- Germanische Sprachen
Germanische Sprachen, die den Völkern germanischen od. deutschen Stammes (s. Germanische Völker) angehörigen Sprachen, welche zusammen eine der sechs (od. acht) Familien des großen Indogermanischen Sprachstammes (s.d.) bilden. Sie unterscheiden sich (nach J. Grimm) von den übrigen Familien desselben durch den Ablaut, die Lautverschiebung, das schwache Verbum u. das schwache Nomen u. sind am nächsten verwandt mit der Litu-slawischen Familie. Da außer Orts- u. Personennamen aus der Zeit vor dem Auftreten der Gothen keine Sprachdenkmäler auf uns gekommen sind, so läßt sich über die frühesten Sprachverhältnisse nichts Sicheres aufstellen. Doch war jedenfalls schon vor der historischen Zeit die Trennung in zwei Hauptgruppen, eine Nordgermanische u. eine Südgermanische, vollendet. I. Die Sprachen der Nordgermanischen Gruppe, welche sich schon durch ihr Artikelsuffix u. die Passivflexion von ihren übrigen Verwandten weiter entfernt u. nach ihrer Heimath, in welcher wir sie in historischer Zeit kennen, auch unter dem Namen Skandinavische Sprachen zusammen gefaßt werden, standen sich in früherer Zeit einander weit näher als gegenwärtig. In ihrer ältesten Niedersetzung (Altnordisch) treten sie uns als Altnorwegisch in einer reich entfalteten Literatur entgegen. Zunächst von Norwegen aus, seit etwa 874 nach dem entlegenen Island verpflanzt u. hier eifrig literarisch gepflegt, erhielt sie sich als Isländisch in ihrer alten ehrwürdigen Reinheit, höchstens nur in ganz untergeordneten Punkten modificirt; auch das Faröische muß als ein durch Mangel an wissenschaftlicher Cultur etwas verkommener, aber immerhin noch wesentlich altnordischer Dialekt gelten. Dagegen haben sich die Descendenten des Altnordischen auf der Skandinavischen Halbinsel selbst, die man unter der Bezeichnung Neunordische Sprachen zusammen zu fassen pflegt, schon bedeutend von dem Ursprünglichen entfernt. Zwei derselben, das Dänische u. das Schwedische, haben sich zu Schriftsprachen herangebildet, während die directe Nachkommenschaft des Altnorwegischen, die neunorwegischen Dialekte Norsk), durch die lange Herrschaft des Dänischen (1380–1814) zu bloßen Volksmundarten herabgedrückt blieb, wenn sich auch neuerdings das Bestreben in Norwegen kund gibt, durch Zurückgreifen in die einheimischen Mundarten eine Norwegische Schriftsprache zu schaffen.
Die zweite Hauptgruppe bilden II. die Südgermanischen Sprachen, welche zu der Zeit, als sie uns zuerst in der Geschichte näher treten, bereits in drei Zweige, einen oberdeutschen, einen niederdeutschen u. einen ostdeutschen, sich spalten. Von diesen ist A) der Ostdeutsche od. Gothische Zweig seit Jahrhunderten erloschen. Obenan steht hier das Gothische, die älteste Form, in welchem uns überhaupt eine deutsche Sprache vorliegt (s. Gothische Sprache), sowie durch Ulfilas (s.d.) der Anfang zu einer Literatur gemacht wurde. Von ihren Verwandten, den Sprachen der Gepiden, Vandalen, Rugier, Heruler ist außer einigen wenigen Eigennamen nichts mehr übrig; dasselbe gilt von der Sprache der Burgunder, welche ebenfalls dem ostdeutschen Zweige zugezählt werden zu müssen scheint. B) Der Oberdeutsche Zweig, von welchem seit dem 7. Jahrh. Denkmäler in ununterbrochener Reihe vorliegen. Seiner Entwickelung in der Zeit nach unterscheidet man drei Stufen: a) das Althochdeutsche, vom 7–12. Jahrh., aus welchem Denkmäler in schwäbischer (alemannischer), baierischer u. fränkischer (sowohl ostfränkischer als rheinfränkischer) Zunge vorhanden sind, während von dem Longobardischen, das unter den Karolingern seinen Untergang fand, nur dürftige Reste zeugen; b) das Mittelhochdeutsche, vom 12. Jahrh. bis Luther, in welchem sich zwar noch dieselben dialektischen Spaltungen zeigen, aber die schwäbische Mundart auf die Zeit von etwa einem Jahrhundert als sein ausgebildete Schriftsprache (vorzugsweise Mittelhochdeutsch genannt) Geltung u. Herrschaft über die gesammten deutschen Lande erhält. Im Reformationszeitalter endlich gelangte unter Luthers gewaltigen Händen c) das Neuhochdeutsche (der Hauptsache nach hervorgegangen