- Lüttich [1]
Lüttich (lat. Leodium, fr. Liége, fläm. Luik), ehemaliges Hochstift im westfälischen Kreise Deutschlands; der Bischof war Reichsfürst u. führte den Titel eines Herzogs von Bouillon; seit der französischen Eroberung theilte es das Loos der belgischen Provinzen. Das Bisthum ist aus dem von Tongern hervorgegangen; es erweiterte sehr schnell seinen Territorialbesitz u. begriff in sich, außer dem Herzogthum Bouillon, die Grafschaften Horn u. Looz, die Lande von Condroz, Franchimont u. Stavelot. Bei der Einverleibung mit Frankreich wurde das Fürstbisthum zum größten Theil in das Departement Ourthe umgewandelt; einige Striche wurden den Departements der niederen Maas u. der Samber u. Maas zugetheilt.
Das Hochstift L. soll im 3. Jahrh. von Maternus in Tongern gestiftet, der Sitz aber bereits vom Bischof Servatius I. nach Mastricht verlegt worden sein, spätere Bischöfe hatten wieder abwechselnd in Tongern ihren Sitz, erst Bischof Humbert zog 720 nach L., u. nun blieb die Residenz der Bischöfe hier, obgleich sich dieselben noch im 10. Jahrh. Bischöfe von Tongern nannten. Unter Francon (856–903) machten die Normannen seit 880 oft in die Diöces Einfälle u. verwüsteten Alles, bis Francon sie 890 mit Waffengewalt vertrieb; unter Stephan, Vetter Karls des Einfältigen (903–920), erhielt die Kirche zu L. 908 vom Kaiser Ludwig das Marquisat Franchimont geschenkt; unter Richer (920–945) litt die Diöces sehr durch die Kriege zwischen Frankreich u. Deutschland über Lothringen. Seit Eberhard u. Heraclius (959–972) nannten sich die Bischöfe von L. Notker (972–1008) legte den Grund zu der noch stehenden Kathedrale u. vermehrte die Festungswerke von L.; unter Nithard od. Richard (1036–42) erhielt die Kirche vom Kaiser Heinrich III. 1040 die Grafschaft Hasbanien; Otbert (1091–1119) kaufte 1096 von Gottfried von Bouillon das Schloß Bouillon, welches wegen der Lage an der Grenze von L. sehr wichtig war u. woher sich die Bischöfe von L. nun auch Herzöge von Bouillon schrieben. Bei Otbert fand der entthronte Kaiser Heinrich IV. 1105 eine Zuflucht. Unter Alexander I. (1129–35) wurde das Schloß Bouillon von dem Grafen Reinhold von Bar durch Verrath genommen, welches aber Alberon II. (1136–46) 1141 wieder eroberte. Unter Hugo II. (1200–29) vermachte 1203 der Graf Ludwig von Looz, im Falle des Aussterbens seines Geschlechtes, dem Hochstifte sein Land u. 1204 vermachte der Graf Albert von Moha demselben seine Grafschaft. Darüber kam der Bischof mit dem Herzog Heinrich I. von Brabant nach Alberts Tode 1212 in Streit; die Brabanter nahmen L. ein, aber 1213 siegte der Bischof bei Wardes-Steppes, u. nachdem Alberts Tochter, Gertrude,[628] 1225 gestorben wer. so trat Hugo den Besitz der Grafschaft an. Johann II. (1229–38) verließ in Folge seiner Händel mit den Lüttichern die Stadt, welche von kaiserlichen Truppen besetzt wurde; erst 1236 kehrte er zurück. Heinrich III., Graf von Geldern (1247–74). wählte sich zuerst einen Suffraganbischof u. nahm erst 1258 die Priesterwürde worauf er sein weltliches Leben fortsetzte, so entsetzte ihm 1274 Papst Gregor X. (er zog sich nach Roermonde zurück u. blieb 1284 bei einem Versuch den bischöflichen Stuhl mit den Waffen wieder zu erobern). Unter Johann IV., Grafen von Flandern (1282–92), brach ein Aufstand der Lütticher aus, indem der Magistrat eine Accise einführte, ohne das Capitel davon zu benachrichtigen; der Bischof mußte aus L. fliehen, u. erst 1287 wurde durch den Herzog von Brabant der Friede (Priesterfriede) hergestellt, u. die Steuer unterblieb. Unter Adolf, Grafen von der Marck (1313–44), war ein blutiger Streit zwischen dem Adel der Diöces u. dem Capitel; Adolf selbst hatte bis 1320 fortwährenden Streit mit seinen Unterthanen, bes. mit den Bürgern in L., in deren Folge er 1324 seinen Sitz nach Huy verlegte; 1330 kam endlich ein Vertrag zu Stande, daß Stadt u. Bischof Brücken, Mauern, Gräben etc. je zur Hälfte unterhalten sollten.
