- Nubien
Nubien (arab. Barabra), Land in Afrika, benannt nach den Nuba (s.d.), erstreckt sich mit einem Flächengehalt von vielleicht 20,000 QM. zwischen dem 241/2 u. 12° nördl. Br., ist begrenzt im Norden von. Ägypten, im Osten vom Rothen Meere, im Süden von Habesch u. den Ländern der Galla, u. im Westen von der Sahara, gegen Süden u. Westen aber mit unbestimmten Grenzen. Das [150] Land bildet im Allgemeinen das große Stufenland des mittleren Nil, mit sehr verschieden gestalteter Oberfläche, deren Neigung vorzugsweise nach Norden, zum Theil aber auch nach Westen gerichtet ist. Große Ebenen erfüllen den mittleren u. südlichen Theil des Landes, während im Osten sich parallel der Küste des Rothen Meeres eine Gebirgskette, eine Fortsetzung der ostägyptischen, zu bedeutender Höhe erhebt u. bis nach Habesch fortsetzt; ebenso ist das nördlichste N., namentlich auf der Ostseite des Nil, ein Gebirgsland, welches der Nil auf seinem Laufe von Korosko bis Assuan durchbricht u. das südwärts die Nubische Wüste begrenzt. Im Süden N-s erscheinen einige Bergmassen als Ausläufer des abessinischen Hochlandes, sowie die Gebirge, welche zwischen dem Blauen Nil u. dem Tumat die Districte Roserras u. Fassokl erfüllen. Unter den Ebenen des mittleren N-s sind die bedeutendsten die Nubische Wüste (Wüste von Korosko) auf der Ostseite des Nil u. die Bahudiawüste auf der Westseite, die erstere bildet jedoch mehr eine wellenförmige, häufig von tiefen Spalten u. Schluchten (Wadys) durchzogene Oberfläche, aus welcher viele isolirte Kegelberge emporsteigen. Alle großen Flächen Mittelnubicus sind dürr u. vegetationslos, so daß man den ganzen Norden u. die Mitte N-s als eine einzige große Wüste ansehen kann, welche nur von einer langen, durch das schmale Nilthal repräsentirten Oase von Norden nach Süden durchzogen wird. Die große Ebene des südlichen N-s erstreckt sich ohne alle Erhebungen vom Akbara bis nach Kordofan hin, der östliche Theil dieses Gebietes, Taka, bildet baumloses, aber fruchtbares Weideland; ähnlich ist der mittlere Theil des Landes zwischen dem Blauen u. Weißen Nil (Dschesireh el Dschesireh genannt). Der Hauptfluß N-s ist der Nil, dessen beide Hauptquellströme, der Blaue u. der Weiße Nil, sich hier bei Chartum vereinigen; rechts geht demselben nach der Vereinigung der Akbara zu; dem Blauen Nil gehen in N. außer einer großen Anzahl von den Bergen Abessiniens herabkommender Bäche u. Flüßchen der Tumat, Dender u. Rahad zu. Was das Klima anlangt, so ist N., obgleich es nicht ganz der tropischen Zone angehört, dennoch eins der heißesten Länder der Erde, u. namentlich in den meisten mittleren Theilen erreicht die Tageshitze eine außerordentliche Höhe. Dabei sind die Nächte, in Folge der bedeutenden Wärmestrahlung, auf den großen Ebenen der Wüste meist auffallend kühl. Der südliche Theil N-s, etwa vom 18° nördl. Br. südwärts, gehört der Region der tropischen Regen an, wogegen der nördliche Theil das ganze Jahr hindurch höchst einförmige atmosphärische Verhältnisse besitzt, indem er als der südliche Theil der regenlosen Zone Nordafrikas oft durch mehre