Ziege [1]

Ziege [1]

Ziege (Capra Linn.), 1) Gattung der Wiederkäuer, kenntlich an den rauhen, quergestreiften od. knotigen, eckigen, auf verschiedene Weise gebogenen Hörnern, welche einen zelligen Kern haben, u. an der glatten Nasenspitze. Hierzu wurden früher sowohl Z. als Schaf u. mehre Nebenarten gerechnet. 2) Später aus dieser geschiedene Gattung, kenntlich durch seitlich zusammengedrückte u. sichelförmige, nach hinten gerichtete Hörner, welche an der Vorderseite erhabene Querhöcker tragen. Das Männchen ist mit einem Barte versehen; der Schwanz kurz. Racen: Wilde Z. (Bezoarziege, C. aegagrus), wahrscheinlich Stammart der Hausziege, so v.w. Pasen; Hausziege (C. hircus Linn.), dieselbe kommt in verschiedener Größe u. Haarfarbe vor. Je gebirgiger das Land ist, wo die Z. lebt, desto größer ist sie u. desto brauner ihr Haar. Die Hausziege zeichnet sich bes. durch großes Euter u. reiche Milchergiebigkeit aus. Eine der besten Spielarten für Gebirgsgegenden ist die Tyroler Z., von Farbe röthlichgrau mit schwarzen Streifen längs dem Rücken, gehörnt u. mit zwei Glöckchen am Halse. Für ebene Gegenden empfiehlt sich die große weiße Langensalzaer Z. am meisten. Die Hausziege ist größer u. schlanker als das Schaf, kleiner als der Pasen, hat lange u. weiche Haare, darunter kürzere u. feinere (doch weichen die verschiedenen Abarten rücksichtlich der Länge u. Feinheit der Haare ab), mit einer scharfen Rückenkante versehene Hörner, deren Anzahl u. Größe verschieden ist (zwei, vier od. auch gar keine). Das Männchen (Bock, Ziegenbock) hat kurzen, schmalen, dicht behaarten, die Z. längern, glättern Kopf, bei letzter ist auch der Hals schmaler u., wie der Leib, länger; die Haare sind kürzer od. feiner, die Hörner kürzer u. weniger gebogen, die Nasenlöcher schief, die Oberlippe hängt über die Unterlippe, beide sind mit Drüsen besetzt; die Zähne stehen u. wechseln wie beim Schaf; die Augen sind groß, der Augapfel eirund u. gelb; die Pupille fast rechteckig. Der Bock gibt, bes. im Herbst, einen übeln Geruch von sich. Bei den meisten Weibchen (Z-n), doch auch bei manchen Böcken, sind an der Kehle fleischige Zotteln (Glöckchen, Eicheln), deren Bedeutung u. Nutzen noch nicht gekannt ist; der Schwanz ist unten glatt, die Beine sind dick, die Klauen weiß. Die Farbe ist verschieden, meist weiß, doch sind auch schwarze, aschgraue, schwarzbraune, gelbliche, gefleckte Z-n häufig etc. Die Stimme der Z-n heißt Meckern. Von Charakter sind die Z-n lebhaft u. launig, so daß sie in kürzester Zeit oft das Gegentheil von dem zu sein scheinen, was sie kurz vorher waren, doch sind sie dem Menschen zugethan. Die Z. ist bes. in Europa heimisch, kommt aber auch in allen andern Welttheilen vor u. kann bis unter 70° nördl. Breite leben. Regengüsse u. Hitze scheut sie nicht, mehr die Kälte. Bergige u. waldige Gegenden sagen ihr bes. zu. Am naturgemäßesten wird die Zucht[601] der Z. in Gebirgsgegenden u. mit Weidegang betrieben. Die Z. soll lang gestrecktes, langes volles Euter, lange Zitzen, glatt anliegendes Haar, lockere Haut u. klare, glanzvolle Augen haben. Z-n mit festanliegender Haut, struppigen Haaren u. trüben Augen taugen nicht zur Zucht. Auch soll man nur solche Z-n zur Nachzucht wählen, welche einzeln od. höchstens paarweise geworfen worden sind. Eine gute Zuchtziege muß zweimal im Jahre lammen, darf auch nicht lecker sein. Der Bock muß langen Kopf, lange Ohren, lange Hörner, feurige Augen, breites Kreuz, breite Lenden. dicke Schenkel, feine Knochen, feines, langes, dichtes Haar haben u. sehr lebhaft sein. Z. u. Bock sollen von vorzüglichen Milchziegen abstammen. Auf 100 Z-n rechnet man einen Bock. Die Sprungzeit ist meist auf die vier letzten Monate im Jahr beschränkt. Der Bock wird erst in einem Alter von einem Jahre zur Paarung zugelassen u. in einem Alter von zwei Jahren verschnitten u. fettgemacht. Auch die Z. muß ein Jahr alt sein, ehe man sie paart. Die Z. trägt 20–22 Wochen u. wirst 1–4 Lämmer meist im Mai od. April. Trächtige Z-n stehen 3–4 Monate trocken u. leiden