- Rheinprovinz
Rheinprovinz, 1) hessische, so v.w. Rheinhessen; 2) (Rheinpreußen), die westlichste Provinz u. die größere Hälfte des westlichen Haupttheils der preußischen Monarchie, welche 1815 an Preußen kam u. aus den ehemaligen Herzogthümern Jülich, Kleve, Geldern u. Berg, den Fürstenthümern Mörs u. Lichtenberg (erst 1834 erworben), dem nördlichen u. mittleren Theile des vormaligen Erzbisthums Köln u. den Herrschaften Homburg, Neustadt u. Gimborn (schon vor 1806 preußische Besitzung); ferner aus den von Nassau eingetauschten Ländereien u. den Standesherrschaften Neuwied, Solms u. Wildenburg, den Gebieten der Reichsstädte Wetzlar u. Aachen, einem Stück von Limburg u. Theilen der vormaligen französischen Departements Rhein-Mosel, Mosel, des Forêts u. Saar besteht. Die zuerst genannten Ländereien bildeten bis 1824 die Provinz Kleve-Berg, die letzteren die Provinz Niederrhein; beide wurden 1824 zu der R. vereinigt. Diese grenzt im Norden an die Niederlande u. Westfalen, im Osten an Westfalen, Nassau, Großherzogthum Hessen, Pfalzbaiern, Hessen-Homburg, das oldenburgische Fürstenthum Birkenfeld, im Süden an Frankreich u. im Westen an Luxemburg, Belgien u. die Niederlande u. enthält 487,14 QM. mit 3,096,629 Ew. (Dec. 1858). Sie wird von dem Niederrheinischen Gebirgslande durchzogen, welches den Westflügel des deutschen Mittelgebirgsbogens bildet u. sich von den Thaleinschnitten der Sure, Nahe u. des Main im Süden u. dem Quellbezirke der Schelde u. der Sambre im Westen bis zur Lippe u. oberen Diemel, etwa 20 Meilen breit u. 50 Meilen lang erstreckt, im Ganzen niedrig, im Mittel 1800 Fuß hoch ist, keiner seiner Gipfel erreicht 3000 Fuß; Plateaubildung mit wellenförmigem Scheitel ist ziemlich allgemein; die Einförmigkeit wird nur unterbrochen [110] Ufern der Charakter der Gebirgsnatur hervortritt. Das vorherrschende Gestein bilden Thonschiefer, Grauwacke u. Grauwackenschiefer; untergeordnet treten Übergangskalk u. Steinkohlengebilde auf, letztere von großer Bedeutung. Überhaupt birgt das niederrheinische Gebirge die reichsten Schätze in seinem Innern: außer Steinkohle, Braunkohle u. Torf liefert es Mühlsteine, Tuff, Silber, Quecksilber, Kupfer, Kobalt, Blei u. Eisen. Außerdem hat es zahlreiche kalte u. warme Mineralquellen. Der Rhein, welcher das Gebirge in einem Querthale von Bingen bis Bonn durchbricht, theilt es in zwei in ihrer Bildung einander ganz ähnlichen Hälften, eine größere südwestliche u. eine kleinere nordöstliche. Von den einzelnen Theilen dieses Gebirgslandes gehören in die R. westlich vom Rhein der Hundsrück, die Eifel, die Hohe Veen (s.d. a.) u. östlich von diesem Strome ein Theil des Westerwaldes, das Siebengebirge u. die Ausläufer des Sauerlandes. Flüsse: der Rhein, welcher die Provinz auf eine Strecke von 43 Meilen durchströmt (rechte Nebenflüsse: Lahn, Sayn, Wied, Sieg, Wupper, Ruhr, Emsche u. Lippe; linke: Nahe, Mosel, Nette, Ahr u. Erst), Ruhr od. Roer, Schwalm, Niers. Seen: der Lachersee, Kellbergerteich, Meerfeldermaar, Breyelermeer, Bornersee, die beiden Seen zwischen Kaldenkirchen u. Breyel u. die drei Seen bei Leuth. Kanäle: der Mariengraben (Fossa Eugeniana), welcher die Verbindung des Rheins mit der Maas herstellen sollte, aber unvollendet geblieben ist, der Spoygraben zwischen Kleve u. dem Rhein, der Duisburgerkanal zwischen Duisburg u. dem Rhein. Die Bodenbeschaffenheit, des mit Ausnahme des nördlichen Theiles fast überall gebirgigen Landes ist im Westerwalde, den Ausläufern des Sauerländischen Gebirges u. in der Eifel steril, fruchtbar in den Rhein-, Mosel-, Nahethälern u. den nördlichen Theilen der Provinz. Producte sind Vieh, Getreide, Flachs, Rübsamen, Klee, Tabak, Wein, Obst, Holz, Blei, Kupfer, Galmei, Zink, Stein- u. Braunkohlen, Marmor, Gyps, Tuffstein, Lavamühlsteine, Thon, Kalk, Salz, Torf, 31 Mineralquellen (darunter die warmen u. kalten Schwefelquellen in Aachen u. Burtscheid, dann die Sauerbrunnen zu