Nach dem Tode des Grafen Ludwig IV. von Looz 1336 machte Adolf, nach dem Vertrag von 1203 (s. oben), Anspruch auf diese Grafschaft; aber ein Schiedsgericht sprach dieselbe Dietrich, Herrn von Heinsberg, Neffen Ludwigs IV. durch seine Mutter, zu. Unter Engelbert von der Marck (1345–64) starb Dietrich, u. der Bischof wollte nun Looz zur Domäne des Hochstifts machen; aber erst erhob Dietrichs Neffe, Gottfried von Dalembruck, Ansprüche darauf, u. nachdem er besiegt war, verlauste er seine Ansprüche 1363 an Arnulf von Oreille, einen andern Neffen des Grafen Ludwig IV., welchem auch Looz vom Kaiser anfangs zugesprochen wurde; Engelbert reiste persönlich zu Karl IV. nach Prag u. wurde einstweilen in dem Besitz bestätigt. Doch erst Johann V. von Artet (1364–78), der, nachdem Engelbert 1364 Erzbischof von Köln geworden, demselben folgte u. zuerst auch Fürst von L. genannt wird, entriß vollends Arnulfen die festen Plätze der Grafschaft, u. 1367 wurde Looz mit dem Hochstift vereinigt. Unter Arnulf von Horn (1378–98) waren 1384 die Zerwürfnisse zwischen den Bürgern u. den 12 edlen Familien, welche die Ernennung der Stadtmagistrate hatten, u. in Folge welcher dem Volle dies Recht abgetreten wurde. Johann VI. von Baiern, Graf von Holland u. Hennegau (1390–1418), kam 1393 wegen der Benutzung eines Forstes mit den Lüttichern in Streit, er floh nach Diest; 1402 brach der Aufstand der räuberischen Haydrotten aus, welche sich auch an den Besitzungen des Bischofs vergriffen; am 28. Nov. 1403 machte der Bischof einen Vertrag (Friede der Sechszehner, weil ihn 16 Commissäre abschlössen), worin ausgemacht wurde, daß die Lütticher nur auf Befehl des Fürsten die Waffen ergreifen sollten, außer bei plötzlichen Überfällen benachbarter Staaten. Als ein neuer Aufstand ausbrach, weil der Fürst die bischöfliche Weihe nicht nehmen wollte, so verlegte Johann 1406 seinen Sitz nach Mastricht, die Haydrotten setzen ihn ab u. wählten Dietrich von Perweis zum Bischof u. hatten fast alle Städte in ihre Gewalt bekommen. Mit Johann verbanden sich die Herzöge von Burgund u. Lothringen, die Grafen von Flandern, Namur u. Hennegau u. schlugen die Haydrotten 23. Sept. 1408 bei Lüttich, wo Dietrich u. eine große Menge Haydrotten blieben. Die Lütticker u. die Bürger der andern Städte mußten ihre Privilegien den Siegern ausliefern, welche Johann erhielt u. verbrannte; zahlreiche Hinrichtungen erfolgten nach seiner Rückkehr nach L. 1417 verließ Johann L. ganz u. legte 1418 seine Würde nieder (er wurde nachher Herzog von Luxemburg, s.d. [Geneal.] 2). Sein Nachfolger Johann VII. von Balenrode gab den Lüttichern ihre Privilegien zurück, starb aber schon 1419; Johann VIII. von Heinsberg stellte allmälig den seit 1408 gestörten Rechtsgang wieder her u. gab ein neues Gesetzbuch; 32 vom Bischof u. von den Bürgern gewählte Commissäre wählten 2 jährliche Consuln, welche mit einem Prätor die Justiz u. Polizei verwalteten. Johann abdicirte 1455. u. sein Nachfolger Ludwig von Bourbon, Sohn des Herzogs Karl von Bourbon, ein verschwenderisch- u. habsüchtiger Fürst, wurde von den Lüttichern vertrieben; ihn unterstützte der Herzog Karl von Burgund. welchem die Lütticher nach ihrer Niederlage bei Brusthem am 27. Oct. 1467 120,000 Gulden Brandschatzung zahlen