Angoulēme [2]

Angoulēme [2]

Angoulēme (spr. Anggulähm), franz. Geschlecht, von der Grafschaft A. so genannt. Turpion, Sohn Ithiers od. Rothars, war angeblich durch Karl den Kahlen erster Graf von A.; er fiel 863 gegen die Normänner, u. die Grafschaft erbte in dessen Geschlecht fort, bis Aymar Taillefer; dieser machte seiner Schwester Mathilde ihre Güter streitig u. verletzte auch Richard Löwenherz Gebiet, während dessen Gefangenschaft, wofür dieser ihn nachher überfiel u. besiegte, aber doch verzieh. Aymar starb 1218, ohne Söhne zu hinterlassen; seine Tochter Isabella heirathete[498] König Johann ohne Land von England, dann den Grafen Hugo von Lusignan u. Mark, welchem dadurch die Grafschaft zufiel. Das Haus Lusignan besaß A. bis Hugo XIII., welcher 1303 starb, worauf die Grafschaft, da er keine männlichen Erben hinterließ u. weil sein Bruder von der Partei der Engländer war, vom König Philipp dem Schönen von Frankreich eingezogen ward. Von da an war die Grafschaft meist Apanage von Gliedern od. Verwandten des königl. Hauses. Solche waren: 1) Jean, Comte d'A., jüngster Sohn Ludwigs, Herzogs von Orleans, der Ahnherr Franz I., auf dem Concil zu Basel 1440 mit zum Papste vorgeschlagen; 2) Charles von Valois, Comte d'A., unterzeichnete 1485 mit dem Herzog von Orleans u. mehreren Unzufriedenen einen Tractat gegen Karl VIII. von Frankreich, verglich sich aber 1486 wieder mit ihm. 3) Francois, Comte d'A., sein Sohn, wurde als Franz I. König von Frankreich, s.d. (Gesch.), u. erhob die Grafschaft 1514 zum Herzogthum u. zur Pairie. 4) Henri, Duc d'A., natürlicher Sohn Heinrichs II., Großprior von Frankreich u. Gouverneur der Dauphiné, nahm an den Kriegen zwischen der Ligue u. den Hugenotten Antheil; er ward zu Aix von einem französischen Edelmann, welchen er beleidigt hatte, 1586 erstochen. 5) Charles Valois, Duc d'A., natürlicher Sohn Karls IX. von Frankreich, erhielt 1589 von Katharine von Medici die Auvergne (s.d.), führte 1604 mit den Spaniern einen verrätherischen Briefwechsel u. ward deshalb vom Parlament zum Tode verurtheilt, aber König Heinrich IV. begnadigte ihn zu ewigem Gefängniß u. ließ ihn dann ganz frei; st. 1650. Er schr.: Mémoir es pour servir à l'histoire des regnes de Henri III. et IV., Par. 1662. Zuletzt führte er den Titel Herzog von A., von einem Gute seiner Gemahlin bei St. Cloud. 6) Louis Antoine de Bourbon, Duc d'A., geb. 1775 zu Versailles, ältester Sohn des Grafen Artois u. der Marie Theresie von Savoyen, u. daher nach dessen Thronbesteigung als Karl X. Dauphin, wanderte vor seinem Vater 1789 aus u. ging nach Turin zu seinem Großvater, trat 1792 an die Spitze eines Corps Emigrirter, ging, als die Revolutionscoups einen unglücklichen Ausgang für ihn nahmen, nach Edinburgh, dann nach Blankenburg u. Mietau, wo er sich 1799 mit der Folgenden vermählte, mit ihr u. Ludwig XVIII. nach Warschau, 1805 nach Rußland u. England, wo er mit zu Hartwell bei Edinburgh lebte. 1814 ging A. zum englisch-spanischen Hauptheere nach St. Jean de Luz, zog am 12. März in Bordeaux ein u. bildete hier den Kern der sich gestaltenden Royalisten, u. eilte im Mai nach der Restauration nach Paris, wo er Generalobrist der Kürassiere u. Dragoner u. Admiral von Frankreich ward. Im Februar 1815 bereiste er den Süden u. erfuhr den 9. März zu Bordeaux die Landung Napoleons zu Antibes u. zugleich seine Ernennung zum Lieutenant des Königs, errichtete als solcher zu Toulon ein eigenes Gouvernement, den Grafen Dumas u. Baron le Vitrolles an der Spitze, ergang gegen den rückkehrenden Napoleon zichend bei Montelimart u. Valence einige Vortheile, ward aber den 6. April bei St. Jaques zurückgedrängt