Flügel [1]

Flügel [1]

Flügel (Alae), 1) Flugwerkzeuge der Vögel; entsprechen dem vorderen Fußpaare der Säugethiere, bes. den Armen der Menschen. Man unterscheidet die inneren, mit weichen, meist stets helleren Federn besetzten Seiten (Sachsen) u. den äußeren, mit den Schulter-, Deck- u. Schwungfedern besetzten (Dach-, Deck-F.). Ihre Grundlage sind die Flügelknochen, nämlich das Schlüsselbein, ein Röhrenknochen von vorzüglicher Stärke, das Schulterblatt, schmal u. säbelförmig, das (blos den Vögeln eigene) unpaarige Gabelbein vorn über dem Brustbein u. vor den Schlüsselbeinen. An das Schulterbein setzt sich, als der erste eigentliche Flügelknochen, das Oberarmbein, an dieses zwei Vorderarmbeine u. an diese die der Hand entsprechenden vorderen Flügelknochen, namentlich zwei die Handwurzel, zwei, meist zusammengewachsene, die Mittelhand, einer den Daumen, zwei den nächsten Finger in zwei od. auch drei Gliedern u. einer den letzten Finger bildenden Knochen. Sie alle sind durch Bänder unter sich verbunden. An sie setzen sich die Flügelmuskeln, namentlich der große Brustmuskel, der stärkste Muskel der Vögel, für den das Brustbein einen eigenen Kamm (Brustkamm, Hüpfauf) hat, der mittlere u. kleinere Brustmuskel, der breite Rückenmuskel, der große u. der kleine Deltamuskel, der Hebemuskel des Oberarmbeins, der Oberschulterblatmuskel, der kleine Schulterarmmuskel; alle diese bewegen das Oberarmbein; auch die Vorderarme u. Handbeine haben eigene Muskeln zur Beugung u. Streckung, die mehr od. weniger denen des Menschen ähneln. Wie die Knochen u. Muskeln der Vögel, so ist auch das sie überziehende Gefieder (vgl. Federn) höchst mannigfaltig gebildet. Besonders unterscheidet man als gefiederte F., vornehmlich bei Raubvögeln, zwei Arten: Ruder-F., spitzig auslaufend, lang, schmal (bei Falken, Schwalben u.a.), u. Segel-F., breit, lang, vorn abgerundet (bei Habichten, Störchen, Schwänen, Gänsen u.a.); zwischen beiden gibt es Abstufungen. Die Vögel mit jenen fliegen schnell u. bewegen ihre F. oft; die mit diesen erhalten sich länger schwebend in der Luft u. haben einen langsameren Flug. Naturhistorisch unterscheidet man noch äußerstlange (A. longissimae), wenn sie weit, sehr lange (A. perlongae), wenn sie etwas über die Schwanzspitze gehen, lange (A. longae), wenn sie bis zur Schwanzspitze, fast [386] lange (A. sublongae), wenn sie nicht ganz bis dahin reichen, kurze (A. breves), wenn sie nur den vierten Theil des Schwanzes, äußerstkurze (A. perquam brevissimae), wenn sie den Schwanz gar nicht erreichen. Die F. der Insecten sind häutig, trocken, elastisch, meist durchsichtig, sitzen an den Seiten des zweiten u. dritten Brustkastenringes, haben festere, zum Theil schöne Netze bildende Adern (Luftorgane). Bei einigen sind sie mit zarten, federartigen, oft schön gefärbten Schuppen besetzt, z.B. bei den Schmetterlingen, bei anderen nackt; bei einigen liegen sie ausgebreitet u. gerade, bei anderen zusammengeschlagen u. gefaltet. Einige haben nur zwei, andere vier; jene sind meist mit Schwingkolben (Halteres) versehen. Oft weichen die vorderen dadurch ab, daß sie ganz horn- u. pergamentartig sind, u. diese nennt man dann Flügeldecken (s.d.) Bei manchen Insecten, namentlich wanzenartigen, ist nur der Grund der Deckschilde horn- od. lederartig, die Spitze dagegen häutig; die Flügel sind durch die Adern in Rand-, Mittel- u. Hinterfeld getheilt, u. im Ruhezustande schlägt sich das