aus dem Dialekt Obersachsens, eines vorher von Slawen bevölkerten Gebietes) als Schriftsprache in ganz Deutschland zur Alleinherrschaft (s. Deutsche Sprache II. u. III,). C) Der Niederdeutsche Zweig der G-n S. gelangte in drei Ästen zur Blüthe. a) das Friesische, welches eine selbstständigere Stellung behauptet, bis zum 14. Jahrhundert an den Nordseeküsten in einem weitgestreckten Gebiete blühte u. in seinen verschiedenen Mundarten (Altfriesisch) als Schriftsprache diente, aber gegenwärtig nur an einzelnen Punkten in mehreren Mundarten (Neufriesisch) als Volksidiom ein kümmerliches Dasein fristet (s. Friesische Sprache u. Literatur); b) das Niederdeutsche im ganzen nördlichen Deutschland, in zwei Abtheilungen: aa) die Sächsische od. eigentlich Niederdeutsche, von Alters her zwischen Rhein u. Weser, Weser u. Elbe (nach Ausscheidung des friesischen Gebietes) in zwei Hauptmundarten, der eigentlich Sächsischen u. der Westfälischen, gesprochen. Aus dem Altsächsischen ist von umfassenden Sprachdenkmälern nur der Heliand (s.d.) übrig, dessen altsächsische Mundart (um Münster, Essen, Cleve) wohl auch vorzugsweise altsächsisch genannt wird. Die zweite Altersstufe des Niederdeutschen bildet das Mittelniederdeutsche od. Altniederdeutsche, in dessen verschiedenen Mundarten manche Sprachdenkmäler auf uns gekommen sind. Letzteres bildet den Boden, auf welchem, nachdem es aufgehört hatte Schriftsprache zu sein, die gegenwärtigen Plattdeutschen Mundarten erwuchsen bb) Die zweite Abtheilung des Niederdeutschen bildet das Niederländische im nordwestlichen Deutschland,[240] das sich schon im Mittelalter als Mittelniederländisch einer gewissen literarischen Cultur erfreute, u. aus welchem sich, begünstigt durch die Abtrennung vom Deutschen Reiche u. das sich in den Freistaaten entfaltende rege, erhebende Leben, das Nenniederländische während derselben Zeit, als das übrige Niederdeutsche zur platten Volksmundart vor dem Hochdeutschen sich beugen mußte, zur selbständigen Schriftsprache entwickelte, die fortan in zwei Zweigen, dem Holländischen u. dem Vlämischen, ihre völlig eigenthümliche Ausbildung zu Schriftsprachen erlangte. Endlich c) das Angelsächsische, welches nächst dem Gothischen die ältesten literarischen Denkmäler aufzuweisen hat, bildete aus den seit dem 4. Jahrh. nach England verpflanzten sächsischen, theilweise vielleicht auch friesischen Elementen sich zu einer selbständigen Sprache aus u. tritt uns gleich von Anfang an in zwei Hauptmundarten, der eigentlich angelsächsischen (westsächsischen) im Süden, der anglischen od. nordenglischen im Norden Englands u. dem südlichen Schottland, entgegen u. lebte bis Anfang des 12. Jahrh. als vielseitig cultivirte Schriftsprache. Nach der Eroberung Englands durch die französisch sprechenden Normannen (1066) wandte sich Adel u. Kirche, die Gerichte u. die Schule ausschließlich dem Französischen zu. Durch die allmälige Mischung u. Durchdringung des dem Volke verbliebenen, wenn auch in seinem grammatischen Bau vielfach umgestalteten angelsächsischen Elements mit dem hinzugetretenen Romanischen erwuchs in der zweiten Hälfte des 13. u. der ersten Hälfte des 14. Jahrh. die heutige Englische Sprache, die durch eine Acte König Eduards III. im J. 1362 bereits zur Gerichtssprache erhoben wird. Gleichzeitig mit dem Englischen entwickelte sich aus dem Nordenglischen das. Schottische, das jedoch in neuerer Zeit als Literatursprache von dem Englischen in den Hintergrund gedrängt worden ist. Sonach zählt man gegenwärtig sieben germanische Literatur- u. Schriftsprachen: das Neuhochdeutsche, Holländische, Vlämische, Englische, Dänische, Schwedische u. Isländische. Fast nur auf ihre Heimath beschränkt sind das Vlämische u. die drei skandinavischen Schriftsprachen, am meisten unter ihnen das Isländische; durch Colonisation gelangte das Holländische nach Südafrika, so wie nach dem Ostindischen Archipel; die weiteste Ausdehnung hat aber das Englische erlangt, welches bereits zur Sprache des Weltverkehrs geworden ist, während das Hochdeutsche zur Trägerin einer Weltliteratur ausersehen scheint.
