Todtentanz

Todtentanz

Todtentanz, 1) (Umrlec), ein alter, bis Ende des 18. Jahrh. in Böhmen bes. bei Hochzeiten u. Kindtaufen gebräuchlicher Tanz, wobei sich ein Mann aus der Gesellschaft auf den Boden legte u. sich todt stellte; Mädchen u. Frauen umtanzten ihn in zierlichen u. komischen Schritten u. Sprüngen, indem sie ein Trauerlied dazu sangen; zuletzt näherten sich die Tänzerinnen nach einander u. gaben dem Daliegenden einen Kuß, worauf die ganze Gesellschaft denselben unter Heiterkeit u. Lachen in einer Ronde umtanzten Darauf kam eine Frau u. ein Mädchen an die Stelle die Leiche zu machen u. wurden in gleicher Weise von Männern u. Jünglingen umtanzt. Ein ganz ähnlicher Tanz kam sonst auch in Ungarn vor, wo die Tänzer den den Todten Spielenden sogar aufhoben u. regungslos mit sich herumzogen. 2) (lat. Chorea Machabaeorum, franz. La danse Macabre), die Darstellung des Todes, wie er in einer Reihe allegorischer Gruppen u. unter mehrfachen Gestalten (worunter aber immer das Gerippe verborgen ist), mit allerhand Ständen tanzt u. dieselben zu Grabe leitet, zur Veranschaulichung der Macht des Todes über das Menschengeschlecht. Schon bei den Alten kommt die Idee des Wegführens von Zechern vom Bacchanal durch einen Genius in Bildwerken vor. In Deutschland, u. vorzüglich in dem südwestlichen Theile, in der Schweiz, Elsaß u. Schwaben, bildete sich die Idee des T-es zuerst aus. Schon zu Ende des 13. od. zu Anfang des 14. Jahrh. zeigen sich Spuren davon, indem der Dichter Vridank in seinen Sprüchen den Tod als tanzend mit den Menschen erwähnt u. hierbei vielleicht an ein schon bestehendes öffentliches Gemälde dachte. Der älteste T. aus jener Zeit ist der Baseler T., u. zwar der zu Kleinbasel auf dem rechten Rheinufer in dem ehemaligen Nonnenkloster, zur Hälfte wenigstens, obschon sehr beschädigt, noch vorhanden. Der Kleinbaseler T. ist wahrscheinlich im 16. Jahrh. erneuert u. mit Versen versehen worden. Deutlich ist aber in diesen Versen die Jahreszahl 1312 zu lesen, wo es wahrscheinlich gemalt wurde. Als 1480 dies Kloster wegen Liederlichkeit der Nonnen aufgehoben wurde, verpflanzte man den Kleinbaseler T. nach Großbasel an die Mauern des Johanniskirchhofes u. ließ nur die ärgerliche Beguine, wofür ein Krämer eintrat, u. den Cardinal u. Patriarchen, welche die Königin ersetzte, weg, brachte auch Änderungen an, welche die veränderten Reimsprüche erheischten. Hans Bock malte 1480 an dem Großbaseler T., deselbe wurde 1520, 1568 (von Hans Kluber), 1616, 1658 u. 1703 erneuert. Dieser Baseler T. verschwand 1804 mit der Abtragung der den Einfall drohenden Mauer, worauf er gemalt war, nur einzelne Köpfe u. Bruchstücke wurden für Privaten u. auf öffentliche Bibliotheken gerettet, u. an diesen sieht man, daß die neuern Übertüncher die alte Frescomalerei mit Ölfarben überzogen. Beide Baseler Gemälde enthielten gleiche Felder u. Bilder, beiden liegt der in fünf Handschriften zu München u. Heidelberg u. in einem Xylograph (zu Heidelberg) des 15. Jahrh. erschienene Text zu Grunde, welcher auch bei andern Todtentänzen benutzt ist. Die ursprüngliche Reihenfolge, welche die Baseler Todtentänze auch beibehielten, ist (Prediger), Papst, Kaiser, Kaiserin, König, Cardinal (Königin), Patriarch, Erzbischof, Herzog, Bischof, Graf, Abt, Ritter, Jurist, Chorherr, Arzt, Edelmann, Edelfrau, Kaufmann (reicher Mann), Klosterfrau, Bettler, Koch, Bauer, Kind, Mutter (Prediger). In den Baseler Bildern ist zwischen Bettler u. Koch ein Waldbruder, Jüngling, Wucherer, eine Jungfrau, ein Pfeifer, Herold, Schultheiß, Blutvolgt, Narr, ein Beguine (Krämer in Großbasel), ein Blinder, Jude, Türke, eine Heidin eingeschaltet. Nur in einzelnen Fuß- u. Handbewegungen unterschieden sich die Personen auf den beiden Todtentänzen. Der Großbaseler T. wurde vielfach