- Struensee
Struensee, 1) Adam, war erst Prediger an der Ulrichskirche in Halle u. wurde 1759 Pastor Primarius in Altona; er ist der Sammler des alten Halleschen Gesangbuchs. 2) Karl August von S. u. Karlsbach, Sohn des Vorigen, geb. 18. Aug. 1735 in Halle, studirte Theologie, Philosophie u. Mathematik, las seit 1756 über Philosophie u. hebräische Grammatik, wurde 1757 Professor an der Ritterakademie in Liegnitz u. 1769 Justizrath u. Mitglied des Finanzcollegiums in Kopenhagen, von wo er nach seines Bruders (s. S. 3) Sturze, von Friedrich II. als preußischer Unterthan reclamirt, ungehindert nach Preußen zurückkehrte. Die ihm wieder angebotene Professur an der Ritterakademie in Liegnitz schlug er aus u. lebte auf seinem Gute Alzenau in Schlesien, ging dann als Bankdirector nach Elbingen, kam 1782 als Oberfinanzrath[940] u. Director der Seehandlung nach Berlin u. wurde 1789 als S. von Karlsbach geadelt, 1791 Staatsminister u. Chef der Accise- u. Zolldepartements. Er hob den gesunkenen Handel durch seine Thätigkeit wieder u. starb 17. Oct. 1804 in Berlin. Er schr.: Anfangsgründe der Artillerie, Lpz. 1760, 3. Aufl. 1788; Anfangsgründe der Kriegsbaukunst, ebd. 1771–74, 3 Bde., 2. Aufl. 1786; Beschreibung der Handlung der vornehmsten europäischen Staaten (vollendet von Sinapius); übersetzte Pintos Aufsätze, größtentheils staatswirthschaftlichen Inhalts, ebd. 1776, vermehrt ebd. 1800, 3 Bde.; vgl. S., eine Skizze von H. L. von Held, Berl. 1805. 3) Johann Friedrich, Graf von S., Bruder des Vorigen, geb. 5. Aug. 1737 in Halle, erhielt seine wissenschaftliche Vorbildung auf dem Waisenhause in Halle, studirte seit 1751 daselbst Medicin, ging 1759 mit seinem Vater als Arzt nach Altona, wurde dort Stadtphysikus, 1768 Leibarzt beim König Christian VII. von Dänemark, welchen er auf seinen Reisen durch Deutschland, Frankreich u. England begleitete, u. dann Erzieher des Kronprinzen. Er gewann nachher auch das Vertrauen der Königin Karoline Mathilde u. war so glücklich die Mißhelligkeiten zwischen derselben u. dem Könige auszugleichen, worauf er geadelt, zum Vorleser des Königs u. als Conferenzrath zum Cabinetssecretär der Königin erwählt wurde. Um das Adelsregiment in Dänemark zu stürzen, wußte er zunächst den Grafen Holcke, den königlichen Günstling, zu stürzen u. seinen Freund Brandt an dessen Stelle als Director der Hofvergnügen zu bringen, dann 1770 den schwachen König zu vermögen den Grafen Bernstorff, die Seele des Staatsraths, zu entfernen u. bald darauf den ganzen Staatsrath aufzuheben u. die Zügel der Regierung selbst zu übernehmen, welche nun die Königin u. S. führten; 1771 wurde S. Cabinetsminister u. in den Grafenstand erhoben. Er wollte Dänemark von Rußlands Einfluß befreien u. näher mit Schweden verbinden, gab die Presse frei, traf Anstalten zur Milderung der Strafgesetze, zur Aufklärung des Volkes u. zur bürgerlichen Freiheit, ließ das Heer neu organisiren u. die Marine verbessern u. berief zur besseren Verwaltung der Finanzen u. zur Hebung des Landbaues Deutsche ins Land (s. Dänemark S. 709 f.). Aber so gut seine Absichten waren, so verletzte er bei seinen schnellen Reformen die Aristokratie durch ihre Entfernung von den Geschäften, die