- Carthāgo [1]
Carthāgo (griech. Karchedon, C. vetus [im Gegensatz zu dem später von den Carthagern gegründeten Carthago nova in Spanien, s. Cartagena] a. Geogr.), 1) Gebiet in Zeugitana (Afrika), begrenzt im W. vom Fluß Tuca od. Rubricatus, im O. vom Carthagischen Meerbusen, im N. vom Mittelmeer, im S. von den Wüsten; die Bewohner hießen Carthager (Carthaginienser) od. Punier, weil sie von den Phöniciern abstammten. C. führte in der blühendsten Zeit des Staates die Hegemonie über 300 Städte u. Ortschaften. Über C-s auswärtige Besitzungen s. unten (Gesch.); 2) die Stadt C. lag am Meere auf einer Halbinsel, die (nach übertreibender Angabe der Alten) 360 Stadien im Umfange hatte, war mit dem Festlande durch einen Isthmus von 1/2 Meile Breite verbunden, nach der Seeseite mit einer einfachen, nach der Landseite mit dreifacher, 15 Ellen dicker, 30 Ellen hoher Mauer u. mit Thürmen umgeben, innerhalb welcher sich die Casernen für 20,000 Mann Fußvolk u. 4000 Reiter, Ställe für 300 Elephanten u. Magazine befanden; bestand aus: a) der eigentlichen Stadt, 23 (24) römische Meilen im Umfang (nach neueren Untersuchungen sehr reducirt); b) Byrsa, nördlich vom vorigen, mit Byrsa, Citadelle im Mittelpunkte der Stadt, auf der Südseite eines Hügels, auf diesem Hügel war auch der Tempel des Äsculap (wohin eine marmorne Treppe von 60 Stufen führte u. wo sich Hasdrubals Gattin verbrannte) u. der Tempel der Astarte, von Dido gebaut; c) die Vorstadt Magalia od. Magara, im NW. der Burg, mit herrlichen Gärten; d) der Hafen; dieser lag nördlich der Stadt, schied sich in den äußeren od. den Kauffahrtei-, u. den inneren od. den Kriegshafen (Kothon); zu dem äußeren führte ein 70 Fuß breiter Eingang, der durch Ketten gesperrt war; der innere war durch eine Mauer von jenem geschieden; in seiner Mitte ein rundes, gleichnamiges Eiland, auf welchem das Arsenal, das Quartier des Admirals u. die Wachposten waren. Insel u. Hafen waren befestigt u. mit hohen Dämmen eingefaßt, längs denen 220 Docken angelegt waren, über denselben Magazine. Die Stadt war auf der Südseite stark befestigt u. hatte viele Prachtgebäude, Tempel, Wasserleitung aus dem westlichen Gebirge, Cisternen, in der römischen Zeit Theater, Circus etc.; noch in dem Jahre der Zerstörung über 700,000 Ew., die durch Handel reich waren u. ein luxuriöses Leben führten. Sie unterhielt zugleich zahlreiche Manufacturen aller Art. Staatsverfassung: C. war eine oligarchische Republik; das Volk wählte den Senat aus den Familien, hatte die Entscheidung bei Streitigkeiten zwischen den Königen u. dem Senat, u. über die im Senat gepflogenen Berathungen über Krieg u. Frieden. Die Staatsgeschäfte leitete zunächst der Senat, der aus einem weiteren u. engeren bestand; die Mitglieder des letzteren wurden von dem ersteren gewählt; der Senat hatte die auswärtigen Staatsverhandlungen (doch mußte er in seinen Beschlüssen mit den Suffeten einstimmig sein), die Gesetzgebung, Aufsicht über die Polizei u. Staatseinkünfte. An der Spitze des Senats u. des ganzen Staates standen die Suffeten (Könige), wahrscheinlich jedesmal zwei u. auf Lebenszeit gewählt, aus den vornehmsten Familien; sie hatten Vorsitz u. Vortrag im Senat u. überhaupt große Macht u. großen Einfluß. Nach den Suffeten kamen an Macht u. Würde die Feldherren, diese wurden von dem engeren Senat gewählt u. von dem weiteren u. dem Volke bestätigt; sie legten auch nach Beendigung[718] eines Krieges dem engeren Rathe