Erdbeben

Erdbeben

Erdbeben, die zerstörendste aller Naturerscheinungen, jedoch in ihren schwächsten Äußerungen (welche nur in, von ihnen verursachten Pendelbewegungen erkennbar sind) verbreiteter, als man glaubt. In geringeren Graden beschränken sich die Erdbewegungen auf bloße leichte Schwankungen od. auch stoßende Erderschütterungen (Erdstöße), In ihren vollen Ausbrüchen aber ist eine große Strecke Landes gewaltsam bewegt, theils in horizontalen, theils wirbelnden Schwingungen, wobei der Boden gehoben, gesenkt od. umgedreht wird, theils stoßweise. Die Erschütterungen verbreiten sich meist von dem ursprünglichen Sitz der bewegenden Kraft aus in linearer Richtung wellenförmig. Durch Sismometer (s. unten) kann man die Richtung der Stöße er. kennen. Die Geschwindigkeit der Fortpflanzung ist für das Rheinische E. von 1846 auf 3,7 Meilen, für das E. von Lissabon von 1755 auf 19,6 Meilen in der Minute gefunden worden. Oft entstehen auch Spalten u. Klüfte, aus denen Dünste, selbst mit Rauch u. Flammen, hervorbrechen. Nach Verschiedenheit dieser Bewegungen werden Gebäude u. andere hohe Gegenstände auf dem Erdboden auf die mannigfaltigste Art erschüttert, aus ihrer Verbindung u. dem Gleichgewicht gebracht u. sie stürzen in Trümmer; es werden auch wohl ganze Strecken Landes in die entstandenen Erdsenkungen mit befaßt, welche dann von dahin abströmenden Gewässern überdeckt werden; dabei wird meist auch ein eigenes Getöse u. Rollen unter der Erde wahrgenommen. Eben so werden von Wasser bedeckte Gegenden durch Erhebung aufs Trockene gesetzt Mehrere Inseln des Meeres (Santorin, die Ljparischen Inseln u.a.) haben sich auf diese Weise gebildet. Die Dauer der einzelnen Erdstöße ist meist sehr kurz, gewöhnlich nur von einigen Secunden. Außer leichten Erdstößen, die bei E. auch an entfernten Orten verspürt werden, versiegen auf einige Zeit wohl auch Quellen, od. brechen andere hervor, od. es treten auch ungewöhnliche Witterungsverhältnisse ein. Am meisten sind Gegenden am Meere u. in der Nähe von Vulkanen den E. ausgesetzt. Doch ist kein Ort der Erde vor ihnen sicher, u. es vergeht fast kein Tag, wo nicht an irgend einem Orte der Erde eine Erderschütterung Statt findet. Dabei ist die Kraft der E. gewöhnlich in den Gegenden am stärksten, welche von noch thätigen Vulkanen fern sind, wie dies der Umsturz von Lissabon, Caracas, Lima u. so vieler Städte in Kleinasien u. Syrien beweist. In der Nähe von Vulkanen findet dagegen gewöhnlich die bewegende Kraft durch eine Eruption der Vulkane einen Ausweg, ehe die Kraft des E-s sich bedeutend steigern kann. In der kalten u. in der heißen Zone sind sie verhältnißmäßig häufiger, als in der gemäßigten, u. es gibt Orte, wo sie zu den alltäglichen Erscheinungen gehören. Gewöhnlich u. mit Recht werden in vulkanischen Gegenden nach langem Außenbleiben vulkanischer Ausbrüche (wie des Ätna auf Sicilien) E. gefürchtet. Ohne Zweifel ist die Grundursache der E. mit derjenigen der vulkanischen Eruptionen identisch; dies beweist die beständige Begleitung der Eruptionen von E., die Wechselwirkung zwischen beiden, nach welcher ein heftiges E. häufig durch einen vulkanischen Ausbruch ein Ende gewinnt u. das nicht seltene Vorkommen der stärksten E. in weiter Entfernung von Vulkanen. Die Geologen sind demnach fast völlig darüber einverstanden, daß übergll auf der Erde in gewisser Tiefe eine Hitze herrsche, bei welcher alle Gesteinsmassen geschmolzen sind; diese heißflüssige Masse kommt bei ihren Bewegungen mit Gewässern, welche auf Spalten durch die feste Erdrinde hinabdringen, in Berührung, u. die plötzliche Dampfbildung erregt dabei das E. Mit Rücksicht auf diese Theorie pflegt man noch