Hunnen

Hunnen

Hunnen, ein asiatisches Volk, wahrscheinlich mongolischen Stammes, aber stark mit turk-tatarischen Elementen vermischt, welches von den gleichzeitigen Geschichtschreibern als dunkelfarbig u. sehr häßlich geschildert wird. Sie waren kurz, mit breiten Schultern, hatten hervorstehende Backenknochen, plattgedrückte Nasen u. tiefliegende kleine Augen Sie waren Nomaden; auf ihren kleinen, aber schnellen Pferden aßen, tranken u. schliefen sie; Wohnungen, außer Zelten u. Hütten, kannten sie nicht; erst später in ihren Sitzen zwischen der Theiß u. Donau hatten sie ihr Lager zu einem Dorfe gebildet, wo die Häuser von Holz u. in dem des Häuptlings die erbeuteten Stücke in roher Weise aufgestellt waren; ihre Kinder u. Weiber führten sie auf Wagen bei sich, von Jugend an streiften sie in Wäldern u. Bergen umher u. lernten Kälte u. Hunger ertragen. Ihre Kleider waren aus Linnen oder aus Fellen der erlegten Thiere u. nicht eher wechselten sie dieselben, bis sie vom Leibe fielen. Nahrung: Wurzeln u. unter dem Sattel mürbe gerittenes Fleisch. Waffen: mit spitzigen Knochen bewehrte Wurfgeschosse, Säbel u. Schlingen, um den Gegner vom Pferde zu reißen u. wehrlos zu machen; sie fochten nicht in geordneten Reihen, sondern umschwärmten die feindliche Schlachtordnung, neckten sie u. flohen wieder etc. Nach gothischer Sage waren die H. Abkömmlinge der von dem gothischen König Filimer in Wüsteneien verstoßenen Alrunen, die sich mit unreinen[627] Geistern vermischten. Neuere Forschungen haben es sehr wahrscheinlich gemacht, daß die H. identisch mit den Hiong-nu (s.d.) sind, welche bereits im 3. Jahrh. v. Chr. den Chinesen furchtbar waren u. sich damals nach den Ländern Turkestans ausbreiteten. Sie wohnten in den Steppenländern nördlich des Kaspischen Meeres in einzelnen Horden unter Stammhäuptern, welche unabhängig von einander waren. Unter letzteren wird Balamir zuerst genannt, der sich bereits mehrere Hordenfürsten unterwürfig gemacht hatte. Nachdem die H. in Europa eingebrochen waren, wurden sie in die asiatischen u. europäischen eingetheilt. Sie werden auch in die weißen (die gebildeteren, die Epylallten u. Nephtaliten) u. die schwarzen H. getheilt. Vom Einfall der H. in Europa rechnet man gewöhnlich die Völkerwanderung. Unter Valens warfen sie sich auf die an der Palus Mäotis u. an der Nordseite der Donau wohnenden Völker, die sie unterjochten; sie setzten 374 über die Wolga u. den Don, besiegten die Alanen, mit diesen verbunden die Gothen; die Ostgothen wurden ihnen dienstpflichtig, die Westgothen zogen nach Thracien, u. die H. setzten sich in Rußland, Polen u. Ungarn fest. Unter Gratian wurde Thracien u. Dacien von den H. heimgesucht; dem Theodosius dienten hunnische Schaaren um Sold gegen die Juthunger u. gegen Eugenius, dem Kaiser Honorius gegen Radagais u. Valentinian III. gegen die Westgothen; andere Schwärme nahmen an den großen Völkerzügen nach Gallien u. Spanien Theil. Rugila, Häuptling der H. in Ungarn, hatte zur Unterstützung des Usurpators Johann 60,000 H. an die italienische Grenze geführt u. Pannonien zum Geschenk für seine Krieger erhalten; er machte nun einen Heerzug gegen Constantinopel, wo ihn Theodosius durch das Versprechen eines jährlichen Tributs zum Umkehren bewog. Rugila starb 433, als er sich eben rüstete, nach Italien zu ziehen, u. ließ sein Reich seinen beiden Neffen, Attila u. Bleda, den Söhnen Mundzucks. Diese unterwarfen nicht nur alle