- Tunis [1]
Tunis, 1) Staat der Berberei in Afrika, grenzt nördlich u. östlich an das Mittelmeer, westlich an Algier, südlich an Tripolis; hat 125 Meilen Küste u. 3700 QM. Flächengehalt. Die Beschaffenheit des Küstensaumes ist östlich vorherrschend stach, saudig[931] u. unfruchtbar, im Norden aber steigen steile Felsmassen empor, nur hier u. da durch einen flachen Strich vom Meere getrennt. Im Innern des Landes ist der nördliche u. westliche Theil mit Bergmassen angefüllt, welche zum Theil hoch u. schroff aufsteigen, sämmtlich der Richtung von Südwest nach Nordost folgen u. häufig bewaldet sind. Südwärts schließt sich daran die Ebene des Medscherda- u. Milianahflusses, welcher abermals im Süden eine zweite hohe Gebirgsregion als Fortsetzung des algerischen Aurasgebirges folgt. Diese Zone erhebt sich bis 7000 Fuß u. endigt im Osten theils gegen die sumpfige Ebene von Kairuan, theils als Cap Bon, östlich den Golf von T. begrenzend. Theile dieses Gebirges führen die Namen: Dschebel Usselata, D. Sit, Suk el Arbar; weiter südwärts der Dschebel Selloum, Halouk, el Mekhila, Tionach. Südlich von diesen Bergmassen erscheint als vierte Zone die wüste, felsige Ebene des Dattellandes od. der Tunesischen Sahara, in deren tiefsten Stellen Salzseen (Schottel Kebir) auftreten, Fortsetzungen des Melrir. Von den zahlreichen Vorgebirgen sind die nennenswerthesten im Norden: Cap Negro, C. Blanco, C. Sebib, C. Bon, C. Carthago; im Osten: Ras el Melha, el Mustafa, Monastir u. Kabudia. Unter den Meerbusen ist der ansehnlichste der Golf von T., an der Ostseite die Busen von Heraklea u. Kabas (die Kleine Syrte). Die bedeutenden Inseln zunächst der Küste sind Pantellaria u. Lampedusa (zu Italien gehörend), Galita (welche die Franzosen zu Algier rechnen), Tabarka, Kerkina u. Dscherba. Das Klima ist im Allgemeinen gesund (namentlich an den Küsten), dessen Hitze durch Seewinde gemildert, aber auch zuweilen durch die heißen Südwinde sehr beschwerlich wird. Die Regenzeit beginnt im October u. dauert bis in den Januar, ja auch in den April, wodurch dann gute Ernten gewonnen werden. Producte: die der Berberei, s.d. u. vgl. Algier u. Tripoli. Ergiebig sind die Gebirge an Silber, Kupfer, Blei, auch Quecksilber; man gewinnt Weizen, Getreide, Hülsenfrüchte, Öl, Wachs, Südfrüchte (Datteln, für diese ein besonderer Markt zu Toger), Korallen, Schiffsbauholz; Viehzucht (Rind- u. Schafvieh, Kameele, Pferde, diese von besonderer Dauer u. Schnelligkeit); die Gebirge u. Wälder sind reich an Wild. Ackerbau wird nicht sehr betrieben, doch sind die fruchtbaren Ufer des Medscherda recht gut angebaut. Die Einwohnerzahl schätzt man auf 3 Mill., meist Mauren u. Araber, außerdem etwa 160,000 Juden, 7000 Türken u. 7000 Europäer. Religion ist der Islam. Regierungsform: Dem Namen nach ist T. türkische Provinz, obwohl die Hohe Pforte hier gar keine Autorität hat u. auch nicht einmal Tribut erhebt. An der Spitze des Staates steht ein erblicher Bey (seit 1706 aus der Familie eines Renegaten, gegenwärtig seit 1859 Sidi Sadok). Im Jahre 1842 ist der Sklavenhandel u. seit 1849 auch die Sklaverei aufgehoben; am 9. Sept. 1857 hat der Bey dem Lande eine Constitution gegeben, worin unter Anderem auch allen religiösen Parteien u. Bekenntnissen freie Religionsübung gewährt wird, s. uuten S. 933. Der Divan, welcher berathend dem Bey zur Seite steht, soll jedoch trotzdem wenig Einfluß haben. Die Einkünfte mögen etwa 3 Mill. Gulden betragen, u. fließen bes. aus einigen Monopolen u. den Steuern. Die Armee besteht aus 12,000 Mann regulärer Infanterie, 800 M. regulären Lanciers u. 1 Regiment Artillerie mit 40 Geschützen; außerdem soll es 16,000 M. irreguläre Cavallerie geben. Die Seemacht besteht in 2 Corvetten, 3 Briggs, 5 Schoonern u. 10 Kanonenbooten. Künste u. Wissenschaften sind auf