Lüttich [2]

Lüttich [2]

Lüttich, 1) Provinz des Königreichs Belgien, grenzt nördlich an Limburg, östlich an den preußischen Regierungsbezirk Aachen, südlich an Belgisch-Luxemburg, westlich an Namur u. Brabant u. ist zusammengesetzt aus dem Hauptbestandtheil des ehemaligen Hochstifts, nebst Stücken des Herzogthums Limburg, der Grafschaft Dalhem u. einigen Gebieten von Luxemburg, Brabant u. Namur; im Ganzen dem früheren französischen Departement der Ourthe entsprechend; Areal 521/2 QM. (289,310 Hectares); die Einwohner, deren wallonische Volkssprache eine französische Mundart bildet, gehören der Race nach dem Stamme der Wallonen an u. sind durchwegkatholisch; Seelenzahl (1859) 514,894. Im Südosten bergig u. waldig (Ardennengebirge), im Westen u. Süden das weite fruchtbare Hochland Hesbaie (deutsch Hasbengau) u. das hügelige Gebiet der Condrusier (Condroz); Flüsse: Maas, welche rechts aufnimmt den Hogoux, die Ourthe mit der Ambleve u. Vesdre, u. die Berwinne, links die Mehaigne. Der Boden erzeugt die verschiedensten Getreidearten, mit Gemüse u. Obst; längs der Maas Weinberge von geringer Bedeutung. Der Hauptreichthum der Provinz besteht in den zahlreichen Bergwerken, welche, außer Steinkohlen u. Eisen, Blei, Zink, Kupfer, Alaun, Marmor u. Schiefer liefern u. einem ausgebreiteten Gewerbfleiß Nahrung bieten. Die blühendsten Industriezweige, nebst dem Bergbau, sind: Tuche (Verviers), Eisenwaaren, Maschinen (Seraing, Ougrée), Gewehre u. Stückgießerei (Lüttich), Glasfabriken (Val St. Lambert), Strohhüte. Die Provinz zerfällt in die 4 Arrondissements: Lüttich, Huy, Verviers u. Waremme; 2) Arrondissement der Provinz; 262,170 Ew.; 3) Hauptstadt des Arrondissements u. der Provinz, an der Maas u. Ourthe gelegen, welche erstere die Stadt in zwei ungleiche Theile trennt, von denen der linkseitige sich bis auf die Höhe des Bergabhanges ausdehnt. Die Stadt hat schönen Quai an der Maas, zahlreiche Plätze u. Brücken über die Maas. Auf der Höhe rechts erhebt sich die befestigte Karthause; links, auf dem Walpurgisberg, die Citadelle. L. ist der Sitz der Provinzial- u. Bezirksbehörden, eines Appellhofes für die Provinzen Limburg, L. u. Luxemburg; eines Gerichts erster Instanz, eines Handelsgerichts,[630] eines Friedensgerichts, einer Handelskammer, eines Bischofs u. Domkapitels, einer Staatsuniyersität mit Bibliothek, Botanischem Garten, Anatomischem Theater (ihr beigeordnet sind eine Bergakademie, eine Schule für Gewerbe u. Künste u. ein Philologisches Seminar), eines Athenäums (Staatsgymnasium), einer Zeichenakademie u. eines Conservatoriums für Musik, mehrer gelehrten Gesellschaften (Emulation, Societé de littérature wallonne). Unter den zahlreichen Kirchen sind bemerkenswerth die in spät gothischem Baustyle erbaute Jakobskirche u. die Kathedrale zum St. Paulus; die hervorragendsten Civilgebäude sind der Justizpalast, früher Residenz der Fürstbischöfe, u. das Universitätsgebäude (1817 errichtet; das Standbild Gretry's davor rührt von 1842). Die Hauptindustrie bildet die Gewehrfabrikation (im Jahre 1858, 484,692 Stück); außerdem beschäftigt die königliche Waffenfabrik u. die königliche Stückgießerei viele Arme; letztere hat 1857 fürs Ausland allein 414 Geschütze geliefert; ferner Fabriken in Wollenzeugen, Eisenwaaren, bes. Nägel, Zinkwaaren, Kratz- u. Spinnmaschinen u. m. Beträchtlicher Handel, befördert durch die Banque Liégeoide, durch Eisenbahnen (Köln-Mecheln [resp. Brüssel, Ostende, Antwerpen], hier über Namur nach Paris abzweigend), Kanal- u. Flußverbindungen nach allen Richtungen. Die Einwohnerzahl betrug am 1. Jan.1859 92,800.

