Landrecht

Landrecht

Landrecht, 1) im Mittelalter das positive Recht, welches bei den Landesgerichtshöfen Anwendung fand, im Gegensatz des Lehnrechts (s.d.). Das L. umfaßte daher nicht blos Privat-, sondern auch Criminal-, Proceß- u. öffentliches Recht. Als die ältesten Aufzeichnungen solcher L-e haben die indem Sachsen- u. Schwabenspiegel (s.d.) enthaltenen Landrechtsbücher zu gelten. Diese Aufzeichnungen fanden dann im 14. u. 15. Jahrh. mehrfache Nachahmungen, in denen dann aber mehr ein provinzielles Element hervortritt, als dasselbe sich in den erstgenannten Aufzeichnungen findet. Dahin gehören: a) das sogenannte Görlitzer L., eine dem Anfange des 14. Jahrh. angehörige Bearbeitung des Sächsischen Weichbildrechts; b) das sogen. Schlesische L., auch vermehrter Sachsenspiegel, od. das Rechtsbuch ach Distinctionen, Buch der Ausscheidungen, genannt, wahrscheinlich in der Mitte des 14. Jahrh. u. der Markgrafschaft Meißen entstanden u. erst von da auf manche Gegenden Schlesiens übertragen; vgl. Gaupp, Das Schlesische L., Lpz. 1828, u. Ortloff, Das Rechtsbuch nach Distinctionen, Jena 1836; c) das Österreichische L., welches gewöhnlich auf Herzog Leopold VI. (gest. 1195) od. Leopold VII. (gest. 1230) zurückgeführt wird, wahrscheinlicher aber als eine erst im 14. Jahrh. entstandene Privatarbeit zu betrachten ist; d) das für Baiern bestimmte L. Kaiser Ludwig des Baiern, wahrscheinlich zwischen 1320 u. 1340 auf Befehl Ludwigs verfaßt u. von dessen Söhnen 1346 publicirt; e) über die Friesischen L-e. u. Friesisches Recht. 2) Seit dem 16. Jahrh. größere Codificationen, welche unter landesherrlicher Autorität über das im Lande gültige Recht zur Publication gelangten. Die Entstehung dieser L-e hängt mit der immer mehr sich verbreitenden Macht des Römischen Rechts u. der größeren Ausbildung der Landeshoheit zusammen, welche durch die L-e wesentlich gefördert wurde. Sie enthalten daher auch, insoweit sie sich auf Civilrecht erstrecken, meist nur Römisches Recht, aber verbunden mit Ordnung der Landesverhältnisse in polizeilicher u. kirchlicher Beziehung, Proceßvorschriften, strafrechtlichen Bestimmungen etc. Die L-e (Landesordnungen, Polizeiordnungen) waren zunächst nicht darauf berechnet, das gesammte Recht in sich aufzunehmen, vielmehr wurde dabei die Anwendbarkeit des Römischen Rechts im Ganzen unbestritten vorausgesetzt; erst später, im 18. Jahrh., verband sich damit das Streben, das geltende Recht mit denselben zu erschöpfen. Von den älteren L-en sind auszuzeichnen: a) das Badische L. vom Jahre 1511, verfaßt von Ulrich Zasius; b) die Baierische Landrechtsordnung von 1516 u. Reformation des L-s von 1518; c) die Tyrolische Landesordnung von 1526; d) der Grafschaft Solms Gerichtsordnung u. L., ausgearbeitet von Fichardt; e) das Württembergische L. von 1552; f) die Hennebergische Landesordnung von 1539 u.a. Die neuere Idee einer vollständigen Codification (s.d.) verfolgte zuerst g) das neue Kurbaierische L. od. der sogenannte Codex Maximilianeus Bavaricus civilis von 1756, verfaßt von v. Konitmayr, welcher auch Anmerkungen dazu in 5 Bdn. (1758–66) herausgab; h) das Allgemeine L. für die Preußischen Staaten von 1794. Schon am 31. Decbr. 