copirt u. durch Holzschnitt, Kupferstich u. Steindruck vervielfältigt. Huldrich Frolich gab Holzschnitte als Baseler T. heraus, welche aber mit Ausnahme weniger Gemälde nur Copien des Holbeinschen T-es sind, n. A. 1608, 1715 u. ö. bis 1796. Den wahren Baseler T. zeichnete Matth. Merian 1616 treu u. gab ihn 1621 u. seine Erben nachmals bis 1789 in 15 Ausgaben heraus, u. noch 1832 erschien ein neuer Abdruck. Auch in Figuren von gebrannter Erde ist der T., von R. Brenner gefertigt, in Basel zu haben. Auch lieferte der Bäckermeister Büchler in Basel 1769 eine treue Copie des Großbaseler T. es in bunten Farben (auf der Bibliothek zu Basel). Der älteste T. nach dem Baseler ist der T. zu Lübeck, in der Plauderkapelle der Marienkirche befindlich, zum Theil nach dem Baseler, zum Theil nach eigenen Ideen gemalt u. mit plattdeutschen Reimen versehen, 1588. 642 u. 1701 erneuert; eine Abbildung von L. Suhl erschien 1783 mit plattdeutschen, eine andere später mit hochdeutschen Reimen von Hauttmann. Wohl eben so alt, wo nicht noch älter, ist der T. in der Prediger- od. Neuenkirche zu Strasburg, welcher 1824 unter alter Übertünchung entdeckt wurde, indem diese Kirche von 1546–1681 zum Magazin diente. Im 16. Jahrh. combinirte Hans Holbein, wahrscheinlich nach eine alten Muster, einen T., doch schuf er das alte Todesbild mit sittlicher Freiheit, tiefem Humor u. künstlerischer Eigenthümlichkeit fast zu Lebensbildern um. Die Originalzeichnungen des Holbeinschen T-es liegen zu Petersburg; sie erschienen zuerst in 40 Bildern, Bas. 1530, u.[655] in echten Ausgaben 17 Mal, erst auf 40, dann auf 53, zuletzt auf 58 Bilder vermehrt, Basel u. Lyon, mit franz., latein. u. italien. Text, 1558–74, die letzte 1654 u. in noch mehr Nachschnitten zu Augsburg (seit 1542), Basel, Venedig, Strasburg, Wittenberg, Köln, Antwerpen, London (1825), Newhaven, auch in Nachstichen zu Frankf. a. M., Nürnberg, Laibach, Salzburg, Linz, Amsterdam, London, Leipzig u. in Steindruck zu München (1832). Nachahmungen erschienen von Schellenberg, Chodowiecki u. Th. Rowlandson. Auch die 4 ersten Blätter sind oft einzeln herausgegeben worden, u. im Ganzen zählt man nahe an 100 Nachstiche u. Nachschnitte des Holbeinschen T-es. Nach dem Holbeinschen T. wurde gemalt der T. in dem Dominicanerkloster zu Constanz vor 1588, der von Jak. Hiebler ebenfalls im 16. Jahrh. auf 20 Holztafeln gemalte, in der Magnuskirche zu Füssen, der von Jakob Wyll Anfangs des 17. Jahrh. zu Luzern in Öl gemalte (ein anderer von Kasp. Mylingern um 1631–37 an den Bogen einer Brücke zu Luzern gemalte, 1728 erneuerte, ist nach dem Baseler Gemälde) u. der zu Kukuksbad in Böhmen zu Ende des 17. Jahrh. od. Anfang des 18. auf Anlaß Antons von Spark gefertigte, in Kupfer gestochen Linz 1753, Wien 1767 u. Linz 1777. Andere Todtentänze waren noch der, welchen Herzog Georg von Sachsen 1534 an seinem Palast zu Dresden in Stein fertigen ließ u. welcher, obgleich im Original durch Brand 1600 untergegangen, doch in der Copie (auf dem Neustädter Gottesacker) erhalten ist u. 1832 in Dresden in Steindruck (auch in Naumann, Der Tod in allen seinen Beziehungen, Dresden 1844) erschien, u. der noch erhaltene, aber 1763 gemalte, von F. Hölzl in der Gruft St. Peter zu Straubing u. der zu Erfurt durch Stiftung vieler Einzelnen, 1735–90, entstandene, mit dem Text des Lübecker T-es von N. Schlott. Dieser T. ist weit ausgesponnen, so erscheint der Arzt dreimal, als Arzt, Apotheker u. Todtengräber. Außer Holbein versuchten sich auch andere Künstler im 15., 16. u. 17. Jahrh. mit Darstellung des T-es in Holzschnitten, Handzeichnungen, Glas- u. Ölmalerei, so existiren noch jetzt 3 Ausgaben eines alten T-s von 1470, vielleicht selbst schon von 1459, u. die Bibliotheken zu München u. Heidelberg verwahren ähnliche Xylographien. Von