- Mexicanische Religion
Mexicanische Religion (eigentlich Aztekische Religion). Als die verschiedenen Völker aztekischen Stammes seit dem 7. Jahrh. von Norden her in das Anahuac einwanderten, fanden sie daselbst eine der allseitig höhern Cultur entsprechend ausgebildete Religion vor, welche in Naturverehrung mit Sonnendienst im Mittelpunkt, daneben in Gestirndienst u. Verehrung von Thieren als Symbolen großer[205] Naturwirkungen u. Verehrung dieser Naturwirkungen in den Elementen bestand. Die Einwanderer eigneten sich diese Religion an, brachten aus ihrer Heimath ein neues Element hinzu u. bildeten das Ganze eigenthümlich weiter aus zu einer Culturreligion, welche ohne Zweifel unter allen Religionen der Urbewohner Amerikas am höchsten steht. Jene nordischen Elemente, welche durch die Tolteken u. ihre stammverwandten Nachfolger in die neue Heimath gebracht wurden, zeigen sich in den Schutzgeistern, den Talismanen u. Amuletten, welche auf den Geisterglauben u. Fetischdienst der nordamerikanischen Indianerzurückleiten. Der Name für Gott im Allgemeinen war Teotl, ursprünglich der Sonnengott der Ureinwohner Mexicos, der jedoch auch bei den Azteken Verehrung fand u. in Tezcuco als höchstes, unsichtbares, unter keiner Gestalt vorstellbares Wesen verehrt wurde. Während aber sein Dienst nie recht populär wurde, war die Verehrung der gewöhnlichen alten Sonnen- u. Mondgötter auch bei den Azteken unter dem Namen Tonatiuh u. Mezli in hohem Ansehen. Die Zahl der aztekischen Hauptgötter wird auf 13 angegeben. Die hervorragendsten Gestalten der M. R. sind Quetzalcoatl, der Nationalgott der Tolteken, welcher aber auch von den Azteken namentlich als Gott der Luft hohe Verehrung genoß; Huitzilopochtli u. Tezkatlipoka, Letzter galt für die Seele der Welt, Schöpfer Himmels u. der Erde, Vergelter des Guten u. Bösen, sein Bild von schwarzem Stein (Teotetl), geschmückt mit goldnen Ohr- u. Armringen u. Kopfband, in der Unterlippe eine krystallne Röhre mit grüner Feder, am Nabel einen Smaragd, in der Linken einen Spiegel, um die Weltereignisse zu sehen, in der Rechten vier Pfeile. Der große Kriegs- u. Schutzgott der Mexicaner war Huitzilopochtli (daraus verstümmelt Vitzliputzli) u. seine Gemahlin Teoyaniqui; unter diesem standen sein Bruder Tlakahuepankuexkotzin u. Painalton, ebenfalls Kriegsgötter. Ihm wurden die meisten Feste gefeiert u. die meisten Menschenopfer gebracht, vor jedem Kriege unter Opfern seine Hülfe angerufen. Andere Götter sind: der ebenfalls von den Urbewohnern übernommene Gott des Wassers Tlalok u. dessen Gefährtin Chalchiukueje; Tlalok galt für den Beschützer aller irdischen Götter u. wohnte auf den höchsten Bergen, wo er zahlreiche dienende Berg- u. Wassergötter hatte; dargestellt sitzend auf einem viereckigen Stein, blau u. grün bemalt, in der Hand ein spitziges Scepter; Xiuhteuctli (Ixcozauhqui), Gott des Feuers, bewirkte auch das Reisen der Früchte; ihm opferte man bei Tische den ersten Bissen u. Trunk, indem man Beides ins Feuer warf; an einem seiner Feste wurden die Vasallen belehnt; Centeotl, Göttin der Erde. Außerdem: Miktlanteucli mit seiner Gattin Miktlancihuatl, Götter der Unterwelt; Ometeuktli gewährte den Männern ihre Wünsche, die Göttin Omecihuatl erfüllte die der Weiber; den Tlazolteotl rief an, wer Vergebung seiner Sünden haben wollte; Quilatzli (od. Cihuacohuatl, das Schlangenweib) war die Schutzgöttin der Kinder, abgebildet mit einem Kinde auf dem Rücken, u. Joalticitl, die Wiegengöttin; Joalteuctli der Gott der Nacht, Omakatl Gott der Freuden. Außerdem gab es für fast alle Gewerbe, Künste, Naturproducte etc. Gottheiten, so Jakateuctli Gott des Handels u. der Kaufleute, Opochtli od. Animitli der Fischerei, Ixtilton der Arzneikunst, Texkatzonkatl (Cenzontotochtin) Gott des Weins; Koatlikue Göttin der Blumen; Mixkoalt Göttin der Jagd; Kikequezal Erfinderin der Musik; als die Mutter der Götter u. die Schutzgöttin der Wehmütter verehrte man Teteoinan, auch Tocitzin. Ein den Menschen feindlicher Gott war Tlakatekololotl. Die bösen Geister (Tzitzimimes) wurden in abscheulicher Gestalt abgebildet. Die Hausgötter (Tepitoton) wurden durch kleine Figuren vorgestellt; Könige u. Prinzen u. der hohe Adel hatten deren sechs, der niedere Adel vier, die Andern jeder zwei in seinem Hause; auch auf den Straßen wurden sie aufgestellt.