1746 hatte Friedrich der Große dem damaligen Großkanzler Samuel von Cocceji den Auftrag gegeben, ein deutsches allgemeines L., welches sich blos auf die Vernunft u. Landesverfassungen gründen sollte, zu entwerfen. In Folge dessen entstand zunächst das sogenannte Project des Corpus juris Fridericianum in zwei Theilen, Halle 1749–51, welche aber nur das Personenrecht u. die dinglichen Rechte umfaßten. Nur zwei Abschnitte desselben, über Ehe- u. Vormundschaftssachen, gelangten indessen davon zu wirklicher Publication in einigen Provinzen; im Übrigen blieb das Werk liegen. Gleiches Schicksal hatte der Angriff zu einer Codification des Proceß. rechtes, zu welcher 1747 mit dem Project eines Codex Fridericianum Pomeranicum, das gleich. falls Cocceji's Arbeit war u. 1748 auch als Project des Codex Fridericianum Marchicum zu weiterer Geltung gelangte, der Anfang gemacht wurde. In den Jahren 1774 u. 1775 wurde ein neues Project des Justizministers von Carmer berathen; doch kam nur eine Verordnung über Verkürzung der Processe vom 15. Jan. 1776 zu Stande. Erst nachdem durch den bekannten Proceß des Müllers Arnold[86] (s.d. 22) die Entlassung des Großkanzlers Fürst herbeigeführt worden war, wurden die von Carmerschen Entwürfe wieder aufgenommen u. 1781 als neue Proceßordnung publicirt. Diese Proceßordnung sollte zugleich das erste Buch eines Corpus juris Fridericianum bilden, weil man den Plan aufnahm, auch das materielle Recht dem Gesetzbuch als zweiten Theil anzureihen. Zu diesem Zwecke erging die Cabinetsordre vom 44. April 1180, welche den Plan vorzeichnete, daß jeder Provinz ihre besonderen Provinzialrechte belassen u. das allgemeine Gesetzbuch nur mit subsidiarischer Geltung ihnen hinzutreten, dabei aus dem Römischen Recht nur das Wesentliche, mit dem Naturgesetz u. der heutigen Verfassung Übereinstimmende abstrahirt, das Unnütze weggelassen u. die Landesgesetze am gehörigen Orte eingeschaltet werden sollten. Die danach von v. Carmer u. Suarez (s.d.) bearbeiteten Entwürfe erschienen hierauf 1784–88 in 6 Abtheilungen unter dem Titel Allgemeines Gesetzbuch für die Preußischen Staaten. Nachdem dieselben bereits 1791 unter demselben Titel mit Gesetzeskraft publicirt worden waren, wurde der Eintritt der Gesetzeskraft 1792 nochmals suspendirt u. bis zum 1. Juli 1794 hinausgeschoben, an welchem das Gesetzbuch nun unter dem abermals veränderten Titel Allgemeines Landrecht ins Leben trat. Die Proceßordnung von 1781 erschien, revidirt u. ergänzt, 1793, als Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten. Das Allgemeine L. zerfällt in eine Einleitung u. zwei Theile, von denen der erste 13 u. der zweite 20 Titel (der 20. das Criminalrecht umfassend) enthält. Ein Anhang dazu erschien 1803, zur Gerichtsordnung 1815. Von den Provinzialrechten, die binnen 3 Jahren gesammelt sein sollten, ist nur das für Ostpreußen 1802 erschienene, die anderen aber sind nach amtlichen Ouellen durch Privathände bearbeitet worden. Außer Preußen gilt das Allgemeine L. noch in den früher mit Preußen vereinigten Landestheilen von Ostfriesland, Ansbach u. Baireuth. Die nach u. nach erschienenen Ergänzungen des Allgemeinen L-s sind am besten gesammelt in dem sogenannten Fünfmännerbuch, herausgeg. seit 1827 von Graff, Koch, von Rönne, Simon u. Wenzel; vgl. Klein, System des Preußischen Civilrechts, Halle 1801, 2. Aufl. von Rönne, 1835 f.; Bornemann, Systematische Darstellung des Preußischen Civilrechts, 6 