Jahro, mit Ausnahme des Nilthales, ganz ohne Regen ist, hauptsächlich in Folge der beständig wehenden Nordwinde, welche die tropischen Regen Südnubiens in bestimmte Grenzen weisen. Während der tropischen Regen im Süden treten sehr häufig die stärksten Gewitter auf. Mit den atmosphärischen Verhältnissen stehen die gesundheitlichen in engstem Zusammenhang. Die Bevölkerung der Wüsten u. Felsthäler, sowie der unmittelbaren Umgebung des Nils in Unternubien, erfreut sich eines sehr gesunden Klimas, erreicht ein hohes Alter u. leidet nur zuweilen, als Folge nächtlicher Erkältungen, an intermittirenden Fiebern u. Dysenterie. Im Gebiet der tropischen Regen aber sind Wechsel- u. typhöse Fieber häufig u. treten oft ansteckend auf. Producte: Die Vegetation N-s ist in den südlichen, reichbewässerten Theilen des Landes sehr reich, in den nördlichen, trockenen Ebenen sehr einförmig; am häufigsten erscheinen Leguminosen, Tamarinden, Sennapflanzen, Tamarisken, Cucurbitaceen, vorzüglich Coloquinten in den wüsten Ebenen, Apocyneen, namentlich die Härgetpflanze (Cynanchum argal) u. Asclepias gigantea, dann einige Feigenarten, Adansonia, Eben- u. Eisenholzbäume, Ricinus, Gramineen, Affenbrodbaum, Papierbaum, welcher das Myrrhengummiharz liefert, Bananenpisang, Dattel-, Doub- u. Delebpalmen; cultivirt werden bes. Durrah, Baumwolle u. Indigo. Aus der Thierwelt kommen Elephanten in großen Heerden vor, Rhinoceros, äthiopische Schweine, Flußpferde, Affen, Löwen, Leoparden, Hyänen, wilde u. Zibethkatzen, Pferde u. wilde Esel, Antilopen, Giraffen, Büffel, Ziegen u. Dromedare, Krokodile u. vielerlei Fische in den Flüssen; von nützlichen Mineralien bes. Eisenerz, Gold, Silber, Kupfer, Koch- u. Steinsalz, Alaun, Salpeter, weißen Marmor u.a.
Die Einwohner, deren Zahl man auf 3 Mill. schätzt, sind theils Nuba (s.d.), welche man als die Urbewohner ansieht; theils eingewanderte Volksstämme, wie die Bischarins (200,000 Köpfe), welche im östlichen N. zwischen 23° bis 15° nördl. Br. wohnen, ferner die Ababdehs, ebenfalls im östlichen N.; beide sind Nomaden u. ziehen viele Dromedare. Im südöstlichen N. gehört die Bevölkerung dem abessinischen Stamme an. Einen namhaften Theil der Bevölkerung bilden sodann Stämme arabischer Abkunft, die Begl Kurb vom Akbara bis zur Koroskowüste, die Schukuria, Hallenga, Haddenda, die Beni Amer, Kubbabisch, die Hassaniah, Bakara u.a. welche als Besitzer großer Viehherden die Ebenen vom Rothen Meere bis nach Kordofan nomadisirend durchziehen. Nur wenige Abtheilungen haben seßhafte feste Wohnungen, wie die arabische Bevölkerung des Nilthales non Wadi Sebua bis Korosko, in neuerer Zeit auch der kriegerische Stamm der Scheiggia zwischen der Grenze Dongolas u. der Insel Mograt, dann die Robatat am Nordostrande der Bahudiawüste. Weit weniger verbreitet sind eingewanderte echte Neger, die in Roserres u. Fassokl sich mit der dort jetzt einheimischen Bevölkerung vermischt haben, in anderen Strichen aber auch unvermischt auftreten. Dazu kommen noch mehre Völkerschaften, wie die Funj, deren Ursprung zweifelhaft ist, u. die sich theilweise den Nuba nähern.
