- Geschwür
Geschwür (Ulcus, gr. Helkos), jede an der Oberfläche eines Körpertheiles liegende, Jauche absondernde Zusammenhangstrennung des Gewebes des Körpers, deren Wiederersatz auf Kosten plastischer Ausschwitzungen u. selbst der entzündeten Gewebe geschieht. Außerdem aber bezeichnet man gewöhnlich normal durch Eiterung heilende Substanzverluste auch als G-e, obschon das G. den Begriff der Verschwärung einschließt, wobei die Heilung der eiternden Stelle entweder stillsteht od. der Substanzverlust mehr u. mehr um sich greift. Noch weiter dehnt sich der Begriff aus, wenn man nicht nur sämmtliche sogenannte offene Stellen der äußeren Haut, sondern auch der inneren Schleimhaut sowohl als serösen Haut, der Knochen u. verschiedener anderer Organe des Körpers herbeizieht. Gewöhnlich jedoch versteht man unter G. nur Hautgeschwür. Das G. ist entweder ein einfaches (idiopathisches), aus äußeren Ursachen durch schlechte Behandlung od. Vernachlässigung von Abscessen od. Wunden, od. die Heilung dieser störenden Krankheitszustände, ansteckende od. giftige Krankheitsstoffe, entstandenes; od. es ist ein complicirtes (sympathisches), aus inneren örtlichen od. allgemeinen Krankheiten od. krankhaften Anlagen, insbesondere Kachexien mit od. ohne Nebeneinwirkung örtlicher Einflüsse wesentlich hervorgehendes.
Einzelne Formverschiedenheiten der Geschwüre. A) Einfache Geschwüre: a) Unrines G. (Ulcus sordidum), zeigt auf seiner Fläche abgestorbenes od. lebloses Zellgewebe od. andere Theile, od. klebrigen, schmutzigen, dicken, öfter verhärtenden Eiter, erheischt äußerlich reinigende Mittel (Detergentia) zur Entfernung der schlechten Theile u. Belebung der. Fläche durch Digestivsalbe mit rothem Präcipitat, Myrrhe, Aloe, China, Höllensteinauflösung; b) Fauliges G. (U. putridum), von grauem, grünlichem od. schwärzlichem Ansehen, dünne, stinkende Jauche absondernd; hier innerlich China, Mineralsäure, Wein, äußerlich China, Kampher, Myrrhe, Terpentin, Arnika; c) Callöses G. (U. callosum), mit blasser, unempfindlicher, vorzüglich an den Rändern schwieliger u. aufgeworfener Oberfläche, fordert erweichende Mittel, Kataplasmen, Druckverband, od. Entfernung der wulstigen Theile durch Kauterien, das Messer od. die Scheere; d) Variköses G. (U. varicosum), mit aufgetriebenen Venen umgeben, von schmutzigem Ansehen, leicht blutend, brennt sehr, entsteht oft aus Blutaderknoten, bes. an den Füßen; dagegen innerlich u. äußerlich die letzteren entsprechende Mittel; e) Fistulöses G. (U. fistulosum, s. Fistel), verlangt für einen leichteren Abfluß der abgesonderten Flüssigkeit passende Lage, Erweiterung der Öffnung, eine od. mehrere Gegenöffnungen, Compression, Aufschneiden der Kanäle, Durchziehen von Ligaturen, Einspritzung von Ätzmitteln etc.; f) Hohlgeschwür (U. sinuosum), bildet eine Höhle mit schlaffen, dünnen, bläulichen Rändern u. meist kleiner Öffnung; diese muß durch Einschneiden erweitert od. so das ganze G. geöffnet werden; g) Schwammiges G. (U. fungosum), bildet schwammige, meist auf dünnen Stielen sitzende, leicht blutende, weiche, blasse od. bläuliche, schwärzliche, unempfindliche Auswüchse; dagegen Druckverband, die Einwickelung, äußerlich Abkochungen von Eichen-, Weiden-, Chinarinde, Bleimittel, Zink, Ätzen mit Höllenstein, Ätzstein, Wegschneiden; h) Ödematöses G. (U. oedematosum), mit Ödem umgeben, bei Hauptwassersucht, viel wässerige Flüssigkeit absondernd, blaß, schlaff, Umgebung bisweilen rosenartig geröthet; i) Schmerzhaftes G. (U. dolorificum), sehr schmerzend, wegen allgemeiner Empfindlichkeit des Subjects, von bloßliegenden Nerven, fremden Körpern, scharfer Jauche; innerlich Opium, Entfernung fremder Körper, äußerlich Umschläge von lauem Wasser, erweichenden, schleimigen Abkochungen, Breiumschläge, ölige Mittel; k) Cariöses G. (U. cariosum), s. Knochenfraß; l) Brandiges G. (U. gangraenosum s. sphacelosum), s. Brand.
