken auf mehreren Orten u. von verschiedenen Stellen aus zugleich (es stehen mehrere G. an dem Himmel). Luftfeuchtigkeit u. Erkältung des Bodens sind, wie der Wind, der Fortbildung des G-s entgegen; daher Gewitterwolken bei anbrechendem Tage (vor der Sonne stehende G.) sich nach Aufgang der Sonne in den Morgenstunden meist vertheilen, od. wegen bereits eingetretener Neigung der Atmosphäre, in der Mittags od. Abendzeit, nachdem die Schwüle ihren Höhepunkt erreicht hat, erst später mit Erfolg sich ausbilden. Die meisten G. entwickeln sich bei südlichem od. südwestlichem Winde. b) Stadium der Ausbildung. In der Gewitterwolke, die selbst noch aus unzusammenhängenden kleinen Wölkchen von ungleicher elektrischer Spannung besteht, entstehen häufige, nach mehrern Richtungen zuckende Blitze, die jedoch nur bei Nacht od. in der Dämmerung wahrnehmbar sind, mit Zunahme od. Annäherung der Wolken aber von fast ununterbrochenem Donner begleitet werden. Die Wolken verbreiten sich vermöge eines, nur in den oberen Schichten der Atmosphäre wirkenden, von uns nicht empfundenen Luftzugs erdwärts u. vorwaltend nach einer Seite (das Gewitter zieht herauf od. hat seinen Zug nach einer bestimmten Gegend); es vereinigen sich mehrere, auf gleiche Art gebildete Wolken, od. ziehen auch neben u. unter einander weg. Bald umwölkt sich nun der größere Theil des Himmels bis über die Scheitelgegend, u. es fallen einzelne, meist sehr große Regentropfen. Die bisher immer nur im Steigen begriffene elektrische Spannung der Atmosphäre wird durch ein Gefühl von Mattigkeit u. Schwere, bes. bei Personen, die dafür eigene Empfänglichkeit haben, durch Säuern der Milch u. in anderer Art bemerkbar. c) Stadium der Höhe u. der dadurch herbeigeführten Ausgleichung der elektrischen Spannung. Meist beginnt das G. mit einem heftigen, von der Seite, wo das G. sich bildete, herkommenden, aber meist wirbelnden u. vielfach in einzelnen Stößen umsetzenden, auf- u. niederwärts wehenden Wind; die allmälig vergrößerte u. verbreitete Wolke wird, wenigstens theilweise, in den Hauptzug des Windes aufgenommen (der Wind bringt das G.). Dieser Hauptzug ist aber, bei nicht sehr weit verbreiteten G-n für die meisten Standpunkte der Beobachtung nur ein seitlicher (das G. kommt nicht herauf, zieht seitwärts u. vorüber). Meist ist der Zug der G.[329] für gewisse Jahre ein sich ziemlich gleicher; auch sind manche Gegenden bes. denselben günstig. So folgen die G. gern der Richtung von Wasserströmungen, od. großer Bergschluchten, trennen sich auch wohl an Bergvorsprüngen (Wetterscheiden) in mehrere nach verschiedenen Richtungen gehende Äste. In ringsum von Gebirgen umgebene tiefe Thäler gelangen G. von außen nur selten, verhalten sich aber auch dann gewöhnlich mehrere Tage lang. In den Hauptmassen der Gewölke aber, die unter den fortdauernd elektrischen Explosionen sich immer mehr verdichtet haben, ist die Dunstbildung nun dahin gelangt, daß die Dünste sich in den tieferen Regionen nicht mehr halten können. Sie ergießen sich daher in einem immer stärker werdenden Regenstrom, der oft, zumal am Tage, für die Orte, über welche das dichteste Gewölk zieht, mit einigen Hagelkörnern (Schloßen) untermengt ist, wenn das G. sich nicht selbst als Hagelwetter (s.d.) ausbildet. Die Blitze u. der sie begleitende Donner folgen sich nun in längeren Zwischenräumen; dagegen zucken aber die einzelnen Blitze bis auf größere Strecken hinaus, von einem Wolkenhausen, der noch nicht ganz mit den anderen zusammenfloß, auf andere überspringend; unter ihnen gehen aus niedrigem Gewölke auch meist einige auf die Erdoberfläche herab (das G. schlägt ein), od. von dieser in die Gewitterwolke u. bewirken zwischen beiden eine rasche Ausgleichung der elektrischen Spannung, die ohnedies der Gewitterregen, als Elektricitätsableiter, auf eine ruhigere, aber allgemeiner verbreitete Weise herbeigeführt. Ein solcher Blitz hat immer einen lauteren, für die näheren Orte dem Rasseln eines Haufens herabstürzender Steine gleichenden Donner zur Begleitung u. zugleich eine stärkere Regenergießung zur unmittelbaren Folge. Der Himmel erscheint nun gleichmäßig dunkelgrau überzogen, welche Färbung des Himmels jetzt der fallende Regen bewirkt, hinter dem das Gewittergewölk selbst sich birgt, u. der auch