einen Unterschied zwischen plutonischen E., deren Sitz in größerer Tiefe zu suchen ist, u. vulkanischen E. zu machen, welche bei vulkanischen Eruptionen in größerer Nähe von der Erdoberfläche ihren Ursprung haben. Die Wirkung der E. auf die Fruchtbarkeit[826] des Bodens ist zuweilen sehr merkwürdig. Vielfaltige Beobachtungen haben in Peru gezeigt, wie nach sehr heftigen E. üppige Felder verödeten u. auf denselben während mehreren Jahren keine Pflanzen mehr gedeihen wollten. In mehreren Gegenden der Provinz Truxillo, die sich früher durch ihren Überfluß an Getreide auszeichneten, lagen nach dem Erdbeben von 1620 die Äcker 20 Jahre brache. Ähnliche Beispiele liefern viele andere Districte. Besonders empfänglich für die E. sind die Getreidearten; es sind Fälle bekannt, daß nach schwachen E. Maisfelder, die gerade in der Blüthe standen, nach wenigen Tagen verdorrten. Gewöhnlich haben Thiere ein Vorgefühl vom Ausbruche eines E-s u. äußern dies durch Unruhe, Heulen, Winseln etc. Auf Schiffen werden auf offenem Meere nicht selten Stöße von E. empfunden; in Häfen gehen sie durch das gewaltsame Schwanken des Wassers unter. Die ersten Stöße u. Schwankungen sind meist die stärksten; sie dauern zuweilen nur einige Secunden, höchstens einige Minuten lang, kehren aber nach unbestimmter Zeit wieder; schwächere Bebungen bleiben dann wohl noch längere Zeit zurück.

Um gegen E. sich durch eigene Vorkehrungen zu sichern, gründete Bertholon de St. Lazare auf die Idee, daß das E. seiner Natur nach ein unterirdisches Gewitter sei, den Vorschlag, ganze Gegenden durch Erdbebenableiter zu schützen, nämlich durch lange eiserne Stangen, die so tief wie möglich in die Erde eingegraben u. an beiden Enden mit einer Krone von Spitzen versehen würden; Wiedeburg (Über die E., Jena 1788) schlug Pyramiden, od. kegelförmige hohe Gebäude vor, um das Gleichgewicht atmosphärischer u. unterirdischer Elektricität herzustellen. Auch zu Erdbebenmessern (Sismometer) sind von Dom. Salsano Vorschläge gemacht worden, nach denen auf mechanische Weise bei einem entstandenen Erdstoß mit einem Pinsel auf einem Papier, das über eine gehörig gestellte Boussole gelegt ist, die Richtung desselben abgezeichnet, zugleich durch Anschlagen an eine Glocke die geringste Erdbewegung angedeutet werden soll. Prenschen hat in einer Eigenschrift (Heidelb. 1783) ähnliche Vorschläge gethan. Cacciatores Erdbebenmesser besteht aus einem flachen Becken von Holz, durch dessen Rand ringsum 8 Löcher in gleichen Abständen führen. Außen ist dies Becken mit einem Schirm umgeben, über welchen 8 Furchen führen, welche die Verlängerung der 8 Löcher bilden, u. unter welchen 8 Becher auf einem Postament gestellt werden. Das Becken wird mit Quecksilber gefüllt, welches bei der geringsten Erschütterung aus der Rinne der Seite, welche derjenigen, woher der Stoß kommt, entgegengesetzt ist, Quecksilber entleert. Erfolgt nun ein E., so läuft ein Theil des Quecksilbers auf die beschriebene Weise u. um so mehr aus, als die Erschütterung stark war. Kreils Erdbebenmesser (1855) besteht aus einer Pendelstange, die sich in jeder Richtung schwingt, aber sich nicht drehen kann, u. einem daran befestigten Cylinder, welcher durch ein darin befindliches Uhrwerk binnen 24 Stunden um seine verticale Achse gedreht wird. An einem neben dem Pendel aufgestellten Pfahl ist ein dünner, elastischer Arm mit einem Bleistift, der sich gegen den Cylinder erstreckt u., so lange der Pendelin Ruhe ist, an demselben eine ununterbrochene Linie zeichnet; wird das Pendel in Schwingungen versetzt, so zeichnet der Stift Striche, welche die Zeit des Eintrittes u. zugleich Stöße u. Richtung der Erschütterung angeben.

