- Pfeilgifte
Pfeilgifte, Substanzen, mit denen mehre wilde Völkerschaften ihre Pfeile u. andere Waffen vergiften. A) Amerikanische P. Bei den Indianerstämmen des südlichen Amerika sind seit alter Zeit unter den Namen Curare, Urari, Woorara, Wurali, Gifte in Gebrauch, deren sie sich bes. zur Vergiftung ihrer Jagdwaffen bedienen. Über die Abstammung u. Zubereitung dieser Gifte herrschten sonst allerhand abenteuerliche Gerüchte, sie sollten aus verschiedenen giftigen Wurzeln, schwarzen Ameisen, giftigen Fischen, Kröten u. Schlangen von einem Sklaven gekocht werden, welcher durch die dabei aufsteigenden Dämpfe selbst als Opfer seiner Arbeit falle. Humboldt gibt an, daß der wirkende Stoff des P-s einer zu den Strychneen gehörigen Pflanze entnommen werde, von welcher Martius erzählt, daß sie in der Tupissprache Urari-riva heißt. In der Bereitung der P. sollen die Macusisindianer (in Brasilien zwischen dem 2. u. 3. Grad nördl. Br. u. dem 59. bis 61. Grad westlicher Länge) die erfahrensten sein; sie nennen die Pflanze, aus welcher sie das Gift bereiten, Urari-Ye u. das Gift selbst Urari; nach Schomburgk ist die Pflanze Strychnos toxifera, u. die Macusis, so wie die Wapisianasindianer wenden die Rinde u. den Splint derselben an, welche die giftigsten Theile der Pflanze sein sollen. Die abgezogene Rinde wird zerkleinert u. in einem irdenen Gefäß mit Wasser so lange eingeweicht, bis die Flüssigkeit eine gelbe Farbe angenommen hat, worauf man sie abseiht. Ebenso verfährt man mit anderen zur Bereitung des Giftes angewendeten Pflanzen, wie Strychnos cogens Benth., Str. guyanensis Mart. u. einer Art Cissus. Die Extracte dieser Pflanzen werden bis zur Syrupsconsistenz eingedickt u. das so gewonnene Urari in Kürbisschalen eingefüllt u. mit Blättern bedeckt. Soll das Gift gebraucht werden, so setzt man dazu ein Wenig Cassavasaft, welcher durch Auspressen der Wurzel von, Jatropha manihot erhalten wird, damit die Masse weicher u. verstreichbarer wird. Nach diesem Zusatz vergraben die Indianer das Gefäß mit seinem Inhalt in die Erde u. lassen es 1–2 Tage lang dort. Da zu dem Einkochen des Giftes mehre Tage verwendet werden, so bereiten es die Indianer nur zwei Mal des Jahres. In ähnlicher Weise bereiten andere Indianerstämme ihr Pfeilgift, welches von den Eingeborenen am Miranhon, Yupura, Rio Negro etc. ebenfalls Urari, bei anderen Wurali genannt wird. Die Indianer am Orinoco u. Amazonenstrom bereiten das weniger starke Gift Curare. Die Majongkongs- u. die Guinaresindianer, welche die nördlichen Districte des oberen Orinoco bewohnen, reisen zu den Macusisindianern, um das Urari zu holen, indem sie es gegen das Curata austauschen, ein Rohrgewächs, welches sich wegen seiner Länge bes. zu den gefürchteten Blaserohren Sarbacans eignet, aus denen die vergifteten Pfeile geschossen werden. Die Probe, ob das bereitete Gift die gewünschte Wirkung besitzt, machen die Indianer an einer Eidechse, weil das Urari auf kaltblütige Thiere schwächer wirkt, als auf warmblütige; wirkt es daher auf Eidechsen, Frösche u. Schlangen heftig, so ist die Bereitung als wohlgelungen zu betrachten. Das Gift wirkt aber auch bei warmblütigen Thieren verschieden, es tödtet Affen u. Jaguare sicherer als andere Thiere. Die Indianer halten Salz u. Zucker für Antidota gegen schwächere Gifte, gegen starkes Gift gibt es nach ihrer Meinung kein Hülfsmittel. Die Indianer wenden bei Verwundungen durch vergiftete Pfeile, wenn kein Salz vorhanden ist, den Urin an; ein heftiger Durst befällt den Verwundeten, wird er mit Wasser gelöscht, so erfolgt sicher der Tod. Alvaro Reynoso fand, daß Chlor u. Brom die Wirkung des Urari aufheben. Nach Humboldt soll das Curare vom Amazonenstrom u. Orinoco innerlich genommen ein von den Indianern sehr geschätztes Magenmittel sein. Überhaupt wirkt das Gift nur tödtlich, wenn es in Wunden gebracht wird u. sich dem Blute beimischt; die damit erlegten Thiere können ohne allen Nachtheil für die Gesundheit gegessen werden. Bei der Section zeigen sich keine anderen Erscheinungen als bei den durch mechanische Mittel getödteten Thieren; daher ist auch für die gerichtliche Medicin das Pfeilgift das allergefährlichste. Während die Vergiftung mit Strychnin heftige krampfhafte Zuckungen u. Starrkraft bewirkt, treten bei der Vergiftung durch Pfeilgift Symptome auf, welche ein allmäliges Fallen in Schlaf anzeigen u. der Tod erscheint nicht als directe Folge der Vergiftung, sondern als eine Folge der unterbrochenen Athmung. Gelangt das Pfeilgift unmittelbar ins Blut, so tödtet es in kurzer Zeit, es bedarf keiner größeren blutenden Wunde, eine leichte Verwundung mit einer vergifteten Nadelspitze reicht hin, den Tod sicher herbeizuführen. Über die chemische Constitution dieser P. ist mit Sicherheit noch nichts bekannt. Boussingault fand in dem Curare, welches er vom Amazonenstrom mitgebracht hatte, ein Alkaloid, das Curarin; im Urari u. Woorara ist vielleicht Strychnin enthalten. Man hat in neuerer Zeit angefangen, das Curare in der Medicin als Mittel gegen den Starrkrampf anzuwenden. Versuche, welche Sewell an einem Pferde u. Salleron u. Luis Bella an verwundeten Soldaten im Hospital in Turin angestellt haben, lieferten günstige Resultate; doch ist dieses Gift nur mit der größten Vorsicht anzuwenden.