u. alle Waffen ausliefern mußten; dazu wurden die Festungswerk geschleift u. die Privilegien der Stadt vernichtet. Bei dem neuen Aufstand 1468 floh der Bischof Ludwig nach Tongern; Herzog Karl zog wieder gegen L., u. nach muthiger Vertheidigung überließen ihm die Bürger am 30. Oct. 1469 die Stadt; was sich nicht in die Ardennen u. in die Kirchen geflüchtet hatte, wurde niedergemacht u. L. bis auf Kirchen u. Klöster verbrannt. Darauf erregte Wilhelm von der Marck einen neuen Kampf der Diöces mit dem Bischof; dieser zog 1482 selbst gegen ihn »blieb; Wilhelm bemächtigte sich nun L-s u. nöthigte das Capitel. seinem Bruder Robert Bouillon in Lehn zu geben u. seinen Sohn Johann zum Bischof zu wählen. Da verließ das Capitel die Stadt u. wählte in Löwen Johann IX., Grafen von Horn, welche Wahl Wilhelm auch endlich 1484 anerkannte, gegen Zahlung einer Summe von 30,000 Livres. wofür ihm das Capitel das Herzogthum Bouillon u. die Marlgrafschaft Franchimont verpfändete. 1485 fing der Bischof den Grafen Wilhelm hinterlistig u. ließ ihn in Mastricht hinrichten. Des Grafen Bruder Robert machte darauf einen Rachezug ins Lüttichsche, u. erst 1492 schloß der Bischof Friede mit ihm. nahm aber seitdem seinen Sitz in Mastricht. Nach Johanns IX. Tode, 1505, folgte Erard von der Marck, er begann die Festungswerke L-s wieder herzustellen, ließ mehrere zerstörte Schlösser wieder aufbauen, bes. die Citadelle von Huy, u. erhielt 1522 vom Kaiser Karl V. das Herzogthum Bouillon wieder. Er war ein heftiger Gegner des Lutherthums u. vertrieb alle Lutheraner aus seiner Diöces. Ein eben so für das Wohl u. die Ruhe der Diöces folgender Prälat war Cornelius von Berg (1528–44); Georg von Oesterreich, der natürliche Sohn des Kaisers Maximilian von Österreich (1544_– 57), vollendete die Befestigung L-s u. sorgte ebenfalls für Ruhe im Lande; 1552 verlor das Hochstift Bouillon an den Fürsten Robert IV. von Sedan; 1554 nahm König Heinrich II. von Frankreich Couvin, Fosse, Agimont u. Orchimont in Beschlag, welche erst unter Bischof Robert von Berg (1557–63) nebst Bouillon, 1559 im Frieden von Cambrai an[629] das Hochstift zurückgegeben wurden. Unter Gerard von Groisbeck (1563–80) verbreitete sich der Aufstand von den Spanischen Niederlanden auch in die Diöces L., u. Hasselt, Mastricht, Maseyk u. Stockhim empörten sich, wurden aber wieder zum Gehorsam gebracht. Nach der Hinrichtnug des Grafen von Horn u. dem Tode seines Bruders Montigny, 1568, fiel die Grafschaft Horn als erledigtes Lehn an das Hochstift zurück. Gerard zog auch Jesuiten gegen das mehr sich ausbreitende Lutherthum ins Land. Ernst, Herzog von Baiern (1581 bis 1612), bereits Bischof von Freisingen u. Hildesheim, 1583 auch Erzbischof von Köln u. 1585 Bischof von Münster, war ein guter Fürst, nur zu große Liebe zu Wein u. Weibern gibt man ihm Schuld. Die lange Regierung seines Neffen Ferdinand von Baiern (1612–50) war mit fast ununterbrochenen innerlichen Kriegen ausgefüllt, auch kam es unter ihm mit Friedrich Moritz von Latour, Fürsten von Sedan, wegen Bouillon zum Vergleich, indem diesem von L. 150,000 Flor. gegen Aufgebung seiner Ansprüche gezahlt wurden. Maximilian Heinrich, Herzog von Baiern (1650–88), erhielt in dem Frieden zu Tirlemont mit den Spaniern, 17. März 1654, von