Thrakien

Thrakien

Thrakien (Thrake), in ältester Zeit das Land, welches nördlich von Macedonien zwischen dem Strymon, Savos u. Pontos Euxinos innelag, später wenigstens bis zur Donau, also noch Mösien u. Dacien mit begriff; in der römischen Zeit hatte es zu Grenzen im Westen Macedonien, davon geschieden durch den Fluß Nestos u. das Rhodopegebirg, im Norden Mösien, davon durch das Hämosgebirg getrennt, im Osten den Pontos Euxinos u. im. Süden die Propontis, den Hellespont u. das Ägäische Meer, dessen nordwestlicher Winkel hier den Meerbusen Melas bildete. Gebirge: Hämos, Skomios, Rhodope, in dem nachmals macedonischen Theile Orbelos u. Pangäos; Vorgebirge am Ägäischen Meere: Serrhion u. Serpedoulon; am Hellespont: Mastusia; am Bosporus: Chrysokeras; am Pontos Euxinos: Philia u. Thynias; der Haupt fluß war der Hebros mit den Nebenflüssen rechts: Suemos u. Arda; links: Artiskos, Tonfos, Agrianes; außerdem an der Südküste: Nestos, Kossinites, Kompfatos, Trauos, Schönos, Melas, Ägos Potamos, Xerogypsos, Arzos, Athyras, Bathynias; an der Ostküste: Orosines, Tearos, Rira, Panissa; die zwei größten Seen waren Bistonis u. Stentoris, außerdem der kleinere Imaris. Obgleich das Land rauh u. kalt war, so war es doch nicht durchgängig unfruchtbar; Producte: Wein, Getreide, Metalle, bes. Gold. Den Bergbau lernten die Thracier von den Phöniciern. Eingetheilt wurde das Land in die Gaue Medike, Dentheletike, Sardike, Bessike, Drosike, Bennike, Usdikesike, Selletike, Samaïke, Köletike, Sapaïke, Korpialike, Känike, Astike u. Chersonesos Thrakia. Die vornehmsten Städte waren: an der Südküste: Abdera, Maximianopolis, Ismaros, Maronea, Doriskos, Änos, Kardia, Sestos, Lysimachia, Bisanthe, Perinthos (Heraklea), Selymbria, Byzantion; an der Ostküste: Salmydessos, Thynias, Apollonia, Mesembria; im Innern: Beröa, Hadrianopolis, Trajanopolis, Philippopolis, u. v. a. An der Südküste lagen die Inseln Samothrake, Imbros, Lemnos, Thasos. Die Einwohner Thraker, waren ein Hauptzweig des Indoeuropäischen Volksstammes; sie zerfielen in viele einzelne Völkerschaften; unter den alten Stämmen sind bes. die Kikones, Bessi u. die Bistones berühmt; sodann in dem macedonischen Th. die Odomantes, Dentheletä, Mädi; außerdem die Elethi, Diobessi, Karbitesi, Brykes, Sapäi, Kabyleti, Pyrogeri, Dengeri, Käniki (Känt), Hypsaltä (Hypselitä), Beni, Korpilli, Sellitä, Priantä, Dolonkä, Thyni, Köletä u.a. Die einzelnen Völkerschaften standen unter Königen,[547] welche von den Edeln berathen wurden; sie waren sehr kriegerisch u. tapfer; ihre Waffen waren Schwert, Spieß u. Schild; sie kämpften theils zu Fuß, theils zu Pferde, angeführt von dem Könige; es herrschte bei ihnen Polygamie, die Weiber wurden durch Geschenke von deren Eltern erworben; eheliche Untreue wurde an den Weibern durch Verstoßen gestraft, worauf diese zu den Eltern zurückkehrten u. die Männer ihre Brautgeschenke zurückerhielten; sie trugen leinene Kleider, die Weiber bis zu den Füßen herabreichend. Bei den Thrakern soll das Tätowiren gebräuchlich gewesen sein. Der Landbau wurde durch Knechte betrieben, das geerntete Getreide in Gruben aufbewahrt; die Beschäftigung der Edeln waren Jagd u. Ausziehen auf Abenteuer; bei Gastmälern saß jeder an einem besonderen Tische, dabei wurde stark getrunken; als Trinkgefäße dienten Hörner; bei ihnen blühte die Kunst des Gesanges u. einige Stämme standen auf einer gewissen Stufe von Bildung; sie verehrten bes. die Götter, welche die Griechen Ares, Artemis u. Bakchos nannten, u. der Bakchische Dienst soll von Th. nach Griechenland gekommen sein; Menschenopfer wurden selten u. nur bei großen Nationalangelegenheiten gebracht. Vgl. Gatterer, Th. nach Herodot u. Thukydides, deutsch von H. Schlichthorst, Gött. 1800.