niedriger Stufe. Industrie: Wollenweberei, Leder- u. Seifebereitung; ausgebreitet ist der Handel zur See u. zu Lande (1843 betrug der Umsatz fast 9 Mill. Gulden, wovon etwas über die Hälfte auf die Ausfuhr kam); die reichlichen Producte, sowie die Kunstproducte (tunesische gewebte Mützen [Feß], sehr gesucht), geben viel Gelegenheit dazu. Eingeführt werden: europäische Fabrikate, Putzwaaren, seine Leinwand, Zucker, Kaffee, Eisen u. andere Metalle, Farben, eingemachte Früchte, frisches Obst, indianische Waaren, Opium, Glas, Sklaven aus europäischen, ägyptischen u. asiatischen Häfen. Er wird begünstigt durch Verträge mit den Europäern, welche dazu dienen, daß ihre Schiffe theils in den Häfen von T. einkehren dürfen, theils vor den Räubereien derselben jetzt sicher sind. Münzen, Maße u. Gewichte. Man rechnet nach tunesischen Piastern zu 52 Asper à 2 Burben à 6 Burbinen, od. nach Piastern à 16 Carruben = 52 Asper = 104 Burben = 624 Burbinen; doch ist der Piaster auch hier, wie in der Türkei u. Ägypten, von sehr ungleichem Werth; die von 1739–1810 mögen im Durchschnitt 6 Loth 7–8 Grän halten, 371/3 Stück auf die Feine Mark gehen, 1 Piaster also 11 Sgr 22/3 Pfennig werth sein; die von 1810–1830 sind etwa 4 Loth 57/8 Grän fein, 75,3 auf die Feine Mark, 1 Piaster = 5 Sgr. 6,9 Pf.; die spätern dagegen sind noch mehr gesunken, so daß der spanische Piaster (Dollar) nur zu 15 tunesischen gerechnet wird. Geprägte Münzen sind: a) in Gold: ältere Mahbubs od. Sultaninen, auch halbe, im Werth von 1 Thlr. 20–21 Sgr.; b) in Silber: Piaster u. Carruben, auch Doublas zu 24 Asper; c) in Kupfer: Burben, auch sind die neuen Carruben von Kupfer. Maße: der arabische Pik (Elle) für Baumwollenwaaren ist 488,3 Millimeter od. 19,225 englische Zoll lang, der türkische Pik für Seidenwaaren 637 Millimeter od. 25,079 engl. Zoll, der Pik Hendaze zu Wollenwaaren 673 Millim. od. 26,5 engl. Zoll. Fruchtmaß: der Cafiz od. Kasis hält 550–560 Liter, er ist getheilt in 16 Huebas à 12 Sahas; für Öl, Essig, Milch etc. existirt der Saà = 13/4 Liter, 8 Saàs = 1 Kolla, 2 Kollas = 1 Mettar (Mattaro, Metal); der Mettar Öl hält in Marseille 19,3–19,7 Liter od. 172/3–18 Kilogramm, er ist aber in den einzelnen Häfen von T. verschieden; als Weinmaß ist die Marseiller Millerole von 641/3 Liter in 61/2 (Mitres getheilt. Gewicht: der Rotal od. Rotolo ist dreifach: a) der Rotal Attary (= 506,9 Gramm) für Droguen, Eisen, Kupfer, Blei, Gold u. Silber hat 16 Ouakie's (Unzen); 100 Rotal (1 Cantaro) = 50,7 Kilogramm; b) der Rotal Soucky (= 568,415 Gramm) für Fleisch, Öl, Seife, Oliven, Butter, Holz, Kohlen, Honig, Früchte hat 18 Unzen; c) der Rotal Khaddary (= 639,453 Gramm), für alle Arten Kräuter u. Gräser, hat 20 Unzen. 2) Hauptstadt des Reichs, an einem mit der Rhede durch den Kanal Goletta (Goulette) in Verbindung stehenden Salzsee el Bahira (Boghaz); Festung (Citadelle Kayba, Hafenbatterien u. Mauern), enge, schmutzige Straßen, flachdachige Häuser, Wasserleitung (zu Karls V. Zeit erbaut); hat 11 Thore u. 2 Vorstädte, zahlreiche Moscheen, katholische Kirche u. Kapuzinerkloster, griechisches Kloster mit Kirche, muhammedanische Hochschule[932] (800 Schüler), katholisches Gymnasium (von der französischen Regierung unterstützt), Börse mit Lesezimmer, schöne Kasernen, öffentliche Bäder, Bazars u. Karavanserais, einen neuen, im Maurischen Style erbauten Residenzpalast; sehr ansehnlich ist der Gewerbfleiß, namentlich in Seidenweberei, rothe Feß, Saffiane u. Waffen. Bedeutend ist auch der Handel, sowohl zur See, als auch zu Lande; daher hier auch englische, französische, amerikanische u. italienische Consulate. Unter den mehr als 100,000 Einw. befinden sich 30,000 Juden. 3) Golf am Mittelmeere, in Entfernung mehrer Meilen von der Stadt.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.