Genf [2]

Genf [2]

Genf (Gesch.). G. hieß bei den Römern Geneva u. war eine Stadt der Allobroger, mit denen sie ungefähr 122 v. Chr. von Fabius Maximus den Römern unterworfen wurde. Sie diente ihnen als Grenzfestung gegen die Helvetier, u. als solche benutzte sie auch Julius Cäsar, der von hier aus eine Mauer bis an den Jura führte. Agrippa machte sie zum Mittelpunkte der über die Alpen nach Frankreich führenden Straße. Dort gefundene Alterthümer beweisen, daß daselbst eine nach römischen Vorbildern gebildete städtische Verwaltung u. ein lebhafter Handel auf Märkten u. auf dem See war. Unter Kaiser Heliogabal brannte die Stadt ab; Kaiser Aurelius ließ sie wieder aufbauen, gab ihr viele Rechte u. Freiheiten u. nannte sie nach sich Aurelianum Allobrogum, Um 413 kam G, mit seinem Gebiete an Burgund, u. König Chilperich nahm hier seinen Aufenthalt. Gegen Ende des 5. Jahrh. wurde G. Sitz eines Bisthums. Als König Childebert von Neustrien 534 Burgund eroberte, kam auch G. ans Fränkische Reich u. wurde Jahrhunderte lang Gebenna genannt, bis ungefähr ums Jahr 1536 der ursprüngliche Name wieder hergestellt wurde. In G. machte Karl der Große 773 seinen Plan zum Zuge gegen die Longobarden. Anfangs theilten sich die Bischöfe u. die städtische Obrigkeit in die Regierungsgewalt, indem G. als eine freie Reichsstadt anerkannt wurde, aber unter dem Schutze des Bischofs stand, welcher jeweilen die Stadt bei ihren Freiheiten u. Rechten zu schützen eidlich geloben mußte. Die allgemeine Bürgerschaft wählte einen Großen Rath als Volksvertretung, außerdem Rechtsanwälte (Syndics) u. Rathsherrn (Proudhommes). Diese Syndics u. Rathsherren waren zugleich Beisitzer im Rathe des Bischofs bei Verwaltung seiner weltlichen Angelegenheiten. Alle Gesetzen. Verordnungen wurden dem Bischof zur Unterzeichnung vorgelegt. Dieses staatsrechtliche Verhältniß war durch ewige Bündnisse u. Verträge mit dem Bisthum verbrieft Auch verband sich die Stadt zu ihrem Schutze mit andern Gemeinwesen.

Zur Verwaltung der Landschaft um Genf setzten die burgundischen Fürsten Grafen ein, welche mit dieser Grafschaft, le Genevois (s.d.) genannt des Bischofs Lehnsleute waren u. als Comites Gebenesii od. Grafen von Genevois vorkommen. Als erster Graf wird Konrad I. genannt, gegen Ende des 10. Jahrh., welchem sein Sohn. Robert I. (1019 od. 1020) u. diesem sein Sohn Konrad II. folgte. Schon im 11. Jahrh. strebte Graf Wilhelm sich zum Herrn der Stadt zu machen; nach And. Graf Gerold (1034), der Sohn Berthas, einer Nichte des Königs Rudolf von Arles, dem sein Sohn Robert folgte. Zu Anfang des 12. Jahrh. war Aimon (Amadeus) Graf von G., dessen Bruder Wido (Guido) das Bisthum G. hatte. Der Bischof hatte seinem Bruder Amadeus neben einigen Schlössern u. Dörfern auch die Verwaltung der dem Bisthum in der Stadt zugehörigen weltlichen Gerechtigkeit übergeben. Der Nachfolger des Bischofes wollte sie den Grafen wieder entziehen, verglich sich aber dahin, daß jeder Graf vom Genfer Gebiet das Recht haben sollte, zur Verrichtung von Civilgeschäften in der Stadt einen sogenannten Vidomne zu halten, der aber unter dem Bischof stehen u. demselben huldigen sollte. In der Folge schenkte Kaiser Friedrich der Rothbart die Städte Genf, Laufen u. Sitten dem Herzoge von Zähringen (1162), u. dieser trat sie dem Grafen Amadeus III. ab, während der genannte Kaiser seine Schenkung zurücknahm, so daß sich die Stadt u. Bisthum G. dem Grafen nicht