Zinzendorf u. Pottendorf

Zinzendorf u. Pottendorf

Zinzendorf u. Pottendorf, reichsgräfliches, aus Unterösterreich, wo das Stammschloß Z. liegt, stammendes Geschlecht. Die Herren von Z. besaßen dieses Schloß schon zu Zeiten des Kaisers Rudolf I. u. 1044 soll Ehrenhold von Z. als österreichischer Abgeordneter in Regensburg bei Kaiser Heinrich III. gewesen sein. Im 16. Jahrh. theilte sich die Familie in drei Linien, von denen die jüngste aber bald wieder erlosch, die mittlere in Österreich blieb u. die älteste sich theilweise nach Sachsen verpflanzte. Die älteste Linie wurde gestiftet vom Freiherrn Alexander von Z. (geb. 1541), trat früh zum Protestantismus über u. wurde 1662 in den Reichsgrafenstand erhoben. Aus ihr stammte: 1) Graf Max Erasmus, er verließ seines Glaubens wegen sein Vaterland u. siedelte nach Franken[651] über, setzte sich zu Oberburg bei Nürnberg u. st. 1672. 2) Graf Otto Christian, Sohn des Vor., geb. 1661, trat in kursächsische Dienste, wurde nach u. nach Geh. Rath, Generalfeldzeugmeister u. Gouverneur von Dresden u. st. 1718. 3) Graf Georg Ludwig, Bruder des Vor., wurde Minister in Dresden u. st. 1700; er stand in inniger Verbindung mit Spener u. war seit 1699 in zweiter Ehe mit Charlotte Justine von Gersdorf vermählt. 4) Nikolas Ludwig, Graf u. Herr von Z. u. P., Sohn des Vor., geb. 26. Mai 1700 in Dresden; neigte sich schon als Kind u. Knabe, bes. in Halle, wo er auf dem Pädagogium erzogen wurde, mit Francke bekannt geworden, dem Pietismus so zu, daß er mit seinen Schulfreunden religiöse Conventikel hielt u. den Orden vom Senfkorn stiftete. Seit 1716 studirte er in Wittenberg Jurisprudenz u. beschäftigte sich auch viel mit Theologie. 1719 u. 20 hielt er sich in Holland u. Frankreich, namentlich in Utrecht u. Paris auf, zurückgekehrt lebte er erst in Castell in Franken bei seiner Tante, dann in Hennersdorf bei seiner Großmutter; er wurde 1721 Hof- u. Justizrath in Dresden, wo er einen Kreis frommer Leute um sich versammelte u. in Spenerscher Weise mit ihnen Bet- u. Erbauungsstunden hielt, u. kaufte Berthelsdorf. Hier führte er seit 1723 seinen Plan aus eine Religionsgesellschaft zu gründen, für welche die Predigt Jesu des Gekreuzigten als die einfache Hauptsache des Christenthums die Hauptabsicht sein u. in welcher sich Glieder aller evangelischen Confessionen vereinigen sollten, u. stiftete 1725 eine, dem Halleschen Pädagogium ähnliche Schule für Adlige. Zur Bildung seiner Gemeinde nahm er mehre ausgewanderte Mährische Brüder in Berthelsdorf auf, u. da sie hier bald nicht Platz genug hatte, so legte er den Grund zu dem Städtchen Herrnhut (s.d.). So wurde er der Gründer der Brüdergemeinde od. der Herrnhuter, welche er mit dem gleichgesinnten Baron Friedrich von Wattewille, dem Prediger Rothe u. Mag. Schäfer beaufsichtigte u. leitete. Da ihm Anfangs 1727 die fernere Haltung seiner Hausversammlungen untersagt wurde, so trat er aus dem sächsischen Staatsdienst u. lebte nun immer in Herrnhut, wo er die Gemeinde organisirte. Seinen Plan eine neue Gemeinde zu gründen hatte er öffentlich bekannt gemacht, aber obgleich die Tübinger Theologen seine Absicht unter der Bedingung, daß die neue Gemeinde die Augsburgische Confession annähme, gebilligt hatten, so fand er doch von anderen Seiten viel Hindernisse. Im April 1734 ging Z. unter dem Namen Freydeck nach Stralsund u. ließ sich dort als Candidat der Theologie examiniren, worauf er eifrigst an dem Baue u. der Erweiterung seiner Gemeinde durch Druckschriften, Reisen u. Missionen arbeitete. Darauf trat er in Tübingen in den geistlichen Stand. Als er 1736 den sächsischen orthodoxen Theologen unbequem geworden, wegen seiner religiösen Neuerungen u. Conventikel die Weisung erhalten hatte das Land zu verlassen, gründete er die Brüdergemeinde in der Wetterau, indem er seinen Sitz auf dem gräflich Isenburgischen Schlosse Ronneburg nahm, u. reiste darnach nach Livland. Im Mai 1737 ließ er sich in Berlin zum Bischof der Mährischen Brüdergemeinden ordiniren u. stand als solcher an der Spitze der Gemeinden in Deutschland. 