Mexico [3]

Mexico [3]

Mexico (Antiq.). Unter den einheimischen Culturvölkern Amerikas haben die alten Mexicaner die höchste Stufe erreicht, namentlich wenn man nicht allein die Azteken, in deren öffentliches u. privates Leben die Europäer allein haben näher einblicken können, sondern auch die Tolteken in Betracht zieht. Bei den Azteken war das ganze Volk getheilt in König, Adel, Geistlichkeit u. Volk, jeder dieser Theile hatte eine größere od. kleinere Portion von den Grundstücken. Die Ländereien a) des Volks od. der Gemeinden hießen Altepetlalli u. waren nach den Quartieren der Städte vertheilt; die Besitzungen b) der Geistlichkeit, eigentlich[211] Tempelgüter, waren sehr ansehnlich u. wurden von eignen Landleuten bebauet; von den Einkünften wurden die Geistlichen u. Tempel erhalten u. der Gottesdienst besorgt; c) der Adel war in verschiedene Klassen getheilt, u. jede hatte besondere Vorrechte u. äußere Kennzeichen. Die höchste Klasse waren die Teukill, zu der man durch Geburt u. durch ausgezeichnete Tapferkeit u. harte, ein Jahr lang dauernde Prüfungen gelangte. Nach dieser Prüfung wurde dem Bewerber von einem Priester der Nasenknorpel durchbohrt, um Goldkörner darein zu hängen, ihm ein prächtiges Kleid angezogen, das Haar mit einem rothen Lederband umwunden u. mit bunten Federn geschmückt, worauf ein Tanz mit dem Adel u. ein von dem Geadelten gegebenes Gastmahl folgte. Seinem Namen wurde nun das Wort Teuktli angehängt, u. er durfte von einem Diener begleitet in der Versammlung erscheinen. Die Länder der Adeligen hießen Pillalli u. wurden gewöhnlich an den ersten Sohn vererbt, welcher aber auch für den Unterhalt der ganzen Familie sorgen mußte. d) Der König wurde gewählt u. zwar stets aus dem Hause Acamapitzin (s. Mexico, Gesch.). Vier Wahlherrn aus dem höchsten Adel, aber jedesmal andere, wählten den König. Nach der Wahl bestieg der neue König in Begleitung aller Vasallen u. des Adels den Tempel, um sich von den Priestern weihen zu lassen; hier blieb er 5 Tage unter Beobachtung der vorgeschriebenen religiösen Ceremonien, dann wurde er vom Adel nach dem Palast abgeholt, u. Volksfeste beschlossen das Ganze. Die Krone war eine aus Goldblech od. Golddraht verfertigte Mütze; seine Kleidung war weiß u. blau; seine Einkünfte bestanden in den Revenuen seines Ländertheils (Tecpantlalli), welche er zum Theil an die Tecpantlaca (d.h. Volk des Palastes) als zeitweises Lehn vergab, wofür dieselben dem Könige zu gewissen Zeiten Blumen u. Vögel darbrachten, od. die königlichen Felder u. Gärten bebauten, od. die Paläste in baulichem Stand erhielten; ferner aus den Tributen der eroberten Provinzen, theils in Abgaben der Kaufleute, Künstler u. Handwerker; Alles waren Naturalien. Zur Seite standen dem Könige die drei obersten Rathscollegien, die er in allen wichtigen Fällen befragte. Zur Verwaltung der Justiz gab es mehre Tribunale. Das erste u. höchste war das des Cihuacoatl, welcher von dem König eingesetzt war, von dem nicht appellirt werden konnte. Er ernannte die Unterrichter u. Steuereinnehmer. Nächst dem folgte das Tribunal des Tlacatecatl. Dieser sprach das Urtheil in allen Civil- u. Criminalsachen sowohl in zweiter u. erster Instanz, das letzte in allen Civilstreitigkeiten, das erste in Criminalfällen, denn man konnte in diesen an den Cihuacoatl appelliren. Der Tlacatecatl hatte zwei Beisitzer, den Quauhnathli u. Tlanotlac; der erstere vollzog das Urtheil, welches dadurch dem öffentlichen