Slawische Sprachen

Slawische Sprachen

Slawische Sprachen, eine Gruppe des Indogermanischen Sprachstammes. Die geographische Verbreitung der S-n S. war früher weit bedeutender, als slawische Stämme noch tief nach Deutschland hereinreichten, ihre Mundarten sind zum Theil mit den Menschenselbst ausgestorben od. nach Osten zurückgedrängt worden. Zu jener Zeit klangen slawische Laute von Dalmatien bis an das Eisweer, von der Wolga bis zur Elbe; s.u. Slawen S. 2! 0. Die noch lebenden S-n S. zerfallen in zwei Gruppen: zu der A) südöstlichen Gruppe werden gerechnet: a) das Russische, wovon das Klein- u. Weißrussische besondere Zweige sind; b) das Bulgarische; c) das Serbische mit den slawonischen, kroatischen u. dalmatischen Idiomen; d) das Slowenische od. Windische (s.d. a.) in Krain, Kärnten u. Steyermark; der B) nordwestlichen Gruppe gehören an: a) das Böhmische od. Czechische mit dem Slowakischen Dialekt; b) das Wendische in der Lausitz; c) das Polnische (s.d. a.). Jene sind reicher an Vocalen, volltönender, in ihrer grammatischen Ausbildung consequenter, einfacher u. übersichtlicher, während diese durch Geschmeidigkeit u. bequeme Flüchtigkeit sich auszeichnen, überhaupt aber ihre Reinheit gegen die Bereicherung mit Fremdem nicht selten aufgegeben haben. Auf der anderen Seite sind es gerade diese, welche während der oft lang andauernden Berührungen auf einzelne deutsche Dialekte nicht unmerklich eingewirkt haben. Erst in neuerer Zeit hat man den allgemeinen Charakter der S-n S. genauer zu schildern versucht, seitdem die Vergleichung der einzelnen Sprachen unter sich, so wie die des ganzen Stammes mit den übrigen Indogermanischen Sprachen einen Maßstab dazu an die Hand gegeben hat. Die Untersuchung der Wurzeln hat bewiesen, daß vorzüglich die Glieder der südöstlichen Gruppe dem Sanskrit nahe verwandt sind. Als gemeinschaftliche Eigenschaften gelten: durchgehende Lautvertheilungen nach den Erfordernissen des Wohllautes, Reichthum an Beugungs- u. Bildungsformen, Kürze u. Schärfe aller Formen, Freiheit im Satzbau, Mangel des Artikels, kräftiger, scharfaccentuirter Klang. Mit wenigem Recht schreibt man ihnen auch den Vorzug organischer Bildungsfähigkeit zu, welcher bis zu einem gewissen Grade vielleicht nur dem Polnischen zukommt. Im Gegentheil charakterisiren sich die S-n S. durch eine unverkennbare Steifheit u. Starrheit der Formen, aus denen der lebendige Geist längst gewichen ist, denn die Vervollkommnungen, deren manche derselben sich rühmen, sind eigentlich nur Nachbildungen, welche keineswegs aus den Wurzeln der Nationalität entsprossen sind. Eine Eigenthümlichkeit ist ferner in den meisten S-n S. das seltene Vorkommen von Dialekten, was wenigstens anzudeuten scheint, daß die Individualität der Volksnatur wohl kaum je wirksam gewesen ist, sei es nun, daß politischer Druck hart lastend die Physiognomie des Ganzen breit u. flach gedrückt hat, od. daß überhaupt die klimatische u. topographische Einförmigkeit der osteuropäischen Ebene einer solchen Entwickelung nicht förderlich gewesen ist. Die zerstreuten Kräfte u. Richtungen des slawischen Sprachgeistes zu sammeln, in den Mittelpunkt einer zusammenhängenden Slawischen Literatur zu vereinigen u. dadurch das Nationalbewußtsein zu wecken, ist das Bestreben des gegenwärtig auch politisch u. religiös thätigen Panslawismus (s.u. Slawen), welcher