oft am Scheidevorfall. Die Z. wirst ihre Jungen (Zicklein) oft mit großen Beschwerden. Da sie blos zwei Zitzen hat, so kann sie auch blos zwei Junge säugen. Der Mutter gibt man nach der Geburt gutes Heu u. überschlagenes Wasser, od. bringt sie am elften Tage nach der Geburt wieder zum Bock. Die jungen Z-n läßt man, sobald sie geboren sind, von der Mutter belecken, die Bocklämmer, welche nicht zur Zucht verwendet werden sollen, am fünften Tag nach der Geburt verschneiden. Zur Nachzucht bestimmte Z-n läßt man 4–6 Wochen saugen, legt ihnen aber schon in einem Alter von zwei Wochen feines Heu u. zarte Baumblätter, später Brod vor u. geht nach u. nach zu dem Futter der Alten über. Als Hausthiere verlangen die Z-n einen reinlichen, trockenen u. warmen Stall (Ziegenstall), welcher ganz so wie der Schafstall (s.d.) eingerichtet ist. Werden die Z-n im Kuhstall gehalten, so muß daselbst für sie ein besonderer Verschlag eingerichtet werden. Hauptsächlich muß man dabei darauf sehen, daß der Urin gut abläuft, indem dieser sonst die Klauen aufrißt. Ihr Futter besteht aus Kräutern, Gräsern, jungem Laub, jungen Zweigen, Küchenabfällen, Heu, Getreidestroh, Kartoffeln, Rüben, Schwarzmehl, Kleien, Ölkuchen. Hartes Futter muß mit Küchenspülicht aufgelöst u. demselben Salz zugesetzt werden. Im Stalle wird täglich fünf Mal aus Raufen gefüttert; jedes Futter darf nur in kleinen Portionen vorgelegt werden. Das Tränken geschieht täglich zwei Mal mit frischem Wasser. Im October gibt man mit Leinkuchen versetzte Tränke, um den Wuchs der langen Winterhaare zu befördern. Auf der Weide zieht die Z. trockne u. saure Kräuter den fetten vor. Sie frißt Schierling u. Wolfsmilch ohne Nachtheil, während ihr Eicheln, Spindelbaumblätter, Flohkraut u. Niedgräser Gift sind. Die Z. muß täglich drei Mal gemolken werden. Stallziegen sind täglich zu kämmen, zu bürsten u. mit Strohwischen abzureiben. Außerdem muß genügend eingestreut, alle drei Tage ausgemistet u. alljährlich zwei Mal die zu lang gewachsenen Schuhe verschnitten werden. Wo sie einzeln gehalten werden, treibt man sie mit den Schafen od. anderem Vieh aus; wo man sie in größerer Anzahl hält, bedarf man wegen ihrer Lebhaftigkeit für 40–50 Stück einen eigenen Hirten, da sie häufig über Zäune springen od. sich verlaufen; deshalb durchschneidet manihnen in einigen Gegenden eine Flechse des Hinterfußes. Sie sind nicht so zärtlich, als die Schafe, müssen aber von feuchten Plätzen so viel als möglich abgehalten werden. Der Nutzen der Z. besteht vorzüglich in der Milch, welche von gewissen Z-n (die daher zur Zucht nach ihrer Milch bes. gesucht werden), od. auch je nach den genossenen Kräutern schmackhafter od. unschmackhafter ist u. zum rohen Genusse, so wie zur Bereitung von Käse (Ziegenkäse) benutzt wird. Süße Ziegenkäse, welche aus gesottener Milch u. Rahm durch einige Tropfen Salzgeist od. Lab niedergeschlagen werden, worauf man die leichtern u. feinern, mit dem Rahm in die Höhe steigenden Käsetheile mit einem Binsenkörbchen abschöpft, u. welche man als Käse schon den Tag darauf genießen kann, heißen in Italien Ricotta. Auch dient die Milch als Heilmittel gegen Schwindsucht, Hämorrhoiden u. Skorbut, u. man hat ihre arzneiliche Kraft dadurch zu verstärken od. zu richten gesucht, daß man unter das Futter der Z. Arzneikräuter od. auch Arzneistoffe nach der Krankheit des die Milch Genießenden gemischt hat. Das Fleisch, bes. der jungen Z-n, ist leicht, gut verdaulich, doch etwas süßlich; schwerer zu verdauen das der alten; das des verschnittenen Bockes ist unschmackhaft u. das des Zuchtbockes riecht unangenehm. Der Talg dient bei Bereitung des Leders u. zu Lichtern, der Bockstalg (Sevum hirci) war sonst officinell, ist jetzt durch Schöpstalg ersetzt; die Felle (Ziegenfelle) verarbeitet man, das schwache zu sämischgarem Leder, zu Beinkleidern u. Handschuhen, das stärkere zu Corduan, Saffian, Pergament u.a. Lederarten; das sogenannte Hühnerleder (s.d.) kommt auch von Z-n. Die Ziegenfelle kommen bes. von Libau u. Memel in den Handel. Die