Ausrufer, Tepejott, bekannt gemacht wurde. Dieses Gericht hielt täglich seine Sitzungen. Außerdem befand sich in jedem Stadtviertel der Stadt M. eine vom Volk gewählte Magistratsperson, eine Art Friedensrich (er od. Polizeimänner, die durch ihre Diener die öffentliche Ruhe aufrecht erhielten u. in vielen Dingen in erster Instanz entschieden, auch dem Cihuakoatl täglich von allem Vorgefallenen Bericht erstatten mußten. Am Ende jedes Monats war eine Generalversammlung aller Richter im Palast des Königs, wo über schwere Processe entschieden wurde. Die Strafgesetze waren streng u. erkannten in den meisten Fällen auf Tod (gewöhnlich Hängen), selbst für Verrückung der Grenzsteine, für falsches Maß u. Gewicht, für Beginnen des Kampfes vor erfolgtem Commandowort des Anführers, für Ehebruch der Frau, für Trunkenheit vor dem 70. Jahre, für Malversation der Vormünder; Lügnern wurden Ohren u. Lippen abgeschnitten. Über die Religion, s. Mexicanische Religion. Der Kriegerstand war am höchsten geachtet. Es gab 4 Obergenerale, der höchste war der Tlacochcalcatl. Zur Belohnung des kriegerischen Verdienstes gab es drei Orden, den der Prinzen, Achcantin, den der Adler, Quauhtin, u. den der Tiger, Ococalo. Jeder hatte seine besondern Abzeichen, z.B. der Träger des Quauhtin hatte das Haar oben mit einer rothen Schnur zusammengebunden u. eine Anzahl herabhängender Locken von Baumwolle bezeichnete eben so viel rühmliche Thaten desselben. Die Vertheidigungswaffen bestanden in runden u. ovalen Schilden von Thierhäuten od. von elastischem Rohr u. starken baumwollenen Fäden geflochten, mit Federn, u. beim Adel mit Goldplatten etc. bedeckt; Brustharnische von Baumwolle, bei Prinzen u. Königen auch von Gold- u. Silberplatten, darüber ein dickes Federkleid; Kopfbedeckung war der Kopf eines Tigers od. einer Schlange von Holz mit aufgesperrtem Rachen, darauf Federbüsche. Angriffswaffen waren Bogen, Pfeile, Schleudern, Keulen, Spieße, 31/2 Fuß lange, 4 Zoll breite Schwerter (Maquahiutl), Alles von Holz u. mit Spitzen u. Schärfen von hartem Kieselstein od. Obsidian. Die Fahnen waren lange Stangen, oben mit dem Wappen des Staats von Gold, Federn u. dgl. versehen. Der Krieg wurde angekündigt. Die Städte u. Ortschaften waren durch hohe Mauern, Wälle, Graben, Pallisaden etc. vertheidigt.

Der Feldbau, bei dem man bes. Mais erzielte, wurde fleißig betrieben. Der Boden wurde durch Menschen umgegraben, durch angelegte Kanäle bewässert, auch das Düngen kannte man. Küchen- u. Lustgärten waren mit Geschmack angelegt u. mit Blumen geziert. Bergbau wurde viel getrieben, man grub regelmäßige Schachten u. verbindende Stollen. Auch Jagd u. Fischerei wurden stark getrieben, ebenso der Handel mit Landes- u. Kunstproducten. Die Kaufleute standen im hohen Ansehen, durchreisten das ganze Reich u. oft darüber hinaus, in Karawanen, hatten ihre eigenen Privilegien u. Gerichtsbarkeit. In den Städten war täglich Markt. In jeder Marktstadt war ein besonderer Polizeiaufseher u. ein Handelsgericht. Die Messen in der Hauptstadt selbst zählten oft 50,000 Kaufleute, die in Karawanen zu dem Meßplatz zogen. Das gewöhnlichste Geld waren Cacaobohnen. Man zählte bis zu 8000; größere Summen wurden nach Säcken, jeden zu 24,000 Stück, gerechnet. Andere Werthzeichen waren kleine Tücher von Baumwolle u. Federkiele mit Goldstaub gefüllt, auch Stücke von Kupfer u. Zinn. Es gab gut gehaltene Heerstraßen, Hängebrücken, Schiffe, Zufluchtshäuser für die Reisenden.

