Quedlinburg

Quedlinburg

Quedlinburg, 1) sonst reichsunmittelbares Frauenstift im Obersächsischen Kreise; bestand aus 1 Äbtissin, 1 Pröpstin, 1 Dechantin u. 1 Kanonissin; die Äbtissin hatte als Reichsfürstin auf dem Reichstage auf der Rheinischen Prälatenbank, so wie auf dem Obersächsischen Kreistage Sitz u. Stimme u. hatte ihre Erbbeamteten. Das Stift stand unmittelbar unter dem Päpstlichen Stuhle, u. das Schutzrecht übten Anfangs die Kaiser aus dem Hause Sachsen, seit dem 12. Jahrh. die Markgrafen von Brandenburg u. zuletzt Kursachsen. Wappen: 2 gekreuzte goldene Credenzmesser in rothem Felde. Gebiet (Stadt Q., Flecken Dittfurt, die 2 Vorwerke Münchenhof u. die Gersdorfer Burg, ein Stück des Rambergs im Unterharz), 2 QM. mit 13,000 Ew. Einkünfte: 40,000 Thlr. Das Stift Q. wurde von Otto I. 937 gegründet u. die Nonnen von Wenthausen mit ihrer Abtissin Diemot hierher verlegt. Nach Diemots Tode 965 wurde Ottos Tochter Mathilde Äbtissin. 993 erhielt das Stift vom Kaiser Otto III. das Münz-, Zoll- u. Marktrecht von einem Theil Nordthüringens. Nach Aussterben des Sächsischen Kaiserhauses erkauften die Markgrafen von Brandenburg das Schutzrecht über das Stift; sie erscheinen in dem [756] Besitz desselben schon 1166. Nach dem Erlöschen des Hauses Brandenburg erhielt 1320 der Kurfürst Rudolf I. von Sachsen die Vogtei zu Lehn, mit der Bedingung, sie den Grafen von Reinstein als Afterlehn zu überlassen. Als aber später die Stadt Q. sich in den Schutz des Bischofs von Halberstadt begab, bekamen die Bischöfe, welche sich nun auch die Vogtei über das Stift anmaßten, mit den Grafen ernstliche Streitigkeiten u. versetzten die Vogtei an den Stadtrath von Q. Bei dem endlich darüber 1477 ausbrechenden Kriege hatte das Stift viel zu leiden, bis die Äbtissin Hedwig mit Hülfe ihrer Brüder, des Kurfürsten Ernst u. Herzogs Albrecht von Sachsen, den Stadtrath u. durch Vermittlung des Herzogs Wilhelm von Braunschweig den Bischof von Halberstadt zur Abtretung der Vogtei vermochte, welche sie wieder dem Kurhause Sachsen übergab, bei welchem sie erblich verblieb. 1539 wurde die Reformation eingeführt. Kursachsen trat die Erbvogtei 1607 um 300,000 Thlr. an Brandenburg ab u. 30. Jan. 1698 wurde das Stift von brandenburgischen Truppen besetzt. Durch den Reichsdeputationschluß von 1803 kam das Stift mit Gebiet an Preußen; 1807 durch den Tilsiter Frieden an das Königreich Westfalen u. wurde zum District Blankenburg des Saaldépartements geschlagen; 1814 kam es wieder an Preußen. Als Äbtissinnen folgten auf Mathilde (st. 999): Adelheid I., Schwester Ottos III., st. 1044; Beatrix, Tochter Heinrichs III., st. 1053; Adelheid II., Schwester der Vorigen, st. nach 1088; Gerburg (Walburg), vielleicht aus dem Stamme der Herzöge von Schwaben, st. 1137; Beatrix II., Schwester des Kaisers Konrad III., st. 1161; Adelheid III., Tochter des Pfalzgrafen Friedrich II. von Sommerschenburg, st. 1184; Agnes, Tochter des Markgrafen Konrad von Meißen, st. 1205; Sophie, Tochter des Grafen Friedrich I., von Brehne, st. um 1227; Bertrade I., st. um 1230; Kunigunde, aus dem Hause Kranichfeld; Osterlinde, Gräfin von Falkenstein, st. 1232; Gertrud von Amfurt, st. 1270; Bertrade II., st. 1308; Jutta, st. 1348; Ludgardis, Gräfin von Stolberg, st. 1354; Agnes II., Gräfin von Schraselan, st. 1360; Elisabeth von Hakeborn, st. um 1376; Margarethe, Gräfin von Schraselan, st. 1379; Eregard, Gräfin von Kirchberg, st. 1405; Adelheid IV., Gräfin von Isenburg, legte 1434 nieder; Anna I., Gräfin zu Plauen, st. 1457; Hedwig, Tochter des Kurfürsten Friedrich des Sanftmüthigen, st. 1511; Magdalene, Tochter des Fürsten Albrecht V. zu Anhalt, st. 