- Angelsächsische Sprache u. Literatur
Angelsächsische Sprache u. Literatur. I. Die Sprache der Angelsachsen gehört dem niederdeutschen Zweige der germanischen Sprachen an, ist zunächst einerseits mit dem Altsächsischen u. Altniederländischen, andererseits mit dem Altfriesischen verwandt, hat sich aber in England, wohin sie mit den germanischen Einwanderern aus dem nordwestlichen Deutschland verpflanzt wurde, selbständig weiter entwickelt. Sie zeichnet sich vor den übrigen älteren germanischen Mundarten durch eine gewisse Weichheit aus. Außer dem (th) besitzt sie auch ein weicher lautendes đ (dh) u. schreibt von den Gutturalen c statt k, hatte auch x (für hs u. cs); eigenthümlich sind die Vocallaute eo u. ea für a, o, e. So reich die A. S. an Wurzeln u. Bildungen ist, so arm ist sie an grammatischen Formen. S. Germanische Sprachen. Das Angelsächsische entwickelte sich[489] in zwei Hauptmundarten, der nordenglischen u. südenglischen od. eigentlich sächsischen. Mit dem politischen u. kirchlichen Übergewicht, welches im 8. Jahrh. Wessex gewann, fand auch die westsächsische Mundart als Hof- u. Büchersprache überall Eingang. Um dieselbe Zeit begann die Aufzeichnung von Gedichten u. Gesetzen, sowie angeregt durch Alfred den Großen die Übertragung lateinischer Werke u. eigene literarische Thätigteit. Die Blüthe der letzteren fällt in die Zeit Älfrics (s.d.) gegen das Ende des 10. Jahrh. Die dänische Herrschaft hat im Süden Englands in der Sprache fast gar keine, im Norden nur sehr geringfügige Spuren hinterlassen. Vgl. Worsaae, Minder om the Danske og Nordmändene i England, Skotland og Irland. Kopenh. 1852 (engl. Lond. 1852; deutsch von Meißner, Lpz. 1852); Ferguson, The Northmen in Cumberland and Westmoreland, Lond. 1856. Mit dem Sturze der angelsächsischen Dynastie u. der Erhebung der normännischen gegen Ausgang des 11. Jahrh., erhielt das Nordfranzösische am Hofe, vor Gericht u. in der Schule die Herrschaft; das Angelsächsische blieb blos den niederen Klassen als Eigenthum, schwächte sich aber seitdem immer mehr zum Altenglischen ab, welches um 1200, abgesehen von den erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. massenhaft eindringenden romanischen Worten, im Wesentlichen vom heutigen Englisch nicht verschieden ist. (S. Englische Sprache). Englische Philologen nennen das sinkende Angelsächsisch aus der Zeit von 1070–1250 Hälbsächsisch (Semi-Saxon). Vor der Einführung des Christenthums bedienten sich die Angelsachsen als Schrift eines ziemlich entwickelten Runenalphabetes; mit der römischen Kirche erhielten sie jedoch, wie auch die Skandinavier u. Deutschen das lateinische Alphabet, in welches einzelne, in demselben mangelnde Zeichen, aus dem Runenalphabet beigefügt worden. S. Zacher, Das goth. Alphabet Vulfilas u. das Runenalphabet, Lpz. 1855. II. Die uns erhaltenen Denkmäler der angelsächsischen Literatur gehören dem westsächsischen Dialekt an, welcher vorzugsweise als Schriftsprache diente; in nordenglischer Mundart ist nur Weniges erhalten, das Rituale ecclesiae Dunelmendis (Lond. 1838) u. das sogenannte Durhambook (Bibel mit angelsächs. Glosse). Den meisten Werth beanspruchen die Denkmäler A) der Poesie. Dieselbe war, wie bei den übrigen Germanen, ursprünglich stabreimend od. alliterirend (s. Altnordische Literatur). Der Reim drängte sich erst im 10. od. 11. Jahrh. ein. Nur Weniges, wie es gegenwärtig vorliegt, reicht in die heidnische Zeit zurück. a) Das eigentliche Heldenlied ist verloren gegangen; Spuren seines einstigen Vorhandenseins zeigt das Epos Beowulf (s.d.) aus dem 8. Jahrh.; kleinere Stücke sind der Traveller's song (herausg. von Ettmüller, Zürich 1839); The death of Byrthnot; The Brunanburgh warsony u. The Elegy on the death of the Confessor. Letztere