Die dramatische Kunst war nicht unbekannt, die Musik noch sehr unvollkommen; sie kannten nur lärmende Blasinstrumente. Der Tanz war sehr beliebt u. mit Gesang od. Musik begleitet, er gehörte zum religiösen Cultus. Zu den öffentlichen Spielen gehörten Wettrennen u. militärische Spiele, zu den häuslichen das Ballspiel. Die Malerei[212] der Mexicaner, welche sie vornämlich zu historischen Darstellungen anwandten, war ziemlich roh. Auch topographische u. chorographische Malereien kannte man, so Lagerbücher od. Grundpläne, u. in den Schatzkammern, der Könige Gemälde, welche die tributpflichtigen Örtlichkeiten darstellten. Man malte auf eine Art Papier od. auf Thierhäuten; die eigentliche Schreibkunst war ihnen unbekannt (s.u. Mexicanische Sprache). Die Bildhauerkunst war zu wenig größerer Vollkommenheit gebracht, eben so die Bildgießerkunst, mit deren Hülfe sie allerlei Kunstsachen u. Zierrathen verfertigten. Dagegen fertigten die Mexicaner schöne Mosaiken von Vogelfedern u. Muscheln. Sie verstanden auch Edelsteine zu schneiden u. zu fassen. Die Baukunst hatte einen ziemlichen Grad der Vollkommenheit erreicht. Unter den Werken derselben sind bes. die Tempel u. andere religiöse Gebäude zu bemerken (s. Mexicanische Religion). Die Häuser gewöhnlicher Leute waren von Schilf od. Luftziegeln gebaut u. mit Aloeblättern bedeckt. An den Häusern der Vornehmern in Städten waren kleine Kapellen u. Bäder. Die Häuser der Adeligen waren von rothen, durchlöcherten Backsteinen gebaut, die mit Kalk verbunden waren, die flachen Dächer erhoben sich in Terrassenform. Auch Steinhauer, Töpfer, Zimmerleute, Weber u. andere Handwerker gab es. Man hatte Kenntniß von der Arzneikunst, bediente sich der Purgiermittel, Aderlässe u. Bäder, vorzüglich der Schwitzbäder, u. wußte auf eine geschickte Art Wunden zu verbinden u. zu heilen. Die Astronomie diente den Mexicanern nur zu gewissen Gebräuchen des bürgerlichen Lebens u. zur Ausübung ihres religiösen Cultus. Die Zeitrechnung hatte eine, von den andern Völkern abweichende Einrichtung. Die Mexicaner nahmen vier Weltalter od. Sonnen an (s.u. Mexicanische Religion). Jedes Weltalter wurde nach Centurien abgetheilt, u. jede Centurie bestand aus 52 Jahren (Chinhmolpilli) u. enthielt 4 Perioden, jede zu 13 Jahren (Tlalpilli). Zwei Centurien od. 104 Jahre machten ein Zeitalter (Huehuetiliztli). Das bürgerliche Jahr (Tonalpohualli) hatte 18 Monate u. jeder 20 Tage, in vier- bis fünftägige Perioden getheilt; die Monate, genannt nach den in denselben fallenden Festen u. Beschäftigungen, hießen: Tlacaxipehualiztli, Tozoztli, Hueytozoztli, Toxcati, Etzalcualitzli, Tecuylhuitl, Hueytecuylhuitl, Micaylhuitl, Hueymicaylhuitl, Ochpanitzli, Pachtli, Mueypachtli, Checioli (Queeholti), Panchetzaliztli, Aremoztli, Tititl, Izcagli, Atlacoala. Am Ende des letzten Monats wurden 5 Tage eingeschaltet, welche Nemontemi, d.h. die leeren od. unnützen, hießen, weil man an denselben nichts vornahm, als daß man Tempel u. Häuser reinigte. Außerdem gab es noch aller vier Jahre einen Schalttag, den sie aber nicht nach dem vierten Jahre einzeln einschalteten, sondern nach dem 52. Jahre alle dreizehn. Das Jahr fing den 26. Februar (nach And. den 28. Januar) an. Eigentlich wurde aber in ihrer Zeitrechnung weder auf die Abtheilung in Monate, noch in Jahre, Rücksicht genommen, sondern man rechnete nach Perioden von 13 Tagen, so wie nach 13 Jahren, d.h. man zählte die Tage bis 13 u. fing dann wieder von vorn mit dem Zahlworte an.