Bde., mit Reg., Berl. 1834–40; Koch, Lehrbuch des preußischen gemeinen. Privatrechts, Berl. 1851, 2 Bde. u. A. 1) Für Österreich vertritt die Stelle eines L-s das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Österreichischen Monarchie vom Jahr 1811. Die älteren Österreichischen L-e, Landesordnungen, Landhandfesten etc. sind am vollständigsten aus dem sogenannten Justizcodex von de Luca, Wien 1793–1801, 10 Bde. zu ersehen. Im Jahr 1758 ernannte Maria Theresia eine Gesetzgebungscommission, welche 1768 einen von Azzoni bearbeiteten Entwurf in acht Folianten herausgab. Diesem Entwurf wurde die Bestätigung versagt, dagegen wurde 1769 eine neue Criminalordnung, die Constitutio criminalis Theresiana, eingeführt, welche an Stelle einer Constitutio Josephina von 1708 trat. Unter Joseph II. erschien 1781 eine Gerichtsordnung, ein neues Gesetzbuch über Verbrechen u. schwere Polizeivergehen erschien 1803. Für die bürgerliche Gesetzgebung wurde 1788 ein fast ganz dem Römischen Rechte entnommener allgemeiner Theil veröffentlicht, darauf 1794–96 der Entwurf des Ganzen, von Martini ausgearbeitet. Erst nach wiederholten Revisionen durch von Zeiller trat der Entwurf, zunächst für Galizien, in Gesetzeskraft u. wurde dann 1811 auch für die deutschen Erblande, endlich für das ganze Reich mit (zuletzt 1852 auch für Ungarn, Kroatien, Slawonien, Serbien etc., so wie für Krakau u. sein Gebiet) zum Gesetz erhoben. Das Gesetzbuch umfaßt nur das allgemeine Privatrecht, dieses aber vollständig, so daß die Berufung auf anderes, namentlich das Römisch Recht ausgeschlossen ist. Die Nachtragsveränderungen sind mehrfach gesammelt, namentlich in Heßler von Adelshofen, Kurze Darstellung der politischen, geistlichen, militärischen Verordnungen u. Gesetze, auf welche das neue Bürgerliche Gesetzbuch Beziehung nimmt, Wien 1816, 2. Aufl.; Scheidlin, Commentar über die bürgerlichen u. politischen Gesetze, welche seit der eingetretenen Wirksamkeit des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs nachträglich erschienen sind, Wien 1823, 2. Aufl.; von Winiwarter, Handbuch der Justiz- u. politischen Gesetze u. Verordnungen, ebd. 1844, 3. Aufl., 3 Bde.; Michel, Sammlung der neuesten auf das österreichische allgemeine Privatrecht sich beziehenden Gesetze u. Verordnungen, Prag 1850. Vgl. von Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, Wien 1812 f., 4 Bde. (italienisch übersetzt von Carozzi, Calderoni, Bartolini); von Winewarter, Das österreichische bürgerliche Recht, Wien 1838–45, 2. Aufl., 5 Bde.; Ellinger, Handbuch des österreichischen Civilrechts, ebd. 1851, 4. Aufl.; von Stubenrauch, Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch sammt den Nachtragsverordnungen, ebd. 1851–56, 3 Bde.; k) das neue Badische L. ist nur eine deutsche Übertragung der französischen Civilgesetzbücher, s.u. Code. Vgl. Brauer, Erläuterungen über Code Napoléon u. die großherzoglich badische bürgerliche Gesetzgebung, Karlsr. 1809–12, 6 Bde.; Taffurt, System des badischen Civilrechts, ebd. 1824; von Hohnhorst, Jahrbücher des badischen Oberhofgerichts, Manh. 1833 ff.; Bock, Annalen der badischen Gerichtshöfe, Karlsr. 1832 ff.; 3) in Böhmen so v.w. Landgericht, das Gericht erster Instanz.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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