Die erwähnten Sonnen- u. Mondgötter Tonatiuh u. Mezli galten bei den Azteken auch für vergötterte Heroen, deren Geschichte u. Apotheose in die Sage von den vier Weltaltern verflochten ist. Diese Sage, welche zugleich die Kosmogonie der Mexicaner in sich begreift, ist folgende: das erste Weltalter (Atonatiuh), das Alter des Wassers, endigte durch eine allgemeine Wasserfluth, in ihr kamen, wie zu Ende eines jeden Alters, Menschen, Sonne, Mond u. Alles um; von den Menschen retteten sich Tlocipochtli (Koxkox) u. Xochiquetzal (Kikequetzel) auf einem Nachen auf den Berg Kolhuakan u. wurden die Erneurer des Menschengeschlechts im zweiten Weltalter (Tlaltonatiuh); dies Alter war das der Erde, denn es machte derselben durch ein fürchterliches Erdbeben ein Ende, seine Dauer war 5206 Jahre. Das dritte (Ehecatonatiuh), das Weltalter der Luft, endigte alle Dinge durch einen ungeheuren Sturm, u. da nach Beginn des vierten (Tletonatiuh), des Alters des Feuers, keine Sonne u. kein Mond erschien, so versammelten sich die 1600 von Citlalacue dem Ometeuktli gebornen Heroen in Teotihuakan, u. durch freiwillige Selbstaufopferung wurde Manahuatzin die neue Sonne u. Tezkociztekal der neue Mond. Dies ist das jetzige Weltalter; es wird nach der Dauer von 5206 Jahren durch Feuer endigen. In Beziehung auf die Fortdauer der Seele nach dem Tode, nahmen die Mexicaner eine dreifache Abtheilung an; die Seelen der Adligen u. derer, welche auf die rühmlichste Art starben, nämlich Männer im Krieg, Weiber im Kindbett, kamen, von Teoyaniqui geleitet, in das Haus der Sonne, wo sie in Ewigkeit ein freudenreiches Leben führten. In Zeiträumen von vier Jahren war ihnen gestattet, auf die Erde zurückzukehren u. da Wolken, schön gefiederte Vögel od. Löwen u. Jaguare zu beseelen. Auch die Seelen derer, welche im Wasser, od. vom Blitz gerührt starben, kamen an einen schönen Ort, die Wohnung des Wassergottes Tlalokateucli, wo sie auch allerlei Vergnügungen genossen. Die Andern mußten nach Miktlan, der finstern Wohnung des Gottes Miktlanteneti, wandern.