beiden Dichtungen sind nebst anderen kleineren in dem Anglosax. Chronicle erhalten. Alle übrigen Denkmäler der epischen Poesie behandeln geistliche Stoffe, entweder der Bibel oder der Legende entnommen, so die Paraphrase des ersten Buchs Mosis, aus dem 7. Jahrh., welche dem Caedmon (s.d.) beigelegt wird. Zahlreiche andere, kleinere Poesien enthalten zwei Sammelhandschriften, der sogenannte Codex Exoniensis (herausgeg. von Thorpe, Lond. 1842) u. der Codex Vercellensis (herausgeg. ebd. 1837). Durch Alterthümlichkeit zeichnen sich aus b) die Legenden von Andreas u. Elene (herausg. von Grimm, Kass. 1840); poetisch bearbeitet wurden auch die Legenden von Sta. Juliana u. St. Guthlac (im Cod. Exon.); c) ein allegorisches Gedicht vom Vogel Phönix (im Cod. Exon. herausg. von Grundtvig, Kopenh. 1840) ist nach lateinischem Muster gearbeitet. d) Lyrische (darunter besonders Hymnen) u. e) didaktische Dichtungen enthält u. a. der Cod. Exon.; in demselben findet sich auch eine Anzahl von Räthseln. Eine Umdichtung der Psalmen gab Thorpe (Lond. 1835), einen poetischen Heiligenkalender od. Menologium Fox (ebd. 1830) heraus. Als Verfasser von Gedichten werden noch Cynewulf u. Deor (im Cod. Exon.), sowie Aldhelm (st. 709) genannt. f) Gnomische Verse enthält ebenfalls der Cod. Exon.; die sog. Proverbs of King Alfred (in Reliquiae antiquae, Bd. 1, Lond. 1843) gehören dem 12. Jahrh. an. Die Gedichte des Boethius wurden angeblich von Alfred übersetzt (herausgeg. von Fox, ebd. 1833). Das Angelsächsische im Übergange zum Englischen zeigen die Bearbeitung des Roman de Brut von Layamon (herausgeg. von Madden, ebd. 1846–48, 3 Bde.), um 1190 verfaßt, u. The owl and the nightingale (herausgeg. von Stevenson, ebd. 1838, von Wright, ebd. 1843), von Nicholas de Guildford um 1200 gedichtet. In letztere Zeit fällt auch das Ormulum (herausgeg. von Meadows White, Oxf. 1852, 2 Bde.). In Bezug auf B) die Prosa sind es namentlich die Gebiete der Geschichte, des Rechts u. der Theologie, welche schätzbare Denkmäler aufzuweisen haben. Unter a) den historischen Schriften nimmt die sogen. Angelsächsische Chronik (Saxon Chronicle) die erste Stelle ein; jede Handschrift derselben enthält eine besondere Recension, sowie verschiedene Fortsetzungen bis 1154 (Plegmund Mscpt. bis 924, Dunstan bis 977, Worcester bis 1016, Abingdon bis 1048, Canterbury bis 1058, Peterborough bis 1125 etc.). Die beste Ausgabe besorgte bis jetzt Ingram (Lond. 1823), eine gute englische Übersetzung Miß Gurney (1819). Hierher gehören noch Alfred's Übersetzungen des Orosius (herausgeg. von Barrington, Lond. 1773, englisch von Bosworth, ebd. 1855) u. die Kirchengeschichte des Beda (herausgeg. von Whelock, Cambr. 1644; in Bedae Opera, herausgeg. von Smith, Cambr. 1722), sowie dessen Will (herausgeg. von Cardale, Lond. 1828) u. Beschreibung von Europa, nebst den Reiseberichten des Ohthere u. Wulfstan (angelsächs. u. englisch von Bosworth, ebd. 1855). Werthvoll für die Geschichte des Germanischen Rechts sind b) die alten Gesetze der Angelsachsen. Übrig sind deren von Äthelbirht v. Kent, von Affred, Ina, Edward, Äthelstan, Edmund, Edgar, Ethelred, Knut u. einigen anderen Fürsten; dazu kommen noch die Rectitudines singularum personarum (herausgeg. von Leo, Halle 1842) u. mehrere kürzere gesetzliche Bestimmungen. Gesammelt wurden sie von Lambard (Lond. 1568), Whelock (Cambr. 