unterwarfen, sondern vielmehr 1185 Bischof Nantelinus mit dem Grafen Thomas von Savoyen ein Schutzbündniß abschloß, um die Selbständigkeit G-s zu retten. Dieser Vertrag blieb längere Zeit[149] in Kraft u. wurde von der Bürgerschaft mit Einwilligung des Bischofs 1285 noch dadurch vermehrt, daß man dem Grafen von Savoyen die Rechte überließ, welche bisher die Grafen von Genf ausgeübt hatten, auch ihm zugestand, sich der Stadt G. als einer Festung zur Bedeckung ihrer benachbarten Lande zu bedienen. Die Grafen von Savoyen vertheidigten auch die Stadt G. wider die Grafen von G. u. ihre Bundesgenossen, bes. in den Jahren 1291 u. 1307, trachteten dabei aber doch auch, sie ihrer Botmäßigkeit zu unterwerfen. Unter Anderen suchte Amadeus, Herzog von Savoyen, durch einen Tausch vom Papst Martin die höchste Gewalt über G. zu erhalten. Aber der Bischof von G., Johannes a petra scissa genannt, verband sich mit den Bürgern für sich u. seine Nachkommen, daß weder er, noch sie in irgend einen Tausch, Veränderung od. Absonderung der Stadt G. willigen sollten. Die Streitigkeiten der Stadt G. mit den Grafen des Genfer Landgebietes nahmen erst ein Ende, als im J. 1401 die Grafschaft Genevois von dem damaligen Besitzer Odo von Villars an die Herzöge verkauft wurde. Hernach hatte Kaiser Maximilian seinen Tochtermann, Herzog Philibert von Savoyen, zu einem Statthalter des Deutschen Reiches in diesen Landen gemacht. Deswegen benutzte er u. nach ihm sein Bruder Karl dies als Vorwand, sich die Stadt G. unterwürfig machen zu wollen, jedoch vergeblich, so daß auch Herzog Ludwig von Savoyen 1446 in einem Vertrage mit der Stadt G. deren Unabhängigkeit anerkannte u. die höchste Gewalt der Kirche u. Gemeinde daselbst zugestand. Einige seiner Nachfolger hielten daselbst noch Hofstatt, jedoch mit der schriftlichen Zusage, der Stadt Freiheiten u. Rechte nicht antasten zu wollen, dabei erhielten die Päpste u. die Kaiser die Stadt.

Weil nun die von G. große Feindschaft von den benachbarten Fürsten u. Grafen zu erdulden hatten, so bewarben sie sich zu verschiedenen Malen schon in frühester Zeit um die Freundschaft der schweizer Eidgenossen u. traten dann u. wann in ein Bündniß mit Bern u. Freiburg Hernach richteten sie ein ewiges Burgrecht zu gegenseitiger Verbürgung ihrer Besitzungen mit Bern auf u. bestätigten solches 1535 noch weiter; denn obwohl in den Burgundischen Kriegen wegen der von der Herzogin von Savoyen bezeigten Abneigung gegen die Eidgenossen auch die Stadt G. 1475 von den Eidgenossen gebrandschatzt u. hernach auf Grund eines zu Freiburg 1476 abgeschlossenen Friedens zur Abstattung von 28,000 Fl. an die Eidgenossen angehalten wurde, so suchte doch die Bürgerschaft von G. in der Folge bisweilen erlittener Anfeindungen von Seiten Savoyens die Freundschaft der Eidgenossen u. verband sich schon 1493 mit Freiburg u. Bern, bes. aber als die Genfer sich der Reformation zuneigten u. der Bischof Johann von G. 1515 u. in den folgenden Jahren die Rechte, welche er in der Stadt auszuüben hatte, dem Herzog Karl von Savoyen abtreten wollte. Sie verbanden sich zunächst 1519 von Neuem mit den Freiburgern zu einem Schutzburgrecht, was ihnen sehr nützlich wurde, weil der Herzog von Savoyen noch in demselben Jahre die Stadt G. mit Übermacht angriff u. den Einlaß erzwang, die Freiburger aber u. mit ihnen andere Eidgenossen als Vermittler ihn nöthigten, sie wieder freizugeben u. ihre Rechte