u. von den Seinigen verlassen. Bordeaux u. Toulon sielen Napoleon zu, u. A. selbst wurde bei Port St. Esprit 6 Tage lang angehalten, dann aber auf einem schwedischen Schiff zu Cette nach Barcelona eingeschifft u. ging darauf nach Madrid. An der Grenze sammelte er alle geflüchteten Royalisten u. wollte eben mit ihnen die Grenze überschreiten, als die Schlacht von Waterloo erfolgte. Er besetzte nun Toulon, errichtete einige Bataillone Freiwilliger u. eilte nach Paris. Dort zum Präsidenten der Wahlcollegien des Girondedepartements ernannt, leitete er 1819 die Wahlen zu Bordeaux, ward zum Präsidenten der Pairskammer ernannt, erschien aber selten in dieser. Im Herbste ging er nach Südfrankreich, um dort die Verfolgungen der Protestanten zu hemmen. 1823 General en chef der Armee in Spanien, zog er in Madrid ein, befreite Ferdinand VII. aus seiner Gefangenschaft u. endete die Revolution. Im Spätjahr 1823 nach Paris zurückgekehrt, lebte er dort ohne sonderlichen Antheil an den Regierungsgeschäften, auch als Karl X. König ward; er unterzeichnete am 2. August 1830 die Abdankungsacte seines Vaters zu Gunsten des Herzogs von Bordeaux, theilte, als die Kammern nicht darauf achteten, die Schicksale seines Vaters, ihn nach England u. 1832 nach Prag, dann nach Görz begleitend, wo er als Graf von der Marne lebte u. am 3. Juni 1844 kinderlos starb. Er betrachtete sich nach dem Tode Karls X. als rechtmäßigen Thronerben u. König, u. die von den Kammern nicht angenommene Entsagung als nichtig. 7) Marie Therese Charlotte, Duchesse d'A., geb. 1778 zu Versailles, Tochter Ludwigs XVI. u. der Marie Antoinette, erhielt sogleich den Titel Madame Royale u. ward bes. von der Prinzessin Elisabeth treulich erzogen. Nach der Hinrichtung ihrer Eltern, deren Gefangenschaft im Temple sie theilte, von denen sie aber zuletzt getrennt ward, wurde sie noch gefangen gehalten, aber 1795 gegen die Conventsmitglieder Camus, Quinette, Bancal u. Lamarque u. den Kriegsminister Beurnonville, welche Dumouriez den Österreichern ausgeliefert hatte, u. gegen Semonville u. Maret ausgewechselt; sie ging nach Wien, 1799 aber nach Mietau, wo sie dem Vorigen, ihrem Cousin, vermählt wurde; sie begleitete nun ihren Gemahl allenthalben, den Titel Marquise du Milleraye führend, u. zeichnete sich stets durch Milde u. Wohlthätigkeit aus. Im April 1814 zog sie mit Ludwig XVIII. in Paris ein. Auch hier zeigte sie sich versöhnlich, wiewohl sie strenge Royalistin war. Im Febr. 1815 begleitete sie ihren Gemahl nach Bordeaux u. zeigte hier nach der Rückkehr Napoleons seltene Geistesstärke, so daß Napoleon von ihr sagte: es gibt nur Einen Mann unter den Bourbons, u. das ist die Herzogin von A. Als Bordeaux schwierig zu werden begann, schiffte sie sich nach England ein, ging von da zu Ludwig XVIII. nach Gent u. begleitete ihren Gemahl wieder nach Paris. Einige sagen, daß sie um die Verschwörung von Toulouse gewußt habe, welche eine Lostrennung des südlichen Frankreich als Königreich Aquitanien für den Grafen Artois od. ihren Gemabl bezweckte, u. mit dem Grafen v. Artois die Seele der geheimen Regierung gewesen sei. Als die Julievolution ausbrach, war sie in einem Bad in Burgund u. eilte verkleidet über Dijon nach St. Cloud, begleitete ihren Gemahl u. Karl X. nach Holyrood u. Prag, ging auch nach Wien u. lebte mit Ersterem in Görz, nach dessen Tode 1814 in Frohsdorf, wo sie am 19. October 1851 starb.[499] Ihr u. ihres Gemahls Leichnam wurde in dem Franciscanerkloster Castagnavizza beigesetzt. Es gibt Mémoires über ihre Gefangenschaft im Temple.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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