Staatsbankerott

Staatsbankerott

Staatsbankerott, die in widerrechtlicher Weise einseitig durch die Staatsgewalt vorgenommene Abminderung der bei Contrahirung von Staatsschulden gegenüber den Staatsgläubigern übernommenen Verpflichtungen. Außerdem daß ein solcher Schritt von moralischer, wie rechtlicher Seite aus verwerflich ist, erzeugt er in der Regel auch für den Staat selbst, welcher einen solchen Schritt thut, die empfindlichsten Nachtheile. Denn abgesehen davon, daß der Credit des Staates meist auf längere Zeit dadurch in hohem Grade beeinträchtigt wird, zerstört er den Wohlstand der Privaten, welche in gutem Glauben ihr Geld dem Staate anvertrauten, u. macht dieselben unfähig zu den Lasten des Staates in ungeschwächter Weise beizutragen; in moralischer Beziehung vernichtet er das Vertrauen auf die Kraft u. Festigkeit der Regierung u. führt zu Erbitterungen auf einem Gebiete, auf welchem das Gefühl am empfindlichsten ist. Dennoch ist der S. in älterer wie neuerer Zeit oft genug bald versteckt, bald aber auch ganz offen, bald total, bald partiell erklärt u. als ein Mittel zur augenblicklichen Aufbesserung der Finanzlage benutzt worden. Ein verdeckter S. muß schon darin erblickt werden, wenn der Staat durch Münzverschlechterung od. auch durch Preiserhöhung gewisser von ihm ausgegebener Münzsorten sich die Abzahlung seiner Schulden in einem geringhaltigeren Gelde ermöglicht, ebenso wenn er die Staatsgläubiger nöthigt ein schon im Curse gesunkenes Papiergeld nach dem Nennbetrage an voller Zahlungsstatt anzunehmen. Der offene S. ist in neuerer Zeit mehrfach in Folge von Finanzverlegenheiten, welche durch unglückliche Kriege, innere Unruhen etc. herbeigeführt worden waren, u. zwar theils in der Weise erklärt worden, daß bald die Zinszahlung der Staatsschulden überhaupt eigenmächtig eingestellt, bald wenigstens der ursprüngliche Zinsfuß in einen niederern verwandelt od. auch die Capitalbeträge der ausgestellten Staatspapiere (s.d.) auf einen Theilbetrag der ursprünglichen verschriebenen Summen herabgesetzt wurden. Das bekannteste Beispiel eines großen S-s war in Frankreich die Herabsetzung der Staatsschuld auf ein Drittheil des ursprünglichen Betrags (Tiers consolidé) durch das Directorium im Jahre 1297; ähnliche Herabsetzungen erfolgten unter französischem Regiment 1810 in Holland u. 1812 im Königreich Westfalen. Holland stellte nach wiedererlangter Selbständigkeit des Staates 1814 die reducirte Schuld wieder her, erklärte dieselbe aber zu zwei Drittel vorläufig für unverzinslich (die sogenannte Bette differée, Todte Schuld), so daß jährlich nur ein Theil (neuerlich von 5 Mg. Fl.) in die verzinsliche Schuld einrücken sollte. Für die wirkliche Schuld wurden als Obligationen die sogenannten Integralen ausgegeben, für die ausgestellten Certificate u. Loosbittete (Billets de chance, Kansbillets, Kanzen). Nach einem Gesetze von 1841 wurde die ausgestellte Schuld, soweit sie noch nicht durch Verloosung in die verzinsliche Schuld eingerückt war, in eine verzinsliche Schuld von 21/2 Procent in Gemäßheit des damaligen Curses umgewandelt. Österreich setzte durch Patent vom 29. Febr. 1811 die Zinsen der älteren Staatschuld (Banko-, Hofkammer-, ständische Ärarial- u. ständische Domesticalobligationen) auf die Hälfte herab, u. ihre Entrichtung geschah in Einlösungsscheinen (Wiener Währung), deren Curs später zu 250 gegen 199 Silber festgestellt wurde. Ein Patent vom 21. März 1818 ordnete die Einrückung in den vollen Zinsgenuß durch jährliche Verlosung eines Theils von 5 Mill. Fl., sowie außerdem den jährlichen freien Einkauf u. die Vernichtung einer gleichen Summe an. Sehr häufig ist namentlich Spanien u. Portugal neuerdings in der Lage gewesen zu offenem S. seine Zuflucht nehmen zu müssen. So wurde in Portugal 1840 eigenmächtig die Convertirung der ganzen auswärtigen, seit 1831–37 in England abgeschlossenen u. der bis Ende 1840[627] nichtständigen Zinsen in fünfprocentige Stocks decretirt, 1852 aber wieder die ganze einheimische u. auswärtige Schuld zu einem dreiprocentigen Stock umgewandelt. Spanien erklärte 1834 ein Drittheil der auswärtigen Schuld für unverzinslich (passiv); für die andern zwei Drittheile wurden neue fünfprocentige Obligationen ausgegeben. Auch bei diesen fünfprocentigen Obligationen wurde später die Zinszahlung eingestellt, bis 1841 wurden die ausstehenden Zinsabschnitte in dreiprocentige Obligationen eingewechselt. Im Jahre 1851 verwandelte man sodann die gesammte circa 20,000 Mill. Renten betragende Staatsschuld in dreiprocentige Obligationen, u. zwar so, daß mit Ausnahme der schon dreiprocentigen früheren die Schuldscheine zum Theil auf zu. die Hälfte des Capitalwerthes reducirt wurden. Einige Papiere werden vorläufig nur zu 1 Procent verzinst u. steigen erst allmälig bis zum Zinsfuß von 3 Procent empor. Unter den Amerikanischen Staaten haben bes. Maryland, Michigan, Illinois, Arkansas, Mississippi u. Pennsylvanien zeitweilig den S. unter der Form der Repudiation, d.h. der einstweiligen Einstellung der Zinszahlung, erklärt. Ebenso bietet die neuere Finanzgeschichte Mexicos u. mehrer Südamerikanischer Staaten (Venezuela, Bolivia, Peru) mehre Beispiele eclatanter S-e. Als Mittel einem S. entgegenzuwirken, gilt vor Allem eine weise Sparsamkeit im Staatshaushalt, bei welcher in Zeiten darauf gedacht wird, daß die Finanzkräfte auch in schwierigeren Lagen den Anforderungen gewachsen, insbesondere auch der Credit ungeschwächt bleiben. Tritt die absolute Unmöglichkeit ein den Staatsgläubigern gerecht zu werden, so müssen wenigstens solche Vorkehrungen getroffen werden, daß das Übel auf eine kurze Zeit beschränkt bleibt, die Nachtheile sich gleichmäßig vertheilen u. den wirklich Benachtheiligten für spätere Zeiten eine Entschädigung gesichert bleibe. Eine bloße einstweilige Herabsetzung des Zinsfußes verdient daher jedenfalls den Vorzug vor einer Herabsetzung der verschriebenen Capitalbeträge. Immer empfiehlt es sich aber mehr die Obligationen gleichmäßig zu behandeln, als die verkürzten Obligationen mit Zuhülfenahme eines Lotterieplanes wieder in den frühern Werth einrücken zu lassen, weil bei der größeren Länge der Zeit, welche alsdann dazu erfordert wird, um den Zinsfuß u. resp. Vollwerth der herabgesetzten Obligationen wiederherzustellen, die Ausgleichung des erlittenen Verlustes weniger denjenigen zu Gute kommt, welche die Verluste wirklich erlitten haben.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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