- Hebräische Sprache
Hebräische Sprache. Die H. S. bildet mit den ihr zunächst verwandten Dialekten der alten Phönicier u. wahrscheinlich auch anderer kanaanitischer Völkerschaften eine besondere Gruppe der Semitischen Sprachfamilie, ist unter den verschiedenen Gliedern der letzteren in grammatischer Hinsicht eine der gebildetsten, kräftig, seingebaut, reich u. wohllautend, steht aber in lexikalischer Beziehung, selbst wenn man bedenkt, daß nur ein Theil des Sprachschatzes auf uns gekommen ist, der Arabischen Sprache bei Weitem nach. Der Name H. S. (Laschon ibrith) kommt im A. T. selbst nicht vor u. scheint mehr der bei den Nichtisraeliten gebräuchliche gewesen zu sein; doch wird sie daselbst, wenn auch erst im Sprachgebrauche der nachexilischen Bücher, die Jüdische (Jehudith) u. poetisch (bei Jesaias) nach dem Lande, in welchem sie gesprochen wurde, die Kanaanitische (Sephat Kenaan) genannt. Zur Lingua sancta od. Heiligen Sprache (Laschon hakkodesch) wurde sie nach ihrem Aussterben zuerst in den Targums im Gegensatz zu der Chaldäischen Sprache des gewöhnlichen Lebens. In den erhaltenen Sprachdenkmälern, die in der Hauptsache aus der Zeit von David bis zu den Makkabäern stammen, lassen sich etwa zwei Perioden, eine vorexilische u. eine nachexilische, unterscheiden. Der ersteren gehören der Pentateuch, die Bücher der Richter, Ruth, Samuels u. der[145] Könige, ferner der größte Theil der Psalmen, die Sprüche, das Hohelied u. der Hiob, sowie die Propheten Joel, Amos, Hosea, Jesaia, Micha, Zephanja, Babakuk, Nahum, Obadja an; der Jeremias, Ezechiel u. der zweite Theil des Jesaias bilden den Übergang zum zweiten Zeitalter, in welchem die Sprache eine Annäherung an das Aramäische, wenn auch in verschiedenen Abstufungen, zeigt. In letztere fallen Esra, Nehemia, Chronik, Esther, Jonas, Haggai, Zacharia, Maleachi, Daniel, Kohelet u. mehrere Psalmen. Mit dem Exil wurde das Hebräische durch das Aramäische (Chaldäische) ganz aus dem Munde des Volks verdrängt, sodaß die Kenntniß u. der schriftliche Gebrauch nur den Priestern u. jüdischen Gelehrten verblieb. Daß auch schon vor dem Exil ein Unterschied zwischen der Schriftsprache u. der Sprache des Volkes bestand, ist mit Gewißheit anzunehmen; auch finden sich im A. T. selbst deutliche Spuren dialektischer Verschiedenheiten, namentlich zwischen der Sprache des Südens (Juda) u. des Nordens (Israel). Auch noch die gegenwärtig allgemein übliche Hebräische Schrift, nach ihrer Form Quadratschrift, nach ihrem Ursprunge assyrische (d.i. babylonische) Schrift genannt, trat erst nach dem Exil zur Zeit des Esra an die Stelle der alten nationalen hebräischen Schrift, daher Esra'sche Schrift. Obgleich von letzter bis jetzt noch keine Denkmäler aufgefunden worden sind, so kann man doch annehmen, daß sie der älteren phönieischen Schrift ähnlich war. Aus der Quadratschrift ging später die sogenannte Rabbinische Schrift hervor.