diesen das Schloß Heristal in Flandern, welches schon 1546 dem Bischof Georg versprochen worden war, dafür, daß er der Statthalterin Maria das Schloß Fresne überlassen hatte, um das Schloß Marienburg zu bauen. Dies gab später Veranlassung zu vielem Streit. Da sich der Bischof 1675 nicht gegen Frankreich erklärte, so schlug der Kaiser das Lütuch'sche zum Reich, 1676 nahm der Marschall von Crequi Bouillon u. Ludwig XIV. gab es, ungeachtet der Protestation des Bischofs, dem Fürsten von Sedan, Gottfried Moritz von Latour-Auvergne. Unter Johann Ludwig von Elderen (1688–94) war fast die ganze Diöces in dem Französisch-deutschen Kriege mit französischen Truppen überschwemmt u. die meisten Plätze von den Franzosen besetzt; mit großen Opfern erkaufte der Fürstbischof durch den Vergleich in Versailles vom 9. Jan.1689 die Entfernung der Franzosen; da er sich aber verbindlich gemacht hatte, in dem Kriege neutral zu bleiben, u. der Reichstag von Regensburg alle zum Deutschen Reich gehörenden Staaten aufforderte, sich gegen Frankreich zu erklären, so wurde die Diöces wieder der Schauplatz der Verwüstung durch die Franzosen; die Einnahme der 7 Tage lang bombardirten Stadt L. hinderte noch ein Reichsheer unter dem Grafen von Lippe, doch nahm 1692 Villeroi Huy weg. Joseph Clemens von Baiern (1694–1723), bereits Bischof von Hildesheim u. Regensburg, erhielt 1695 Huy von den Engländern zurück, welche es den Franzosen abgenommen hatten, auch 1697 im Ryswijker Frieden Stadt u. Schloß Dinant. Im Spanischen Erbfolgekriege erklärte sich der Fürstbischof für Frankreich, u. da 1700 L. von den Franzosen besetzt wurde, ging der Fürstbischof nach Flandern. Im Rastadter Friedenreclamirte das Hochstift vergebens das Herzogthum Bouillon, kaum daßdie Räumung L-s u. Huys von den Holländern erreicht wurde. Unter Georg Ludwig von Berg (1724–43) erneuerte Preußen 1740 seine, schon 1703 einmal erhobenen Ansprüche auf Heristal, u. der Fürstbischof zahlte dem König 120,000 Thaler für Aufgebung seiner Ansprüche; von da an verlor das Hochstift seine politische Bedeutung. Auf Georg Ludwig folgte (1744–63) Johann Theodor von Baiern, Bruder des Kaisers Karl VII., Erzbischof von Köln; 1752–71 Karl Nicolaus Alexander, Graf von Outremont; 1772–84 Franz Karl, Graf von Welbrück; sein Nachfolger war Cäsar Constantin Franz von Hoensbroek. 1794 wurde das Bisthum von den Franzosen besetzt u. im Frieden zu Luneville förmlich an Frankreich abgetreten u. gehörte seitdem zum Departement der Ourthe. Durch den Beschluß des Wiener Congresses aber u. durch einen besondern Vertrag vom 23. März 1815 wurde dasselbe als ein souveränes Fürstenthum dem König der Niederlande überlassen u. bildete seitdem eine Provinz der Niederlande, doch mit veränderten Grenzen, indem einige Theile von L. zu den Provinzen Hennegau, Limburg u. Namur gezogen, andere dagegen von Limburg, Luxemburg u. Namur zu L. geschlagen wurden. Bei der Revolution 1830 ergriffen die Bewohner der Stadt u. Provinz L. lebhaft die Partei der Belgier, u. L. gehört seit 1831 zu dem Königreich Belgien. Seit 1852 sitzt Theodor Alexis Joseph von Montpellier auf dem bischöflichen Stuhl von L. Vgl. Fabricius, Geschichte des Hochstifts L., Lpz. 1792.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.