Sevennenkrieg

Sevennenkrieg

Sevennenkrieg. In dem Sevennengebirge wohnten unter Ludwig XIV. 200,000 Menschen, welche von ihren hier seit dem 12. Jahrh. angesiedelten albigensischen u. waldensischen Vorfahren große Abneigung gegen die Römische Kirche geerbt u. sich nachher den Reformirten angeschlossen u. durch das Edict von Nantes 1598 Schutz gegen die mehrfach vorher erfahrenen Verfolgungen erhalten hatten. Nach dem Widerruf des Edicts von Nantes 1685 waren ihre Kirchen zerstört, ihre Prediger vertrieben worden u. der Intendant der Provinz, Baville, suchte sie mit jedem Mittel zum Katholicismus zu bekehren. Er entriß protestantische Kinder ihren Eltern, ließ Männer, welche man in den protestantischen Versammlungen traf, auf die Galeeren schmieden, Weiber einkerkern u. Prediger erschlagen, erweckte aber dadurch in den Unterdrückten neuen Fanatismus u. regte Schwärmer u. Schwärmerinnen, selbst Kinder zu Propheten, welche große Einwirkung auf das Volk hatten, auf. Bauern, nur in Hemden gekleidet (daher Camisarden) überfielen unter dem Rufe: Gewissensfreiheit u. keine Steuern! die Beamten, bes. die Steuerbedienten, u. ermordeten dieselben auf das Grausamste. Mit Gleichem vergalten die Katholischen. Da erhielt ein glaubenseifriger römisch-katholischer Missionär, Abbé du Chaila, den Befehl zwei Töchter eines neubekehrten Edelmannes in ein Kloster zu bringen, führte sie aber statt dessen auf sein Schloß. Der Bräutigam der einen, Perier, stürmte am 24. Juli 1702 mit reformirten Bauern das Schloß u. befreite die Gefangenen, Chaila wurde hierbei erschlagen, mehre Steuerbeamten aufgehängt u. alle Priester, welche in die Hände der Empörer fielen, ermordet. Als Truppen gegen die Bauern anrückten, floh Perier in die Berge. Hier kam der Abbé von Bourlié, Sohn des königlichen Untergouverneurs Guiscard, welcher aus Frankreich verbannt war, zu ihm, versprach Hülfe von England, Holland u. Savoyen u. ließ nicht nur eine beträchtliche Geldsumme zurück, sondern verschaffte ihnen auch Waffen u. Munition. Der Aufstand schien dem König Ludwig XIV., welcher damals auch in den Spanischen Erbfolgekrieg verwickelt war, so gefährlich, daß er den Marschall von Montrevel, einen Neubekehrten, mit 20,000 M. dagegen absendete, u. ein Krieg entspann sich, welcher aus einer Reihe von Postengefechten bestand. Unter den Camisarden bildeten sich schnell mehre geschickte Parteiführer aus, unter denen Jean Cavalier, ein 21jähriger Bäckergesell, u. Roland die vorzüglichsten waren. Genau mit dem Terrain vertraut, waren sie überall da, wo man sie nicht vermuthete, u. wieder von da verschwunden, wo man sie suchte. Bald brachten sie die Banden der Camisarden zur Ordnung u. zum Gehorsam, griffen fanatisirt ihre Gegner an u. führten oft wirkliche Heldenthaten aus. Die Königlichen mußten hinter Mauern u. Wälle flüchten, kein katholischer Landmann von der Küste des Mittelmeeres bis in die Sevennen wagte es sein Feld zu bestellen od. Lebensmittel in die Städte zu schaffen, das Land verödete u. selbst die Einwohner der Städte zitterten vor einem Einfall. So schlug Cavalier 1703 den Angriff der Besatzung von Alais u. von 600 Bürgern auf eine Versammlung der Reformirten im Freien mit 300 M. u. folgte den Gegnern bis in die Vorstädte von Alais. Wurde auch Cavalier geschlagen, so ersetzten Freiwillige den Verlust sogleich u. wenige Tage nachher stand er stärker da als zuvor. Ende des Sommers von 1701 war Cavalier so gefürchtet, daß er ungehindert bis an das Meer streifen konnte, u. that auf diesen Zügen den Königlichen sehr viel Schaden. Erst gegen den Winter zog er sich in die Berge zurück, brach aber mit Anfang des Frühlings von 1704 wieder hervor.