Einst bestand N. aus einer Menge kleinerer u. größerer unabhängiger Staaten, wie Dongala, Scherdy, Sennaar, Kordofan u.a., ist aber durch seine Unterwerfung durch ägyptische Truppen von 1813 bis 1820 zu einem Theil des Türkisch-ägyptischen Reiches geworden, dessen Verwaltung seit 1840 immer dem jeweiligen Vicekönig von Ägypten übergeben ist, welcher hier seine Truppen unterhält u. durch seine Offiziere regieren, die Abgaben erheben u. die Justiz verwalten läßt. In der türkischen Geschäftssprache heißt N. daher Paschalik Sennaar, in der ägyptischen Beled-es-Sudan. Der Vicekönig bestellt den Generalgouverneur, welcher in Chartum residirt, das ganze Verwaltungswesen ist dem ägyptischen nachgebildet, doch haben manche Districte, so das Gebiet der Barabra u. die Districte Roserres u. Fassokl, sich noch eine Selbstverwaltung erhalten,[151] u. die arabischen Stämme haben sich zum Theil, so namentlich die Kubbabisch u. die Bergvölker des südöstlichsten N-s, fast ganz unabhängig erhalten u. zahlen nur bei Anwendung von Waffengewalt Tribut. Im Nilthale ist dagegen der ganze tragfähige Boden vermessen u. die Regierung überweist den Familien ein bestimmtes Flächenmaß zur gezwungenen Cultur, wofür dieselben eine Abgabe, theils in Geld, theils in Naturproducten zahlen. Außerdem müssen für jedes der bes. in Unter-Nubien zahlreichen Wasserräder am Nil bestimmte Abgaben an Butter, Baumwolle, Hühnern, Kohlen, Schafen, ledernen Schläuchen etc. gezahlt werden; auch die Dattelpalmen sind besteuert, u. zwar trägt ein Wasserrad od. je 200 Dattelpalmen der Regierung etwa 30 Thaler jährlich ein. Roserres u. Fassokl bezahlen ihren Tribut nur in Landesproducten, unter andern Roserres 1500 Unzen Gold. Herrschende Religion ist der Islam, mit Ausnahme der Berglandschaften im Südosten, an der abessinischen Grenze, wo es Heiden u. Christen abessinischer Abkunft gibt; in Fassokl u. Roserres ist auch ein Theil der Negerbevölkerung heidnisch. Der Ackerbau beschränkt sich in den unteren Theilen N-s, wohin die tropischen Regen nicht reichen, auf das Nilthal u. wird hier durch künstliche Bewässerung befördert; ausgedehnter ist der Anbau des Bodens in den südlichen Theilen N-s, wo der fruchtbare Boden, von tropischen Regen durchweicht u. oft überschwemmt, die Ernten sehr ergiebig macht. Überall ist die Erdbestellung in den Händen der Weiber. Die Producte des Ackerbaues s. oben, Viehzucht treiben besonders die Wanderstämme; erzielt werden Dromedare (s. oben), Pferde u. in Sennaar großes, höckeriges Rindvieh. Die Gewerbthätigkeit ist unbedeutend u. beschränkt sich fast auf die Erzeugung grober Baumwollenzeuge durch die Weiber; in Kordofan fertigt man zierliche wasserdichte Schüsseln aus gefärbten Halmen der Doubpalme, in Derr viele Matten u. Körbe aus Dattelpalmfasern, in Roserres u. im Haddendalande feines Leder u. Sandalen, in Sennaar viel Eisenwaaren. Salz wird im Inneren durch Auslaugen der Alluvionen u. an der Meeresküste gewonnen; in jüngster Zeit sind auch einige Indigofabriken angelegt worden. Der Handel, ehemals als Transithandel sehr bedeutend, hat durch die Beschränkungen, welche die ägyptische Regierung auflegte, sehr gelitten; die Haupthandelsplätze waren ehemals Roserres, Dongala, Schendy u. Sennaar, jetzt ist Chartum am bedeutendsten. Ausgeführt werden außer den angeführten Producten bes. Salz, Elfenbein, Straußenfedern, Häute, Gummi, Weihrauch u. Sklaven; eingeführt bes. Schwefel, Leder, Kaffee, Baumwollenzeuge, Seife, Zucker, Spiegel, Papier, Eisenwaaren u.a.m. Die politische Eintheilung des Landes, wie sie von der ägyptischen Regierung getroffen worden ist, in Müdirate u. Kaschesilks, ist nicht genügend bekannt. – Über die ältere Geschichte s. Meroe; später fiel das Volk der Nuba (s. oben) hier ein, eroberte das Land u. gab demselben den Namen. Im Norden setzten sich die ägyptischen Sultane schon seit dem 13. Jahrh. fest; von Süden her drangen zu Anfang des 16. Jahrh. die Schilluks in N. ein, nahmen den südlichen Theil des Landes in Besitz u. gründeten das Reich Sennaar. Die im Jahr. 1812 nach N. geflüchteten Mamlukken führten den Pascha von Ägypten ins Land, dessen Eroberung von 1813 an unternommen u. bis 1820 bis zu den südlichsten Grenzen vollendet war.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.