In lautlicher Beziehung zerfallen sämmtliche G. S. ebenfalls in zwei große Gruppen, welche durch die Lautverschiebung begründet werden. Die eine Klasse bilden diejenigen, welche mit den Gothischen auf einerlei Stufe stehen; die andern die, welche um eine Stufe (die hochdeutsche) vorgerückt sind. Zu der ersteren Klasse gehören einestheils die Skandinavischen Sprachen, anderntheils außer dem Gothischen nebst seinen nächsten Verwandten selbst, das Friesische, sämmtliche Niederdeutschen Mundarten u. das Angelsächsische; die zweite Klasse bilden die verschiedenen Hochdeutschen Mundarten. Bereits im 7. Jahrh. muß bei letzteren das Fortrücken zu einer weitern Stufe der Lautverschiebung vollbracht gewesen sein. Alle diese Sprachen, einem Stamme entsprossen, haben, je nach der räumlichen u. zeitlichen Nähe od. Entfernung der Völkerstämme, die sie redeten, theils manche Annäherung an, theils manche Entfernung von einander; so steht die Gothische Sprache, obgleich sie noch einigen Anschluß an die Altnordische hat, doch zunächst in inniger Verwandtschaft mit der Hochdeutschen; unter einander sind wieder die Hoch- u. Niederdeutsche u. die Alt- u. Angelsächsische verbunden, u. von diesen sind die letzteren den Nordischen Sprachen enger verwandt, als die ersteren. Aber die G-n S. haben auch Bereicherungen aus den Sprachen der ihnen benachbarten nicht-deutschen, aber doch auch meist urverwandten Völker erhalten, so die gothische aus der lithauischen, slawischen, römischen u. griechischen, die hochdeutsche aus den slawischen u. den romanischen, aus letzter auch die niederländische, die niederdeutschen Einiges aus der slawischen, das Angelsächsische aus der celtischen, dann aus der französischen, die schwedische aus der finnischen. Daher kommen die Abweichungen in dem Wortvorrath, während der Organismus im Bau der Sprachen, das wahre Kennzeichen für Stammverwandtschaft, überall derselbe geblieben ist; von einzelnen Abweichungen darin, s. unt. Zunächst die Alphabete der G-n S. anlangend, so sind sie, das gothische ausgenommen, dem römischen entlehnt u. werden mit römischen Buchstaben geschrieben. Die Vocale a, e, i, o, u. (y) haben alle diese Sprachen, aber nur nicht alle als lang u. kurz zugleich; so sind auch die Diphthongen, zu denen ö (dänisch ø) u. ü nicht gerechnet zu werden pflegen, ae (angelsächsisch æ), ai, ao, an, ea, ei, eo, en, ia, ie, io, in, oa, oe, ou, na, ni, no, nicht allen G-n S. zugleich eigen. Der Vocalismus hat in allen G-n S. eine bes. tiefe Bedeutung u. hat festere u. feinere Bestimmungen, als in andern, selbst den gebildetsten Sprachen. In derselben Mundart steht u. wechselt nie willkürlich ein Vocal, Übergänge in den andern folgen stets nach bestimmten Gesetzen u. Verwandtschaften. Solche Übergänge u. Veränderungen sind: a) die Schwächung, das ist der Übergang eines reinen in einen nahen u. verwandten getrübten Vocal, z.B. a in ä od. e, wie es bes. das Friesische u. Angelsächsische gegen das Gothische u. Hochdeutsche zeigt; sie erscheint meist in dem Verhältniß mehrerer Mundarten unter einander; b) die Brechung, d.i. die Kräftigung des i u. u vor r u. h im Gothischen in ai u. au, althochdeutsch in e u. o, altnordisch in eo, ia, e u. o, so statt virpan gothisch vairpan, althochdeutsch werfan, altnord. verpa, angelsächsisch