Ludwig XIV. rief Montrevel zurück u. sendete Villars von der Armee am Rhein mit ausgedehnter Vollmacht nach Languedoc. Noch ehe Montrevel die Armee verließ, ließ er durch Planque alle Backöfen u. Mühlen in den Obersevennen zerstören, die Landleute zum Auswandern in die Städte od. in die größeren u. befestigten Dörfer zwingen u. u. 600, welche sich weigerten dies zu thun, am 20. Febr. 1704 niederschießen. Dagegen mißlang ihm am 14. März ein Angriff auf die Camisarden durch den Oberst Jonquière im Holze von Vesenobre unweit Alais; dieser fiel in einen Hinterhalt u. fast alle Offiziere u. 5–600 Königliche wurden getödtet; Cavalier hatte kaum 200 M. verloren. Nun streifte dieser bis Nismes, während Roland in der Umgegend von Alais alle Verbindung dieser Stadt mit den Dörfern unterbrach. Durch so viele Unglücksfälle erbittert, sammelte Montrevel alle Truppen u. trieb vom 15. bis 18. April sämmtliche Streifcorps der Camisarden in die Berge zurück. Am 21. April 1704 kam Villars in Nismes an u. versuchte Milde statt Strenge, erließ Amnestie für alle, welche die Waffen niederlegen würden, u. setzte die Gefangenen, welche dem Könige Gehorsam schworen, in Freiheit. Zugleich bildete er bewegliche Colonnen, welche nach allen Gegenden hinzogen, einander immer unterstützen u. sich auf bereitstehende, zu ihrer Aufnahme bestimmte Abtheilungen zurückziehen konnten. Die noch Widerspänstigen, mit den. Waffen in der Hand Gefangenen ließ er aber entweder auf der Stelle erschießen, od. in Alais, Nismes u. st. Hippolyte hinrichten. Bald waren die Camisarden auf ihre Gebirge eingeschränkt; mehre von ihnen benutzten die Amnestie u. kehrten nach Hause zurück, u. selbst Cavalier, welcher an dem Gelingen seiner Sache zu verzweifeln anfing, begann am 10. Mai 1704 Unterhandlungen mit Villars, welche er persönlich in Nismes fortsetzte. Wirklich erlangte er Gewissensfreiheit für die Bewohner der Sevennen u. die Erlaubniß außerhalb der Städte religiöse Versammlungen zu halten, doch sollten sie keine Kirchen haben; alle der Religion wegen Eingekerkerten sollten freigelassen werden, die Verbannten u. Ausgewanderten zurückkehren dürfen u. ihre Besitzungen wieder erhalten, auch sollten deren Häuser, welche durch den Krieg zerstört wären, für 7 Jahre steuerfrei sein. Cavalier wurde zugleich königlicher Oberst u. erhielt eine königliche Pension, wogegen er versprach aus den Camisarden vier Regimenter zu bilden, denen freie Religionsübung, wie den fremden Regimentern in französischen Diensten, versprochen wurde u. zu denen er die Offiziere selbst ernannte. Diese Verträge bestätigte Ludwig XIV., u. die Ratification langte am 22. Mai 1704 in Nismes an.