1738 ging er nach St. Thomas u. Ste. Croix, wo er die, durch seine Missionäre angelegten Gemeinden visitirte u. vollends organisirte Nach seiner Rückkehr, 1739, hielt er in diesem u. dem folgenden Jahre die Synoden zu Ebersdorf, Gotha u. Marienborn über den Stand u. die Lehre der Gemeinde. 1741 legte er sein Generalvorsteheramt u. Bischofamt nieder u. ging im September d. I. nach Nordamerika, um dort eine Gemeinde Gottes im Geiste, d.h. eine Gemeinde, deren Glieder nur im Glauben u. in der Liebe zum gekreuzigten Heilande einig sei, übrigens in ihren verschiednen Kirchengemeinschaften verbleiben können, zu gründen. Hier führte er den Namen Bruder Ludwig u. wurde zeitweilig zum Pastor der deutschen Lutheraner in Philadelphia gewählt. Zugleich machte er auch mehre Reisen zu Bekehrung der Indianer. 1743 kehrte er nach Deutschland zurück, um manchen ihm mißliebigen Schritten entgegenzutreten, welche die Generalconferenz in den äußeren Verhältnissen der Brüdergemeinde gethan hatte, u. ließ sich 1744 zum bevollmächtigten Diener der Gemeinde wählen, unter welchem bescheidenen Namen er die ganze Gewalt der Gemeinde erhielt. 1747 erhielt er Erlaubniß wieder nach Sachsen zu kommen u. Anerkennung seiner Gemeinde, für welche er Barby zum Hauptsitz wählte; er verlegte 1748 hierher das Seminar für Lehrerbildung u. stiftete daselbst auch 1754 ein akademisches Collegium. Er selbst lebte meist in Herrnhut, machte von hier aus mehre Reisen, bes. Visitationsreisen in die verschiedenen Gemeinden, u. st. hier 9. Mai 1760. Nicht lange vorher (1757) hatte er noch die Errichtung eines Directorialcollegiums zur Aufsicht u. Leitung über die Brüderunität zu Stande gebracht. Er war seit 1722 mit Erdmuthe Dorothea, Tochter des Grafen Heinrich XXVIII. von Reuß, vermählt; sie war geb. 1700 in Ebersdorf, stand ihm in seinen Bestrebungen daheim u. auf Reisen treulich bei u. st. 19. Juli 1756 in Herrnhut; sie dichtete mehre geistliche Lieder. In zweiter Ehe vermählte sich der Graf 1757 mit Anna Nitschmann, geb. 1715 zu Kunewalde in Mähren, Chorpflegerin der ledigen Schwestern in Herrnhut, gest. 19. Mai 1760; auch sie dichtete geistliche Lieder. Unter seinen 108 Schriften, welche zur Belehrung u. Erbauung, so wie zur Berichterstattung über Anlage, Einrichtung u. Ausbreitung seiner Gemeinden u. zu Apologie seiner Lehre u. Stiftungen bestimmt waren, sind: Der Dresdner Sokrates (eine Wochenschrift), n.A. als Der deutsche Sokrates, 1732; Bedenken u. bes. Sendschreiben in allerhand praktischen Materien, 1735, 3 Bde.; Gesangbuch der Brüdergemeinde zu Herrnhut, 1736, 6. Ausg. 1741; Versuche einer Übersetzung der historischen Bücher des N. T., Büd. 1739, 2 Bde.; Geheimer Briefwechsel mit den Inspirirten, Frankf. 1741; Büdingische Sammlung einiger in die Kirchenhistorie einschlagenden neuern Schriften, Lpz. 1742, 3 Bde.; Naturelle Reflexionen über allerlei Materien, 1744; Kleine Schriften, 3 Bde.; Reden über die Litanei, 1759; Geistliche Gedichte, gesammelt von Knapp, Stuttg. 1845; ein Verzeichniß der Schriften Z-s erschien Stettin 1824; seine Lebensbeschreibung von Woldershausen, Wittenb. 1749, 2 Bde.; von A. G. Spangenberg, Barby 1772–75, 8 Thle.; von Reichel, Lpz. 1790; von Duvernoy, Barby 1793; von I. G. Müller, Winterth. 1795; von Varnhagen von Ense (in seinen biographischen Denkmalen), Berl. 1830, n.A. 1846; von Verbeek, Gnadau 1845; von Schrautenbach, 1782, herausgeg. von Kölbing, Gnadau 1851; von I. F. Schröder, Nordh. 1857; von Pilgram, Lpz. 1857; von[652] Bovet, Par 1860. 5) Graf Christian Renatus, der einzige, seine fünf Brüder überlebende Sohn des Vor., geb. 19. September 1727 in Herrnhut, wurde 1744 Chorpfleger der ledigen Brüder in Herrenhaag, ging 1750 zu seinem Vater nach England u. st. 28. Mai 1752; seine geistlichen Lieder gab sein Vater heraus im Anhang der übrigen Bruderlieder, Lond. 1755.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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