- Minnesänger
Minnesänger (richtiger Minnesinger), nennt man nach dem überwiegenden Inhalt ihrer Lieder die deutschen Lyriker des 12. u. 13. Jahrh. Die mittelhochdeutsche Lyrik (Minnepoesie) hat ihren Ursprung in der ersten Hälfte des 12. Jahrh. in den. Ländern alemannischer, schwäbischer, baierischer u. österreichischer Zunge u. wuchs aus einer doppelten Wurzel, einer weltlichen u. einer geistlichen, hervor. Bald jedoch begann ein drittes Element, ein ausländisches, französisches, zunächst vom Niederrhein u. den Maasgegenden her einen bestimmenden Einfluß zu üben, unter welchem sich die volksthümliche Liederdichtung zu einer Kunstpoesie gestaltete, welche jedoch sowohl im Inhalte, als in der Form sich frei u. glücklich fortbildend, weit über ihr französisches Vorbild hinausging. Als unmittelbare Wirkungen des französischen Einflusses treten mit Bestimmtheit hervor der strengere Bau des Verses, neben dem Alexandriner der zehn- od. elssylbige Vers, reichere Gliederung der Strophe, entschiedenes Übergewicht erotischer Stoffe u. rein lyrische Weise der Auffassung bei vollständigem Aufgeben des epischen Elementes. Schon vor Ablauf des 12. Jahrh. hatte sich die lyrische Kunst entwickelt, zur höchsten leider nur kurzen Blüthe aber gedieh sie im 13. Jahrh. Die Form erreichte die größte Mannigfaltigkeit u. Vollendung, während der Inhalt durch das deutsche Gemüth erweitert u. vertieft wurde, indem nicht allein der Frauendienst, sondern auch sittliche, religiöse u. politische Verhältnisse (Gottes- u. Herrendienst) gerade von den bedeutendsten Dichtern in das Bereich der Poesie gezogen wurden. Als die drei lyrischen Hauptformen lassen sich das Lied, der Leich u. der Spruch (s.d. a.) betrachten; eigenthümliche Gattungen des Liedes sind die Tagweise od. das Taglied, welches das herbe Scheiden zweier Geliebten bei Tagesanbruch schildert, u. das Wächterlied, welches Scenen zum Gegenstand hat, wie sie zwischen Liebenden u. denen vorfallen, welche ihre heimlichen Zusammenkünfte bewachen u. vor der Überraschung warnen. Die hohe Ausbildung der Technik setzte ein Erlernen, wie eine kunstgerechte Unterweisung voraus, doch war eben die Belehrung in der Dichtkunst nur kunst-, nicht schulmäßig; die Söhne der Dynasten u. Ritter, u. auch wohl Bürgerskinder lernten neben anderen Gegenständen der höfischen Bildung auch die Kunst des Gesanges, der Musik u. des Dichtens von ihren Erziehern, welche meist Geistliche od. Spielleute waren. Seine Lieder u. Leiche sang der Dichter gewöhnlich selbst, begleitet durch Saitenspiel, häufiger noch durch die Geige (Fiedel); von ihnen lernten sie die fahrenden Spielleute, welche sie, aus ihrer Kunst ein Gewerbe machend, von Burg zu Burg trugen u. auf die Nachwelt verpflanzten. Schriftliche Aufzeichnung wurde erst später gewöhnlich, als die Kunst verfiel, die Gelehrsamkeit in ihr überhand nahm u. die Lyrik in die Hände der Meistersänger (s.d.) überging. Über die wichtigsten Liederhandschriften s. Liederbücher.