L. ist eine Stadt von hohem Alter. Nach dem Anfange des 8. Jahrh. verlegten die Bischöfe von Tongern ihren Sitz von Mastrichtnach L., u. die Einwohner geriethen in mannigfache Händel mit denselben, 1407 mußte der Bischof sogar mit den Vornehmsten der Stadt wegen eines Aufstandes der Bürger entweichen, nahm aber dieselbe bald darauf mit Waffengewalt wieder ein, wobei 23,000 Lütticher ihr Leben verloren. Ein 1464 wider den Bischof Ludwig erregter Aufstand endigte gleichfalls zum größten Nachtheil der Bürger. 1467 wurde die aufrührerische Stadt durch Karl den Kühnen von Burgund erobert, die Werke geschleift u. das Geschütz weggeführt; doch empörte sie sich bald darauf, von dem Grafen Robert von der Marck, welcher sich dahin geflüchtet hatte, aufgehetzt u. von König Ludwig XI. von Frankreich insgeheim unterstützt, wieder; Karl der Kühne zog wieder vor L. u. eroberte die Stadt 1469. Zwei andere Aufstände 1482 u. 1484 wurden durch den Erzherzog Maximilian I. gestillt. Die reformatorischen Bestrebungen wurden durch das entschiedene Auftreten der Bischöfe Erard de la Mark (st. 1538) u. Gerard von Groisbeck (1563–80) unterdrückt. Nach der glücklichen Regierung Ernsts von Baiern (1580–1612) entstand unter seinem Neffen Ferdinand ein langwieriger Streit mit der Bürgerschaft (1637 Ermordung des Bürgermeisters Le Ruelle), welcher stets wieder entflammte. 1648 verwehrten die Einwohner, bes. auf Anstiften ihres Bürgermeisters Jakob Hennet, dem Bischof Ferdinand den Einzug in die Stadt; als aber dieser denselben mit Hülfe eines Heeres unter dem General Spaar erzwungen hatte, ließ er die beiden Bürgermeister enthaupten u. zur Versicherung des Gehorsams der Bürger 1650 eine Citadelle aufführen. In diese legte 1675 der französische General Graf d'Estrades eine Besatzung, nachdem der Commandant de Vierset dieselbe übergeben hatte. 1676 liest sie der König von Frankreich schleifen.1680 erhob sich wegen der Wahl der Obrigkeit ein neuer Streit der Bürger mit ihrem Bischof, Maximilian Heinrich von Baiern, welcher aber 1684 mit französischer Hülfe die Stadt bezwang, eine starke Garnison in dieselbe legte u. den Bischof von Strasburg, Wilhelm Egon von Fürstenberg, zu seinem Statthalter daselbst ernannte. Hierauf wurde die Citadelle wieder aufgebaut u. stärker befestigt, auch verordnet, daß statt der seitherigen 32 Zünfte, die eine solche Gewalt hatten, daß ohne ihre Einwilligungnichts Wichtiges vorgenommen werden durfte, 16 Bürgerkammern, deren Vertretung fast ganz vom Fürsten abhängig war, bestehen sollten.1691 wurde L. von den Franzosen unter dem Marquis von Boufflers erobert Zu Anfang des Spanischen Erbfolgekriegs nahm der Bischof Joseph Clemens eine französische Garnison ein, während 1702 die Stadt von der verbündeten Armee unter Marlborough u. Athlone besetzt u. die Citadelle erstürmt wurde. 1705 nahm der Kurfürst von Baiern die Stadt, mußte sie aber später wieder räumen. Durch den Frieden zu Utrecht gelangte endlich der Kurfürst Joseph Clemens wieder zum Besitz von L. Den 11. Oct. 1746 siegte der Marschall von Sachsen bei L. über die Verbündeten: 1789 brach ein Aufruhr gegen den Fürstbischof Hoensbroek aus, der dessen Flucht zur Folge hatte. Kaum war derselbe wieder eingesetzt, so erfolgte Dumouriez' Einzug in L., 18. Nov. 1792. Nach dem Frieden zu Luneville wurde L. zum französischen Departement der Ourthe gezogen, 1815 aber durch einen Beschluß des Wiener Congresses an die Niederlande abgetreten. Dessen König gab L. 1817 eine Universität. Seit 1816 wurde durch französische Contributionsgelder die Citadelle errichtet Im August 1830 empörte sich das von Priestern u. Liberalen aufgehetzte Volk gegen König Wilhelm; die Besatzung wurde untreu, u. Stadt u. Citadelle gingen für die Niederlande verloren. Unter Rogiers Leitung rückte eine Lütticher Abtheilung den Brüsseler Aufständischen zu Hilfe u. half mit zum Triumphe der Revolution. Vgl. De Gerlache, Histoire de Liége, depuis César jusqu'à la fin du XVIIIe siècle, Brüssel 1859.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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