Rechenschaft von ihrer Kriegsführung ab. Die Verfassung C-s dauerte bis zu den Römerkriegen unverändert fort, wenigstens hatten ein paar Versuche, dieselbe umzustürzen (s. Carthago [Gesch.]), keine erheblichen Folgen. Reibungen u. gegenseitige Anfeindungen einzelner mächtiger Familien, die großen Anhang hatten, z.B. des Hauses Barcas u. A., hatten oft Vertreibungen der einen von beiden zur Folge. Rechtsverfassung: alle Rechtshändel wurden durch besondere Magistrate u. Gerichtshöfe entschieden, bes. werden genannt die 104 Männer für die Privatrechtspflege. Kriegswesen: früher hatte C. 150 bis 200 Kriegsschiffe; zur Zeit der Punischen Kriege an 400; von der Landmacht bestand die Infanterie meist aus Miethtruppen aller europäischen Länder, deren Kern Afrikaner ausmachten etc.; die Reiterei bestand aus Edeln, die so viel Ringe trugen, als sie Feldzüge gemacht; die leichten Reiter, die Hauptstärke des carthagischen Heeres, bestand aus afrikanischen Nomadenvölkern. Die Stadt C. stellte im Nothfalle ohne die Miethtruppen 40,000 Fußsoldaten u. 1000 Reiter. Religion, der phönicischen gleich; man verehrte bes. Baal od. Moloch, die Sonne od. den Zeitgott als oberstes Princip der Natur; abgebildet in gebückter Stellung, mit ausgestreckten u. erhobenen Händen; ihm waren die Pferde u. Elephanten heilig; ihm zur Seite stand Astarte (Astaroth), das weibliche Princip, die Himmelskönigin; ihr Dienst wurde mit vielen Ausschweifungen begangen; auf späteren Münzen wird sie gebildet mit der Mauerkrone, den Blitzstrahl in der Rechten, das Scepter in der Linken, auf dem Sonnenlöwen auf einem Wasserstrom dahineilend. Ferner Melkarth, Bundesgott des carthagischen Städtebundes, zu dessen Feste, zu Anfang des Frühlings gefeiert, alle carthagischen Colonien Geschenke darbrachten. Die 7 Patäken, Geister der Elementar- u. Sternenkräfte, mit Äsculap als 8., die sie in der Gestalt von Zwergen u. als heilige Krüge in ihren Schiffen mit sich führten. Nationalheroen waren die Brüder Philäni, der sardinische Heros Jolaos u. Dido (Elissa), die Gründerin der Stadt. Von ihren Göttern hatten sie Bildsäulen u. verehrten sie in Tempel u. Geopfert wurden dem Moloch u. Melkarth Menschen u. darunter Kinder, bes. in großer Noth, Pest etc. Die Abschaffung dieser Menschenopfer machte Gelo von Syrakus zu einer Friedensbedingung (s. Sicilische Kriege), aber sie erhielten sich bis zur Zeit der Römerherrschaft noch fort. Die Priester stellen wurden von Vornehmen, selbst von Königssöhnen, bekleidet; sie trugen äußere Ehrenzeichen. Im Kriege opferten die Feldherren selbst u. sie hatten Wahrsager bei der Armee. Künste wurden, wenn nicht von Einheimischen getrieben (wiewohl der berühmte Silberarbeiter Boëthos ein Carthager war), doch geschätzt. Als C. von den Römern eingenommen worden war, wurden den sicilischen Städten, welchen die Carthager ihre Kunstwerke geraubt hatten, dieselben zurückgegeben, andere sendete Scipio nach Rom. Auf den Münzen von C. erscheint immer das Pferd; außerdem Abbildungen von Göttern. Die Sprache der Carthager s.u. Punische Sprache. Quellen: Campomanes, Antiguedad maritima de la repl. de Cartage. Madr. 1756; Hendrich, De republ. Carthaginiensium; Kluge, Aristoteles. de politia Carthaginiensium Bresl. 1824; Bellermann, Bemerkungen über phönicische u. punische Münzen, Berl. 1812–16, 4 St.; Münter, Die Religion der Carthager, Kopenh 1816, 2. Ausg. 1822.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.