anzuerkennen. Aus Erbitterung ließ der Herzog einige Genfer in Tanri umbringen. Nunmehr wurde die savoyische Partei in der Stadt G. die Mamlucken genannt, die selbständigen Eidgenossen (nach damaliger Aussprache in der Schweiz Idgnoh, was die Franzosen Huguenots aussprachen). Der Bischof von G. u. der Herzog von Savoyen setzten die Verfolgung der eidgenössischen Partei (Huguenots), die meist auch Reformirte waren, mit Grausamkeit fort, so daß eine große Anzahl als Flüchtlinge in Freiburg u. Bern lebten. Nun zogen 10,000 Berner u. Freiburger den Genfern zu Hülfe u. eroberten das damals savoyische Waadtland, worauf 1530 zu St. Julien ein Vergleich zu Stande kam; der Herzog versprach die Rechte Genfs bei Verlust des Waadtlandes zu achten, u. die Genfer machten sich verbindlich, die Rechte des Herzogs nicht zu verletzen. Dessenungeachtet nahm die neue Kirchenlehre immer mehr überhand, die Spannung zwischen dem Herzog von Savoyen u. dem Bischof einerseits u. den Genfer Bürgern andererseits wuchs immer mehr, so daß der Bischof endlich aus der Stadt entfloh u. seinen bischöflichen Sitz nach Gex verlegte (15. Juli 1533). Die Freiburger, welche dem Papste treu blieben, erklärten in Folge dessen ihr Schirmbündniß mit G. aufgelöst. G. aber wurde, von den Bernern mit bewaffneter Hand unterstützt, trotz der Fortsetzung des Kriegs mit savoyischen Herzögen, immer mächtiger, während der Reformator Calvin, zugleich Staatsmann u. Theolog, die Kräfte der kleinen Republik zu einem Ganzen umzuschmelzen suchte. Im Oct. 1557 verbanden sich G. u. Bern zu Schutz u. Trutz für ewige Zeiten. Ihr Antrag an die Schweizer Tagsatzung, G. als Canton in den Bund der eidgenössischen Cantone aufzunehmen, wurde abgelehnt (1559); dagegen machte sich Frankreich verbindlich, die Selbständigkeit G-s ebenso wie die der Schweizen Cantone zu schützen (5. Mai 1579). Am 30. Aug. 1584 errichteten die Städte Zürich, Bern u. G. einen auf gegenseitige Verbürgung ihres Gebietes abzielenden Vertrag unter einander. An einem Kriege Berns u. Frankreichs gegen Savoyen (1589–98) nahm auch G. mit Glück Theil. Der Herzog von Savoyen konnte aber seinen Unwillen gegen G. noch nicht bändigen; in der Nacht vom 11. zum 12. Dec. 1602 nahm er mit Hülfe von Sturmleitern die Stadt durch Überrumpelung ein, aber seine Truppen wurden wieder hinausgeschlagen. Der Jahrestag dieses Sieges wird noch heutzutage in G. gefeiert (la fête les séchelles). Die letzten Versuche des Herzogs von Savoyen gegen G. fanden, ebenfalls fruchtlos, 1609 u. 1610 statt. Von der Zeit an wurde G. stark befestigt, wozu auch andere reformirte Cantone Beiträge lieferten. Der zwischen Zürich, Bern u. G. aufgerichtete Bund wurde 1644 erneuert u. 1653 u. 1656 schickte die Stadt ihren Bundesgenossen bei dem Bauernaufstande u. in dem Rapperswyler Kriege jedesmal 300 Mann zu Hülfe Obgleich nun G. in der Schweizer Eidgenossenschaft zwar zu den sogenannten (verbündeten) Orten gerechnet wurde, aber keinen Sitz an der Tagsatzung hatte, so knüpfte doch die gemeinschaftliche reformirte Confession zwischen Zürich u. Bern, den beiden mächtigsten Cantonen, einerseits u. G. andererseits sehr enge Bande. Als 1690 französische Truppen sich des Herzogthums Savoyen bemächtigten, u. G. dadurch gefährdet wurde, legten die beiden verbündeten Städte Zürich u. Bern 1692[150] eine Besatzung hinein u. vermittelten zwischen G. u. dem König von Frankreich, welcher beleidigt zu sein erklärte.