Die Verehrung der Götter, deren Bilder von Thon, Stein, Holz, Metallen, bisweilen von Gold waren u. wegen der seltsamen Zusammensetzung sehr häßlich aussahen, u. die man in Tempeln u. in Häusern aufgestellt hatte, bestand in Gebeten, die man knieend u. das Gesicht gegen Osten gewendet verrichtete, Gelübden, Fasten, Kasteiungen, Räucherungen, Musik, Opfern. Von den Opfern waren die Menschenopfer die wichtigsten. Nirgends wieder, soweit die Geschichte reicht, findet sich das Menschenopfer in gleicher Ausdehnung angewandt, als im Cultus der Azteken. Es stand in Verbindung mit dem Dienst der Sonne, welche Verbindung auch die Azteken beibehielten, ferner im Dienste der Centeotl[206] u. des Tlaloc. Die Gelegenheiten, bei welchem an einem Tage manchmal Tausende geopfert wurden, hatten sich in der letzten Zeit, vor der spanischen Eroberung, sehr gehäuft. Nach dem Siege über die Anwohner des Mexicanischen Golfs, wurden auf einmal 6000 Gefangene auf dem Tempel Huitzilopochtlis geschlachtet; bei der Einweihung des letztern 1486 wurden bei 80,000 auf einmal geopfert. Die Schädel der Geopferten wurden in eigenen Gebäuden (Huitzompan) neben den Tempeln aufbewahrt. Sie wurden auf den Zinnen der Tempel dargebracht. Der Oberpriester schnitt den zum Opfer Bestimmten mit einem Steinmesser (Tekpatl) die Brust auf, riß das Herz heraus, bot es dem Gotte dar u. verbrannte es zuletzt; dann schnitt er den Kopf ab, den Rumpf stürzte man von den Stufen des Tempels hinab u. aß dann Arme, Beine, Schenkel u. Brust. Vornehme, durch Tapferkeit ausgezeichnete Gefangene, durften erst um ihr Leben kämpfen, u. wenn sie mehre Gegner bezwungen hatten, kehrten sie in ihr Vaterland zurück. Außer Menschen wurden auch Thiere, Pflanzen, Früchte, Edelsteine etc. als Opfer dargebracht. Die Priester (Teoquixqui), deren Anzahl sehr groß war (in dem großen Tempel zu Mexico waren deren 5000), bildeten eine Hierarchie, standen in hohem Ansehn u. waren nach verschiedenen Graden geordnet, sie trugen zur Unterscheidung schwarze baumwollene Mäntel über dem Kopfe, den ungeschornen Bart flochten sie zu Zöpfen, sie lebten sehrstreng, fasteten oft u. nahmen blutige Kasteiungen mit sich vor; ihr Amt war nicht nothwendig lebenslänglich. Die beiden Oberpriester in Mexico hießen Teoteuctli (d.i. göttlicher Herr) od. Tolpitzin u. Hueiteoquixqui (d.i. großer Priester); sie waren von hoher Geburt u. reinen Sitten; sie salbten den König, u. ihre Aussprüche galten als Orakel. Nach ihnen im Rang folgte Mexicoteohuatzin, der mit zwei Gehülfen die Oberaufsicht über die Religionsgebräuche u. die übrigen Priester führte; der Tlatquimilolteuctli besorgte die Ökonomie der Tempel, der Ometochtli verfertigte die Festgesänge, der Tlapixkatzin war der Director des Musikchors. Alle Opferpriester hatten den Körper schwarz gefärbt u. eine eigne Kleidung. Der Tolpitz in trug ein rothes Oberkleid mit Baumwolle eingefaßt u. eine Krone mit grünen u. gelben Federn. Die übigen gingen weiß mit schwarzer Einfassung, das Haar mit einem ledernen Riemen zusammengebunden u. die Stirn mit kleinen Schilden von buntem Papier geziert. Es gab auch Priesterinnen, welche die strengste Keuschheit beobachten mußten. Der vornehmste der Priesterorden, deren es für beide Geschlechter gab u. die einzelnen Gottheiten gewidmet u. sehr streng waren, war der Tlamakatzkajotl, dem Gotte Quetzalkoati gewidmet. In den Klöstern desselben führten die Mitglieder (Tlamakazque) ein sehr strenges Leben; sie durchwachten die Nacht bis zwei Stunden vor Tagesanbruch u. fangen dem Gotte Loblieder. Die Mitglieder wurden als kleine Kinder aufgenommen u. ihnen unter Gebet ein Halsband umgehängt; im zweiten Jahre ein kleiner Einschnitt in die Brust gemacht; im siebenten