veorfan; die Brechung erscheint in den Wörtern derselben Mundart; c) Umlaut, d.i. die Vocalveränderung der Wurzelsylbe, die durch eine der folgenden (Bildungs-) Sylben, i u. u, bewirkt wird, wo z.B. im Neuhochdeutschen aus a, o, u, ä, ö, ü wird, z.B. kalb kälber, ort örter, stuhl stühle. Der Umlaut hat sich bes. im Mittel- u. Neuhochdeutschen, Angelsächsischen, u. Altnordischen entfaltet u. geleitete hier ursprünglich die Flexion; d) Ablaut, d.i. das Überspringen eines Vocals in demselben Wort in einen andern, ohne daß dabei äußere Einwirkung waltet, wie in gelten, galt, gegolten. Der Ablaut ist ein, alle G. S. durchgreifendes Vocalgesetz. Es lassen sich sechs Reihen des Ablauts aufstellen, welche alle wieder auf die Grundlaute a, i, u zurückkehren. Consonanten, die allen G-n S. gemein sind, sind die Liquiden: l, m, n, r; die Labialen b, p, f, v, wozu einige, z.B. das Althochdeutsche, Altsächsische, Altfrifische, [241] Mittel- u. Neuhochdeutsche, noch w haben; die Dentalen d, t, s, z. zu denen das Gothische, Altnordische u. Angelsächsische noch þ (das Althochdeutsche, Altfriesische u.a. th), das Angelsächsische đ (das Altsächsische dh) haben; die Gutturale: g, k (dafür das Angelsächsische c), q (das Angelsächsische cv), j, h, zu denen das Altnordische, Angelsächsische, Altfriesische etc. x, das Gothische, Altnordische, Mittelhochdeutsche etc. ch u. andere haben. In den verschiedenen Mundarten zeigt sich ein regelmäßiger Wechsel der einzelnen Consonanten der Labial-, Lingual- u. Gutturalklasse (Lautverschiebung); hierin steht das Gothische nebst dem Sächsischen, Altnordischen u. Friesischen den hochdeutschen Sprachen so entgegen, daß dort die Tenuis hier der Adspirata, dort die Media hier der Tenuis, dort die Adspirata hier der Media entspricht, also gothisch etc. p = althochdeutsch f, b = p, f = b (v); t = z, d = t, þ (th) = d; k = ch, g = k; aber gothisch tains (Zweig), dal (Thal), þaurnus (Dorn) althochdeutsch zein, dal, dorn etc.
Die einzelnen Redetheile anlangend, so unterscheidet das Nomen drei Geschlechter, die meist durch Endungen unterschieden werden; die Declination geschieht durch, dem Worte hinter dem Stamm angefügte Endungen, u. so werden ursprünglich vier Casus unterschieden, Nominativ, Accusativ, Dativ, Genitiv; vom Vocativ nur noch einzelne Spuren, wie auch von einem Instrumentalis noch in den alten Sprachen; geblieben sind zwei Numeri, Singular u. Plural; von dem Dual noch Reste beim Pronomen. Die neueren Sprachen haben von der ursprünglichen vollen Declinationsform durch Abschleifen der Consonanten u. Vocale viel verloren. Durch alle G-n S. geht eine Unterscheidung zwischen sogenannter starker u. schwacher Declination. der Nomina. Das Substantivum scheidet seine Declination also a) nach zwei Declinationsweisen, b) nach drei Geschlechtern, c) nach vier verschiedenen Endungsformen, so daß also 24 verschiedene Declinationen möglich, aber in keiner G-n S. alle vorhanden sind. Zur Veranschaulichung diene ein Paradigma aus jeder der beiden Declinationsweisen aus der Gothischen u. nebengestellten Neuhochdeutschen Sprache; die erste Form des starken Masculinum lautet: Sing. Nom. fisks Fisch, Acc. fisk Fisch, Dat. fiska Fische, Gen. fiskis Fisches; Plur. Nom. fiskos Fische, Acc. fiskans