B) Die wichtigsten complicirten od. sympathischen Geschwüre sind: a) Syphilitisches G. (U. syphiliticum), s.u. Lustseuche; b) Scrophulöses G. (U. scrophulosum), entsteht in Drüsen od. in drüsigen Theilen, in Folge der Scrophelkrankheit, gibt einen dünnen, wässerigen od. blutigen, od. mit einer gelblichen, bröcklichen, käseartigen Masse vermischten Eiter, hat ein blasses od. violettes Ansehen, mit harten, ungleichen od. schlaffen unterminirten Rändern, langwierig, hinterläßt schlechte Narben; die innere Cur ist die der Scrophelkrankheit, äußerlich Höllenstein- od. Sublimatauflösung, rothe Präcipitatsalbe. Abkochungen von China, Weidenrinde, Schierling, Belladonna etc.; c) Gichtisches G. (U. arthriticum), bei Gicht od. gichtischer Disposition, vorzüglich an den unteren Extremitäten, langwierig, sehr schmerzhaft, aus flechtenartigen Ausschlägen, Entzündungen, Frostbeulen, Gichtknoten, nach Verletzungen entstehend, oberflächlich, Eiter dünnflüssig, Ränder wulstig, bei Witterungsveränderungen sich verschlimmernd; Heilung wie bei der Gicht, örtlich trockene, keine feuchte Wärme, Wachstaffet, Quecksilber- u. Schierlingspflaster mit Opium u. Campher; d) Scorbutisches G. (U. scorbuticum), in Folge des Scorbuts, meist flach, Grund schmutzig, schwammig, leicht blutend, mit schwammigen Auswüchsen besetzt, Ränder ödematös, braun, blaulich, abgetrennt od. hart, Jauche dünn, schwärzlich, blutig, stinkend, wird leicht brandig; Sitz, bes. im Zahnfleische,[284] dem Gaumen, an den Unterschenkeln oft mit Knochenleiden; innerlich Behandlung des Scorbuts, äußerlich China, Eichen-, Weidenrinde, Alaun, Campher, Myrrhe, Mineralsäuren; c) Menstrualgeschwür (U. menstruale), bei unterdrückter Menstruation vorzüglich an den Schamlefzen, gewöhnlich varicös; erfordert die Herstellung der Menstruation, äußerlich die Behandlung des varicösen G-s; f) Hämorrhoidalgeschwür (U. haemorrhoidale), bei Hämorrhoidalleiden am After, Mittelfleische, den Geschlechtstheilen, aus Hämorrhoidalknoten, Schweißen od. Ausschlägen entstehend, breit, sehr brennend, bisweilen varicös; Behandlung des Hämorrhoidalleidens, äußerlich kaltes Wasser, Abkochungen von Eichenrinde, Cicuta, Kalkwasser mit Sublimat; g) Harngeschwür (U. urinosum), bei unterdrückter od. mangelhafter Harnabsonderung, bei alten Leuten vorzüglich an den Füßen, mit Odem u. Jucken, Jauche riecht harnartig; h) Impetiginöses G. (U. impetiginosum), im Verlaufe chronischer Ausschläge bei Flechten, Kopfgrind, Milchborke u. Krätze entstehend; i) Krebsgeschwür (U. carcinomatosum), s. Krebs.
C) Nach dem Zustande der Reizbarkeit u. Empfindlichkeit des G-s unterscheidet man: a) Entzündliches G. (U. inflammatorium), ist geschwollen, geröthet, heiß, schmerzhaft u. sondert wenig Eiter ab; verlangt äußerlich bisweilen Blutegel, dann kalte Umschläge, Blei- u. erweichende Mittel; b) Erethisches G. (U. erethicum), sehr schmerzhaft, doch ohne Entzündung, erheischt äußerlich laues Wasser u. warme, erweichende, ölige, narkotische Umschläge etc.; c) Torpides G. (U. torpidum), schlaff, bleich, ödematös od. zusammengefallen, eine Menge dünner, wässeriger Jauche absondernd; verlangt innerlich stärkende Mittel, China etc., äußerlich Kamillen, Kalmus, China, Eichen-, Weidenrinde, Myrrhe, rothen Präcipitat, Terpentin, selten Campher, Bayntonsches Zirkelpflaster. Künstliche G-e werden absichtlich erzeugt, um als Ableitungen zu wirken, durch die sogenannten geschwürbildenden od. eiterziehenden Mittel (Suppurantia, Exutoria), wie Vesicatorten, Seidelbast, das Fontanell, das Haarseil, ferner verschiedene Salben (z. B. die Autenriethsche), die Moxen, das Glüheisen. Vgl. Ruft, Helkologie, Wien 1811, 2 Bde., 2. Ausg. Berl. 1837 f.; Lessing, Diagnostisch-therapeutische Übersicht der ganzen Helkologie, Berl. 1835, 2. Ausg. ebd. 1841.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.