Scheintod

Scheintod

Scheintod, 1) (Asphyxia), ein Mittelzustand zwischen Leben od. Lebensende u. Tod, wobei der daran Leidende ein todähnliches Erlöschen der Lebensverrichtungen zeigt, bei noch ferner Zersetzung des Körpers aber die Möglichkeit des Wiedererwachens der Lebensflamme obwaltet, od. doch durch künstliche Reizmittel einzelne Lebensthätigkeiten wieder angeregt werden können. Alle Zeichen des eingetretenen Todes (s.u. Leiche) sind, einzeln genommen, trügerisch, denn bei allem Vorkommen mehrer od. selbst vieler der genannten Zeichen sind Menschen wieder ins Leben zurückgebracht worden, od. von selbst wieder zum Leben erwacht; nur aus dem Complex aller, od. der mehrsten Todeszeichen (s.u. Leiche) u. aus Vergleichung der vorhergegangenen Lebenszustände, welche eine allmälige u. endlich völlige Auflösung alles lebendigen Zusammenbestehens in organischen Körpern zur nothwendigen Folge haben müssen, ist eine völlige Versicherung des wirklichen Todes, auch kurz nach dem sinnlich unterscheidbaren Sterbemomente herzunehmen. Am nächsten liegt die Möglichkeit des S-s in Fällen eines plötzlich eintretenden Todes, wobei jedoch nicht ein wesentlich zur Fortdauer des Lebens nothwendiges Organ eine wirkliche Zerstörung erlitten hat; namentlich ist dies der Fall bei Hemmungen des Athmens durch Verschließung der Luftwege, durch Ertrinken, Hängen, Erdrosseln, durch Einathmen von Gasarten, welche den Respirationsproceß zu unterhalten ungeeignet sind u. des Sauerstoffs entrathen, od. welche durch directe Reizung der Lunge schädlich einwirken, ebenso durch eine solche Luftverdünnung, welche einem wirklichen Entziehen der Luft gleich zu setzen ist (s. Erstickung). Ferner sind heftige Erschütterung des Körpers, an welcher das Sensorium im Gehirn u. in dem Centralorgan des Gangliennervensystems zunächst Theil nimmt, ein Fall od. Stoß u. Schlag auf den Kopf, od. in die Herz- u. Magengegend, ebenso ein Blitzstrahl geeignet S. hervorzubringen; ferner Entziehung der natürlichen Wärme bei Erfrornen, Verblutung u.a. bedeutende Säfteverluste, heftige Leidenschaften, körperliche u. geistige Erschöpfung, heftige Schmerzen, Trunkenheit, narkotische Gifte, gewisse Krankheitszustände, welche auf Unterdrückung der Irritabilität u. Sensibilität in so hohem Grade wirken, daß ein Zustand des anscheinend völligen Verloschenseins derselben eintritt, während der übrige Körper in seiner Integrität wesentlich nicht gestört ist, wie organisches Herzleiden, Hysterie, Hypochondrie, Convulsionen, Starrsucht, Cholera etc.; auch jugendliches Alter, weibliches Geschlecht u. Nervenschwäche, sowie Erschöpfung überhaupt prädisponiren vorzüglich zum S. Eine besondere Art des S-s ist der S. der neugebornen Kinder; er hat seinen Grund theils in der Umänderung des das Kind umgebenden Mediums, theils aber in einer zu lange dauernden Geburt, Druck auf Kopf od. Nabelschnur, in Krankheitszuständen der Mutter etc. u. tritt entweder als Ohnmacht od. Schlagfluß auf. Zur Verhütung des Lebendigbegrabens Scheintodter sind in mehren Städten Leichenhäuser (s.d.) errichtet worden. Die verschiedenen Hülfsmittel zur Wiederbelebung u. Rettung Scheintodter sind theils äußere u. innere Arzneimittel, theils zur Wiederbelebung[122] erforderliche Instrumente. Von Rettungsanstalten zeichnen sich aus die Humane society in London u. die in Österreich bestehenden Einrichtungen. Die Rettungsversuche müssen so rasch als möglich, wenn es die Jahreszeit, Witterung u.a. Umstände erlauben, in freier Luft, od. geht dies nicht an, im nächsten Hause unternommen werden. Beim Transport muß der Kopf immer hoch gelegt werden. Bei Anwendung der verschiedenen Rettungsmittel beginnt man meist mit den gelinderen Erweckungsmitteln, geht allmälig zu den kräftigeren über u. vermindert, wenn sich das Leben wieder zu äußern anfängt, diese in dem nämlichen Maße. Man läßt von Zeit zu Zeit dem Verunglückten einige Ruhe, damit er sich erholen kann, u. beobachtet ihn genau, ob sich