Die Geschichte Th-s ist unbekannt bis auf die persische Zeit herab. Nur einzelne Völker, wie die Pierier am Olympos, zeichneten sich aus; die Hellenen verdankten ihnen Gesang u. gottesdienstliche Gebräuche Unter den thracischen Sängern ist Orpheus (s.d.) der berühmteste; auch die Nordthracier hatten unter sich die Sage von Bildung durch Zamolxis (s.d.). Die Perser fielen zuerst unter Darios Hystaspis in Th. ein; nachdem er die thracischen Stämme um den Pontos Euxinos u. die Geten unterworfen hatte, nahm er durch Megabyzos die Südküste u. unterjochte die in der Nähe derselben wohnenden Völker; doch blieb noch ein großer Theil Th-s frei u. wurde von persischer Herrschaft wieder gänzlich befreit, da Xerxes unglücklich in Griechenland gefochten hatte. Darauf bemächtigten sich die Griechen der Seestädte, die Athener bes. der Gegenden, wo die Goldbergwerke lagen; im Innern rissen einzelne mächtige Stämme die Herrschaft über ihre Nachbarn an sich, so bildete sich am Rhodopegebirg das Reich der Besser, im Norden zwischen Danubius, Nestos u. Pontos Euxinos das der Odrysen. Bei Letzteren legte Teres den Grund zu ihrer Herrschaft; sein Sohn Sitalkes erweiterte sie. Er war mit den Athenern befreundet, welche an seinem Hofe Gesandte hielten; auf Veranlassung derselben führte er 430 v. Chr. Krieg gegen Perdikkas von Macedonien, um dessen Neffen, Amyntas, den Thron zu erkämpfen, u. blieb 425 auf einem Zug gegen die Triballer. Sein Neffe, Seuthes, Sohn des Sparadokos, war auch ein Freund der Athener u. wurde von denselben mit dem Bürgerrecht beschenkt. Das durch innere Streitigkeiten geschwächte Reich befestigte u. vergrößerte er durch Unterwerfung mehrer Nachbarvölker. Gegen 400 v. Chr. herrschte Seuthes II. über die Seethracier (Sapäer); auch er stand in freundschaftlichem Verhältniß mit den Athenern u. unterstützte den Lacedämonier Derkyllidas gegen Persien. Kotys I., Sohn des Pentheus, seit 380, kam mit den Athenern in Krieg u. schlug ihren Feldherrn Iphikrates zweimal; seiner Grausamkeit wegen wurde er von seinen Brüdern Python u. Heraklides um 356 ermordet. Sein Sohn Chersobleptes, Fürst des Thracischen Chersones, wurde von Philippvs von Macedonien seines Reiches beraubt. Außerdem eroberte Philippos das Land zwischen dem Strymon u. Nestos mit den Goldbergwerken u. dann bis an den Hebros. Weiter zu gehen hielten ihn die griechischen Angelegenheiten ab. Alexander der Große erhielt sich das von seinem Vater eroberte Th.; bei seinem Zuge nach Griechenland wurde Zopyrion Statthalter von Th., u. nach Alexanders Tod wurde Th. eine Provinz, welche Lysimachos erhielt. Dieser versuchte die noch freien Thraker zu unterwerfen, aber die unterdessen wieder erstarkten Odrysen unter Seuthes III. hielten ihn davon ab. Seuthes verband sich nun mit Antigonos u. blieb so im ungestörten Besitz seines Reichs. Nach dem Tode des Lysimachos (281 v. Chr.) setzten sich 275 Celten in Th. fest, welche viele Völker unterjochten u. das Reich Thula od. Tylis gründeten; aber nach 60 Jahren zogen die Celten wieder ab u. die Thraker wurden wieder frei. Bei den Odrysen folgte auf Seuthes IV. 171 v. Chr. Kotys II.; er war ein Alliirter des Königs Perseus von Macedonien gegen die Römer