1515; Anna II., Gräfin zu Stolberg, st. 1574; Elisabeth II., Gräfin zu Regenstein u. Blankenburg, st. 1584; Anna III., Gräfin zu Stolberg, st. 1601; Marie, Tochter des Herzogs Johann Wilhelm zu Sachsen, st. 1610; Dorothea, Tochter des Kurfürsten Christian I., st. 1617; Dorothea Sophie, Tochter des Herzogs Friedrich Wilhelm, st. 1645; Anna Sophie I., Tochter des Pfalzgrafen Georg Wilhelm bei Rhein, st. 1680; Anna Sophie II., Tochter des Landgrafen Georg II. zu Hessen-Darmstadt, st. 1684; Anna Dorothea, Tochter des Herzogs Johann Ernst von Sachsen Weimar, st. 1704; sie hatte die Gräfin Aurora von Königsmark (s.d.) zur Coadjutorin gewählt, allein das Capitel erkannte diese nicht an, sie wurde blos Pröpstin u. 1710 wurde Marie Elisabeth, Prinzessin von Holstein-Gottorp, Äbtissin, st. 1755; Anna Amalie, Tochter des Königs Friedrich Wilhelm I. von Preußen, st. 1787; Sophie Albertine, Tochter des Königs Adolf Friedrich von Schweden bis 1807, führte aber den Titel bis an ihren Tod 1828. Vgl. S. Voigt, Geschichte des Stifts Q., Lpz. 1786–91, 3 Bde.; Fritsch, Geschichte des Reichsstiftes Q., Quedlinb. 1829, 2 Bde.; Kettner, Kirchen- u. Reformationshistorie des Stiftes Q., Quedlinb. 1710; von Frath, Codex diplomaticus Quedlinburgensis, Frankf. 1764, Fol.; I. A. Wallmann, Von den Alterthümern zu Q., Quedlinb. 1776; 2) vormals freie Reichsstadt, Hauptstadt u. Sitz des Stiftes, jetzt Kreisstadt des Kreises Aschersleben im Regierungsbezirk Magdeburg der preußischen Provinz Sachsen, an der Bode, besteht aus der Alt- u. Neustadt u. 4 Vorstädten, hat 7 Kirchen, 4 Hospitäler, Gymnasium, Taubstummen- u. Blindenanstalt, Waisenhaus, Lein- u. Damastweberei, Wollenzeug-, Essig- u. Siegellack-, Farben-, Bleiweiß- u. Runkelrübenzuckerfabrik; Vieh-, Getreide-, Schinken-, Wursthandel; Freimaurerloge: Zur goldenen Wage; 14,000 Ew. Geburtsort Klopstocks u. des Geographen Karl Ritter. Dabei wenig besuchtes Mineralbad. In der Vorstadt Westendorf ljegt auf hohem Felsen das Schloß, ehemals Sitz der Äbtissinnen mit Stiftskirche, worin das Grabmal des Kaisers Heinrich I., sowie der mumienartige Leichnam der Gräfin Aurora von Königsmark; das Schloß ist seit 1853 wieder zu einem adeligen Fräuleinstift eingerichtet; der Brühl, Lustwäldchen mit Promenaden u. dem marmornen Brustbilde Klopstocks. Q. wurde 930 (929) vom Kaiser Heinrich angelegt u. gegen die Magyaren befestigt. Der Kaiser u. seine Nachfolger hielten sich in der dasigen Pfalz oft auf u. Heinrich soll hier auf dem Vogelsang die Nachricht von seiner Wahl zum deutschen König erhalten haben. Er übergab es seiner Gemahlin Mathilde als Wirthum, welche, wie Heinrich selbst, hier begraben wurde. Q. trat zur Hansa u. wurde durch Handel blühend. 965 wurde hier ein Vergleich zwischen dem Markgrafen von der Lausitz u. dem König von Polen geschlossen. 1085 wurde hier ein Concil gehalten, wo unter anderem das Anathem über den. Gegenpapst Guibert ausgesprochen wurde. 1088 wurde Q. vom Markgrafen Egbert belagert. Da 1476 die Stadt der Äbtissin Hedwig nicht huldigen wollte, wurde sie 1477 von den Sachsen erobert (s. oben 1) u. der widerspenstige Stadtrath gezüchtigt. 1583 hier Religionsgespräch zwischen den pfälzisch-sächsisch-brandenburgischen u. braunschweigischen Theologen über die Gegenwart Christi im Abendmahl nach seiner menschlichen Natur. 1596 wurde hier zuerst von David Rudolf der Broihahn gebraut. Im Dreißigjährigen Kriege wurde Q. bald von den Kaiserlichen, bald von den Schweden übel mitgenommen. 3) Früherer Name der Bergstadt Elterlein, s.d.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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