Zündnadelgewehr

Zündnadelgewehr

Zündnadelgewehr, im Allgemeinen ein Gewehr, bei welchem die Entzündung des Pulvers nicht durch ein Feuer- od. Percussionsschloß, sondern durch eine spitze Nadel bewirkt wird, welche eine Feder in die in der Patrone befindliche Zündmasse einstößt. Die ersten Gewehre dieser Art wurden von vorn geladen, die Gewehre neuerer Construction sind aber sämmtlich Hinterladungsgewehre. Im Speciellen bezeichnet man mit diesem Namen das 1832 von Dreyse zu Sömmerda in Thüringen erfundene Infanteriegewehr, welches bis 1835 so weit vervollkommnet wurde, daß es Preußen als Hauptwaffe für die Infanterie annahm, es in großen Massen anfertigen ließ u. es von 1848 an nach u. nach an die gesammte Infanterie, mit Einschluß der Landwehr verausgabte. Die Gewehre werden gefertigt in den Fabriken zu Sömmerda, Spandau, Danzig u. Erfurt. Die Haupttheile des Z-s sind Lauf, Bayonnet, Entladestock, Schloß, Schaft, Garnitur. Außerdem gehören dazu die Zubehörstücke u. Reservetheile. A) Die Haupttheile: a) Der Lauf ist eine geschmiedete Röhre von Eisen od. Gußstahl, 34,5 Zoll lang; die Seele hat ein Caliber von 0,59 bis 0,60 Zoll; sie besteht aus dem Patronenlager u. dem gezogenen Theil, das erstere wieder aus dem cylindrischen u. dem conischen; der cylindrische Theil ist so weit, daß er die Patrone bequem aufnehmen kann, der conische Theil bildet den allmäligen Übergang von dem cylindrischen zu dem gezogenen Theil des Laufes, welcher enger ist als die Patrone. In den gezogenen Theil des Laufes sind vier Züge mit 4/5 Drall eingeschnitten; das zwischen denselben stehen gebliebene Eisen nennt man die Felder od. Balken Äußerlich ist der Lauf in seiner Hauptlänge rund, dann folgen nach hinten zu das Achtkant, der Gewindetheil u. das conisch geformte Mundstück, dessen hintere Fläche die Schlußfläche heißt, weil sich an dieselbe die Schlußfläche der Kammer anlehnt u. dadurch der Verschluß des Laufes bewirkt wird. Beide Theile, Lauf u. Kammer, sind, um ihren Schlußflächen eine größere Dauer zu geben, an denselben gehärtet. Auf dem Achtkant des Laufes ist die Visireinrichtung angebracht, sie besteht aus dem Standvisir, an welchem durch eine Visirschraube zwei Klappen befestigt sind, von denen die größere noch mit einem Loch versehen ist. Das Korn befindet sich nicht weit von der Mündung; ihm gegenüber, etwas näher an der Mündung, sitzt der Bayonnetfederhaft, an demselben durch einen Stift befestigt die Bayonnetfeder. b) Das Bayonnet, s.d. c) Der Entladestock; er ist von Stahl mit einem Griff u. einem Wischerende versehen u. wird benutzt, um beim Entladen die Patrone aus dem Patronenlager zu stoßen, im Nothfall dient er auch beim Putzen des Gewehres als Wischstock. d) Das Schloß; es verschließt den Lauf u. bewirkt die Entzündung der Patrone; seine Theile sind: aa) die Hülfe mit der Abzugsfeder, erstere nimmt die sämmtlichen Schloßtheile auf u. bringt sie in Verbindung mit dem Lauf, so daß sie auf die geladene Patrone wirken können, sie ist auch wesentlich beim Verschluß des Laufes betheiligt. Die Hülfe ist von Eisen u. achtkantig; in ihrem vorderen Theile, dem Hülsenkopfe, ist das Muttergewinde für den Gewindetheil des Laufes eingeschnitten; hinter demselben befindet sich die Patroneneinlage, dann kommt der Ansatz mit der