Jahre traten sie in das Kloster. Der Orden Tepochtitzli war dem Tezkatlipoka gewidmet. Die Mitglieder lebten nicht in einem Kloster, sondern hatten in Mexico in jedem Stadtdistrict ein Haus u. einen Vorsteher, wo sie zusammenkamen u. zu Ehren des Gottes sangen u. tanzten. Aus den Klöstern, die oft nur als Bildungsanstalten dienten, konnte man auch wieder ins Leben zurückkehren. Die Tempel (Teokalli [d.i. Haus Gottes] od. Teopan [d.i. Platz Gottes]) waren die Wohnsitze der Götter, sie standen in Städten (in Mexico 2000, darunter 7–8 große, in Cholula 400, im ganzen mexicanischen Staate auf 90,000) auf Bergen, in Wäldern, an Heerstraßen. Ihre Form war gewöhnlich die einer abgestumpften Pyramide, sie hatten mehrere Stockwerke, zu denen Treppen in der Mitte führten, oben auf der Plattform stand eine thurmähnliche Kapelle, worin die kolossale Bildsäule des Gottes war. Vor der Kapelle unterhielten die Priester das heilige Feuer u. von da gaben sie in der Nacht mit einem Horn die Stunden an; in der Kapelle wurden Könige u. Vornehme bestattet. Um den Tempel ging ein ummauerter Platz, innerhalb dessen Gärten, Brunnen, Priesterwohnungen u. Zeughäuser waren (denn die Tempel dienten zugleich als Festungen). Ruinen solcher Tempelpyramiden findet man noch bei Teotihuakan, Papantla etc. Die größten u. berühmtesten waren die des Huitzilopochtli in Mexico, der des Quetzalkoatl in Cholula, der Sonnen- u. Mondtempel in Teotihuakan. Religiöse Feste wurden allen Göttern gefeiert, manchen mehrere. Die berühmtesten waren die drei dem Huitzilopochtli gefeierten: das Räucherfest, wobei alle Mitfeiernde Räucherfäßer trugen, das aus Holz u. eßbaren Pflanzen verfertigte Bild des Gottes unter Gesang u. Musik umgetragen u. ein religiöser Tanz von Jungfrauen u. Priestern aufgeführt wurde. Inmitten des Tanzes wurde ein Gefangener geopfert, der ein ganzes Jahr dazu vorbereitet wurden. Izteocale (weißer Herr des Himmels) hieß. An diesem Feste pflegten die Mexicaner ihre, im Laufe dieses Jahres gebornen Kinder den Göttern zu weihen, indem sie ihnen Einschnitte in Brust u. Leib machten. Das zweite Fest des Huitzilopochtli war das Tlaxochimako, ein Freudenfest, wo alle Götterbilder in Tempeln u. Häusern mit Blumen geschmückt, von Vornehmen Tänze aufgeführt u. dabei auch Menschenopfer gebracht wurden. Das dritte Fest (Panquetzalitztli, d.i. Aufrichtung der Fahne) galt dem Huitzilopochtli u. seinem Bruder Tlakahuepankuexkotzin, es war ein Kriegsfest; am Haupttage war die große feierliche Procession, bei der das Bild einer Schlange (des Attributs des Kriegsgottes), eine Fahne u. das Bild des Painalton vorgetragen, in der ganzen Gegend umhergezogen, Wachteln u. Menschen geopfert wurden. Am folgenden Tage war die Ceremonie Teokuallo (d.h. der Gott, den man ißt), nämlich ein aus Teig gebacknes Bild wurde von einem der Oberpriester mit einem Pfeil durchschossen, dann schnitt derselbe das Herz heraus u. gab es dem König zu essen, der Leib wurde getheilt u. von den Männern der Städte Tlatelolko u. Mexico verzehrt. Ein allgemeines Götterfest war das Teotleko (d.i. das Fest der Ankunft der Götter), es begann am 16. Tage des 12. Monats damit, daß alle Tempel mit grünen Zweigen geschmückt wurden; vom 18. Tag an kamen die Götter, Tezkatlipoka, bis zum 20. waren sie alle gekommen, worauf ein festlicher Schmauß mit Tanz u. Menschenopfer erfolgte. Nur wenige Feste, wie die drei der Centeotl, hatten einen gemüthlichern Sinn, man feierte diese, wenn das Getreide aus der Erde keimte, wenn es zwei Fuß hoch u. wenn es reif war. Aber Menschenopfer fehlten auch bei diesem[207] nicht. Vgl. I. G. Müller, Geschichte der amerikanischen Urreligionen, Basel 1855.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.