leichte Spuren des zurückkehrenden Lebens, ein leichtes Zittern der Augenlider od. Unterlippe, ein merkliches Heben der Brust, eine zuckende Bewegung der Finger zeigen, welche dann zu erneuter, sorgfältiger u. thätiger Verfahrungsweise Veranlassung werden. Hat man ohne Erfolg alle Mittel durchgemacht, so fängt man mit ihnen wieder von vorne an; denn man hat Beispiele, daß die Wiederbelebungsversuche erst nach 12–24 Stunden den erwünschten Erfolg hatten. Selbst wenn man endlich glaubt, alle Hoffnung aufgeben zu müssen, läßt man den Körper genau beobachten u. die nöthige, der Todesart angemessene Sorge für ihn tragen. Bei den Rettungsversuchen darf das Zimmer nicht verschlossen, muß durch einen Ofen mäßig erwärmt, trocken u. geräumig sein u. für das öftere Eindringen einer reinen kühlen Luft gesorgt werden. Die Rettungsmittel u. Geräthschaften hierzu haben einen vierfachen Zweck: a) die Mittheilung des gehörigen Wärmegrades bewirkt man durch allgemeine, warme, nasse od. trockene Bäder; b) die Einführung von Luft (wie bei Ertrunkenen) geschieht durch einen gesunden Menschen, od. mittelst eines Blasebalgs, od. eines eigenen Apparates; man bringt die Luft durch die Nase od. durch den Mund, od. auch durch eine Öffnung, welche man künstlich in die Luftröhre od. den Kehlkopf (Laryngotomie) macht, ein. c) Zu der Reizung der inneren Theile od. Oberfläche des Körpers dienen reizende Klystiere, Besprengen des Körpers mit kaltem Wasser, od. mit Essig u. Wasser, Reiben u. Bürsten des Körpers, Legen von scharfen Senf- u. Blasenpflastern, Erregen verschiedener schmerzhafter Gefühle (Glüheisen), Reizung einzelner Sinnesorgane (durch starke Gerüche, scharfe Substanzen auf die Zunge, Helles Licht, starke Töne), Reizung des Schlundkopfes u. Magens (durch Kitzeln des Gaumens od. Einflößen reizender Arzneien). Reizmittel, welche den Körper allgemein durchdringen, wie Elektricität, Galvanismus, Animalischer Magnetismus, können nur selten Anwendung finden, d) Herbeiführung heilsamer od. Unterdrückung bedenklicher, selbst lebensgefährlicher Ausleerungen; erstere sind Blutentziehungen, auch Brech- u. Abführungsmittel,; in Bezug auf die Unterdrückung bedenklicher Ausleerungen bes. Stillung der Blutung. Die Zeichen des wiederkehrenden Lebens sind: die ungezwungene Lage des Kopfes, ein Überrest von angenehmer Wärme vorzüglich in der Gegend des Herzens, gutes Aussehen der Augen, noch nicht völlig erweiterter Augenstern, od. einige Empfindlichkeit desselben, eine in der Hornhaut gedrückte Grube füllt sich wieder aus; einige Röthe der Wangen u. der Lippen; leiser Herz- od. Pulsschlag, wenigstens an den Schlaf- u. Halsarterien; geringe Spuren des Athmens (ein Spiegel läuft an, ein vor den Mund gehaltenes Licht, ein auf die Herzgrube gesetztes Glas voll Wasser bewegt sich), kleine Bewegungen einzelner Muskeln, zumal nach süßeren Reizmitteln (bei Asphyxia hysterica kommt die Gebärmutter in Bewegung, wenn man den Muttermund reizt); ein über den Ellnbogen gebundener Arm wird unterhalb des Bandes röther, das glühende Eisen gibt einen Brandschorf mit entzündetem Umkreis, Blasenpflaster ziehen, Aderlässe geben ein nicht coagulirtes gutes Blut. Vgl. Bernt, Vorlesungen über Rettungsmittel beim S., Wien 1819. 2. A. ebd. 1830; Taberger, Der S. in seinen Beziehungen auf das Erwachen im Grabe, Hannover 1829; Marc, Über die Hülfe beim S., Par. 1835 (deutsch Weimar 1836); Nasse, Die Unterscheidung des S. vom wirklichen Tode, Bonn 1841; Troxler, Über das Wesen des S-s, Berl. 1849; Bouchut, Die Todeszeichen u. die Mittel, vorzeitige Beerdigungen zu verhüten, Par. 1849 (deutsch von Dornblüth, Erlangen 1851). 2) Krankheit der Zierpflanzen, besteht in dem Ausbleiben des Triebes bei den Holzpflanzen, Zwiebeln u. Knollen. Unpassender Boden u. ungünstige Witterung, bes. Dürre, od. zu tiefes Liegen der Knollen u. Zwiebeln sind die Ursachen.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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