Hinterfeld unter das Mittelfeld zurück, oft auch die Spitze gegen die Basis, nach Verschiedenheit der Flügel. In Bezug auf die F. hat man die Insecten eingetheilt in ungeflügelte, Hart-, Halbdeck-, Netz-, Haut-, Staub-, Gerad-, Zweiflügler. F. der Säugethiere sind entweder zwischen den verlängerten Fingern der Hände u. den Vorder- u. Hinterbeinen ausgespannte Häute, die wirklich zum Fliegen dienen, wie bei den Fledermäusen; od. sie sind Häute, nur zwischen den Vorder- u. Hinterbeinen ausgespannt, bei nicht verlängerten Fingern dienen sie dann nur als Fallschirm, wie bei den Flughörnchen, fliegenden Phalangers u. Makis. Flugwerkzeuge der Flugeidechsen sind eine Haut, die durch die beweglichen u. verlängerten Rippen ausgespannt wird u. auch nur als Fallschirm dient; der vorweltliche Pterodactylus (s.d.) war eine Eidechse, mit F-n fast wie bei den Fledermäusen. Die Flugwerkzeuge mancher Fische endlich sind die verlängerten Brustflossen. F. verliehen die Alten den Genien, Seelen, dem Hermes, der Iris, der Nike, den Eroten u. bakchischen Dämonen (daher beflügelte Götter, Diialati) etc., theils um dadurch ihre Leichtigkeit u. Schnelligkeit, theils, wie bes. bei den Seelen u. Dämonen, Erhebung u. Aufflug zum höheren Sein anzudeuten. Die Engel mit F. sich vorzustellen, war jüdische Idee, s.u. Engel. 2) Die breite äußere Lippe des Gehäuses der Flügelschnecken (s.d.); 3) (Bot.), jede häutige od. blattartige Einfassung an Stängeln, stielartigen Theilen, Früchten u. Samen; dann gewisse Theile der Blüthenhülle, z.B. die beiden größeren Kelchblätter bei Polygala, u. die zwei seitlichen Blätter der Schmetterlingsblumen; auch wohl so v.w. Astachsel, d.i. der Winkel, den ein Ast mit seinem Stamme, od. ein Zweig mit seinem Aste bildet. Daher flügelförmig, flügelartig (alaeformis), wie ein Flügel geformt; auch so v.w. achselstäubig (alaris). 4) der äußerste Theil eines langen u. schmalen Gegenstandes, bes. wenn er in zwei Hälften getheilt ist od. so gedacht wird; 5) die beiden Enden einer Truppenlinie (vgl. Centrum u. bes. Flanke); 6) (Jagdw.), die rechte od. linke Seite eines Jagens u. die daselbst befindlichen Leute, über welche der Flügelmeister die Aufsicht hat; 7) die an den Seiten eines Sacknetzes befindlichen Verlängerungen; 8) unter einem Winkel mit dem Hauptgebäude verbundene Seitengebäude; gewöhnlich von geringerer Tiefe als ersteres u. mit diesem einen Hof ein schließend; 9) bei Fenstern u. Thüren die beweglichen Theile; 10) an Schleußen, Sielen u. Brücken die Bekleidung von Holz od. Stein längs der Ufer; 11) bei Horn- u. Kronwerken, die langen Schenkel, welche das Werk mit dem dahinter liegenden verbinden; 12) (Bergb.), Bretstücke, 1/2 Elle lang, die an dem Senkekiel mittelst zwei eiserner Ringe befestigt werden, so daß derselbe in dem untersten Theil der Kolbenröhre eingetrieben werden kann; 13) so v.w. Windmühlenflügel; 14) (Seew.), kleine Fahne am Topp der Masten, theils als Signal, theils zur Bezeichnung der Windrichtung, auf holländischen u. oldenburgischen Schiffen Butterflügel genannt; F. des Ankers, dessen Arme od. Hände; 15) (Forstw.), so v.w. Richtweg; 16) so v.w. Buhne: 17) die an einer Drehbank angebrachte Armschiene; 18) (Spinn.), beim Spinnrade zwei krumme Hölzer an der Spule, welche mit Häkchen versehen sind, über die der Faden auf die Spule läuft.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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