Die politische Verfassung der Stadt G. war noch im 17. Jahrh. eine rein demokratische. Die höchste Staatsgewalt stand der allgemeinen Versammlung der ganzen Bürgerschaft zu od. dem sogenannten Conseil général des citoyens et bourgeois; allein nach u. nach war die Thätigkeit dieser Allgemeinen Bürgerversammlung sehr zusammengeschrumpft, indem sie ordentlich nur zwei Mal des Jahres zur Wahl der vier Syndics od. Bürgermeister u. einiger anderer hoher Beamten zusammenberufen wurde u. außerordentlich bei Erlassung neuer Gesetze, od. wenn es der Große od. Kleine Rath für nöthig hielt, was aber sehr selten geschah. Die Regierung wurde von dem sogenannten Kleinen Rath, aus 25 Mitgliedern bestehend, ausgeübt u. verwaltet (Conseil de XXV., Conseil étroit ou ordinaire), welcher die innern u. äußern Staatsangelegenheiten besorgte, auch Polizei-, Civil- u. Criminalsachen entschied. Dieser wählte aus der Bürgerschaft den Großen Rath od. den Rath der Zweihundert, dem das Begnadigungsrecht zustand u. der auch als höchste. Stelle über innere Angelegenheiten Beschluß faßte. Im Großen Rath durfte nur über solche Angelegenheiten verhandelt werden, über welche der Rath der Fünfundzwanzig schon Beschluß gefaßt hatte. Bei dem Verfall der demokratischen Verfassung wurde die Wirksamkeit der allgemeinen Bürgerversammlung so beschränkt, daß dieselbe nur über diejenigen Gegenstände sich berathen durfte, welche ihr vom Kleinen u. Großen Rath zugewiesen wurden. Der Große Rath ernannte aus seiner Mitte die Mitglieder des Kleinen Rathes. Außerdem bestand noch eine Art Staatsrath von 60 Mitgliedern, welchen der Kleine Rath aus dem Großen Rath ernannte u. nur bei wichtigen Staatsangelegenheiten zu Rathe zog. Die einzelnen Zweige der Verwaltung wurden von Ausschüssen des Großen u. Kleinen Rathes unter Vorsitz der Syndics besorgt, Finanzen, Lehnsachen, Festungsbau, Zeughaus, Münze, Wohlfahrtspolizei, Luxus, Handel, Korn u. Wein etc. Die Syndics hatten außerdem den Vorsitz in allen Rathsversammlungen u. die Pflicht den Staat persönlich zu vertreten. Es bestand eine Staatsanwaltschaft (Procureur général) zur Beförderung alles dessen, was zum Nutzen des gemeinen Wesens gereichen konnte, um als Kläger in Criminalfällen aufzutreten u. als Fürsprech die Rechtshändel der Republik zu führen. Die Besetzung kleiner Verwaltungsstellen u. die Bürgerrechtsertheilung stand bei dem Kleinen Rath.