seitwärts den Gesichtskreis bis auf oft nur wenige hundert Fuß verengt. d) Stadium der Rückbildung. Über den fallenden Regen zieht nun unbemerkt das Gewittergewölk immer weiter; dadurch u. indem die Wolkenmasse sich selbst des größeren Theiles der gebildeten Dünste entleert, verringert sich die Regenströmung u. wird gleichmäßiger. Auch die Blitze u. der Donner lassen bei allmäliger Wiederherstellung des Gleichgewichts der Elektricität in der Atmosphäre immer mehr nach, u. man vernimmt nur noch aus der Gegend, wohin der Hauptzug ging, nach längeren Zwischenräumen, nach wahrgenommenen Blitzen einzelne Donnerschläge. Erfolgen jetzt an dem Orte der Beobachtung noch einzelne starke Blitze, die auch wohl zur Erdfläche gelangen, mit entsprechenden Donnerschlägen, so kommen diese öfter aus einem, dem Hauptgewölk nachziehenden Gewittergewölk, als daß, wie man gewöhnlich glaubt, das G. zurückkehrt. Nun weicht auch wohl das Gewölk allmälig aus einander, indem zugleich die einzelnen Wolkengebilde sich heben (der Himmel klärt sich auf, das G. ist vorüber), u. es bildet sich wohl auch ein Regenbogen. Häufig aber macht auch das G. einen Stillstand, od. folgt nur, bei sehr weiter Verbreitung, einem mäßigen Luftzug; der Regen dauert mehrere Stunden, ja mit kurzer Unterbrechung Tage lang (wird zum Landregen); die übrigen Erscheinungen des G-s aber verschwinden (das G. regnet sich ab); od. es erfolgen auch von Zeit zu Zeit noch einige mäßige Explosionen. Dergleichen unvollständige Explosionen bilden sich dann auch wohl seitwärts als abgerissene G.
Die ganze Natur, besonders die Vegetation, scheint nach einem G. wie neu belebt. Die atmosphärische Wärme wird dadurch immer auf einen Normalgrund zurückgebracht, welcher dem Pflanzen- u. Thierleben angemessen ist, die Erde u. Gewächse erhalten die für das Gedeihen der letzteren nöthige Feuchtigkeit. Diese wohlthätigen Folgen, bes. in Mäßigung der zu hohen Temperatur bei anhaltender trockener Witterung, erstrecken sich, unter Mitwirken von Winden, auch seinerseits weit über die Gegend hinaus, über welche das G. zog, u. man nimmt dann aus einer bloßen schnellen Veränderung einer früheren warmen Witterung ab, daß es in der Ferne gewittert hat. Die meisten G. bilden sich in der früheren Hälfte des Sommers, nach einigen vorherigen warmen Tagen, zu allen Tags- od. Nachtstunden ans, seltener u. unvollkommener jedoch, während die Sonne hoch am Himmel steht, auch während der Mond durch den Meridian geht. Von der Zeit der Ernte u. überhaupt von Abnahme der kräftigen Vegetation an werden G. seltener, auf kurze Strecken beschränkt u. haben überhaupt gewöhnlich keinen regelmäßigen Verlauf. Noch seltener sind Winter-G. u. eigentlich nur Gewitterfragmente, indem sie sich meist nur, unerwartet eintretend, auf einige Blitze u. Donnerschläge, die jedoch häufig auch wohl einschlagen, beschränken. Sie kommen selten, meist nur an Küsten vor u. dauern wegen des verhältnißmäßig geringen Vorraths von Elektricität nur kurze Zeit. Vgl. Elektrometeore. Sie entstehen in der Folge eines Kampfes zweier heftigen Winde, bes. dann, wenn ein Sturm aus SW. bei schnell sinkendem Barometer von einem heftigen entgegengesetzten Winde zurückgetrieben wird. Gewöhnlich haben sie, eben so wie die zeitigen, meist auch kurz vorüber ziehenden Frühlings-G., Kälte zur Folge. Die G. sind hinsichtlich ihrer geographischen Verbreitung u. Häufigkeit im Jahre sehr verschieden. Am großartigsten zeigen sie sich zwischen den Wendekreisen, bes. in der nassen Jahreszeit, od. beim Wechsel der Moussons. Die eigentliche Gewitterregion, wo G. fast täglich vorkommen, ist die Region der Kalmen, s.d. Diese G. nennt man, wenn sie von heftigen Stürmen begleitet sind, Trovados (Tornados), auf den Antillen, Isle de France u. in Hindostan Orkane (Ouragans, Hurricanes), im Chinesischen Meere Typhonen, s. d. a. Sie entwickeln sich unter Windstille gewöhnlich von O. her; kurz vor Ausbruch des Orkans sinkt die Temperatur sehr schnell; sie zeigen sich meist nur auf einem beschränkten Raume u. sind von sehr wechselnden, in kurzer Zeit ziemlich regelmäßig die ganze Windrose durchlaufenden Winden begleitet. Nächtliche G. kommen unter den Tropen gewöhnlich nur im Innern der Länder, in bergigen Strichen vor. Auf dem hohen Meere, wo die Passate mit Regelmäßigkeit wehen, sind G. nur selten, nur wenn jene in Folge der Stellung der Sonne unregelmäßig werden, od. die Moussons mit einander wechseln, werden sie häufiger. In Europa verhalten sich die G. ihrer Häufigkeit nach zu verschiedenen Jahreszeiten folgendermaßen:
