Italische Sprachen

Italische Sprachen

Italische Sprachen, 1) im weiteren Sinne die Sprachen aller Völker, welche im Alterthume vor u. während der Herrschaft der Römer in Italien wohnten. Dahin gehören a) im nördlichen Italien die Sprachen der ligurischen Stämme, der Veneter, der gallischen Völkerschaften u. der Etrusker, von denen die Ligurische jedenfalls außerhalb des Indogermanischen Sprachstammes steht, während das Etruskische (s.d.) vielleicht demselben noch angehört. Sicher indogermanisch sind die Sprachen der oberitalischen Gallier, welche nebst der der Helvetier u. Transalpinischen Gallier der celtischen Gruppe angehören, während die Veneter mit ziemlicher Gewißheit zu den Sprachen illyrischen (albanesischen) Stammes zu zählen sind. Das Etruskische ist durch zahlreiche Inschriften vertreten; für die übrigen Sprachen legen nur Eigennamen u. einzelne gelegentlich von den römischen u. griechischen Schriftstellern aufbewahrte Wörter Zeugniß ab. b) Den mittleren u. einen großen Theil des südlichen Italiens bewohnten in historischer Zeit die eigentlichen Italiker, welche die J. S. im engeren Sinne redeten (s. unten). Endlich c) im äußersten Südosten Italiens wurde noch bis in die römische Kaiserzeit hinein das Messapische od. Japygische (s. Japygia) gesprochen, welches früher sich auch über Apulien ausdehnte. Aus den noch vorhandenen messapischen Inschriften geht bis jetzt wenigstens soviel hervor, daß das Japygische dem Indogermanischen Sprachstamme zugehört. 2) Italische Sprachen im engeren Sinne (weil auf den Völkern, von denen sie gesprochen wurden, die geschichtliche Bedeutung der Halbinsel wesentlich beruht) od. Opische Sprachen (weil die älteren Griechen alle Völker italischen Stammes Opiker nannten) nennt man eine der Hauptgruppen des Indogermanischen Sprachstammes, welche zunächst mit den Sprachen der pelasgisch-griechischen Gruppe verwandt sind (s. Indogermanische Sprachen) u. in Italien zur Entwickelung u. Blüthe gelangten. Die J-n S. zerfallen in zwei Äste, den Latinischen u. den Umbrischen od. Umbrisch-samnitischen. a) Die Sprache der Latiner wurde auch in früherer Zeit (vor der samnitischen Einwanderung) in Campanien von den Ausonern, in Lucanien u. Bruttium von den eigentlichen Italern (Itali), wahrscheinlich auch (vor der griechischen Colonisirung) in der östlichen Hälfte Siciliens von den Siculern gesprochen. Aus der Sprache der Latiner im eigentlichen Latium entwickelte sich einerseits unter etruskischen, andererseits unter umbrisch-samnitischen Einflüssen die Lateinische Sprache (s.d.), welche mit Roms Herrschaft in Italien die herrschende u. nach der Hauptstadt ihrer Eigenthümer die Römische Sprache (Lingua romana) genannt wurde. Aus letzter bildeten sich dann nach dem Untergange des Römischen Reiches weiter die Romanischen Sprachen (s.d.). b) Der Umbrisch-samnitische Ast der J-n S. zeigt sich in viele Dialekte zersplittert (s. Italien [Gesch.] I.). Dahin gehören aa) die Umbrische Sprache (s.d.) im engeren Sinne, in welcher viele Inschriften, namentlich die Eugubinischen [144] Tafeln vorliegen, u. die im eigentlichen Umbrien ihre Heimath hatte; bb) die Sprache der Volsker, u. cc) der Marser, für welche nur eine kleine Anzahl von Inschriften Zeugniß ablegen; dd) die Sprache der Samniter od. die Oskische Sprache (s.d.), welche sich mit den Eroberungen dieses Volkes über Campanien u. weiter nach Süden ausbreitete u. durch zahlreiche epigraphische Denkmäler, worunter die Bantinische Tafel, vertreten ist. ee) Von den Dialekten der übrigen sabellischen Völker, wie dem der Sabiner, Hirpiner, Picenter, haben sich im provinziellen Latein u. in den Anführungen lateinischer Grammatiker nur geringe Spuren erhalten. In mehreren der Altitalischen Sprachen sind auch Münzlegenden übrig. Die Erklärung der altitalischen Sprachdenkmäler wurde in wissenschaftlicher Weise erst in den letzten Decennien begonnen. Die bisherigen Ergebnisse sind fast ausschließlich nur deutschen Gelehrten zu verdanken, gegen welche die vielfachen Bemühungen der Italiener kaum in Anschlag gebracht werden können. Die Arbeiten von Grotefend u. Lassen, namentlich aber die von Lepsius (Inscriptiones linguae Umbricae et Oscae, Lpz. 1841), Kirchholz u. Aufrecht (Umbrische Sprachdenkmäler, Berlin 1849–51, 2 Thle.), von Mommsen (Die unteritalischen Dialekte, Lpz. 1850) u. Corssen haben bereits zu namhaften Erfolgen u. überraschenden Aufschlüssen für Ethnographie, Sprach- u. Rechtsgeschichte geführt. Sonst haben sich noch Peter, G. Curtius, Huschke u.a. in Kuhns u. Aufrechts Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung (Berl. 1851 ff.) um den Gegenstand verdient gemacht. Die italischen Schriften sind griechischen u. somit weiter phönicischen Ursprungs. Die italischen Völker erhielten das griechische Alphabet in zwei verschiedenen Gestalten, die eine, wie es scheint aus Attika, nach Etrurien (s. Etruskische Sprache etc.), die andere nach Latium, u. zwar durch die Griechen von Cumä u. Sicilien. In der ältesten Epoche des etruskischen Alphabets bedienten sich desselben zunächst die Etrusker am Po u. in Toscana; Verzweigungen desselben gelangten an der Ostküste bis zu den Abruzzen, nördlich zu den Venetern, zu den Celten Oberitaliens, ja selbst über die Alpen bis nach Tyrol u. Steyermark hinein. Die jüngere Form des etruskischen Alphabets, welche sich in Toscana entwickelte, drang hingegen nicht über den Apennin vor, bürgerte sich aber bei sämmtlichen sabellischen Stämmen, zunächst bei den Umbrern ein, worauf es bei jedem einzelnen Stamme wiederum gewisse Modificationen erfuhr. Während so die Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Osten, Norden u. Süden Italiens erscheinen, hat sich das latinische Alphabet auf Latium beschränkt u. sich im Ganzen nur mit geringen Veränderungen behauptet. Die Einführung des Alphabets muß in Italien schon sehr früh erfolgt sein, gewiß schon drei od. vier Jahrhunderte vor Beginn der römischen Ära (776 v. Chr.).


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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