Godesberg, Roisdorf, Königstein, bei Daun, in Zissen, Mendis u. Ehrenbreitstein, der Biresboru bei Prüm, die Soolbäder in Kreuznach). Die Einwohner zerfallen in confessioneller Beziehung in 747,139 Evangelische, 2,313,924 Katholiken, 33,388 Juden, 1317 Menoniten, 840 Freigemeindler; die Provinz ist in Bezug auf die Volksdichte die bevölkertste des preußischen Staates (auf die QM. 6357). Für Wissenschaft u. Kunst bestehen eine Universität in Bonn, eine Malerakademie in Düsseldorf, Baugewerks- u. Handwerksschule in Aachen, katholische Priesterseminare in Köln u. Trier, 19 Gymnasien, eine Ritterakademie in Bedburg, 16 Progymnasien, 1 Cadettenanstalt in Bensberg, 9 Realschulen, 12 höhere Bürgerschulen, 5 Provinzialgewerbschulen, 3 evangelische u. 2 katholische Schullehrerseminare, 1 Seminar für Lehrerinnen bei der Diakonissenanstalt in Kaiserswerth etc. Industrie u. Fabrikation stehen auf der höchsten Stufe, u. die Provkuz hat in dieser Beziehung die industriellsten Districte in Deutschland, im Regierungsbezirk Düsseldorf beschäftigen die Manufacturen u. Fabriken mehr als 60,000 Menschen; berühmt sind die Producte der Baumwollgarn- u. Zeugfabriken im Wupperthale, der Seidenfabriken in u. um Krefeld, der Tuch- u. Kasimirfabriken im Bezirk Aachen, der Klingen-, Eisen- u. Stahlfabriken von Solingen, der Maschinenwerkstätten in Starkrade, Isselburg u. Mülheim, der kleinen Eisen- u. Stahlwaarenfabriken zu Remscheid, Kronenberg u. Lüttringhausen, der Leinewebereien um Gladbach, der Lederfabriken in Malmedy u. St. Vith, der Näh- u. Stecknadelfabriken in Aachen, Burtscheid u. Stolberg; außerdem gibt es Zucker-, Tabak, Porzellan-, Steingut-, Glas-, Wachstuch- u.a. Fabriken. Der Verkehr wird gefördert durch die Schifffahrt auf dem Rhein u. dessen Nebenflüssen, durch vortreffliche Chausseen u. Eisenbahnen, nämlich von Düsseldorf nach Elberfeld, die Rheinische Bahn von Köln über Aachen nach Herbesthal, die Bahn von Köln über Bonn nach Bingen; die Strecke der Köln Mindener Bahn von Deutz bis Düsseldorf, Duisburg u. Essen mit Zweigbahn nach Ruhrort, die Bahn von Deutz nach Gießen mit Zweigbahn nach Siegen, die Prinz Wilhelmsbahn (Stehle-Vohinkel), die Bergisch-Märkische Bahn (Dortmund-Soest), die Bahn von Thal-Ehrenbreitstein nach Lahnstein (projectirt) zum Anschluß an die Lahnbahn nach Wetzlar u. Gießen, die Bahn von Ruhrort nach Krefeld u. Gladbach, die Bahn von Aachen über Gladbach nach Neuß u. Düsseldorf, von Aachen nach Mastricht, die Rhein-Nahe Bahn (von Bingen nach Saarbrück) u. die Saarbrücker Staatsbahn (von Saarbrück nach Trier). Die Provinz wird eingetheilt in die Regierungsbezirke Köln, Düsseldorf, Coblenz, Aachen u. Trier. Das Oberpräsidium, unter welchem die Regierungsbezirke stehen, ist in Coblenz. Provinzialstände sind die Fürsten von Solms-Braunsfeld, von Solms-Hohensolms-Lich, von Wied, von Hatzfeld, von Salm-Reifferscheidt-Dyk, je 25 Deputirte der Ritterschaft, der Städte u. der Landgemeinden; Landtagsort ist Düsseldorf. Behörden: die zwei obersten Gerichtsbehörden sind der seit 17. März 1852 mit dem Obertribunal zu Berlin vereinigte frühere rheinische Revisions- u. Cassationshof zu Berlin u. der Appellationshof in Köln; ersterem sind die Landgerichte (in Zuchtpolizeikammern abgetheilt), die Polizeigerichte u. Friedensgerichte untergeordnet; Handelsgerichte sind in Aachen, Elberfeld, Coblenz, Köln, Krefeld u. Trier. Diese Gerichtsverfassung besteht aber nur in den Theilen der R., wo der Code Napoléon eingeführt ist, für die ostrheinischen Landestheile, wo das Gemeine Deutsche Recht gilt, besteht als oberste Instanz der Justizsenat in Coblenz; im nordöstlichen ostrheinischen Theile des Regierungsbezirks Düsseldorf gilt das Preußische Landrecht. Vgl. Restorff, Topographisch-statistische Beschreibung der preußischen R., Berl. 1830; Willemsen, Die R. unter Preußen, Elberf. 1842; Berghaus, Karte der preußischen R., Gotha 1856.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.