schiefen Fläche u. endlich der Einschnitt für die Kammerwarze mit dem Knie. Auf ihrer unteren Seite endigt sie hinten in den Kreuztheil mit dem Kreuzschraubenloch. Weiter nach vorn befinden sich das Loch für den Abzugsfederstollen u. die Muttergewinde für die Abzugsfeder- u. die Verbindungsschraube. Die Abzugsfeder dient zum Spannen u. Abdrücken des Schlosses u. leitet die Bewegungen des Schlößchens, auch verhindert sie ein gänzliches Herausfallen der Kammer aus der Hülfe; sie ist mit einem Stollen versehen u. endet hinten mit einem gabelförmigen Theile, in welchem der Abzug durch einen Stift befestigt ist; durch den Abzug wird die Feder bewegt. Derselbe besteht zu diesem Behufe aus der Abzugsstange u. dem Druckstück mit den drei Drucknasen. Die Abzugsschraube befestigt die Abzugsfeder an der Büchse. bb) Die Kammer mit dem Nadelrohr. Die Kammer verschließt den Lauf, nimmt die inneren Schloßtheile auf u. gewährt der Sperrfeder beim Spannen u. Inruhsetzen den nöthigen Stützpunkt. Ihre Bohrung wird durch den Kammerboden, in welchem sich das Muttergewinde für das Nadelrohr befindet, in zwei Theile getheilt; der vordere heißt der Schlußtheil u. dessen vordere sich erweiternde Öffnung der Kammermund. Der hintere Theil der Kammerbohrung, welcher das Schlößchen aufnimmt, ist etwas weiter als der vordere. An seinem hinteren Ende erweitert er sich noch mehr u. zwar so, daß die Sperrfedernafen sich so viel heben können, um in die Kammerraft einzugreifen. Am Ende der Kammer befindet sich der Ausschnitt für den Daumenstollen des Schlößchens u. links von demselben der Schlößcheneingang. Unten befindet sich der Einschnitt für den Abzugsfederstollen u. oben über dem Kammerboden die Kammerwarze mit einem Muttergewinde, in welches der Knopf eingeschraubt wird. Das Nadelrohr ist in dem Kammerboden eingeschraubt u. hat den Zweck die Bewegung der Nadel stets in der Richtung der Seelenachse zu erhalten, die Bohrung des Nadelrohrs verengt sich nach vorn. cc) Das Schlößchen dient zur Aufnahme sämmtlicher übrigen noch nicht genannten Schloßtheile, zur Leitnug der Bewegungen des Nadelbolzens u. im Verein mit dem Abzugsfederstollen der Sperrfeder u. der Kammer zum Spannen u. in Inruhsetzen des Gewehrs; seine Bohrung besteht aus zwei cylindrischen Haupttheilen; im vorderen bewegen sich die beiden Nadelbolzenköpfe, in dem hinteren wird die Spiralfeder beim Spannen zusammengedrückt. In dem Boden befindet sich das Loch für den Nadelkopf. Der flache Rücken des Schlößchens bildet das Sperrfederlager, in dessen vorderem Ende das Loch für den Sperrfederkrapfen angebracht ist u. welches hinten durch den Daumenstollen des Schlößchens begrenzt wird. Auf der unteren Seite ist der Einschnitt für den Abzugsfederstollen. dd) Die Sperrfeder hält vermittelst des Krapfenansatzes den Nadelbolzen mit der Spiralfeder im Schlößchen u. durch ihre beiden Nasen das Schlößchen in der Kammer fest; durch die letzteren wirkt sie auch wesentlich beim Spannen u. Inruhsetzen des Gewehrs mit. Der Sperrfedergriff dient zu ihrer Handhabung. ee) Der Nadelbolzen mit der Zündnadel. Erster nimmt die Zündnadel auf u. ist das Mittel, durch welches alle bei der Bewegung des Schlosses betheiligten Kräfte auf dieselbe wirken; er ist hart eingesetzt. In dem[730] hinteren Theile