Die Geschichte gedenkt großer Verheerungen ganzer Länder u. Städte durch E. Im Jahr 17 n. Chr. gingen 13 große Städte Syriens in einer Nacht durch E. unter, welches Land vorzugsweise mehrmals, wie bes. in den Jahren 526, 985, 1169, 1202, 1759, 1822, 1840, durch verheerende E. heimgesucht wurde. Herculanum u. Pompeji wurden unter Neros Regierung fast ganz durch ein E. zerstört, 16 Jahre eher. als sie durch einen Ausbruch des Vesuv unter vulkanischer Asche begraben wurden. Die fürchterlichsten E. der neueren Zeit. sind die von 1693, wo ohne einen Ausbruch des Ätna Catania u. 49 andere Orte zerstört u. 60,000 Menschen getödtet wurden; von 1746, wo Callao u. Lima verwüstet wurden. Nächst dem großen E. vom 1. Novbr. 1755 zu Lissabon (s.d.) sind noch bemerkenswerth das von 1770 auf Haiti, das von 1774 in Guatemala; 1785 am 5. Febr. in Sicilien u. Calabrien, 1797 in Peru, 1799 in Acapulco, 1804 im Juli in der neapolitanischen Grafschaft Molice, 1812 in Caracas, 1822 in Syrien (Aleppo zerstört), 1823 zu Palermo, Valparaiso u. Chili, 1824 zu Irkutsk, Schiras u. Jerusalem 1826 zu Bogota, 1828 in Columbien u. zu Lima. Bes. reich an E. war das Jahr 1829, v. Hoff hat aus diesem Jahre über 40 größere u. kleinere E verzeichnet; 1832 vom Januar bis März in Umbrien, 1834 zu Batavia, 1835 in Centralamerika (Chili), 1836 im April in Calabrien u. zu Jaffa, 1837 im griechischen Archipelagus u. zu Acapulco, 1840 auf Zante u. am Ararat in Armenien; 1841 den 14. Jan. in Calabrien u. am 12. Juni auf der Insel Terceira, wo die Stadt S. Villa da Praye zerstört wurde; 1842 im April im östlichen Peloponnes, im Mai dieses Jahres auf Haiti; 1843 den 8. Febr. auf Guadeloupe, wo die Stadt Pointe a Pitre zerstört wurde; 1844 im Juni in Centralamerika; 1845 den 7. April zu Mexico; 1846 auf Zante u. in Messenien, am 14. Aug. dieses Jahres zu Pisa, Livorno u. Volterra; 1847 im Novbr. zu Batavia; 1848 im Januar an der Ostküste Siciliens; 1851 den 28. Febr. auf Rhodus u. der Südwestküste von Kleinasien, im August auf Martinique, den 2. April in Chili, u. im Aug. u. Septbr. in den neapolitanischen Provinzen Capitanata u. Basilicata. 1852 am 20. Aug. auf Cuba; 1853 den 3. Mai zu Schiras u. Kaschan, den 15. Juli in Mittelamerika, wo Cumana zerstört wurde, im August zu Theben; 1854 im Febr. in Calabrien, im April zu San Salvador in Mittelamerika, im Decbr. an der Japanischen Küste zu Simoda; 1855 großes anhaltendes u. weitverzweigtes E. zu Constantinopel, Brussa (Untergang dieser Stadt), Salonichi, Smyrna, Rhodus, Gallipolis, Adrianopel, Samos, Metline, Nasidi, Philippopolis u. in den Dardanellen, am 12. Novbr. dieses Jahres wurde Jeddo, die Hauptstadt Japans, durch ein E. zerstört; 1856 den 15. Febr. in Californien, am 12. Octbr. an der östlichen Mittelmeerküste u. auf Malta, Korfu, in Smyrna, auf Rhodus, Syra u. Sicilien statt, u. am 17. Decbr. zu Salerno, Potenza u. Pola. Ein furchtbares E. zerstörte in der Nacht vom 16./17. Dec. 1857 mehrere Städte des Königreichs Neapel, namentlich Atena, Padula u. Polta. Am 21. Febr. 1858 wurde Korinth durch ein E. fast völlig verwüstet; vom 15. bis 24. Jan.[827] 1858 wurde das östliche Deutschland durch häufige Stöße, am 28. Jan. die Umgegend von Passau, am 3. Febr. Salonichi, am 5. Febr. die Schweiz, am 2. bis 3. Kärnten heftig erschüttert u. am 19. Juni Mexico u. die Umgegend furchtbar verwüstet.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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