Stephănus [2]

Stephănus [2]

Stephănus, eigentlich Estienne (Etienne), eine berühmte Buchdruckerfamilie zu Paris u. Genf im 16. u. 17. Jahrh.; der erste war 1) Heinrich, von unbekannter Abkunft, welcher 1503–20 druckte u. mit den berühmtesten u. freisinnigsten Männern der Hauptstadt befreundet war; einer seiner Correctoren war Beatus Rhenanus u. neben Anderen ließ Faber den Aristoteles, das Psalterium quincuplex u. den Commentar zu den Paulinischen Briefen bei ihm drucken. Nach seinem Tode heirathete seine Wittwe den Schriftstecher u. Buchdrucker Simon de Colines (Colinäus), welcher das Geschäft bis zur Großjährigkeit seiner Stiefsöhne Franz, Robert u. Karl fortführte. 2) Franz, der älteste Sohn des Vorigen, druckte 1537–48 mehre Bücher, bes. in der Officin seines Stiefvaters. 3) Karl, der jüngste Bruder des Vor., studirte Medicin u. schrieb mehre ökonomisch-praktische Schriften, welche sein Bruder Franz druckte; 1551 übernahm er die bis dahin von Robert (s. 4) besessene väterliche Druckerei als Typographus regius u. druckte bis 1561 mehres, u.a. auch einige hebräische Texte für I. Mercier; er soll die drei letzten Jahre im Gefängniß gesessen haben, wozu die Veranlassung unbekannt ist. 4) Robert, der ältere Bruder des Vor., der Begründer des Rufes des Stephanschen Hauses, geb. 1503, studirte die alten Sprachen u. gab bereits 1523 das Neue Testament griechisch heraus, welches bes. wegen seines bequemen Formates sehr gefiel. 1526 übernahm er die väterliche Officin u. wendete sich der Reformation zu, erfuhr aber sehr bald die Verfolgungen des Clerus u. der Sorbonne, welche seinen Bestrebungen die Wissenschaften zu fördern allerlei Hindernisse in den Weg legten u. ihn persönlich verdächtigten. Zwar genoß er die Freundschaft des Königs Franz I., welcher ihm auch 1539 den Titel Typographus regius für das Hebräische u. Lateinische ertheilte, aber Schutz konnte derselbe ihm nicht immer gegen die in den kirchlichen Dingen allmächtige Sorbonne leisten; daher verließ Robert nach des Königs Tode Paris u. siedelte gegen Ende 1550 nach Genf über, wo er die reformirte Confession annahm, das Bürgerrecht erhielt, in regem Verkehr mit den Reformatoren stand, vorzüglich im Interesse der Reformation typographisch wirkte u. 7. Sept. 1559 starb. Sein Druckerzeichen war ein von einer Schlange umwundener Ölzweig u. dann die Oliva Stephanorum, ein gepfropfter Ölbaum, dessen wilde Zweige zur Erde fallen u. unter welchem ein Mann steht. Er selbst verfaßte den Thesaurus linguae latinae, welcher zuerst 1534 erschien u.ö. gedruckt u. zuletzt von Geßner bearbeitet wurde. Von seinen Drucken sind bes. berühmt, außer mehren grammatischen Werken u. Schulbüchern, die Lateinische Bibel von 1532, der Dio Cassius, Dionysius Halikarn., Appianus, Eusebius, die Kirchenhistoriker, Justinus, Cicero, Cäsar, Sallustius, Terentius, Plautus etc., die Hebräische Bibel, vier Ausgaben des N. T., die letzte in Genf mit der Vulgata u. der Erasmischen Übersetzung, worin zuerst die Versabtheilungen sind, welche er auf der Reise nach Genf gemacht haben soll, in Genf auch die Französische Bibel, die Lateinische glossirte Bibel, viele Schriften Calvins. Es wurde ihm von seinen Feinden in Paris vorgeworfen, daß er die der französischen Regierung gehörigen griechischen Stempel entwendet u. mit nach Genf genommen habe; die Wahrheit davon ist, daß er die vom König Franz I. bestellten, aber nicht bezahlten, sondern auf die Kosten Roberts S. gefertigten Matrizen als sein Eigenthum mit nach Genf nahm, welche dann unter Ludwig XIII. aus dem Nachlaß seines Sohnes gekauft nach Paris zurückkamen. Von Roberts Söhnen sind bes. drei als Drucker bekannt, Heinrich, Robert u. Franz. 