Die ältesten, etwa von der Mitte des 12. Jahrh. anhebenden Liebeslieder, welche noch im Volkston gehalten sind, rühren entweder von unbekannten Verfassern her od. werden dem von Kürnberg zugeschrieben. Letztere reichen aber wohl nicht über das Jahr 1170 zurück, um welche Zeit od. ein wenig später auch die Lieder des Burggrafen von Regensburg u. des Meinlo von Seslingeuzu setzen sein dürften; Dietmar von Eist bildet den Übergang zu den Dichtern, welche die eigentliche Kunstform in die deutsche Lyrik eingeführt haben; Friedrich von Haufen u. Heinrich von Veldecke, deren Lieder noch vor 1190 abgefaßt sind. Die Zahl der Lyriker der Folgezeit muß sehr groß gewesen sein, da über 150 Namen auf uns gekommen sind. Am fruchtbarsten blühete die höfische Dichtung an den Höfen der österreichischen Herzöge in Wien u. der thüringischen Landgrafen in Eisenach, endlich noch, als sie sich bereits dem Untergange zuneigte, an den Höfen in Dänemark, Pommern, Brandenburg, Böhmen u. Schlesien. Der größte Meister u. Vollender der mittelalterlichen deutschen Lyrik war Walther von der Vogelweide (s.d.), welcher in den ersten drei Jahrzehnten des 13. Jahrh. dichtete; sonst sind die berühmtesten Namen der Blüthezeit Reinmar von Hagenau od. der Alte (noch vor 1210 gestorben), der noch in den Fußtapfen Heinrichs von Veldecke wandelte, denselben aber schon durch Feinheit u. Empfindung, Richtigkeit des Ausdrucks u. Fruchtbarkeit übertraf; ferner Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach u. Gottfried von Strasburg, die drei größten Meister der höfischen Epik, welche aber auch als Lyriker glänzten; weiter bis zur Mitte des Jahrh. Graf Otto von Botenlauben, ein Henneberger; Ulrich von Singenberg, Truchseß in St. Gallen; Christian von Hamle, die Schwaben Gottfried von Neifen u. Burkart von Hohenfels, die Baiern Hildebold von Schwanegau u. Reinmann von Brennenberg, die Schweizer Rudolf von Rothenburg, Heinrich von Hohenfak u. Schenk Ulrich von Winterstetten, der Tyroler Walther von Metz u. der Steyermärker Ulrich von Lichtenstein; außerdem noch Heinrich von Rucke u. Heinrich von Morungen, welche beide noch dem Anfang des 13. Jahrh. angehören. Den Eintritt einer neuen Richtung bezeichnet Reinmar von Zweter (1230–60), welcher sich vom eigentlichen Minnesang abwandte u. in nüchterner Weise doch ernst u. besonnen neben persönlichen Beziehungen die Verhältnisse seiner Zeit in einigen hundert Sprüchen behandelte u. die Reihe der Spruchdichter beginnt, welche dichterisches Vermögen u. Innigkeit des Gemüthes, sowie den Mangel der Phantasie durch Gelehrsamkeit u. absichtliche Dunkelheit zu ersetzen suchten; selbst der bedeutendste derselben, Konrad von Würzburg, vermochte den entflohenen Geist der lyrischen Dichtung nicht mehr zurückzurufen. Doch war neben der rein höfischen Lyrik noch eine andere Art erwachsen, welche zwar auch an den Höfen geübt u. begünstigt wurde, daher ihre Stoffe, wie theilweise auch ihre[301] Formen, dem Volksleben entnahm, aber bald auf Abwege gerieth, die zu wirklicher Roheit u. grober Sinnlichkeit führten. Wenn nicht gerade als Erfinder, doch als Hauptvertreter dieser volksmäßigen Lyrik ist Neidhart, ein Ritter am Hofe zu Wien (1217–34), zu nennen; noch bis gegen Ende des 13. Jahrh. wurde sie durch den Thurgauer Steinmar u. den Zürcher Meister Johann Hadlaub gepflegt, deren Lieder jedoch schon sehr niedrig stehen. Hadlaub zählte mit Konrad Schenk von Landeck, Herzog Heinrich von Breslau u. Markgraf Otto von Brandenburg, welche zum Theil schon in den Anfang des 14. Jahrh. herrüberreichen, zu den namhaftesten Vertretern des Minnesanges in der Periode seines Verfalles. Später, als die Lyrik sich von den Höfen u. Burgen in die Meisterschulen der Städte geflüchtet hatte, versuchten sich nur wenige der Dichter vom Herrenstande in einem Kunstliede, während das herrlich erblühende geistliche Lied sich gern an den weltlichen Volksgesang anlehnte. Vgl. Wackernagel, Altfranzösische Lieder u. Leiche, Basel 1846; v. d. Hagen, Minnesänger (eine Sammlung aller erhaltenen Gedichte mit Lebensbeschreibungen der Dichter), Lpz. 1838, 4 Bde.; Haupts Minnesangs Frühling, Berl. 1857; Tieck, Minnelieder aus dem schwäbischen Zeitalter, Berl. 1803 (ins Neuhochdeutsche übersetzt).
Pierer's Lexicon. 1857–1865.