Fische, Dat. fiskam Fischen, Gen. fiske Fische; die erste Form des schwachen Neutrum: Sing. Nom. harito Herz, Acc. hairto Herz, Dat. hairtin Herzen, Gen. hairtins Herzens; Plur. Nom. hairtona Herzen, Acc. hairtona Herzen, Dat. hairtam Herzen, Gen. hairtane Herzen. Die skandinavischen Sprachen unterscheiden sich von den deutschen, daß sie das n in der schwachen Declination weglassen, u. daß sie den bestimmten Artikel an das Wort anhängen u. damit eine ganz neue Declination bilden. Das Adjectivum wird ebenfalls nach zwei Declinationsformen, der starken u. schwachen, u. zwar ganz wie das Substantivum flectirt. Die Comparation geschieht durch Endungen; der Comparativ (gothisch –_.. za, –_.. zei, –_.. zo, althochdeutsch –_.. ro, –_.. ra, –_.. ra, mit vorangehendem o od. i; neuhochdeutsch – er, –ere, – ere) flectirt in den alten Sprachen nach der schwachen Declination, in den neueren nach beiden; wogegen der Superlativ (gothisch –_.. sts, –_.. sta, –_.. st, althochdeusch –_.. stn, –_.. staz, neuhochdeutsch ester, – este, – estes) nach beiden Declinationsweisen flectirt. Von den Zahlwörtern decliniren in den meisten G-n S. die Cardinalzahlen bis vier, dann neun, die mehreren Hunderten. Tausend, alle stark, dagegen die Ordinalzahlwörter werden schwach flectirt. Pronomina. Die Personalia zeigen, wie in allen andern Sprachen, in ihren Casus u. in den verschiedenen Numeri große Abweichungen, die den neuhochdeutschen noch ganz ähnlich sind; ich (z. B. angelsächsisch ik, altnordisch ek), mich (mec, mik), mir (me, mer), meiner (min, min), wir (ve, ver), Acc. uns (usic, oss), Dat. uns, (us, oss), unser user od. ure, vas od. var). Bei den Personalpronomen findet sich auch im Gothischen, Althochdeutschen, Altsächsischen, Angelsächsischen u. Altnordischen ein Dualis für alle Casus, so heißt z.B. euch beiden: gothisch ïgqis, althochdeutsch inch altsächsisch ink, angelsächsisch inc, altnordisch yckr, Die Possessiva werden nach der starken Form der Nomina flectirt. Die G-n S. haben noch ein geschlechtliches Personalpronomen (er, sie, es), ein dreifaches Demonstrativpronomen (der, dieser, jener); der brauchen die G-n S. zugleich als Artikel, obgleich dieser Gebrauch in den alten Sprachen, bes. dem Gothischen, noch nicht wie in neuhochdeutscher Weise waltet; daher unterscheidet das Neuhochdeutsche auch zwischen Artikel (der, tonlos) u. Demonstrativ (der, betont) durch den Ton u. Flexion (Gen. des u. dessen etc.); ähnlich im Holländischen. dieser hat das Gothische allein nicht; bei jener haben die skandinavischen Sprachen das stammverschiedene hinn. Für das Interrogativum haben die gothische u. altnordische Sprache noch eine besondere Form bei der Frage: wer von mehreren? (hvarjis u. hverr), u. diejenigen, welche einen Dual haben; auch ein Wort bei der Frage: welcher von beiden? (hvaþar, huedar, hueder, hväder, hvarr). Das Relativum wird bald durch das erste Demonstrativum (z. B. neuhochdeutsch der), bald durch eine demselben beigefügte Partikel (z. B. gothisch saei) bald durch ein Interrogativum (z. B. mittelhochdeutsch welcher, schwedisch hvilken), bald durch eine bloße Partikel (z. B. goth. ei, dän. som; isländisch sem) ausgedrückt. Indefinita werden theils von den vorigen Pronominen durch Prä- u. Suffixe, theils aus andern Nominen gebildet.