Geistlichkeit durch die Huldigung der französischen Aufklärerei, das Volk durch die Berufung von Fremden in das Land; noch 1771 brachen Meutereien in der Marine u. dem Heere aus, u. bereits gingen Gerüchte von einem sträflichen Verhältniß S-s zur Königin. Aus der dem allgewaltigen S. feindlichen Partei im Lande, an deren Spitze die Stiefmutter des Königs, Juliane Marie (s.d.), stand, bildete sich eine Verschwörung, u. in der Nacht vom 16. zum 17. Jan. 1772 drangen die Verschwornen in das Schlafzimmer des Königs u. nöthigten demselben den Befehl zur Verhaftung der Königin, S-s u. Brandts ab. S. wurde auf die Citadelle gebracht u. in Ketten gelegt; die mit der Untersuchung gegen ihn beauftragte Commission beschuldigte ihn der Absicht den König zur Abdankung zwingen zu wollen, verbrecherischen Umgangs mit der Königin, der Anwendung mörderischer Mittel bei Erziehung des Kronprinzen u. des Mißbrauchs der Staatsgewalt. In dem ersten Verhör am 20. Febr. 1772 wies er alle jene Klagpunkte als rechtlich nicht begründet zurück; in einem zweiten Verhör bekannte erden Umgang mit der Königin (der Grund dieses Bekenntnisses ist unbekannt), u. als auch die Königin durch Drohungen zum Bekenntniß dieser Schuld gezwungen worden war, wurde S., trotz der trefflichen Vertheidigung durch die Advocaten Uldal u. Bang, zum Tode verurtheilt u., nachdem er, durch Münter vorbereitet, sich zum Glauben bekehrt hatte, 28. April 1772 mit Brandt hingerichtet, indem ihm die rechte Hand u. der Kopf durchs Beil abgeschlagen u. auf einen Pfahl genagelt, sein Körper geviertheilt u. aufs Rad geflochten wurde. Die Königin wurde, obgleich alle Beweise ihrer Schuld fehlten, von ihrem Gatten geschieden u. aus Dänemark entfernt. Vgl. Höft, Graf S. u. sein Ministerium, Kopenh. 1824, deutsch ebd. 1826; Authentische Aufklärungen über die Geschichte S-s, Germanien 1788; Falkenskiöld, Mémoires, Par. 1826; Münter, Bekehrungsgeschichte des Grafen von S., Kopenh. 1773. Mich. Beer u. Heinrich Laube haben das Schicksal S-s dramatisch bearbeitet. 4) Gustav Karl Otto von S., geb. 13. Dec. 1803 zu Greifenberg in Pommern, kam 1816 nach Köln, wo sein Vater Polizeipräsident geworden war, u. studirte 1823–1526 in Bonn u. Berlin Jurisprudenz, wurde 1831 Regierungsassessor, 1834 Regierungsrath in Coblenz u. 1847 Oberregierungsrath in Breslau. Er war 1862 Mitglied des aufgelösten Abgeordnetenhauses u. gehörte zur Fraction Grabow der liberalen Partei. Er schrieb unter dem Pseudonym Gustav vom See: Das Pfarrhaus zu Aardal (norwegische Novelle), Arolsen 1842; Egon (Roman), Lpz. 1843, 3 Bde.; Aus dem Leben (drei Novellen), ebd. 1847; Rancé (Roman), ebd. 1845, 3 Bde.; Rheinische Novellen, ebd. 1846; Die Belagerung von Rheinfels (Roman), ebd. 1850, 2 Bde.; Die Egoisten (Roman), ebd. 1853, 4 Bde.; Herbstblätter (Gedichte), 2. Aufl., Breslau 1853; Aus dem vorigen Jahrhundert (zwei Novellen), ebd. 1854; Über die Grundsteuer, ebd. 1855; Vor funfzig Jahren (Roman), ebd. 1859, 3 Bde.; Zwei gnädige Frauen (Roman), ebd. 1860, 3 Bde.; Erzählungen eines alten Herrn, ebd. 1860; Herz u. Welt (Roman), ebd. 1862, 3 Bde.; Wogen des Lebens (Roman), ebd. 1863, 3 Bde.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.