1644), Wilkins (ebd. 1721), am besten aber von Price u. Thoype (ebd. 1840 Fol., 2 Bde.) u. von R. Schmid (mit Übersetzung u. Glossar, Lpz. 1857) herausgegeben. Einen reichen Schatz angelsächs. Urkunden bietet Kemble's Cod. diplomaticus aevi Saxonici (Lond. 1839–48, 6 Bde.). Zahlreich sind c)[490] die noch übrigen theologischen Schriften der Angelsachsen. Von Legenden u. Heiligenleben ist die von Fursäus (in den Reliquiae antiquae, Bd. 1), vom St. Neot (in Gorham's Hist. and antiquities of Eynesbury, ebd. 1820–24, 2 Bde.), von St. Guthlac (dem Älfric beigelegt; herausgeg. von Goodwin, ebd. 1854), vom St. Andreas u. der Sta. Veronica (herausgeg. von Goodwin, ebd. 1852), sämmtlich nach dem Lateinischen bearbeitet. In das Gebiet der dogmatischen u. moralischen Theologie gehören Alfred's Übersetzungen vom Pastorale des Papstes Gregorius u. einer Auswahl der Soliloquia des St. Augustin; ferner Älfric's Schriften On trinity u. On the Old and New Testament (herausgeg. von L'Isle, ebd. 1623), nebst dessen Homilie über das heilige Abendmahl (ebd. 1567,1623); die Übersetzung vom Hexameron des St. Basilius (herausgeg. von Norman, ebd. 1850). Von den vielen Homilien ist nur Weniges gedruckt; dahin gehören die des Wulfstan (gest. 1023) od. Lupus Episcopus (herausgeg. von Elstob, Oxf. 1701), u. vor Allem die Sammlung des Älfric (Lond. 1843). Das Kirchenrecht wird u. A. durch Älfric's Canones od. Sermo ad sacerdotes, Älfric Bata's Epistle to Wulfstan u. mehrere kirchliche Gesetze, in Price's u. Thorpes Sammlung der Laws and Institutes (ebd. 1840) vertreten; die Regel des St. Benedict ward mehrmals, u. A. von Ethelwold (925–984) übersetzt; Eybert von York schrieb ein Confessionale u. ein Poenitentiale. Ethelwold ein Benedictionale (herausgeg. von Gage, ebd. 1832). Die Übersetzung der Bibel ward von Älfric mit dem Heptateuch (Oxf. 1698) begonnen; ein Anderer übersetzte die Evangelien Herausgeg. von Thorpe, Lond. 1842). d) Von sonstigen Prosaschriften verdient noch die angelsächsische Bearbeitung des Romans Apollonius o Tyrus (s.d.) u. Älfred's Übertragung von des Boethius Schrift De consolatione philosophiae (herausgeg. von Cardale, ebd. 1829) Erwähnung. Mehrere kleinere Schriften mathematischen, astronomischen, naturhistorischen Inhalts hat Wright in den Treatises on sciences written during the middle-ages (ebd. 1841) u. einen Kalender Williams (ebd. 1847) bekannt gemacht. Auch e) die eigene Sprache wurde von den Angelsachsen bereits grammatisch behandelt, wie denn Älfric eine Grammatik u. ein Glossar verfaßte. Giossirte Handschriften u. Glossarien finden sich in England, wie auf dem Continent (z.B. die Glossae Amplonianae zu Erfurt) in großer Anzahl. In neuerer Zeit begann das Studium des Angelsächsischen mit der Reformation, doch sind die Leistungen von Somner, Hickes, Whelock, Thwaites, Lye, Elstob u. A. durch die Arbeiten der letzten Decennien entbehrlich geworden. Die Grammatik erhielt ihre wissenschaftliche Begründung in Deutschland durch Jacob Grimm; nächst diesem haben sich hier noch Ettmüller, Leo, Bouterwek, Müllenhoff, in Dänemark Rask, in England selbst namentlich Kemble, Thorpe u. Whrigt, sowie die 1843 gestiftete Älfric Society um Sprache u. Sprachdenkmäler verdient gemacht. Von Grammatiken sind zu nennen: die von Rask (Stockh. 1817, englisch von Thorpe, Kph. 1830), von Bosworth (Lond. 1823), Vernon (ebd. 1846, 1855) u. Klipstein (New-York 1848); von Wörterbüchern das von Lye (Lond. 1772, 2 Bde.), Bosworth (ebd. 1839, kürzer, ebd. 1855) u. Ettmüller (Quedlinb. 1851); von werthvollen Chrestomathien Conybeare's Illustrations of Anglo-Saxon Poetry (ebd. 1826), die Analecta Anglosaxonica von Thorpe (ebd. 1846, 2. Aufl.) u. Klipstein (New-York 1849, 3 Bde.); Leo's Altsächsische u. Angelsächsische Sprachproben (Halle 1838) u. Ettmüller's Engla and Seaxna scôpas and bôceras (Quedlinb. 1850). Über angelsächs. Literatur handeln: Bouterwek's Ausgabe des Caedmon, Bd. 1, Koblenz 1854; Michel Bibliothèque Anglo-Saxonne, Paris 1837; Wright, Biographia britanica litteraria, Bd. 1 u. 2, Lond. 1842–46.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.