Hannover [4]

Hannover [4]

Hannover, 1) Landdrostei im Königreiche H., begreift das Fürstenthum Kalenberg, die Grafschaften Hoya u. Diepholz, 1091/2 QM. u. 329,324 Ew. in 9 Städten u. 35 Ämtern (Landgemeinden); 2) Amt H. (seit der Organisation vom 1. Oct. 1852) 16,940 Ew.; 3) Haupt- u. Residenzstadt des Königreichs H. an der hier schiffbaren Leine, über welche 10 Brücken führen, gelegen; am linken Ufer der Leine befindet sich die seit 1824 mit der Altstadt vereinigte (Calenberger) Neustadt, auf dem rechten Ufer liegt die Altstadt, die seit 1748 erbaute Ägidien-Neustadt u. die seit 1845 angelegte Ernst-August-Stadt. Um H. ziehn sich die Vorstädte, welche aus 15 Ortschaften bestehn, zum größten Theile stadtartig schön bebaut sind u. deren theilweiser Anschluß an die Stadt den 1. Juli 1859 eintritt. Noch einen Bestandtheil der Stadt bildet der durch die Ihme von der Stadt getrennte gewerbfleißige Vorort Linden. Hauptplätze in der ältern Stadt: der Friederikenplatz, hinter dem Schlosse gelegen, der Waterlooplatz (darauf die Büste Leibniz's mit der Inschrift: Genio Leibnitii, ferner das Denkmal des Generals von Alten, sowie auch das Waterloomonument, eine besteigbare 160 Fuß hohe, 1832 errichtete Säule, oben mit einer Victoria geziert) u. die Marktplätze; im Ernst-August-Stadttheile der Bahnhofsplatz, der Georgsplatz u. der Platz vor dem neuen Theater; angenehme Promenaden umgeben die Stadt an Stelle der abgetragenen Wälle. Eine Wasserleitung versorgt mittelst gußeiserner Röhren die ganze Stadt mit Wasser. Die meisten Straßen sind mit großen Steinen u. die Trottoirs mit Asphalt neu gepflastert. Ein herrlicher Spaziergang ist die 6828 Fuß lange, 200 Fuß breite, aus 4 Reihen (1335) Linden bestehende Herrenhäuser Allee. An den Seiten u. am Ende der Allee liegen die Gärten u. Schlösser von Monbrillant, Georgenpark u. Herrenhausen; im großen Garten von Herrenhausen befinden sich die 1720 angelegten Wasserkünste, die großen Orangeriegebäude, der Berggarten, eine der berühmtesten botanischen Anlagen, worin das Palmenhaus, sowie das Mausoleum mit den Marmorstatuen des Königs Ernst August u. der Königin Friederike. Das anmuthige u. reizende Gehölz der Eilenriede, dicht vor den Thoren der Stadt beginnend, erstreckt sich, zahlreiche Spaziergänge darbietend, in einem großen Halbkreise um die Stadt. Aus der Stadt führen 5 Thore. H. ist königliche Residenz, der Sitz des Ministeriums, der höchsten Civil- u. Militärbehörden (mit Ausnahme des Oberappellationsgerichts), des Oberzoll- u. Obersteuercollegiums, der Generalpostdirection, der Generaldirection der Eisenbahnen u. Telegraphen, des Schatzcollegiums, der Generaldirection des Wasserbaues u. der Wasserzölle, der Polizeidirection, der Obermedicinalbehörde etc., ferner der Provinzialbehörden, als des Obergerichts, der Landdrostei, des Consistoriums, der Tagungsplatz der allgemeinen Ständeversammlung, so wieder Calenbergschen Provinziallandschaft, ferner der Sitz des Magistrats. Die Stadt hat 6 lutherische, 1 reformirte, 1 katholische Kirche, 1 Synagoge; die merkwürdigsten sind: die Schloßkirche (sonst Minoritenklosterkirche) mit königlicher Gruft, die 1854 neu ausgebaute Jacobs- u. Georgs- (Markt-) kirche, mit 306 Fuß hohem Thurm, die Johannis-, Hof- u. Stadtkirche, mit Grabmal Leibnizs, die Ägidienkirche mit einem Altargemälde Riepenhausens. Das Schloß von H. ist 1636 als Residenz errichtet, diente unter westfälischer Regierung zur Kaserne u. zum Hospital; es ist durch neuere Bauten sehr verbessert, wird aber nur zu Hoffesten benutzt, da der König ein Palais an der Friedrichsstraße bewohnt. Das neue königliche Hoftheater, 1845–52 erbaut, faßt über 1800 Zuschauer. Außerdem sind merkwürdige öffentliche Gebäude: das königliche Palais, dem Schloß gegenüber, der Fürstenhof, das Ernst-August-Palais, das Ständehaus, die Polytechnische Schule, das Cadettenhaus, die Artillerie- u. andere Kasernen, das Zeughaus, die Münze, das Obergericht, das Ministerialgebäude, das