Verbum. Zuvörderst das Genus anlangend, so haben mit Ausnahme des Gothischen u. der skandinavischen Mundarten die G-n S. kein Passivum, sondern umschreiben dasselbe durch Hülfsverba; von einem Medium sind nur schwache Spuren in dem Gothischen, u. von einem Reflexivum in dem Altnordischen. Die Tempora sind auf zwei eingeschränkt, Präsens u. Präteritum, die Nüancen des letztern Tempus werden in den alten Sprachen gar nicht, in den neuern durch Umschreibung mit Hülfswörtern gegeben; so ist es auch mit dem Futurum, das in den alten Sprachen gewöhnlich durch das Präsens vertreten wird. Der Modi gibt es vier: Indicativ, Conjunctiv, Infinitiv (endigt auf – n, das jedoch die nordischen Sprachen abgestoßen haben), Imperativ; von Participien gibt es eins für das Präteritum (gewöhnlich passiv). Zu den beiden gewöhnlichen Numeri, Singular u. Plural, kommen auch im Verbum noch einzelne Formen des Dual, aber nur im Gothischen; Personen sind die[242] gewöhnlichen drei, davon sich die erste Singular des Indicativ gewöhnlich auf einen Vocal (a, e) endigt, die zweite s, die dritte auf þ (t), die erste Plural auf m, die zweite auf þ (t), die dritte auf nd, Die neueren Sprachen, bef die nordischen, haben fast alle Endungsverschiedenheit verloren, daher sie das Personalpronomen, wie im Neuhochdeutschen, zur Flexion vorsetzen. z.B. gothisch u. neuhochdeutsch: haba ich habe, habais du hast, habaiþ er hat, habam wir haben, habai þ ihr habet, haband sie haben. Wie die Nomina, so haben auch die Verba eine doppelte Flexionsweise, eine starke u. eine schwache Conjugation. Nach der ersten werden die Stammformen flectirt, nach der zweiten die abgeleiteten, meist transitiven. Die starke Conjugation ändert, abgesehen von den Endsylben, den Vocal der Wurzel im Präteritum u. dessen Participium; die Wurzeländerung am Präteritum besteht a) in der Reduplication, die aber nur noch im Gothischen vorhanden ist (faha, faifah; haha, haihah), indem die andern Mundarten dafür einen unorganischen Diphthong brauchen u. die Verdoppelung des Consonanten unterlassen (althochdeutsch fahe, fiang; hahu, hiang; neuhochdeutsch fahe, fieng; hänge, hieng); b) in dem Ablaut, derin allen G-n S. noch besteht (goth. Präs. giba, erste Pers. Sing. Präter. gaf, dritte Pers. Plur. Prät. gebun, Part. Prät. gibans; althochdeutsch gibu, gab, gabun, geban; mittelhochdeutsch gibe, gap, gabun, geben; neuhochdeutsch gebe, gab, gaben, gegeben; altsächsisch gibu, gaf, gebun, geban; altnordisch gef, gaf, gafun, gefinn; schwedisch gifver, gaf, gafve, gifven; dänisch give, gav, gave, given; englisch give, gave, given etc.). Die schwache Conjugation bildet ihr Präteritum durch Einschiebung eines d (t) zwischen Endung u. Stamm (z. B. gothisch u. neuhochdeutsch libaida u. lebte), u. das Participium Präteritum auf – þ s (gothisch libaiþs, neuhochdeutsch gelebt).
Übrigens besitzen die G-n S. alle Arten inflexibiler Redetheile, wie Präpositionen, die entweder den Dativ od. Accusativ (nur selten den Genitiv) in verschiedener Beziehung auch beide zu sich nehmen; Adverbia, Conjunctionen, Interjectionen. An Bildungsfähigkeit stehen die G-n S. keiner andern nach, sie haben auch außer den separabeln Präpositionen noch zahlreiche Compositionspartikeln u. großen Reichthum an Bildungssylben. Die Construction ist in den alten Sprachen, die noch ihre unversehrten Endformen haben, eine freie, in den neueren, welche die Formen vielfach geschwächt u. verloren haben, eine bestimmtere, doch dem Wohllaute u. dem rhetorischen Accent mannichfaltige Einfluß gewährende. Übrigens s. die einzelnen Sprachen. Grammatisch behandelt die sämmtlichen G-n S. die Deutsche Grammatik von Grimm, s.d.; ein die ganze Sprachgruppe umfassendes Wörterbuch fehlt noch, wiewohl in dem Althochdeutschen Sprachschatz von Graff, dem Altfriesischen Wörterbuche von Richthofen, dem Gothischen Glossar von v. d. Gabelentz u. Löbe, in Dieffenbachs Vergleichendem Wörterbuch der Gothischen Sprache (1. u. 2. Bd., erkf. 1846–51), in Beneke u. Müllers Mittelhochdeutschem, in J. u. W. Grimms Deutschem Wörterbuche u. Schmitthenners Deutschem Handwörterbuch (von Weigand, 2. Aufl. 1856 f.), reiner Bedacht auf die Vergleichung der Wörter in der ganzen Familie genommen ist. Vgl. Grimm, Geschichte der Deutschen Sprache, Lpz. 1849, 2 Bde. 2. Aufl. 1854.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.