Regierung u. Verwaltung waren auf diese Weise ausschließlich in die Hände einer kleinen Anzahl von herrschenden Familien (Patricier) gerathen, wie überall in der Schweiz. Sie hatte sich auch gemeinsam gegen jede demokratische Bewegung verbündet, u. als daher die demokratische Partei in G. im J. 1707 die alten Volksrechte wieder zur Geltung bringen wollte, legten die Regierungen von Bern u. Zürich eine Besatzung nach G., mit Hülfe deren die Demokraten verbannt od. zum Tode verurtheilt wurden. In Folge dessen wurde die Bedrückung von Seiten der Regierung so grell, daß sogar ein Mitglied des Großen Rathes, Micheli du Crest, seine Stimme dagegen erhob; allein er wurde vom Kleinen Rathe zu lebenslänglicher Einsperrung verurtheilt, u. die Berner patriotische Regierung hielt ihn auf dem Schlosse zu Aarburg gefangen (1731). Die Erbitterung der Parteien stieg immer mehr, man schlug u. mordete sich in den Gassen (1737), so daß endlich Bern, Zürich u. Frankreich sich einmischte u. einen billigen Vergleich zwischen den Patriciern u. der Bürgerschaft vorschrieben (1738). Als der Genfer Bürger Jean Jacques Rousseau sich durch seine philosophischen Schriften berühmt machte, u. die Regierung nach damaliger Sitte zwei seiner Bücher durch den Henker verbrennen ließ, wurde dies Veranlassung zu einem neuen Ausbruche der Parteikämpfe; die Volkspartei verlangte, daß jede Beschwerde über die Regierung vom Großen Rathe an die allgemeine Bürgerversammlung gebracht werden solle; ihre Gegner behaupteten dagegen, daß eine Volksversammlung kein Gericht sei. Die Unordnung nahm zu u. es drohte eine neue Einmischung von Seiten Berns, Freiburgs u. Frankreichs. Die Regierung kam dem durch Nachgiebigkeit zuvor, indem sie der Volksversammlung das Recht einräumte, die Hälfte des Großen Rathes zu wählen u. jährlich vier Mitglieder des Kleinen Rathes (Regierung) abzusetzen, welche dann die Wählbarkeit für immer verlieren sollten. Allein es fehlte an Aufrichtigkeit der regierenden Familien. Sie wandten sich, um die unumschränkte Gewalt wieder zu erlangen, an die französische Regierung, welche schon lange den blühenden Gewerbfleiß der Genfer für Frankreich zu gewinnen wünschte. Französische Agenten wiegelten die zahlreiche Klasse der in G. von Fremden gebornen Einwohner auf, welche keine politische Rechte hatten, um einen Kampf zwischen ihnen u. der demokratischen Partei der Bürgerschaft hervorzurufen, in welchem französische Truppen sich eingemischt hätten; allein die Demokraten besetzten die Festungswerke u. entwaffneten die Einwohner, schlossen jedoch mit ihnen eine Übereinkunft ab, wodurch sie ziemlich gleiche Rechte wie die Bürger erhielten. Die Regierung mußte dies (10. Febr. 1781) bestätigen; da sie aber zum Umsturz der neuen Verfassung fortwühlte, so setzte die durch die Einwohner verstärkte demokratische Partei den Kleinen u. Großen Rath ab u. wählte diese Körperschaften aus ihrer Mitte. Mehrere Mitglieder der alten Regierung entflohen. Die Regierungen von Frankreich u. Bern erklärten aber, sie würden nicht dulden, daß Aufrührer Regierungen ab- u. einsetzten, u. die savoyische Regierung schloß sich ihnen an. Alle drei Regierungen ließen Truppen in G. einrücken u. die alte Regierung mit allen ihren Vorrechten wiederherstellen, welche ihre Gegner von den Ausübungen der politischen Rechte ausschloß, das Vereinsrecht aufhob, die Waffenübungen der Bürger verbot, die Preßfreiheit unterdrückte u. die angeworbenen fremden Truppen auf 1200 Mann erhöhte (1782) Viele Genfer wanderten aus. Aber schon 1789 erhoben sich die Bürger von Neuem u. besiegten die Regierungstruppen, worauf die Regierung der Einwohnerschaft wieder politische Rechte einräumte, weil die französische Revolution hereinbrach Die Regierung verminderte die Zahl der angeworbenen Söldlinge u. suchte eine Stütze in der Bevölkerung der Stadt.