hunnischen Horden, welche ihre Wohnsitze zwischen dem Kaspischen Meere u. der mittleren Donau genommen hatten, ihrer Herrschaft (434), sondern erzwangen von dem Oströmischen Reiche das Doppelte des bisherigen Tributs, dann schaffte Attila den Bleda (144) auf die Seite u. wurde Alleinherrscher. Durch das Vorgeben, das Schwert des Kriegsgottes gefunden zu haben, reizte Attila die H. zum Krieg, that einen Zug gegen Persien, wurde in Armenien geschlagen, wendete sich dann nach Westen u. unterjochte Polen u. Deutschland bis an die Nordsee, den Rhein u. die Donau. 441 fiel er von Neuem in die illyrischen Provinzen des Oströmischen Reichs ein, schlug die Griechen überall, drang bis an Griechenlands Grenze vor, wurde nur durch Unkunde im Belagerungskrieg von Constantinopels Eroberung abgehalten u. setzte, trotz dem von Theodosius II. von Neuem erkauften Frieden, die Feindseligkeiten fort. Als ihm der neue Kaiser Marcian, statt Tribut zu zahlen, Festigkeit entgegensetzte, wendete er sich gegen das Abendländische Reich, wohin ihn auch der Heirathsantrag der, in ein Kloster eingesperrten Honoria, Valentinians III. Schwester, die ihm die Hälfte des Reichs als Heirathsgut mitbringen wollte, zog. Ein ihm an der Donau begegnender Einsiedler nannte ihn Geißel Gottes, u. seit der Zeit nahm er diesen Namen selbst an. Mit 700,000 Mann brach er in Gallien ein, eroberte Mainz, Speier, Strasburg, Trier, Metz u. belagerte eben Orleans, als die Annäherung eines Heeres Römer, Gothen, Alanen, Gallier, Sachsen, Franken u. Burgunder unter Aëtius, ihn zum Umkehren nöthigte. In den Catalaunischen Feldern (bei Chalons) wurde er ereilt u. 451 geschlagen. Er zog sich über den Rhein zurück; doch 452 fiel er wieder in Italien ein, verwüstete den nördlichen Theil desselben, zerstörte Aquileja u. ließ nur durch ein ungeheueres Lösegeld sich zum Umkehren bewegen; er st. 453. Wie weit sich sein Reich nach Osten erstreckte, ist unbestimmt, Einige sagen bis nach China, aber im Westen beherrschte er die Völker hunnischen, slawischen u. germanischen Stammes, von der Wolga bis tief nach Deutschland hinein. Nach Attilas Tode wurden seine Söhne über die Theilung des Reichs uneinig, was die unterworfenen germanischen Völker benutzten, um sich von der fremden Herrschaft zu befreien. Zuerst thaten dies die Gepiden, gegen welche Ellak, der Lieblingssohn Attilas, dem auch die Herrschaft über das weite Reich bestimmt war, fiel. Die H. mußten hierauf das Land an der Donau räumen u. sich hinter Pruth u. Dneper zurückziehen, wo sie wieder unter verschiedenen unabhängigen Fürsten standen. Einer derselben, Dagenzik (Denzices), ein Sohn Attilas, hatte mit den Ostgothen zu kämpfen u. fand 468 in einer Schlacht gegen dieselben den Tod. In der Folge verschwindet der Name eines Hunnischen Reichs; das Volk selbst wird nun diesseit des Don unter dem Namen der Kuturguren od. Kutriguren, jenseit (östlich) dieses Stromes aber als Uturguren od. Utriguren genannt. Die ersteren wurden namentlich im 6. Jahrh. durch ihre Einfälle in das Oströmische Reich furchtbar. Der Name der H. lebte später wieder auf, als man die Magyaren, die ein ganz anderes Volk waren, 4 Jahrhunderte später mit ihnen verwechselte u. Letztere H., später Ungarn nannte. Vgl. Neumann, Die Völker des südlichen Rußland in ihrer geschichtlichen Entwickelung, Lpz. 1847.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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