u. beunruhigte die Römer bei ihren Zügen nach Asien. Zur Rache dafür wendeten sich die Römer zuerst gegen die Besser, welche M. Lucullus besiegte u. so festen Fuß in Th. faßte; doch wurden die Thraker als Freunde u. Bundesgenossen behandelt. Inzwischen beunruhigten die Bastarner das nördliche Th.; M. Crassus schlug sie zurück, u. weil die Thraker sich feindselig gegen die Römer bewiesen hatten, so unterwarf er einen großen Theil des Landes, u. es wurde ein römisches Heer zur Sicherung des Landes längs den Ufern des Ister aufgestellt. Der unterworfene Theil wurde dann eine römische Provinz unter dem Namen Mösia. Auch das übrige Th. stand in völliger Abhängigkeit von den Römern, obgleich mehre Stämme noch ihre Könige hatten. So wird Rhömetalkes genannt, welcher bis 7 n. Chr. regierte; dessen Reich vertheilte nach seinem Tode der Kaiser Augustus unter dessen Bruder Rheskuporis u. Sohn Kotys V. Beide waren aber mit ihrem Antheil nicht zufrieden; Tiberius wollte ihren Streit entscheiden, aber Rheskuporis hatte seinen Neffen 19 n. Chr. fangen u. ermorden lassen; er selbst wurde, da er aus Alexandria, wohin er gebracht worden war, entfliehen wollte, 21 ebenfalls getödtet. Nun gab Tiberius die Regierung dem Enkel des Rheskuporis, Rhömetalkes II.; dieser war ein treuer Freund der Römer, u. weil er den Römern oft gegen die nordischen Völker Hülfe geleistet hatte, schenkte ihm Caligula, 38 n. Chr., die Herrschaft über ganz Th., welche er bis 47 behielt, wo er von seiner Gemahlin ermordet u. Th. wieder eine römische Provinz wurde. Das ganze Land wurde nun in sechs Provinzen getheilt: Thracia im engern Sinne, die Gegend am ersten Laufe des Hebros, mit Philippopolis; Hämimontos, am östlichen Laufe des Hebros, mit Hadrianopolis; Europa, Küstenstrich an der Propontis u. dem Pontos Euxinos, mit Perinthos (Heraklea); Rhodope, der Küstenstrich vom Sinus melas bis zur Mündung des Nestos, mit Änos; Moesia secunda, nördlich von Hämos, mit Marcianopolis; Skythia, am letzten Laufe des Ister, mit Tomi. Das Ganze stand unter dem Praefectus praetorio per orientem. Unter den byzantinischen Kaisern wurden fremde Völker nach Th. gesetzt, so Bastarner von Probus u. Gothen von [548] Theodosios, nachdem schon Valens mehren flüchtigen Gothen daselbst Sitz u. Wohnung verstattet hatte. Hier gründete 1342 Johann Kantakuzenos zu Didymotychon ein Kaiserthum, indem er seine Mündel, Johann u. Emanuel, Söhne des byzantinischen Kaisers Andronikos Paläologos, um ihre Herrschaft bringen wollte. Doch wurde Johann in Constantinopel gekrönt u. dem Emanuel gab er seine Tochter zur Gemahlin u. machte ihn zu seinem Mitregenten. Er eroberte Lycien u. Kappadocien. Später kam er in Streit mit Emanuel u. ging 1355 in ein Kloster, ließ aber vorher seinen Sohn Matthias zum Kaiser ausrufen. Dieser wurde jedoch bei Philippi von Johann geschlagen u. gefangen. Th. kam im 14. u. 15. Jahrh. unter die Herrschaft der Türken u. erhielt als Provinz dieses Reichs den Namen Rum-Ili, während es nach der jetzigen Eintheilung das Ejalet Adrianopel (Edreneh) umfaßt. Bgl. Cary, Hist. de rois de Thrace, Par. 1825.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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