Liberĭa

Liberĭa

Liberĭa, Negerrepublik auf der Körnerküste Guinea's (Westafrika), ein 75 Meilen langer u. etwa 9–10 Meilen breiter Küstenstrich zwischen dem Cap Mount u. dem Groß-Sestros (7°–41/2° nördl. Br.) mit einem Areal von etwa 700 QM., welches jedoch mit der neuhinzugekommenen Marylandcolonie, einem Landstrich von 24 Meilen Küste u. 30 Meilen landein zwischen den Flüssen Groß-Sestros u. Rio Pedro, sowie mit der Gallinasküste, nordwestlich vom Cap Mount, etwa den doppelten Umfang (1400 QM.) erreicht. Die Einwohner wurden 1850 auf 300,000 geschätzt, wovon 7–8000 aus Amerika eingewanderte Neger u. Mulatten, die übrigen einheimische Neger waren. Diese einheimischen Einw. gehören bes. zu den Stämmen Fey (Vey), zwischen dem Gallinasfluß u. Cap Mount (12–15,000 Seelen); Dey, vom Cap Mount bis Cap Montserada (6–8000 Seelen); Bassa, vom Cap Montserado bis zum John's-River (mehr als 50,000 Seelen); Sinu (20–30,000 Seelen) u. Keu-Leute od. Krumer, südöstlich von den vorhergehenden. Ein großer Theil der Einw. gehört der Christlichen Religion an u. ist verhältnißmäßig civilisirt, bedient sich namentlich auch der Englischen Sprache u. treibt Ackerbau. Die Staatsverfassung ist der nordamerikanischen nachgebildet. An der Spitze des Staates steht ein Präsident, es gibt einen Senat u. eine Volksrepräsentation. Die Justiz übt das oberste Gericht aus, Friedensrichter schlichten die Streitigkeiten in den Provinzen, in jeder Grafschaft ist monatlich ein öffentlicher Gerichtstag; die Staatsgesetze sind in einem Gesetzbuch zusammengestellt; es besteht Preßfreiheit, Verbot der Sklaverei, eigens angestellte Beamte befördern die Ausbildung der einheimischen Negerstämme in der Landwirthschaft, es wird ein fester Finanzetat aufgestellt. Das Militär ist dem Civilgouvernement untergeordnet; militärpflichtig sind alle männlichen Bürger der Republik vom 16. bis 50. Lebensjahre, ausgenommen sind nur die Geistlichen u. Civilbeamten; in Friedenszeit sind 1000–1500 Mann disciplinirte Truppen stets im Dienst. Man hat zahlreiche Kirchen gebaut u. Schulen errichtet, auch ein Schullehrerseminar. Im Jahr 1850 gab es allein in der Grafschaft Monrovia 22 Kirchen u. 18 Schulen mit 880 Schülern. Auch 2 Zeitungen erscheinen in Monrovia, der Hauptstadt der Republik: Liberia Herald, eine politische Zeitschrift, u. Africas Luminary, ein Blatt des bischöflichen Missionsvereins. Der Boden ist überall sehr fruchtbar, es gedeihen Reis, Baumwolle, Kaffee, Zuckerrohr, Indigo, Ananas, der Grundnuß (Arachis hypochaea), welcher ein vorzügliches Öl liefert, Palmöl, es gibt Farbehölzer, namentlich Cammbod, ein Rothholz, Gummi, Elfenbein, Goldstaub u. hierzu kommen noch als Producte Ziegenhäute, Hörner, Pfeffer, Ingwer, Kupfer, Mahagoni- u. Teakholz etc. in den Handel. Die Ausfuhr ist beträchtlicher als die Einfuhr (zumeist aus Europa, namentlich Baumwollenzeuge, während aus Amerika Tabak u. Pulver kommen). Das Klima ist meist ungesund, soll sich aber durch Entwaldungen u. Entsumpfungen bessern. Obgleich die Küste sehr einförmig ist u. daher keine Häfen bietet, ist dennoch der Schifffahrtsverkehr beträchtlich, die Schiffe finden auch in einigen Mündungen der Flüsse (St. Paul, Junk, St. John, Sestros, Sinu u.a.) einigermaßen geschützte Ankerplätze, es findet sogar seit 1851 eine regelmäßige Packetbootverbindung zwischen Amerika u. L. statt. Die Flagge der Republik ist ein großer Stern in blauem Felde.