Das Hebräische wird, wie alle übrigen semitischen Charaktere (mit Ausnahme des Äthiopischen), von der Rechten zur Linken geschrieben. Das Alphabet:
Von diesen Buchstaben haben צ, פ, נ, מ, כ (das grammatische Merkwort Kamnepheß [Chamnephez]) am Ende des Wortes eine andere Gestalt, nämlich; ץ, ף, ן, ם, ד; fünf andere ם, ח, ל, ה, א (das grammatische Merkwort ist Ahaltem) können, da man im Hebräischen die Wörter am Ende einer Zeile nicht theilen darf, zur Ausfüllung der Zelle verlängert od. gedehnt werden (daher Dilatabiles literae genannt), nämlich im, . Die angeführten Buchstaben des Alphabets sind sämmtlich Consonanten, da die Vocale den Consonanten unter-, über- od. nebengesetzt werden; א, ו u. י sind Vocale u. Consonanten zugleich, sie heißen, wenn sie Consonanten sind, also ausgesprochen werden, Literae mobiles, wenn sie als Vocale stehen, also nicht ausgesprochen werden, L. quiescibiles od. Matres s. Fulera lectionis (Lesemuttern, Lesestützen); sie erhalten in ersterem Falle einen Punkt (Mappik) in sich (ר). Jeder vocallose Consonant erhält unter sich, das ך in sich (ך), das Zeichen (Schwa), welches, dem französischen stummen e vergleichbar, wie ein kurzes e ausgesprochen wird. Bei denjenigen Consonanten, welche gewöhnlich mit einer Adspiration ausgesprochen werden, drückt ein in der Mitte derselben stehender Punkt (Dagesch lene) die Abwesenheit der Adspiration aus; diese Consonanten sind ח, ם, כ, ר, נ,ב (das grammatische Merkwort Begadchephath); ein eben solcher Punkt (Dagesch forte) bezeichnet auch die Verdoppelung des Consonanten. Die Vocale werden, außer den genannten, nicht als Buchstaben geschrieben, sondern als Punkt- (daher Punctation die Vocalisation u. das Vocalsystem in der H-n S.) od. Striche ihren Consonanten unter-, über- od. beigeschrieben; Kamez (Quameß) = ā, Patach = ă; Zere (Sfere) = ē, Segol = ĕ; Chirek (Ch. magnum) = I, Chirek (Ch. parvum) = ĭ, od. Cholem = ō, Kamez Khatupb = ŏ; Schurek = ū, Kibbuz (Quibbuß) = ŭ. Die Accente, Zeichen über od. unter den Wörtern, dienen theils als Ton-, theils als Interpunctionszeichen; in letzterem Falle ist ihr Gebrauch sehr verwickelt; nach ihrer größeren od. geringeren Geltung werden sie eingetheilt in Distinctivi od. Domini u. Conjunctivi od. Servi, die ersteren wieder in Imperatores, Reges, Duces, Comites. Der Ton liegt meistentheils auf der letzten Sylbe. Die gewöhnlichsten sind Athnach (), meist in der Mitte des Verses, u. der Silluk () mit Soph-pasuk (:, also: ) am Ende des Verses. Das Metheg, kleine Perpenticularlinie zur Linken des Vocals (z.B. ), steht in mehrsylbigen Wörtern in der 1. od. 2. Sylbe vor der Tonsylbe u. zeigt an, daß man bei dem dadurch bezeichneten Vocal, wiewohl er unbezeichnet sei, hinlänglich anhalten u. ihn deutlich aussprechen soll. Eine kleine, zwischen zwei Wörtern oben in der Linie laufende horizontale Linie (Makkeph) dient zur Verbindung, z.B. .