Dagegen betrieben einige Genfer Flüchtlinge od. Verbannte, die in Frankreich lebten, die Vereinigung G-s mit Frankreich, wo angeblich das Reich der Freiheit u. Gleichheit begann. u. fanden[151] bes. in den Dörfern, die zu der Republik gehörten, weil sie keine politischen Rechte hatten, eifrige Anhänger Inmitten dieser Gährung näherte sich im September 1792 ein französisches Heer; dadurch ermuthigt, bewaffnete sich die aus dem nicht mit politischen Rechten versehenen Theil der Bevölkerung bestehende revolutionär-französische Partei, besetzte das Zeughaus u. bemächtigte sich der Staatsgewalt. Viele unzufriedene Bürger schlossen sich an (Dec. 1792). Nach dem Muster der französischen Republik wurde ein Wohlfahrtsausschuß, ein Verwaltungsausschuß u. ein Nationalconvent eingesetzt, u. der Pöbel wüthete, wie in Frankreich, gegen Alles, was durch Geburt, Reichthum, Wissenschaft od. Kunst hervorragte. Das angesammelte Staatsvermögen u. die confiscirten Güter der Gemordeten wurden vergeudet. Dies dauerte bis 1796, wo in Frankreich die Jakobiner durch die gemäßigte Partei gestürzt waren u. auch in G. die Mäßigung wieder die Herrschaft erlangte. Man stellte die Verfassung von 1782 wieder her. Als aber die alte Eidgenossenschaft 1798 sich auflöste, wurde G. mit Frankreich vereinigt. Den 30. Dec. 1813 capitulirte G. an die Österreicher unter Bubna u. die Franzosen zogen ab; im März 1814 wurde es von den Franzosen unter Marchand vergebens belagert.

Nach dem Sturze Napoleons hatten die verbündeten Mächte die Wiederherstellung der Republik genehmigt. Nach der Bundesacte vom 20 März 1815 trat G. als selbständiger Canton der Eidgenossenschaft bei, durch einen Theil von Gex, die Ortschaften Versoy u. Carouge u. einige früher savoyische Dörfer vergrößert. Unter einer repräsentativ-republikanischen Verfassung wurde lange Zeit, selbst als seit dem J. 1830 fast alle übrigen Cantone von demokratischer Bewegung erschüttert wurden, kein Wunsch einer Änderung laut. Allein die radicale Partei, welche an die Stelle des Bundesvertrags von 1815 eine einheitliche Verfassung setzen wollte, bedurfte der Herrschaft ihrer Anhänger auch in G. Es bildete sich ein radicaler Club (3. März 1841), welcher eine neue Verfassung u. die Zusammenberufung eines Verfassungrathes (Assemblée constituante) verlangte. Der Staatsrath wollte mit verfassungsmäßigen Zugeständnissen beschwichtigen (22. Nov. 1841), schien aber andererseits die Verfassung von 1814 mit Waffengewalt vertheidigen zu wollen, jedoch die Volksmenge. welche das Rathhaus umzingelt hatte, forderte stürmisch einen aus der freien Wahl der Gesammtheit der Bürger hervorgehenden Verfassungsrath, u. die Regierung mußte nachgeben. Es wurde eine neue reindemokratische Verfassung berathen u. von der großen Mehrheit der Genfer Bürger in der Stadt u. auf dem Lande angenommen (Juni 1842). Bei den Wahlen der politischen Körperschaft u. höchsten Beamten siegte die conservative Partei, bei denen der Gemeindevertreter die radicale. Neue Reibungen waren die Folge davon, u. um dennoch im Besitz der höchsten Gewalt zu gelangen, sachten die Radicalen einen neuen Aufstand (13. Febr. 1843) an, dessen Zweck die Niedersetzung einer radicalen provisorischen Regierung war, der aber von der Mehrheit der bewaffneten Bürger unterdrückt wurde. Die Einführung der Schwurgerichte (12. Jan. 1844), womit G. den übrigen Cantonen voranging, zeigte ein reges politisches Streben an. Immer mehr wuchs unterdeß die Macht der radicalen Parteiin der gesammten Schweiz u. mit ihr der Einfluß der radicalen Wortführer in G., so daß sie im Oct. 1846 durch einen Gewaltstreich sich in Besitz der höchsten Gewalt setzte. Es handelte sich an der Tagsatzung um die Auflösung des Sonderbundes von sieben katholischen Cantonen; die Genfer Regierung hatte aber beschlossen, an der Tagsatzung ihre Stimme dahin abzugeben, daß der Sonderbund nicht eher aufgelöst werde, als den darin begriffenen Cantonen Sicherheit gegen Einfälle von. Freischaaren