seiner Bohrung befindet sich das Muttergewinde für die Zündnadel, vorne das Lederplättchenlager. Die beiden Nadelbolzenköpfe dienen zur Leitung der Bewegung des Nadelbolzens, der vordere außerdem noch, um in Verbindung mit dem Lederplättchen u. dem Nadelrohrvierkant die Grenze des Vorschnellens der Zündnadel zu bestimmen; durch den hinteren wirken der Abzugsfederstollen u. die Spiralfeder auf das Verhalten der Zündnadel. Das Lederplättchen dient zum Schutz des Nadelbolzens u. des Nadelrohres u. sperrt das Pulvergas u. den Rückstand von den inneren Schloßtheilen ab; es muß von gutem Brandsohlenleder gemacht werden u. darf über die Aussräßung des Nadelbolzenkopfes nur um die Stärke eines Fingernagels hervorragen. Die Zündnadel führt durch den Stich in die Zündpille die Entzündung derselben herbei, sie besteht aus der Nadel, dem Schafte, dem Kopfe mit dem Gewindetheil. Die Nadel ist von Stahldraht, federhart u. mittelst Zinn in den Schaft u. dieser ebenso in den Kopfe gelöthet; der Schaft u. der Kopf sind von Messing. Im Kopfe befindet sich ein Loch, um einen Stift zum Aus- u. Anschrauben der Zündnadel durchstecken zu können. ff) Die Spiralfeder bewirkt das Vorschnellen der Zündnadel, sie ist von federhartem Draht gefertigt, hat 37–43 Windungen u. trägt ein Gewicht von 10–11 Pfund. Beim Laden des Gewehres umfaßt die linke Hand das Gewehr am Unterring u. hält es in schräger Lage so fest, daß der Kolben an der rechten Hüfte anliegt. Die rechte Hand drückt den Sperrfedergriff nieder, dadurch tritt die hintere Nase der Sperrfeder aus der Kammerrast u. wird das Zurückziehen des Schlößchens möglich. Der vordere Nadelbolzenkopf bleibt so lange an dem Vierkant des Nadelrohrs liegen, bis der Ansatz des Sperrfederkrapsens an ihm anlangt u. ihn zwingt die Bewegung rückwärts mitzumachen. Durch diese Bewegung wird der hintere Nadelbolzenkopf an den Abzugsfederstollen gebracht, welcher durch eine geringe Verstärkung der angewendeten Kraft zum Ausweichen gezwungen wird. Ist der hintere Nadelbolzenkopf über den Abzugsfederstollen hinweggezogen, so tritt der letztere wieder in das Innere des Schlößchens hinein. Ein weiteres Zurückziehen des Schlößchens wird durch die inzwischen an der Kammerrast angebrachte vordere Nase der Sperrfeder verhindert. Die Nadel geht durch das Zurückziehen des Schlößchens so weit zurück, daß nur die Spitze derselben aus der Mündung des Nadelrohrs heraussteht. Ein Schlag der rechten Hand an den Knopf führt die Kammerwarze von der schiefen Fläche in den Hülseneinschnitt u. dreht die Kammer so, daß der Abzugsfederstollen in den Längeneinschnitt derselben kommt, durch Zurückziehen der Kammerwarze bis an das Knie wird der Lauf geöffnet u. die Patroneneinlage frei. Die Patrone wird nun in das Patronenlager eingeschoben, die Kammer mit ihrer Schlußfläche bis an die Schlußfläche des Laufes vorgeschoben, die Kammerwarze auf die schiefe Fläche gedreht u. durch einen kräftigen Schlag so fest auf dieselbe gedrückt, daß die beiden Schlußflächen dicht an einander schließen. Das Schlößchen wird durch einen Druck auf die hintere Fläche des Daumenstollens so weit in den Kammerausschnitt u. den Hülseneinschnitt hineingeschoben, bis die hintere Sperrfedernase in die Kammerrast eingreift. Der Nadelbolzen, mit seinem hinteren