Speiseanstalten

Speiseanstalten

Speiseanstalten, Einrichtungen, in welchen Speisen zu Mittagsmahlzeiten in großen Massen bereitet werden, um dieselben zu billigem Preis an minder Bemittelte od. durch ihren Beruf an der Speisebereitung Behinderte abzugeben. Das Entstehen solcher S. in Deutschland gehört der Mitte des 19. Jahrh. an. Zwar bestehen in der Türkei, namentlich in Constantinopel (s.d. S. 390), schon seit langer Zeit solche Anstalten (Imarets, Armenküchen), aber dort sind es milde Stiftungen vornehmer u. reicher Leute, meist mit einer Moschee verbunden, aus denen Speisen unentgeltlich an Arme verabreicht werden. Auch in London besteht eine solche Anstalt schon seit längerer Zeit, allein sowohl der Betrieb als die Idee der Entstehung derselben beruht auf ganz anderen Grundsätzen, als die später auf dem Continent entstandenen S. Denn das dort täglich an bekannte u. empfohlene Arme ebenfalls unentgeltlich vertheilte Essen trägt nie das Gepräge eines bestimmten Gerichtes, sondern besteht aus Überbleibseln der Küchen größerer Gasthäuser, Restaurationen u. reicher Privatfamilien u. bildet das Gemisch einer Art Suppe aus den verschiedenartigsten Bestandtheilen. Ähnliche Gerichte werden auch in Restaurationen für die untersten Klassenin Paris an Arbeiter u. Arme verkauft u. beißen dort Arlequins (Hanswurstjacken), von dem Buntdurcheinander der Bestandtheile eines solchen Gerichts. Ganz anders sind die Verhältnisse u. Umstände, unter welchen die S. in Deutschland entstanden sind. Mangel an Arbeit eines größeren Theiles der Handwerker u. Arbeiter, so wie die täglich mehr überhand nehmende Theuerung aller Lebensmittel ließen zuvörderst mehre wohlhabende Einwohner einzelner Städte, im Einverständniß mit der betreffenden Behörde, darauf Bedacht nehmen den bes. in den Jahren 1848 u. 1849 an Arbeits- u. Nahrungsmangel leidenden Mitbürgern u. Familienvätern eine zwar einfache, aber nahrhafte u. reinliche Kost, bestehend in einem Stückchen Fleisch u. einer starken Portion Gemüse, die Portion für zehn bis zwölf Pfennige, zu verschaffen. Der Verkauf dieser Speisen ist einvollständig freier, d.h. nicht blos für Arme, sondern für Jeden, welcher für eine Portion den bestehenden Preis zahlt. Die Speisen können entweder an Ort u. Stelle der Anstalt verzehrt od. in die Wohnung der Betheiligten abgeholt werden. Ja in Berlin wurde bei der Errichtung der S. 1855 die Einrichtung getroffen, daß die gekochten Speisen auf Menagewagen durch die Stadt gefahren u. an jedem Orte deren abgegeben wurden. Auf diese Weise entstanden in einzelnen Städten Deutschlands (namentlich Norddeutschlands) wahrhafte Musteranstalten, während sie in Süddeutschland weniger Eingang gefunden haben. Bes. hat in der Geschichte der S. die von Egestorff 1855 zu Linden bei Hannover eingerichtete S. Aufsehen gemacht, u. man pflegt nach ihm jetzt, bes. die mit Dampfapparaten kochenden derartigen Anstalten Egestorffsche S. zu nennen, wiewohl man in der S. zu Leipzig schon lange vorher auf diese Weise kochte. Obgleich das Vorhandensein solcher S. ein Segen ist, so werden sie doch schon seit längerer Zeit nicht mehr in der Ausdehnung wie Anfangs benutzt, weshalb auch mehre ihre Thätigkeit bereits wieder eingestellt haben.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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