gewährt werde. Der Große Rath stimmte (3. Octbr.) der Regierung mit geringer Mehrheit bei. Am 4. Oct. versammelten sich gegen 600 Bürger auf dem Platz du Temple u. schrieben eine Volksversammlung aus, welche den 5. Oct. stattfand. Unter Leitung von James Fazy erklärte sie den Beschluß des Großen Rathes für verfassungswidrig u. wählte einen verfassungtreuen Ausschuß von 25 Mitgliedern, lauter Radicalen. Die Regierung berief am 6. fünf Compagnien aus der Stadt u. ein Bataillon von der Landschaft Volkswehr (Milice) unter die Waffen u. erließ Verhaftsbefehle gegen die Hauptanstifter, welche aber das Volk bewaffnete u. sich verbarrikadirte. Am 7. kam es zum Kampf, wobei die Volkswehr einigen Verlust erlitt u. sich auflöste, worauf die Regierung am 8. Oct. abdankte u. eine provisorische Regierung mit James Fazy an der Spitze sich bildete, welche sofort die Einberufung eines neuen Verfassungsrathes anordnete. Eine neue, der radicalen Partei günstige Verfassung kam zu Stande. Die neue Regierung that viel zur Verschönerung der Stadt; die Festungswerke wurden geschleift, ein Nationalinstitut für Wissenschaften, Künste, Industrie u. Handel gegründet. An der Umgestaltung der Schweizer Bundesverfassung (1847–48) nahm G. den lebhaftesten Antheil; im Jahre 1850 u. den folgenden wendete man sich den materiellen Interessen zu. G. gewann als Knotenpunkt von Eisenbahnen u. elektrischen Telegraphen neue Bedeutung, während es der Hauptsitz der französisch redenden Schweiz für Wissenschaft u. Kunst schon seit längerer Zeit ist. Zugleich bildete sich aber aus den gemäßigten Demokraten u. aus den Anhängern der alten Regierung eine Widerstandspartei gegen den Radicalismus, die endlich bei den Wahlen der Regierungsmitglieder den 14. Nov. 1853 den Sieg davon trug, so daß James Fazy mit seiner Partei ausscheiden mußte. Allein schon zwei Jahre darauf wurde er wieder mit seinen Anhängern in die Regierung gewählt, nachdem er unterdeß die in G. seßhaften Katholiken für sich durch das Versprechen gewonnen hatte, den aus Freiburg vertriebenen Bischof Marilley wieder einsetzen helfen zu wollen. Kaum war aber der Bischof Marilley in G. angelangt, als die geschichtlichen Erinnerungen den alten Geist der Reformation weckten, u. er sich genöthigt sah, wieder abzureisen. Bevollmächtigte von Genf u. Freiburg verständigten sich über die Bedingungen, unter denen er nach Freiburg zurückkehren könne. Bei der Handelskrise im J. 1856 u. 1857 litt auch die Genfer Industrie. Die Regierung beschloß die Gründung eines allgemeinen Arbeitervorschußvereins (Caisse centrale des Sociétés de secours mutuels entre ouvriers) zu genehmigen, welcher 3900 Actien, je zu 100 Francs ausgeben sollte, u. selbst 1000 Stück zu nehmen, womit sich auch der Große Rath einverstanden[152] erklärte. Am 16. März 1858 wurde mit großer Feierlichkeit von den Genfer Oberbehörden die Genf-Lyoner Eisenbahn eingeweiht, ohne Betheiligung französischerseits, weil die Genfer Regierung nicht willfährig genug in Bezug auf die französischen Flüchtlinge gehandelt hatte, so daß die Bundesregierung durch eidgenössische Commissarien viele italienische u. französische Flüchtlinge aus G. u. der Schweiz entfernen ließ. Die im Mai stattgefundene Wahl der Gemeindebehörden hatte für die radicale Partei ungünftige Ergebnisse. Im Juli wurde die Eisenbahn von Genf nach Coppet dem Betriebe übergeben. Eine kleine Streitfrage entspann sich zwischen der Regierung von G. u. der Schweizer Bundesregierung über die Grenzen der Cantonalsouveränetät wegen der Flüchtlingsfrage, da die Stellung von James Fazy auf eine geschickte Benutzung der Ideen des französischen Radicalismus mit einer Annäherung an die Ultramontanen begründet war u. er den Stützpunkt seiner Herrschaft in der steten Zuziehung fremder, seine Bestrebungen fördernder Elemente fand. Vgl. Levrier, Chronologie historique des Comtes de Genevois.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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