Süddeutschland verbreitete sich die Idee des T-es nach dem übrigen Europa, doch hallte dieselbe nur schwach nach, am stärksten noch im nahen Frankreich. Hier bildet, wie der Baseler T. zu dem deutschen, die sonst auf dem Kirchhofe Des Innocents zu Paris enthaltene Danse Macabre den Typus. Die Bezeichnung Macabre soll nach Ein. von St. Macarius herkommen; nach der Sage aber soll ein Engländer Macabre zu Anfang des 15. Jahrh. nach Paris gekommen sein, auf dem Thurme auf dem Kirchhofe Des Innocents seine Wohnung genommen u. von da aus 1424, auch 1429 einen Maskenzug veranstaltet haben, welcher den Tod mit den verschiedenen Ständen tanzend darstellte. Später habe man das festliche Fastnachtsspiel an den Mauern des Kirchhofs abgebildet. Dieses soll den Anlaß zu allen Todtentänzen gegeben haben. Da aber in Basel schon 1312 ein T. existirte, das wirkliche Vorhandensein eines Macabre als Person sehr problematisch ist u. manche Figuren u. untergesetzte Verse des französischen Todtentanzes in den erhaltenen u. in Holz geschnittenen Copie (das Original ist längst verschwunden) so auffallende Ähnlichkeit mit deutschen, früher in Holz geschnittenen Todtentänzen haben, so ist die französische Danse Macabre wahrscheinlich nur eine Nachbildung des deutschen T-es. Die Danse Macabre erschien, Paris 1485, zuerst als Danse des hommes, welcher dann 1486 die Danse des femmes folgte, im Druck u. in Holzschnitt mit untergesetzten französischen (u. zuweilen lateinischen) Versen u. später in wenigstens 20 Ausgaben zu Paris, Lyon, Grenoble, Troyes, die letzte 1729. Auch in alten französischen Gebetbüchern kommen am Rande Todtentanzbilder als Holzschnitt u. Randglossen vor. Von Frankreich nahm England wahrscheinlich den T. an. Dort fand sich an der St. Paulskirche zu London ein T., welcher in 35 Feldern auch um 1424–30 entstand u. zu welchem John Lydpate Reime dichtete, welche wörtlich eine Übersetzung der französischen Reimunterschriften, od. diese von jenen sind. Auch finden sich Andeutungen, daß ehemals zu Hexham u. Salisbury ähnliche Todtentänze waren. In Spanien kannte man ein todtentanzähnliches Bild, als Trionfo della morte, im Palast zu S. Ildefonso aus dem 16. Jahrh., jedoch von einem Niederländer Hieron. Bos gemalt, auch eine Handschrift in der Bibliothek De San Lorenzo del Real erinnert sehr an dieses Muster. Ebenso kennt die Spanische Literatur ein Gedicht in 79 achtzeiligen Strophen: La dança general de los muertos (gedruckt in Ticknor's Geschichte der schönen Literatur in Spanien, deutsch von Julius, Bd. 2, Lpz. 1852), welches Wechselreden des Todes mit den von ihm entführten Menschen sind. In Italien stellten schon zu Anfang des 14. Jahrh. Maskenzüge zu Florenz den Triumph des Todes dar, u. Cosimo u. Lorenzo von Medici wiederholten dieselben, u. das berühmte Gemälde auf dem Camposanto zu Pisa stellte in einem Jüngsten Gericht von Andrea Oragna (im 14. Jahrh. gemalt) gleichfalls einen Trionfo della morte dar. Auch von Dichtern wurde der T. vielfach besungen; von den Reimen zu den Wandgemälden der Todtentänze s. oben; in neuerer Zeit hat Bechstein einen T. in einem eigenen lyrischen Gedicht, Lpz. 1832, gedichtet u. I. P. Lacroix denselben zum Stoff für einen Roman: La danse Macabre, Paris 1831, genommen. Vgl. Peignot, Recherches sur les danses du morts, Dijon u. Paris 1826; Douce, The dance of death, Lond. 1833; Maßmann, Literatur der Todtentänze, Lpz. 1840; Derselbe, Baseler Todtentänze, Stuttg. 1847; Holbeins Initialbuchstaben mit dem Todtentanz erläutert von Löden u. Ellisen, Gött. 1849; E. H. Langlois, Essai sur les danses des morts, Rouen 1852; Wackernagel in Haupt's Zeitschrift für Deutsches Alterthum, 9. Bd., Lpz. 1853.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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