Die H. S. hat einen bestimmten Artikel, welcher dem Nomen vorn angefügt wird u. niemals eine Veränderung erleidet. Das persönliche Pronomen als Nominativ steht als ein besonderes Wort für sich; als Object od. als Pronomen possessivum wird es dem Verbum, Nomen od. einer Präposition am Ende, in verkürzten Formen, angefügt (Suffixa). In der ersten Person ist es geschlechtslos, in der zweiten u. dritten Person wird das männliche u. weibliche Geschlecht unterschieden. Außerdem gibt es ein Pron. demonstrativum, relativum u. interrogativum. Das Verbum besteht nach seiner Grundform aus drei Consonanten in zwei Sylben. Als grammatischer Stamm gilt das Präteritum. Die Modificationen in der Bedeutung des Verbum werden durch eigenthümliche Bildungsformen dargestellt, sie heißen: Kat[146] (Activum), Niphal (Passivum), Piel od. Pilel (Factitivum) mit seiner Nebenform Poël, Pual (Passivum des Factitivum), Hiphil (ebenfalls Factitivum) mit seinem Passivum Hophal, endlich Hithpael (Reflexivum) u. dessen Passivum Hothpaci. Die Abweichungen in den Beugungsformen des Zeitworts (Conjugationen), die sich fast nur auf die Punctation erstrecken, werden bedingt von der Eigenthümlichkeit der Consonanten des Stammes. Hiernach zählt man 12 Klassen od. Conjugationen, welche immer nach dem die Veränderungen veranlassenden Buchstaben benannt werden. Das Verbum hat nur zwei Tempora, Präteritum u. Futurum; ferner als Modi einen Imperativ, Infinitiv in zwei Formen (Infinitivus absolutus u. Inf. constructus) u. ein Participium; das Tempus praesens wird durch irgend eine der beiden Zeiten vertreten, die fehlenden Modi durch das Futurum. Die Bildungsformen treten vorn an, die Beugungsformen, welche größtentheils ihre Pronominalabstammung verrathen, am Ende od. Anfang (Afformativa u. Praeformativa). Wird das Verbum mit einem Pronominalobject verbunden, so trifft die entstehende Veränderung wieder nur die Vocale. Unregelmäßige Zeitwörter sind eigentlich nur solche, wo entweder ein Stammconsonant durch das Zusammensprechen zweier wegfällt (Verbum imperfectum), od. einer derselben eine Litera quiescibilis (s. oben) ist (Verbum quiescens). Die Nomina (Substantiva u. Adjectiva) sind theils Stammwörter, theils vom Verbum abgeleitet, u. zwar in der Regel in der Form des Participium od. des Infinitivs. Bildungsformen gibt es, um das Gewerbe, den Ort, Abstracta, die Zahl etc. zu bezeichnen. Um das weibliche Geschlecht auszudrücken, existirt eine besondere Form. Außer dem Singular u. Plural ist auch ein Dual gebräuchlich. Eine Declination in dem gewöhnlichen Sinne kennt die H. S. nicht; der Accusativ wird entweder durch die vorgesetzte Partikel od. gar nicht angedeutet; der Dativ u. Ablativ durch Präpositionen (jener durch [für], dieser durch [von], [in] [mit] etc.), der Genitiv aber durch eine Veränderung in der Form des vorhergehenden regierenden Nomen (Status constructus, in dessen Gegensatz die Form an sich Status absolutus heißt). Die Declination des Nomen beschränkt sich daher auf den Status constructus u. auf die Fälle, wo Pronominalsuffixe hinzutreten. Wie bei dem Verbum, bezieht sich die dann eintretende Veränderung nur auf die Vocale, je nach der Beschaffenheit der Wurzelconsonanten; doch erhält Dual u. Plural auch noch eine besondere Endung. Hiernach ergeben sich neun Klassen der Declination. Zur Bildung der Substantiva zu dem Wurzelwort zu Anfang, zu Ende od. an beiden Orten tretende Buchstaben sind: ו, י, ח, נ, מ, א, ה (Merkwort: Heemantiv; daher jene Buchstaben auch Heemanticae literae genannt werden). Comparativ u. Superlativ der Adjectiva werden umschrieben, jener durch vor, dieser durch den Artikel od. andere hervorhebende Ausdrucksweisen. Die Zahlwörter, wie auch die übrigen Pronomina, folgen im Ganzen derselben Regel. An eigentlichen Adverbien leidet die H.S. Mangel. Der einfachen Präpositionen sind nur vier, welche wie Präfixe behandelt werden. Conjunctionen gibt es ebenfalls wenige; , und, u. , wie, werden präfigirt. Der Satzbau ist höchst. einfach; von periodischer Bildung ist keine Spur. In der Wortverbindung geht oft das Prädicat dem Subject, immer das Substantiv dem Adjectiv voraus. Der Anfang des Vater Unsers lautet:
(lies von der Rechten zur Linken): abinu ascher baschamajim, jithkaddesch sch'mecha; d.i. Vater-Unser, welcher in-Himmeln, geheiligt werde Name-dein.