Haare, sowohl die längeren, als die darunter liegenden kurzen werden zu Hüten, Bürsten, Pinseln, Garn etc., auch wohl die längeren zu grobem Zeug, zu Jagdröcken u. dgl., zu Perücken verarbeitet; die von den Haaren gereinigte, gekämmte u. gesponnene Wolle der Z. ist von äußerster Feinheit u. eignet sich, da sie sich auch färben läßt, sowohl zum Weben feiner Shawls, als auch zum Stricken von Handschuhen, Strümpfen, Mützen, Filzschuhen etc. Den besten Gebrauch hat bis jetzt Ternaux davon gemacht, welcher 1819 Kaschemirziegen einführte, diese mit sich selbst begatten ließ u. mit Hausziegen kreuzte u. die Wolle zu einem trefflichen Gespinnst im Großen benutzte. Die Hörner werden zu Drechslerarbeiten verwendet. Der Mist wird auf nassen, kalten Ackern gut befunden. Der Schaden der Z-n besteht darin, daß sie bei nicht gehöriger Aufsicht Obst- u.a. Bäume schälen, junge Zweige abbeißen etc. Ihre Krankheiten sind: Durchfall (von zu fettem Futter), Drehen (von Blasenwürmern erzeugt), Wassersucht, Klauenseuche, Trommelsucht, Räude, Schluchzen u.a. Abarten sind: a) die ungehörnte Z. (C. hircus ecornis), in Spanien, mit langem Haar; b) Kaschemirziege, mit spiralförmig gewundenen, von einander abstehenden Hörnern u. langen, seidenartigen, meist weißen Haaren, unter welchen sich ein sehr feines Wollhaar befindet, aus welchem die Kaschemirshawls gefertigt werden; c) tibetanische Z. (C. h. lanigera), der vorigen ähnlich, liefert viel seine Wolle, steht in Magerkeit u. Fruchtbarkeit der Hausziege weit nach; d) Angoraziege[602] (C. h. angorensis), so v.w. Kämelziege; verbindet mit schönem Körperbau feine gewundene Hörner u. hat silberweißes, seidenartiges, bis zur Erde reichendes Haar, welches das Kämelgarn liefert; e) brasilianische Z., dunkelbraun, hat lange, meist hängende Ohren u. ziemlich gerade stehende Hörner; im März wird der seine Flaum durch Kämmen od. Auszupfen gewonnen; es werden davon die feinen türkischenod. persischen Shawls gemacht; f) syrische Z., hat langgestreckten Körper u. fußlange herabhängende Ohren; g) Judaziege (Juidhaziege, Judabock, Bouc de Jouda), Abart der gemeinen Z.; lebt im afrikanischen Reiche Wuda (Whida), hat spiralgewundene Hörner, sehr feines Haar (gut zu den besten Shawls), ist niedrig u. kurz; h) ägyptische Z. (C. h. thebaica), mit glatten, kurzen, rothgelben Haaren, erhabenem Kreuz, langen, hängenden Ohren, aufgetriebener Nase, bis auf die Erde hängenden Zitzen; in der Levante u. Ägypten; i) Nepal- (Nepaul-) ziege (C. h. nepalensis, C. h. arietina), schwarzgrau, mit langen, hängenden, weißen Ohren, Schnauze u. Kinn, kleinen, spiralförmigen Hörnern, von schlanker Gestalt, dünnen Beinen; aus Nepaul in Ostindien; k) Mamberziege (mambrische Z., afrikanische Z., Guineaziege, C. mambrina, C. syriaca), Abart der gewöhnlichen Z., mit kleinen, kurzen, rückwärts gebogenen Hörnern, 1 Fuß langen, oft zur Erde herabhängenden Ohren; aus der Levante; Andere unterscheiden die afrikanische u. Mamberziege; l) vielhörnige Z. (C. h. polycerata), ausgezeichnet durch mehr als zwei, oft bis sieben Hörner; m) Cossusziege (C. aegagrus cossus), Haare lang, weiß, ungekräuselt, weich, Hörner horizontal, anliegend, kommt aus Indien u. ist der Tibetziege sehr ähnlich; n) unbärtige Z. (C. h. imberbis), vielleicht Abänderung der Mamberziege. Auch mögen wohl noch unterschieden werden: o) Jamaicaziege (C. h. jamaicensis), mit knotigen, auf dem Rücken abgeführten Hörnern; p) Steinziege (C. capricornus), am Vorgebirge der guten Hoffnung, mit kurzen, nach vorn gebogenen Hörnern, doch nicht selten ohne Hörner; q) Pudu (C. pudu), schwarzbraun, mit auswärts gerichteten Hörnern, in Chili. Andere Arten dieser Gattung sind der Steinbock (s.d.) etc. Alle diese Arten begatten sich mit der Hausziege fruchtbar, auch fallen Bastarde vom Schaf u. Z. 3) Gelbe Z., so v.w. Kropfgazelle; 4) so v.w. Eigentliche Gazelle; 5) Fische, so v.w. Alse, Sichling u. eine Art von Chela.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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