Strogŏnow

Strogŏnow

Strogŏnow (spr. Stroganow), eine angesehene russische, gegenwärtig gräfliche u. in zwei besonderen Linien in Rußland verzweigte Familie, deren Adel zwar neu ist, deren historische Bedeutsamkeit aber in die ältesten Zeiten des Russischen Reiches zurückreicht. Als der eigentliche Ahnherr dieser Familie gilt ein reicher nowgorodischer Kaufherr, Anikita S., welcher zu Ende des 15. Jahrh. große Salinen u. Eisenwerke im Ural besaß u. dessen drei Söhne Jakow, Grigorij u. Semen sich durch Erfindungen u. Einrichtungen im Bera- u. Salzwesen bekannt machten u. sich zur Zeit Iwans Wasiljewitsch des Grausamen mit mehren anderen Russen zwischen der Kama u. nördlichen Dwina ansiedelten, um ihren Besitzungen näher zu sein u. zugleich den Pelzhandel aus erster Hand betreiben zu können. Semen rief auch den Kosackenhetman Jermak Timofejew zum Schutze seiner uralischen Ländereien herbei u. trug dadurch mittelbar zur Eroberung Sibiriens (s.d. S. 951 f.) bei. Iwan Wasiljewitsch verlieh den S. bedeutende Vorrechte u. Handelsmonopole; sie erhielten Schenkungsbriefe über unermeßliche Länderstrecken an der Kama u. Tschuschowaja, durften Festungen in Sibirien bauen, der ganze Handel Sibiriens wurde in ihre Hände gelegt u. sie wurden mit der Zeit Besitzer von mehr als 100 Städten, Marktflecken, Dörfern, Colonien, Fabriksetablissements u. Hüttenwerken, wozu sich später noch viele sibirische u. altaische Goldwäschen gesellten. So hauste die Familie S. unermeßliche Schätze an. Im Kriege gegen die Polen in den ersten Jahren des 17. Jahrh. rüsteten die S. ein Armeecorps auf ihre Kosten aus u. wurden die Retter Rußlands in einer der gefährlichsten Krisen, welche dasselbe zu bestehen hatte. Dafür belohnte sie der Czar Michail Romanow durch den Titel Bevorrechtete, womit die Befugniß für sie verbunden war ihre eigene Soldateska, ihre eigenen Festungen u. Waffenplätze zu haben u. eine freie Jurisdiction über ihre Untergebenen zu üben, ebenso wie er ihnen das Vorrecht verlieh, daß sie nur durch den Czaren u. die beiden [930] Kammern (den Bojarenhof u. die Kammer der Gemeinen) gerichtet werden könnten. Gegen Ausgang des 17. Jahrh., wo das Haus S. bereits mit den größten Familien Rußlands, wie den Galyzins, Saltikows etc. verschwägert war, war der einzige Repräsentant desselben Grigorij S., welcher in Moskau wohnte. Er hatte drei Söhne, Alexander, Nikolai u. Sergei, denen Peter der Große am 6. Mai 1722 plötzlich alle Vorrechte der Ahnen entzog u. dafür blos den Barontitel verlieh. Alexander starb kinderlos, von Nikolai u. Sergei stammen die heutigen zwei gräflichen Linien der S. ab, indem die Nachkommen des Ersteren unter dem Kaiser Nikolas I., die des Andern schon unter Kaiser Paul im Jahre 1798 in den Grafenstand des Russischen Reiches erhoben wurden, während diese bereits 1761 die Grafenwürde des Römischen Reichs durch den deutschen Kaiser Franz I. erworben hatten. In neuerer Zeit zeichneten sich vornehmlich in diesem Geschlechte aus: 1) Graf Paul S., russischer General, der Freund u. Rathgeber des Kaisers Alexander I., starb 1817. Seine Gemahlin Sophia, geb. Fürstin Galyzin, errichtete 1824 in Petersburg eine Schule, worin gegen 300 ihrer Leibeigenen in der Bergwerkskunde, Landwirthschaft, Gewerben u. Handwerken unterrichtet wurden, welche dann auf den gräflichen Besitzungen als Verwalter, Handwerker u. Aufseher angestellt wurden. Sie galt als eine der geistreichsten Damen am Petersburger Hofe. Nach dem Tode ihres einzigen Sohnes, des Grafen Alexander, welcher in der Schlacht bei Craonne 1814 fiel, erhielt diese Familie die Erlaubniß den Grafentitel auf ihren Vetter, den Baron Sergei (s. S. 4), zu übertragen. 2) Grigorji Alexandrowitsch, geb. 1770, Vetter des Vorigen, war von 1805–9 Gesandter in Madrid, hierauf in Stockholm u. 1821 in Constantinopel, wo er sich durch sein unerschrockenes, kühnes u. menschenfreundliches Benehmen in den Griechischen Angelegenheiten auszeichnete. Da aber das türkische Ministerium auf keine seiner Forderungen einging, verließ er 9. Mai Constantinopel u. ging nach Petersburg, wo er seine Entlassung nahm; er besuchte dann Deutschland, Holland u. Paris, wurde 1826 bei der Kaiserkrönung in Moskau in den Grafenstand erhoben u. trat 1827 wieder in Staatsdienste, zog sich aber bald gänzlich zurück, wurde jedoch noch Mitglied des Reichsraths u. 1846 Oberkammerherr u. st. 1850. 3) Graf Karl Sergei, ältester Sohn des Vor., geb. 1795, vermählte sich mit einer Tochter von S. 1), erhielt 1814 den Grafentitel, zeichnete sich erst als Gouverneur von Riga zur Zeit der Cholera, dann nach der Besiegung der Polen als Gouverneur von Minsk vielfach aus, wurde 1835 Curator des Universitätsbezirkes von Moskau u. war gleichzeitig in der Armee bis zum Generallieutenant aufgerückt, als er 1647 seine Stelle in Moskau niederlegte. Als Generaladjutant des Kaisers wurde er 1852 zum General der Cavallerie befördert u. st. 1857 in Moskau. Er war Stifter einer auf eigene Kosten unterhaltenen Zeichnenschule in Moskau, Präsident der Gesellschaft für russische Geschichte u. Alterthumskunde u. hat über letztere selbst mehre Schriften herausgegeben. 4) Graf Alexander, Bruder des Vorigen, war 1839–41 Minister des Innern, wurde dann Generallieutenant der Artillerie u. Mitglied des Reichsraths u. des Departements der Militärangelegenheiten, 1855 Generalgouverneur von Neu-Rußland u. Bessarabien u. nach Beendigung des Krimfeldzugs mit der Wiederherstellung von Sebastopol beauftragt.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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