Berry [2]

Berry [2]

Berry (Gesch.), sonst Lehnsherzogthum in Frankreich, zwischen Touraine, la Marche, Bourbonnais, Nivernois, Gatinois, Orleannais u. Blaisois, zerfiel in Ober- u. Unter-B.; war ein eigenes Gouvernement; umfaßte 204 QM. mit 474,546 Ew.; [653] Hauptstadt Bourges; sehr fruchtbar, bes. an Hanf; jetzt in die Departements Indre u. Cher vertheilt; der Canal du B., ein 21 Meilen langer Kanal, verbindet den Cher mit dem Canal latéral. B. war zu der Römer Zeiten von den Biturigern bewohnt u. hieß deshalb Biturica. Cäsar bekriegte diese Gegend u. verbrannte daselbst 20 Städte. 475 kam B. an die WGothen, unter Chlodwig aber an die Franken; diese beherrschten es durch Grafen u. von 917–1100 durch Vicomtes; der letzte, Eudo Arpie, verkaufte es an König Philipp I. Nun war B. oft Apanage nachgeborener Prinzen u. ward 1360 von Johann zum Herzogthum erhoben. Dieser u. mehrere spätere Prinzen führten den Namen Herzog von B., nämlich: 1) Jean Duc de B., 3. Sohn des Königs Johann von Frankreich, geb. 1340; war erst Graf von Poitou; wurde durch den Tractat von Bretigny an England als Geißel gegeben u. blieb 9 Jahre daselbst; er befehligte 1372 die französische Armee in Guyenne, wurde von Karl V. zum Mitgliede der Regentschaft, im Fall seines Todes, ernannt, nahm sich, als dieser eintrat, das Gouvernement Languedoc u. herrschte dort mit fast unumschränkter Macht grausam u. hart u. verlor diese Provinz, nachdem Karl VI. mündig geworden war; bei der Geisteskrankheit Karls VI. kam er von Neuem zur Regentschaft, zog sich aber wegen Streitigkeiten mit dem Herzog von Burgund u. dem Hause Orleans wieder zurück, nahm an dem Kriege gegen den Herzog von Burgund Theil u. st. 1416 in Paris. 2) Charles, Duc de B., Normandie u. Guienne, Soku des Königs Karl VII. u. Mariens von Anjou, geb. 1446 auf dem Schlosse Montils les Tours, er trat 1464 zur Ligue; die Normandie, die er nach dem Frieden erhalten hatte, fiel 1466 wieder ab, sowie 1468 die Champagne, welche er darauf mit Guienne vertauschte; er starb 1472 in Bordeaux. 3) Charles, Duc de B., geb. 1686,3. Sohn des Dauphin Louis u. der Marie Christine von Baiern, führte den Titel als Groß-Dauphin; st. 1714 an den Folgen eines Sturzes vom Pferde. 4) Marie Elisabeth, Duchesse de B., geb. 1695, geistreiche u. schöne Tochter des Herzogs von Orleans, Gemahlin des Vorigen, der sich wegen ihrer Ausschweifungen von ihr scheiden lassen wollte, aber über dem Processe starb. Der Graf von Riom war am längsten ihr Liebhaber u. soll sogar insgeheim mit ihr vermählt gewesen sein. Sie st. 1719. 5) Name Ludwigs XVI., den er als Prinz führte. 6) Charles Ferdinand, Comte d'Artois, Duc de B., Sohn des Grafen von Artois (nachmaligen Königs Karl X.) u. der Maria Theresia von Savoyen, geb. 24. Jan. 1778 in Versailles, floh mit seinen Eltern 1792 nach Turin, focht dann unter Condé bis 1798 gegen Frankreich u. trat mit dem Condéschen Corps, bis es 1801 aufgelöst wurde, in russische Dienste. Er ging darauf nach Holyrood in Schottland zu seinem Vater u. vermählte sich hier in morganatischer Ehe mit Madame Brown, einer jungen Engländerin, welche Ehe jedoch Ludwig XVIII. nicht anerkannte; aus dieser Ehe entsprangen 2 Töchter, von denen später die eine an den Marquis von Charette u. die andere an den Prinzen von Faucigny vermählt wurde Nach der Restauration landete der Herzog 1814 in Hafen von Cherbourg u. war 1815, nach Napoleons Rückkehr von Elba, zum Oberbefehlshaber über die Truppen bei Paris bestimmt; er folgte aber, weil er mit seinen Truppen nichts ausrichten konnte, dem Hofe nach Gent u. kehrte am 8. Juli wieder nach Paris zurück, wo er sich 1816 mit Caroline Ferdinande Louise, Tochter des Königs Franz I. von Sicilien, vermählte. Obgleich von wohlwollendem u. edlem Charakter wurde er von der bonapartistischen u. republikanischen Partei, als der Einzige, von dem für die Bourbons Nachkommen zu erwarten waren, bitter gehaßt u. von Louvel am 13. Febr. 1820, als er aus dem Opernhause trat, meuchlings verwundet. Er starb am folgenden Tage. Memoires über ihn von Chateaubriand, Par. 1820. 7) Caroline Ferdinande Louise, Duchesse de B., Tochter des Königs Franz I. von Sicilien, geb. 5. Novbr. 1798, vermählt mit dem Vorigen 1816. 1820 durch die Ermordung ihres Gatten Wittwe geworden, gebar sie 7 Monate darauf den Herzog von Bordeaux (Heinrich V.); 1819 hatte sie ihrem Gemahl die Prinzessin (Mademoiselle de France) geboren. Sie war fast die Einzige unter der älteren bourbonischen Dynastie, die noch unter dem Volke einige Zuneigung besaß. Nach der Julirevolution 1830 wollte sie mit ihrem Sohne in Frankreich zurückbleiben, um diesem womöglich die Thronfolge zu sichern, aber Karl X. gab dies nicht zu; dennoch verließ sie gegen dessen Willen Schottland u. landete am 24. April 1832 bei Marseille, wo man vergebens am 30. einen Aufstand für sie zu erregen versuchte; sie ging dann verkleidet nach der Vendée, wo sie in der Bretagne Anhänger fand u. einen Bürgerkrieg erregte. Ohne Mühe ward dieser aber von der Regierung unterdrückt, u. sie irrte in mannigfaltigen Verkleidungen, oft ohne alle Begleiter, im Lande umher, hatte aber ihren Hauptaufenthalt im Hause der Schwestern du Guigné in Nantes, wo sie sich 5 Monate lang aufhielt. Endlich von dem Juden Deutz aus Köln, welcher in Rom katholisch geworden war, verrathen, floh sie, als Gensd'armen am 7. Novbr. das Haus besetzten, u. verbarg sich in einem Kamin, wo sie mit 3 anderen Personen 16 Stunden versteckt blieb, bis die Gensd'armen zufällig im Kamin Feuer anmachten, u. sie durch die Hitze gezwungen wurde, hervorzukommen. Sie wurde nun auf die Citadelle von Blaye gebracht, wo sie sich schwanger u. in 2. Ehe mit dem neapolitanischen Marchese Lucchese Palli vermählt erklärte. Diese Erklärung raubte ihr das königliche Ansehen, weshalb die Regierung sie als ungefährlich frei ließ. Sie schiffte sich im Juni 1833 in Blaye nach Sicilien ein u. lebte seitdem abwechselnd in Österreich u. Italien u. nahm zuletzt in Venedig ihren bleibenden Wohnsitz.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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