B) Ostindische P. a) Upas Radja (Fürstengift, Upas Tieuté), wird auf Java aus der Wurzel der Strychnos Tieuté, dem Tjetieck der Eingeborenen, bereitet. Diese Pflanze gehört zur Familie der Apocyneen, ist eine Schlingpflanze mit armdickem Stamme, welcher die höchsten Bäume der Urwälder Javas überwuchert, oft von der Wurzel an in einer Länge von 100 Fuß völlig einfach u. astlos, aber mannichfaltig gekrümmt u. gewunden; sie trägt grünlichweiße, herabhängende, wohlriechende Doldenblüthen. Nur die Wurzel enthält das Gift, dessen wirksamer Bestandtheil Strychnin ist; der Strauch selbst ist unschädlich. Man kocht die Wurzelrinde ab, setzt der Flüssigkeit eine Abkochung von Pfeffer, Galgant u.a. Substanzen bei u. dickt bis zur Syrupconsistenz ein; getrocknet ist es rothbraun, kantendurchscheinend, schmeckt äußerst bitter, ist löslich in Alkohol, wenig löslich in Wasser, enthält Strychnin an Milchsäure, nach And. an Igafursäure, gebunden u. eine von Pelletier u. Caventou Strychnochromin genannte Substanz. Es tödtet, in Wunden gebracht, in wenigen Minuten unter Zuckungen u. Starrkrampf. Das noch flüssige Gift soll wirksamer sein, als das auf den Pfeilen eingetrocknete. Als Gegenmittel wird Chlor empfohlen. b) Upas Antiar stammt von Antiaris toxicaria, bei den Javanesen Antjar, bei den [944] Malayen Pohon Upas (Baum des Gifts), auf Celebes u. den Philippinen Ypo, einem schönen schlanken Baum, dessen cylindrischer Stamm 60–80 F. astfrei u. glatt in die Höhe steigt u. eine halbkugelige Krone trägt. Aus Einschnitten in der Rinde quillt reichlich ein Milchsaft aus, welcher auf die Haut gebracht Blasen zieht u. schmerzhafte u. gefährliche Geschwüre verursacht. Mit diesem Saft. vergiften die Wilden des Indischen Archipels ihre Pfeile. Das Upas Antiar enthält das in seiner Wirkung so furchtbare Alkaloid Antiarin (s.d.); es wirkt unausbleiblich tödtlich, wenn es, obgleich in kaum sichtbaren Theilchen, durch eine Wunde in den thierischen Körper gebracht wird. Seine Wirkung wird beschleunigt durch Substanzen, welche seine Löslichkeit vermehren, z.B. durch den in dem Safte enthaltenen Zucker, Gummi etc. Die vergifteten Pfeile werden entweder von Bambus gefertigt u. sehr sein zugespitzt, so daß nur eine kleine, wenig blutende Wunde entsteht, auch wohl ein Theil der Spitze abbricht u. zurückbleibt, od. die mit Gift bestrichenen Spitzen bestehen aus Haifischzähnen od. Kupferblättchen, welche nur locker an dem Schafte befestigt sind u. leicht in der Wunde zurückbleiben.
C) Chinesisches Pfeilgift. Die chinesischen Jäger bereiten ein Pfeilgift aus der Wurzel des Tsau-rou, einer perennirenden, kriechenden Pflanze, welche auf den Bergen der centralen Provinzen wächst. Die getrocknete Wurzel dient auch als Heilmittel. Das Gift wird durch vorsichtiges Eindampfen des wässerigen Extracts gewonnen u. wirkt ähnlich wie das Pfeilgift der Indianer. Hat der vergiftete Pfeil ein Glied getroffen, so windet sich das Thier noch eine Zeit lang, ehe es stirbt, ist aber der Leib selbst verwundet, so läuft es noch eine Strecke fort, wankt alsdann u. stürzt todt zusammen. Ein Corps Jäger der kaiserlichen Leibwache führt noch so vergiftete Pfeile bei Jagden u. zum Gebrauch gegen Wölfe; als Kriegswaffe werden sie nicht mehr angewendet.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.