Zu den Nahrungsmitteln gehörte vorzüglich der Mais, woraus sie Brod buken; aus Cacao u. dem Samen der Chia bereiteten sie Getränke; auch hatten sie eine Art Wein aus der Agave americana od. Branntwein aus Halmen u. Körnern von Mais bereitet. Die Kleidung war im Sommer ein vier eckiger Mantel von Baumwolle od. Aloëfasern, mit Fransen besetzt u. auf der Brust zusammengebunden, u. bei den Weibern ein viereckiges Stück Zeug, welches den Untertheil des Körpers verhüllte; im Winter ein aus Kaninchenhaar gefertigter Tuchrock mit einem Gürtel gegürtet. Reiche trugen Kattunkleider mit Federn besetzt. Als Schuhe dienten nach der Form des Fußes geschnittene Aloëblätter, welche durch Riemen festgehalten wurden. Der Putz bestand in Federn, Ringen in Ohren, Lippen u. Nase, Halsketten, goldenen Armspangen, in Edelsteinen etc. Die Heirathen in den nächsten Graden der Blutsverwandtschaft waren verboten. Die Eltern bestimmten, mit Zuziehung von Wahrsagern, die Heirath; eine Matrone aus der Familie des Bräutigams machte die Brautwerberin. Die Braut wurde mit Musik nach dem Hause des Bräutigams gebracht, welcher sie an der Thür mit Fackeln empfing. Die Trauung bestand darin, daß der Priester im Tempel einen Zipfel des Schleiers der Braut mit dem Mantel des Bräutigams verknüpfte; dann gingen sie unter Vortritt des Priesters nach Hause u. hier siebenmal um den Herd, worauf sie sich neben denselben niedersetzten. Die Gäste bei der Hochzeit vergnügten sich mit Schmaus u. Tanz, während das junge Ehepaar vier Tage lang mit Gebeten u. Kasteiungen zubrachte, dann erst die Ehe vollzog. Scheidungen erfolgten mit beiderseitiger Einwilligung ohne Ceremonie. Kinder wurden nach der Geburt feierlich gebadet, dann folgte eine Art Nativitätstellen, ein Gastmahl für Verwandte u. Freunde u. das Namengeben des Kindes. Knaben nannte man gern nach Thieren, Mädchen nach Blumen. An dem Räucherfeste wurden die in diesem Jahr Neugeborenen durch Ritzen an mehren Theilen des Körpers den Göttern geweiht (s. Mexicanische Religion). Die Erziehung der Jugend war sehr streng; die Kinder wurden abgehärtet, an Thätigkeit gewöhnt u. ihnen Abscheu gegen Laster, dagegen Bescheidenheit, Achtung gegen Höhere u. Liebe zur Wahrheit früh eingeflößt. Die Mädchen mußten spinnen, weben u. sticken u. sich streng zu Hause halten. Bei den Tempeln waren Schulen, wo die Kinder von dem fünften Lebensjahre in der Religion u. in guten Sitten unterrichtet wurden. Die Leichen wurden verbrannt, die Asche in einem Topfe mit Kostbarkeiten tief vergraben u. 80 Tage lang Speisen auf das Grab gesetzt. Bei dem Tode der Könige u. hoher Standespersonen wurde eine feierliche Leichenprocession veranstaltet u. eine Menge Sklaven geopfert. Nur Ertrunkene u. an bestimmten Krankheiten Gestorbene wurden unverbrannt begraben. Begräbnißplätze gab es nicht; Könige u. Vornehme wurden in den Tempeln bestattet.

Die wichtigsten Nachrichten über das Leben der alten Azteken geben unter den älteren spanischen Geschichtsschreibern Amerikas bes. H. Cortes (Drei Berichte an Kaiser Karl V., deutsch mit Anmerkungen von Koppe, Berl. 1834), Gomara, Bernal Diaz (deutsch von Rehfues, ebd. 1843) u. Juan de Torquemada (Madr. 1614, Fol., 3 Bde.), Bernardino Sahagun (herausgeg. von Bustamente, Mexico 1829), Herrera, Descripcion de las Indias occidentales, Madr. 1730; Klemm im 2. Bd. seiner Culturgeschichte; A. v. Humboldt, Vues des Cordil lères et monuments des peuples indigènes de l'Amérique,[213] Par. 1810, ebd. 1819, 2 Bde.; Lord Kingsborough, Antiquities of M., Lond. 1829, 4 Bde.; dazu später noch 5 Bde. in Paris, 1835–48, u.a. die Arbeiten von Dupaix enthaltend; Nebel, Voyage pittoresque et archéologique en Mexique, Par. 1836; Waldeck, Voyage pittoresque et archéol. en Yucatan, ebd. 1834 ff.; Brasseur de Bourbourg, Hist. des nations civilisés du Mexique, Par. 1857–59, 4 Bde.; I. Ramirez, Description de quelques objets du Musée national de Mexico, Mexico 1858; dazu die Reisewerke von Squier, Stephens u. And.; Buschmann, Über die aztekischen Ortsnamen, Berl. 1854.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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