auch in den Bemühungen vereinzelter deutscher Gelehrten das Interesse für das Slawische zu beleben eine Stütze gefunden zu haben scheint. Das Slawische besitzt eine Schrift, welche von den Bibelübersetzern Cyrillus u. Methodius aus dem griechischen Alphabet geschaffen worden ist; u. da sich für mehre Laute darin keine eigenen Zeichen vorfanden, so entlehnte er diese aus andern Sprachen u. gab ihnen flawische Benennungen; die Zahl der Buchstaben beläuft sich[212] auf 38. Verschieden von diesem Cyrillischen Alphabet ist das Glagolitische (Bukwiza), Bulgarische od. fälschlich Hieronymianische Alphabet, nach Schafarik von einem bulgarischen Bischof von Velika, Namens Clemens, im 9. Jahrh. eingeführt, es sollte theils eine Abkürzung, theils eine Ergänzung des alten sein. Beide Alphabete blieben nur in der Kirchensprache, die einzelnen slawischen Völker änderten sie entweder nach ihrem Bedürfniß ab (s. Russische u. Serbische Sprache) od. nahmen das lateinische Alphabet an, dessen sich Böhmen, Polen, Slowenen etc. bedienen. Vgl. Piscator, De origine linguae Slavicae, Wittb. 1697; Kohl, Introductio in historiam et rem litter. Slavorum, Altona 1729; Duritsch, Bibl. Slavica antiquissimae dialecti communis et ecclesiasticae universae Slavorum gentis, Wien 1795; Dobrowsky, Slawinische Botschaft aus Böhmen an alle Slawische Völker (Beiträge zu ihrer Charakteristik, zur Kenntniß ihrer Mythologie, ihrer Geschichte u. Alterthümer, ihrer Literatur u. ihrer Sprachkunde nach allen Mundarten etc.), Prag 1806, 2. A. von Hanka, Prag 1834; Derselbe, Entwurf zu einem allgemeinen Etymologikon der S-n S., ebd. 1813, 2. A. von Hanka, ebd. 1833; Derselbe, Slovanka (zur Kenntniß der Slawischen Literatur, Sprachkunde, Geschichte u. Alterthümer), ebd. 1814 f., 2 Thle.; Ossolinski, Ein historisch-kritischer Beitrag zur Slawischen Literatur, aus dem Polnischen von Linde, Warschau 1822; Joann Eksarch, Die Geschichte der Slawischen Sprache u. Literatur im 9. u. 10. Jahrh., Moskau 1824; Bernd, Die Verwandtschaft der Germanischen u. Slawischen Sprachen, Bonn 1822; Schafarik, Geschichte der Slawischen Sprache u. Literatur nach allen Mundarten, Ofen 1826; Gräfe, Commentatio qua lingua graeca et latina cum slavicis dialectis re grammatica comparatur, Petersb. 1826; Dankowsky, Grammatica cunctarum slavicarum et graecarum dialectorum, Posen 1836–37; Olberg, Geschichtliche Übersicht der Slawischen Sprachen u. Literatur, Lpz. 1837; Kollar, Über die literarische Wechselseitigkeit zwischen den verschiedenen Stämmen u. Mundarten der Slawischen Nation, 2. Aufl. Lpz. 1844; Miklositsch, Slawische Bibliographie, od. Beiträge zur slawischen Philologie u. Geschichte, Wien 1852 ff.; Jordan, Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst u. Wissenschaft, Jahrg. 1–6, Lpz. 1843–48; Schmaler, Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst u. Wissenschaft, Jahrg. 1–2, Bautzen 1852–56; Franz Ladisl. Czelakowsky, Vorlesungen über die vergleichende slawische Grammatik (böhmisch), Prag 1853; Jos. Franz Szumawsky, Gedanken über eine gesammtslawische Schriftsprache (böhmisch), ebd. 1851; Derselbe, Beitrag zur slawischen Sprachforschung (böhmisch), ebd. 1853; Derselbe, Altslawisches Wörterbuch (böhmisch) ebd. 1852 u. ff.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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