Die grammatische Bearbeitung des Hebräischen beginnt um dieselbe Zeit, wo die Sprache abstarb u. die Sammlung des A. T. abgeschlossen wurde; doch erfolgte die Vocatisirung des Textes, sowie die Accentuation desselben erst im 6. u. 7. Jahrh. (s. Masora). Erst um den Anfang des 10. Jahrh. wurden nach dem Vorgang der Araber auch von den Juden grammatische Zusammenstellungen versucht, Anfangs selbst noch in Arabischer Sprache; so von Saadia Gaon (st. 942) u. Jehuda Chajug (um 1050). Auf Vorarbeiten dieser Art gestützt, gewann Abraham ben Esra (1150) u. R. David Kimchi (um 1190–1200) als Grammatiker ein klassisches Ansehen. Auch galt des Letzteren Wörterbuch für das vorzüglichste; ihm waren die Lexikographen Menahem ben Saruk, Rabbi Jona, Juda ben Karisch, Salomo Parchon vorausgegangen. Als Begründer des hebräischen Sprachstudiums unter den Christen ist Joh. Reuchlin zu betrachten, der sich jedoch wie seine Nachfolger im 16. u. in der ersten Hälfte des 17. Jahrh., unter denen Joh. Buxtorf (s.d.) der hervorragendste ist, noch fast ganz an die jüdische Überlieferung u. Methode hielt. Erst seit Mitte des 17. Jahrh. erweiterte sich der Gesichtskreis, als durch Alb. Schultens u. Nik. W. Schröder das Studium der Semitischen Schwestersprachen für das Hebräische fruchtbar gemacht wurde. Die Einseitigkeit, in welche diese sogenannte Holländische Schule durch allzu ausschließliche Berücksichtigung des Arabischen verfiel, wurde von deutschen Grammatikern vermieden. Nach Vater's (s.d.) Vorgange hat sich unter Letzteren bes. Gesenius (s.d.) die größten Verdienste erworben, wenn auch gegen dessen grammatische Richtung seitdem durch Ewald (s.d.) ein großer Fortschritt geschehen ist. Die beste Sprachlehre lieferte Ewald (Ausführliches Lehrbuch der H-n S., 6. Aufl. Lpz 1855; Hebräische Sprachlehre für Anfänger, 2. Aufl. ebd. 1853); die Hebräische Grammatik von Gesenius (ebd. 1813), wurde nach dessen Tode von Rödiger (18. Aufl. ebd. 1857) herausgegeben. Neben diesen sind, außer denen von Roorda, Freitag etc., für Unterrichtszwecke noch die Grammatiken von Thiersch Erl. 1842, 2. Aufl. 1857, u. Nägelsbach, Lpz. 1856 zu nennen. Die umfassendste lexikalische Arbeit ist Gesenius' Thesaurus linguae Hebraicae, beendigt von Rödiger, ebd. 1829–57, 3 Bde.; Handwörterbücher bearbeiteten Gesenius, ebd. 1810–12, 2 Bde., 5. Aufl. von Dietrich 1857, Wiener (hebr. u. lat.) ebd. 1828, u. Fürst, ebd. 1851 f.; Deutsch-hebräische Wörterbücher von Bensew (Wien 1839, 2 Bde., 3. Aufl. von Lettris) u. Schröder (Hildesh. 1831); ein hebräisches Wurzel wörterbuch versuchte Meier, Manh. 1846. Vgl. Gesenius, Geschichte der H-n S. u. Schrift, Lpz. 1815, 2. Aufl. 1827; [147] Luzzato, Prolegomeni ad una grammatica ragionata della lingua ebraica, Padua 1836; Ewald u. Dukes, Beiträge zur Geschichte der ältesten Auslegung u. Spracherklärung des A. T., Stuttg. 1844; Hupfeld, De rei grammaticae apud Judaeos initiis antiquissimisque scriptoribus, Halle! 1846; Dietrich, Abhandlungen zur hebräischen Grammatik, Lpz. 1846; Prüfer, Kritik der hebräischen Grammatologie, ebd. 1847; E. Rénan, Histoire et système des langues sémitiques, Par. 1859, Bd. 1, 2. Aufl.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.