Kopf gegen den Abzugsfederstollen gestützt, bleibt dabei stehen, tritt also mit dem Nadelkopfe u. dem hinteren Ende seines Schaftes aus dem in dem Boden des Schlößchens befindlichen Loche heraus. Die Spiralfeder wird also durch den Boden des Schlößchens auf den festliegenden hinteren Nadelbolzenkopf gedrückt u. dadurch gespannt. Beim Abdrücken des Gewehres zieht der Zeigefinger die Abzugsstange zurück, bis der Abzugsfederstollen so weit aus dem Schlößchen herausgezogen ist, daß der hintere Nadelbolzenkopf frei wird. Der durch die gespannte Spiralfeder auf denselben ausgeübte Druck treibt dann den nicht mehr durch den Abzugsfederstollen aufgehaltenen Nadelbolzen mit seinem vorderen Kopfe bis an das Vierkant des Nadelrohrs, wodurch die Spitze der Nadel das Pulver durchstechend in die Zündpille eindringt u. dieselbe entzündet. e) Der Schaft ist aus Nußbaum od. Ahorn gefertigt. Die Vereinigung des Laufes u. Schaftes wird durch drei Ringe von Messing bewerkstelligt. Schaft u. f) Garnitur des Z-s. sind nicht wesentlich verschieden von den gleichen Theilen der gewöhnlichen Infanteriegewehre. B) Von den Zubehörstücken sind die wesentlichsten: a) der Kammerreiniger, er ist von Eisen cylindrisch geformt u. hat einen gezahnten Theil, mittelst dessen man die Kammer vom Pulverrückstand reinigt; mit einem Schlüsselkopf ist er versehen, um als Schraubenschlüssel für das Nadelrohr u. die Abzugsfederschraube zu dienen; b) der Nadelrohrreiniger, aus strohhalmstarkem Draht gefertigt, hat einen gezahnten Theil zum Reinigen des Nadelrohrs, ein angefügter Stift dient zum Ausschrauben der Nadel aus dem Nadelrohr. Als Reservetheile führt jeder Soldat zwei Nadeln, eine Spiralfeder, vier Lederplättchen mit sich. Das Gewicht des Gewehres beträgt 10–11 Pfund u. gewährt einen sichern Schuß bis 700 Schritt. Die großen Vortheile dieses Gewehres beruhen in dem einfachen, wenig Reparaturen unterworfenen Mechanismus u. in dem schnellen, bequemen Laden in jeder Lage. Das Z. ist von größeren Staaten nur in Preußen eingeführt u. von diesem Staate an mehre kleine Staaten abgetreten worden, so an die Sächsischen Herzogthümer, Waldeck, Mecklenburg, Bremen. In neuester Zeit hat auch das Kurfürstenthum Hessen ähnliche Gewehre beschafft, andere größere Staaten, wie Frankreich u. England, machen Versuche mit Z-en. Für die Jäger u. Schützen sind in Preußen Zündnadelbüchsen eingeführt, für die Füsilierregimenter Z-e, welche etwas kürzer sind u. aufzupflanzende Haubayonnete haben. Das System des Z-es findet auch bei den Jagdgewehren vielfach Anwendung unter den verschiedenartigsten Modificationen. Die Construction des Schlößchens ist in seinen wesentlichen Theilen dieselbe wie oben beschrieben; an Stelle der beweglichen Kammer tritt meist ein bewegliches Rohr, welches durch eine Kurbel nach vorn geschoben etwas überklappt, um die Patronen in sich aufzunehmen, durch Zurückdrehen der Kurbel schließt sich das Rohr fest an die Kammer an u. das Gewehr kann nach Einschieben des Schlößchens abgefeuert werden. Sie gewähren den Vortheil, daß man ungemein schnell u. auch auf weite Distancen schießen kann, weshalb sie immer mehr u. mehr an Ausbreitung gewinnen.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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