Indessen fand diese sehr günstige Capitulation bei den Camisarden, welche bes. von holländischen Emissären zum Widerstand gereizt wurden, wenig Beifall, die Propheten sprachen dagegen, u. als Cavalier zufällig abwesend war, berief ein Offizier, Ravanel, eine Versammlung der Camisarden nach Calvisson, gab hier an, daß der Friede Verrath sei,[917] daß man keinen der versprochenen Punkte erfüllen würde u. daß man die Camisardenregimenter auf der Überfahrt nach Spanien im Meere ertränken würde. Der Hause beschloß daher in das Gebirge zurückzukehren u. nicht eher die Waffen niederzulegen, als bis das Edict von Nantes wieder hergestellt sei. Vergebens suchte Cavalier die Widerspänstigen zu beschwichtigen, sie bedrohten ihn mit dem Tode u. zwangen ihn zu fliehen. Villars ließ aber die Camisarden rasch verfolgen u. nöthigte viele sich zu unterwerfen; diese begaben sich nach Anduse zu Cavalier u. wurden von da nach Valabregues an der Rhône geschickt, welches zum Depot der Cavalierschen Regimenter bestimmt war. Als sich dort über 100 M. gesammelt hatten, sollten sie nach Alt-Breisach geschickt werden, aber Cavalier ging mit ihnen auf savoyisches Gebiet u. trat in savoyische Dienste. Aus diesem Stamme wurde ein Regiment gebildet, mit Cavalier nach Catalonien geschickt u. in der Schlacht bei Almanza 25. April 1707 gänzlich aufgerieben. An Cavaliers Stelle wurde in den Sevennen Roland Oberanführer der Camisarden, beschränkte sich aber auf kleine Streifzüge. Am 14. Aug. 1704 wollte er seine Geliebte auf dem Schlosse Castelneau besuchen, aber er fiel hier in einen Hinterhalt u. wurde durch einen Flintenschuß getödtet. An seine Stelle trat nun Ravanel; aber da der Marschall am 5. Sept. eine neue Amnestie verkündigen ließ, so fielen viele Offiziere von ihm ab u. unterwarfen sich, die anderen legten später die Waffen nieder; die Anführer wurden mit Pässen nach Genf geschickt u. die Leute kehrten nach Hause zurück. Im December unterwarf sich auch Ravanel, u. nun war Languedoc so ziemlich beruhigt; blos auf den höchsten Punkten des Gebirges irrten noch einige Camisardenhausen umher; andere hatten sich nach England geflüchtet u. dort, unter dem Namen Französische Propheten, durch ihren fanatischen Eifer in einigen Provinzen Gährungen erregt; Maßregeln gegen sie wendete Shaftesbury ab. Ludwig XIV. berief im Jan. 1705 Villars ab u. schickte ihn wieder an den Rhein, an seine Stelle trat der Marschall Berwick, welcher bisher die französische Armee in Spanien befehligt hatte u. am 25. März 1705 in Montpellier ankam. Durch die Versprechungen des Abbés Bourlié hatte sich Ravanel, von mehren anderen Camisardenchefs begleitet, wieder heimlich in die Gebirge begeben; Hülfe von England u. Holland war ihnen versprochen, u. zwar sollte eine alliirte Armee an den Küsten des Mittelmeeres landen. Sie stifteten nun eine Verschwörung, nach welcher in der Nacht vom 25. zum 26. April die Gouverneurs von Nismes u. Montpellier, der Marschall, die Intendanten der Provinz u. alle höheren königlichen Offiziere ermordet, Gewissens- u. Abgabenfreiheit verkündet, eine Armee gebildet u. mit dieser an die Küste marschirt u. dort die versprochene Hülfe der Verbündeten erwartet werden sollte. Dies Vorhaben wurde aber am 19. April verrathen. Schon waren Ravanel, Catinat u. andere Anführer in Nismes versteckt, sie wurden mit vielen Mitverschworenen verhaftet u. über 200 von ihnen lebendig verbrannt, gerädert od. gehängt. Gegen die Camisarden, welche noch unter den Waffen waren, wurde nun mit der alten Strenge verfahren; die meisten fielen mit den Waffen in der Hand, andere wurden gefangen u. hingerichtet, nur wenige retteten sich durch die Flucht. Mit dem Sommer 1705 war nun Languedoc beruhigt u. Berwick konnte im October in der Grafschaft Nizza den Oberbefehl übernehmen. Dennoch glühte der Funke des Aufruhrs fort. Am 23. Febr. 1707 hielten die Neubekehrten in der Nähe von Nerac u. Clerac wieder Versammlungen u. die Bürger der Städte nahmen Theil daran, die Versammlungen wurden aber sofort angegriffen u. die Prediger hingerichtet. Trotz der Unterdrückung dauerte der Meinungskampf heimlich fort u. gab noch 1815, nach der zweiten Restauration in den Sevennen, Veranlassung zu großen Unordnungen u. Religionsverfolgungen. Vgl. Histoire des Camisards, Lond. 1744, 2 Bde.; Court de Gebelin, Hist. des troubles des Cevennes, Villefr. 1760, 3 Bde., n. A. 1820; Schulz, Geschichte der Camisarden, Weim. 1790; Tieck, Der Aufruhr in den Cevennen (Novelle), Berl. 1826.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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