Die Amerikanische Colonisationsgesellschaft für freie Neger, welche 1816 in Washington zusammengetreten war, um gegen die Sklaverei anzukämpfen, hatte 1819 vom Congresse die Acte erreicht, daß der afrikanische Sklavenhandel als Verbrechen der Seeräuberei behandelt werden solle, u. zugleich die Autorisation erhalten, für die befreiten Neger ein Asyl aufsuchen zu lassen. Nachdem daher schon 1807 auf Kosten der Gesellschaft zu diesem Zwecke die Guineaküste untersucht worden war, wurde 1820 die erste Emigration von 30 befreiten Negerfamilien nach der Scherbroinsel gebracht, wo sich jedoch das Klima so mörderisch erwies, daß man sich zu der Wahl eines anderen Ortes für die Anlage der Colonie gezwungen sah Auch einige andere Versuche zum Auffinden eines geeigneteren Landstriches scheiterten, bis man endlich am 25. April 1822 die amerikanische Flagge auf dem Cap Mesurado, wo von dem einheimischen Häuptlinge in einem Vertrage Land gewonnen worden war, aufpflanzte u. damit den Grundstein zum neuen Freistaate der Schwarzen legte. Obgleich nun bald neue Einwanderer hinzukamen, auch der jungen Colonie möglichst kräftige Unterstützung von Seiten der Colonisationsgesellschaft zu Theil wurde, so waren doch die ersten Jahre eine Zeit beständiger Gefahren, indem die benachbarten Negerhäuptlinge, von den Sklavenhändlern aufgereizt, weil die Colonie ihr einträgliches Gewerbe stören mußte, einen erbitterten Krieg gegen die Ansiedlung begannen. So wurde die Colonie 1822 nur durch Zufall vor dem Untergang errettet, indem im Augenblicke der höchsten Gefahr der englische Major Laing erschien u. nicht nur Hülfe an Lebensmitteln u. Munition brachte, sondern auch die feindlichen Häuptlinge zu einem Friedensvertrag bewog. Nun kräftigte sich die Colonie allmälig; neue Einwanderer wurden zur Anlage neuer Ansiedelungen verwendet, so entstand 1825 Neu-Georgia, die Stadt Caldwell am St. Paulsfluß, 1827 die Ansiedlung Milsburg, 1829 ward Carytown gegründet. Die Bewohner der Colonie konnten schon den Angriffen der feindlichen Stämme nachdrücklicher entgegentreten, selbst in das Innere des Landes vordringen, die Feinde in ihren Wohnorten aufsuchen u. dieselben zum Aufheben der Sklaverei zwingen. 1834 wurde der Häuptling Boatswain, 1839 die Häuptlinge Goterah u. Gatumba besiegt, u. diese Siege steigerten das Ansehen der Colonie bei den Eingebornen bedeutend. Als Nachfolger des 1841 verstorbenen Gouverneurs Buchanan wurde[339] nun der Neger Roberts, der früher die Truppen befehligt hatte, erwählt. Unter dessen ausgezeichneter Verwaltung erblühte die Colonie immer mehr u. mehr. Nicht nur, daß fast mit allen Nachbarstämmen Friedensverträge geschlossen wurden, daß fremde Stämme ihre Kinder in der Colonie erziehen ließen, sondern auch der Handelsverkehr, der Ackerbau u. die Industrie hoben sich, u. es ward regelmäßige Verbindung längs der Küste mit Amerika eingerichtet. So war 1847 die Colonie so weit gediehen, daß sie selbständig zu sein vermochte u. sich am 8. Juli dieses Jahres als Freistaat constituirte, mit Roberts an der Spitze als Präsidenten. 1849 erkannten England, Frankreich u. Amerika die Selbständigkeit des Staates an u., mehr u. mehr in der Entwickelung begriffen, scheint die Republik als der Ausgangspunkt der Civilisirung Afrika's betrachtet werden zu müssen.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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