[330] Winter. Frühling. Sommer. Herbst. Westliches Europa __8,9 __17,7 __52,5 _20,9 Schweiz __0,4 __20,6 __69,0 __10,0 Deutschland __1,4 __24,4 __66,0 __8,2 Inneres von Europa ___ 0 __15,7 __79,4 __5,0 An der Westküste von Norwegen sind Winter-G. bes. häufig, auch in Island u. den nordwestlichen Inseln. Überhaupt aber sind die G. in den nördlichen Breiten seltener, als in den südlicheren. In Sicilien herrschen die Herbst-G. vor. Die Höhe der Gewitterwolken wird meist für sehr gering gehalten. Dies ist aber nicht richtig. Die Federwolken sind die eigentlichen Elemente der Gewitterbildung, u. diese stehen bekanntlich sehr hoch. Die tiefen Wolken, welche man oft bei G-n von Bergen aus sieht, bilden sich erst, wenn sich das G. schon nähert. In der Schweiz stehen die eigentlichen Gewitterwolken meist über 6000 Fuß hoch. Zuweilen ziehen die G. über den Montblanc weg. Man kann die Höhe des G-s annähernd bestimmen, wenn man bei in fast horizontaler Richtung fortziehenden Blitzen das Intervall zwischen Donner u. Blitz mißt. Da der Schall in der Secunde einen Weg von 1400 Fuß macht, so multiplicirt man die Zahl der zwischen Blitz u. Donner verflossenen Secunden mit 1400, um die Entfernung des Blitzes vom Ohr des Beobachters zu finden. Hat man dann den Höhenwinkel des Blitzes annähernd bestimmt, so ergibt sich daraus die verticale Höhe des Blitzes, u. wenn dieser als ein deutlicher Strahl erschien, so gibt diese Größe die untere Grenze der Wolken an.
Die Elektricität der G. ist noch einer der dunkelsten Punkte der ganzen Meteorologie. Bald zeigen sich im Verlaufe eines G-s Einwirkungen auf das Elektrometer, bald verschwinden sie, ein beständiger Wechsel in der Stärke der Elektricität, in der Qualität derselben etc. wird fortwährend beobachtet. Dafür ist aber auch das G. der verwickeltste der mit elektrischen Erscheinungen od. vielmehr Wirkungen begleiteten Processe, dessen Beobachtung eben wegen des fortwährenden Wechsels der Erscheinungen höchst schwierig ist. Man hat beim G. mehrere Wolkenschichten, welche in Gemeinschaft mit dem Erdboden auf einander wirken, u. deren Elektricitäten sich gegenseitig binden, in Folge des Blitzes od. eines neuen Niederschlages von Dämpfen aber wieder frei werden. So wie eine geladene Leydner Flasche, wenn sie isolirt worden ist, am Elektrometer keine Spur von Elektricität zeigt, so verhält es sich mit den Gewitterwolken, wenn deren Elektricität von der entgegengesetzten der Erde od. einer anliegenden Wolke gebunden wird. Die zwischen der elektrischen Wolke u. der Erde befindliche Luftschicht stellt das isolirende Glas, die Wolle den inneren, die Erde den äußeren Beleg der Leydner Flasche vor. Erreicht die elektrische Spannung ihr Maximum, so setzt sie sich durch den Blitz ins Gleichgewicht. Nach jedesmaligem Freiwerden der Elektricität (Blitz) muß durch neue Condensationen von Wasserdämpfen aufs Neue Elektricität erzeugt werden, bevor eine neue Entladung erfolgen kann. Dabei verstärkt sich der Regenguß, nicht wegen des Blitzes, mit welchem die Verstärkung gewöhnlich anhebt, sondern eben wegen der neuen Condensation, von welcher der Blitz eben so gut abhängt, als der Regen. Auch geht die Verstärkung des letzteren sogar dem Blitze um etwas voran, wie genaue Beobachtungen u. Berechnungen lehren. Zuweilen sind zwei G. durch einen wenig getrübten Theil des Himmels getrennt; blitzt es in dem einen, so blitzt es kurz darauf auch in dem andern. Da der Boden stets durch Vertheilung die der Wolke entgegengesetzte Elektricität hat, so kann die Elektricität sich auch nach einem solchen Blitze schnell über ihn bewogen u. heftige Erschütterungen (Rückschläge) hervorbringen. Hierher gehört auch die Empfindung, als wäre man vom Blitze getroffen, wenn sich eine elektrische Wolke über einem Menschen entladet, weil dann die entgegengesetzte Elektricität des Menschen gleichfalls plötzlich in die Erde zurücktritt, Vgl. Blitz, Wetterleuchten, Donner.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.