5) Robert, der zweite Sohn des Vor., geb. 1530, blieb katholisch u. in Paris, wo er seit 1556 auf seine Rechnung u. seit 1561 als Typographus regius druckte u. 1571 starb. Er druckte bes. politische u. weltliche Schriften, doch gibt es von ihm auch u.a. eine Ausgabe des griechischen N. T. von 1568 (1569); sein Sohn u. Enkel setzten sein Geschäft fort. 6) Franz, der jüngere Bruder des Vor., geb. um 1540, errichtete 1562 in Genf eine eigene Druckerei u. druckte lateinische u. französische Übersetzungen der Bibel u. von Calvins Werken; seit 1582 verliert sich sein Name. 7) Heinrich (Henricus S., Henri Estienne), Bruder der beiden Vor. u. ältester Sohn Roberts, der berühmteste der Familie, geb. 1528, studirte bes. das Griechische, worin er Tusenus u. Turnebus zu Lehrern hatte, u. unterstützte in früher Jugend seinen Vater bei den Ausgaben des N. T.; er bereiste dann in gelehrter Absicht Italien, wo er sich lange aufhielt, England u. Flandern, ging später mit seinem Vater nach Genf, verließ aber bald seine neue Heimath u. besuchte wieder Italien, wo er eine Zeitlang in Venedig arbeitete u. in Rom einen Theil des Diodorus Sic. entdeckte. Nach seiner Rückkehr, 1555, gründete er um 1557 ein selbständiges Geschäft in Paris u. genoß eine Pension von dem Augsburger Patricierhause Fugger (weshalb er sich Fuggerorum typographus nannte); 1559 übernahm er die Officin seines Vaters. Wegen mehrer seiner Bücher kam er mit den Genfer Behörden in Conflict, so 1566 wegen seines Traité préparatif à l'apologie pour Herodote, welcher gegen die Sittenstrenge verstieß u. ihm Ausschließung vom Abendmahl zuzog; 1578 wegen der Deux dialogues du nouveau langage français italianizé, eine Satire auf die Verderbung der Französischen Sprache u. der Sitten am Hofe in Paris, weshalb er, um der Strafe zu entgehen, 18 Monate lang sich in Paris aufhielt, aber dennoch nach der Rückkehr nach Genf 1580 excommunicirt, eingesperrt u. aus dem Großen Rathe gestoßen wurde. Seine Unternehmungen u. Reisen erforderten viel Aufwand, u. er fl. in ziemlich derangirten Verhältnissen im März 1598 auf der Rückreise von Montpellier im Hospital zu Lyon. Er gab heraus, theils zuerst, theils mit eigenen Anmerkungen u. Übersetzungen, den Anakreon (1554 in Paris), dann seit 1557 den Athenagoras, Maximus Tyrius, Diodorus Sik., Xenophon, Thucydides, Sophokles, Herodot, Diogenes[777] Laert., Plutarch, die griechischen Redner, Rhetoren, Lexikographen u. Grammatiker, Arrian, Plato, Herodian, Appian, Apollonius Rhod., Theokrit, Äschylus, Pindar u. die anderen Lyriker, die griechischen Epiker, die Ärzte, Fragmente der griechischen Historiker, einige Schriften der Kirchenväter, mehre Ausgaben des N. T., von Lateinern die Historiker, den A. Gellius, Macrobius, Varro u.a., eine französische Bibel, eine Concordanz zum N. T. Außerdem schrieb er auch mehres, vor allen den berühmten Thesaurus linguae graecae, 1572, 5 Bde., Fol. (s.u. Griechische Sprache), welcher indeß wegen des hohen Preises u. weil Scapula daraus sogleich nach dem Erscheinen einen Auszug machte, nicht viel Absatz fand. 8) Paul, Sohn des Vor., geb. 1567, studirte die Wissenschaften u. machte viel Reisen; er übernahm das väterliche Geschäft u. druckte mehre Klassiker, bes. Dichter u. Redner, mußte aber, beschuldigt an der Überrumpelung Genfs durch die Savoyer 1605 betheiligt gewesen zu sein, aus Genf flüchten; zwar wurde die Druckerei unter seinem Namen fortgesetzt, aber 1626 an die Gebrüder Chouet verkauft. Von Pauls ferneren Schicksalen u. Ende ist nichts bekannt. 9) Joseph, Sohn des Vor., gründete eine Druckerei in Rochelle u. st. 1629. 10) Anton, wurde 1613 wieder Typographus regius in Paris u. st. 1674; er druckte bes. für die Oratorianer, so den Chrysostomus, die Septuaginta etc. u. war der letzte berühmte Drucker aus dem Hause S. Vgl. Almeloveen, Dissertatio epistolica de Stephanis, 1683; M. Maittaire, Vitae Stephanorum, 1730; Renouard, Annales de l'imprimerie des Estiennes, Par. 1837, 2 Bde., 2. A. 1843; Crapelet, Robert Estienne et le roi François I., 1839.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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