Archivgebäude, das Museum, die Börse, die Bank, das Rathhaus etc. Wissenschaftliche Anstalten: Naturhistorischer Verein, Historischer Verein für Niedersachsen (mit Bibliothek), Kunst-, Gewerb-, Gartenbau-, der Architekten- u. Ingenieurverein, Museum, königliche Bibliothek von 120,000 Bdn., mit Handschriften u. Leibnizs literarischem Nachlaß, das reichhaltige Münzcabinet, Stadtbibliothek, Societätsbibliothek, Bibliothek der Polytechnischen Schule, die vom Könige erworbene Hausmann'sche Gemäldesammlung u. mehrere Privatsammlungen; 7 Sortimentsbuchhandlungen, 14 Buchdruckereien, 12 Steindruckereien. Unterrichtsanstalten: Lyceum, höhere Bürgerschule, Mittelschule, höhere Töchterschule, Bürgerschule, Neustädter Knaben- u. Mädchenschule, Freischule, Garnisonschule u. viele Privatschulen; Militärakademie, Cadettenanstalt, Artilleriebrigadeschule, Prediger- u. Schullehrerseminar, Entbindungslehranstalt, Thierarzneischule, Polytechnische Schule (Modell- u. Werkzeugsammlung etc.), Handelsschule, Handwerkerschule etc. Gemeinnützige u. Wohlthätigkeitsanstalten: Blindenanstalt, städtisches u. Generalmilitärhospital, Bibelgesellschaft, Armen- u. Waisenhaus, viele wohlthätige Stiftungen, Lebens- u. Versicherungsanstalten etc. Die industrielle Thätigkeit H-s hat in den letzten Jahren einen großen Aufschwung genommen u. einen bedeutenden Handel u. Verkehr hervorgerufen; 1856 wurde die mit 6 Mill. Capital fundirte Hannoversche Bank gegründet. Von Fabriken sind erwähnenswerth die Egestorff'schen Etablissements in Linden, als Maschinenfabrik, Eisengießerei, Chemische Fabrik, Saline; die Hannoversche Baumwollspinnerei u. Weberei (Actiengesellschaft[22] mit 1,300,000 Thlrn. Capital) mit 500 Webestühlen u. 50,000 Spindeln; Mechanische Weberei (Actiengesellschaft mit 1,200,000 Thlrn. Capital) mit 900 Webestühlen für Moleskins, Veloets, Velveteens etc.; ferner Eisengießereien, eine Asphaltfabrik, Bierbrauereien, Spiritusfabriken, Broncefabriken, Cement, Chocolade- u. Cichorienfabriken, Buch- u. Steindruckfarbenfabrik, Fournierschneidereien, Garn-, Geschäftsbücher-, Gold- u. Silberfabriken, Kunstdünger-, Leder-, Tabaks-, Watten- u. Zuckerfabriken etc. Eisenbahnverbindung mit Braunschweig, Hildesheim, Kassel, Harburg, Bremen, Minden u. Emden. Viele gesellige Vereine, als das Museum, Athenäum, Börsenclub mit großen neugebauten Sälen, Thaliaverein (auf Actien begründet) mit Theater u. großen Sälen, Künstlerverein etc. Drei Freimaurerlogen: Weißes Pferd, Schwarzer Bär, Ceder. Einwohner der innern Stadt 35,000, ohne Militär u. ohne Vorstädte, mit den letztern über 62,000, während 1828 die Gesammtbevölkerung nur 30,000 Ew. betrug. – Die Zeit der Gründung ist nicht bekannt; 1163 hielt sich Heinrich der Löwe hier auf. Sein Sohn, Pfalzgraf Heinrich, erbte H. 1202. Unter Herzog Otto dem Kinde war es schon ein blühendes Gemeinwesen; seit 1368 soll es zur Hansa gehört haben. Die braunschweigischen Herzöge Bernhard u. Heinrich bestätigten 1388 die Rechte u. Freiheiten der Stadt. 1486 wurde es vergebens vom Herzog Heinrich dem Ältern belagert, u. eben so vergebens suchte dieser sich 1490 der Stadt mit List zu bemächtigen, doch mußte sich später H. zum Gehorsam bequemen. 1553 wurde die Reformation eingeführt. 1637–1714 war H. die Residenz der Linie Braunschweig-Lüneburg. Hier am 26. Aug. 1745 Abschluß des Tractats von H. zwischen England u. Preußen, worin England die Kaiserin Maria Theresia zum Frieden zu bewegen, für sich selbst von dem Bündniß gegen Preußen zurückzutreten u. dem König Friedrich dem Großen die Gewährleistung aller übrigen Mächte über den Besitz Schlesiens auszuwirken versprach (s. Österreichischer Erbfolgekrieg). Am 8. Febr. 1814 Friede zwischen Rußland u. Dänemark (s. Russisch-Deutscher Krieg). Seit 1837 ist H. königliche Residenz. H. ist der Geburtsort Herschels, Islands, der beiden Dichter Schlegel, Rehbergs, Rambergs.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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