Worms [1]

Worms [1]

Worms, 1) Kreis der großherzoglich hessischen Provinz Rheinhessen, 6,12 QM. mit 51,800 Ew.; 2) Hauptstadt darin, am Rhein u. der hessischen Ludwigsbahn (Mainz-W.-Ludwigshafen) mit projectirtem Zweig nach Alzei, ehemals Reichsstadt, ist Sitz der Kreisbehörden, eines katholischen u. evangelischen Dekanats, eines Rabbinats. Unter den vier Kirchen ist der katholische Dom zu St. Peter eins der schönsten Bauwerke Romanischen Styls, 996 bis 1016 erbaut, zu Ende des 12. Jahrh. mannichfach verändert, 1860 restaurirt; er hat vier stattliche Thürme u. ein schönes südliches Portal im Spitzbogenstyl; in dem 347 Fuß langen u. 85 Fuß breiten Innern sind bemerkenswerth der Grabstein der drei fränkischen Königstöchter Embede, Barbede u. Wellebede aus dem 13. Jahrh., große ausgezeichnete Steinbildwerke in der Taufkapelle u.a.; auf dem Platze vor dem südlichen Portale schalten sich nach dem Nibelungenliede Brunhilde u. Chriemhilde. Andere Kirchen sind die 1709 bis 1726 errichtete evangelische Dreifaltigkeitskirche am Markte; die Liebfrauenkirche zu Ende des 15. Jahrh. im Gothischen Style erbaut mit vorzüglichen Steinornamenten; die ehemalige St. Paulskirche aus der Übergangszeit vom Byzantinischen in den Gothischen Styl; die Synagoge, angeblich die älteste in Deutschland, aus dem 11. Jahrh., welche nebst dem Dom bei der Einäscherung der Stadt durch die Franzosen 1689 allein übrig blieb. Nördlich vom Dome erhob sich ehemals der Bischofshof, einst die Burg König Gunthers, er wurde 1689 von den Franzosen eingeäschert, 1727 aber wieder aufgebaut, indeß 1794 von jenen nochmals zerstört, so daß jetzt nur noch der Unterbau von rothen Sandsteinquadern in einem (der Familie Heyl gehörigen) Privatgarten übrig ist. Es ist jetzt streitig, ob der Ort, wo Lucher am 17. u. 18. Aug. 1521 vor der Reichsversammlung erschien (s. Luther S. 621 u. Reformation S. 912), der vormalige Bischofshof od. der Bürgerhof (Rathhaus) war (vgl. Hohenreuther, Rathhaus od. Bischofshof, Frankf. 1862). Außerdem sind bemerkenswerth: das alte Rathhaus, die Domdechantei (jetzt Kaserne), das städtische Münzhaus, Gymnasium, Landwirthschaftliche Lehranstalt, großes Hospital, Militärlazareth, Handelskammer, Freimaurerloge zum wiedererbauten Tempel der brüderlichen Liebe. W. hat Fabriken in Leder, Lackwaaren, Tabak, Cichorien, Seife, Zeugdruckereien, Schifffahrt, Handel, bedeutende Ledermärkte, Weinbau (die berühmte Liebfrauenmilch in der Nähe der Liebfrauenkirche, der Luginsländer bei einem ehemaligen Wartthurm); 11,400 Ew. (2/3 evangelisch, zur Zeit des Kaisers Friedrich Barbarossa 70,000 Ew., zu Anfang des Dreißigjährigen Krieges noch 40,000). Die Umgegend wird von den Minnesängern der Wonnengau genannt. Bei W. lag ehemals eine vom Rhein umflossene Aue, der Rosengarten genannt, jetzt mit dem rechten Ufer verbunden u. voll Gras u. Weidengestrüpp. Wappen: ein schräg liegender[358] silberner Schlüssel in rothem Felde; der Schild wird von zwei geflügelten Drachen gehalten. – W. hieß im Alterthume Borbetomagus od. Vangiones als Hauptstadt der Vangionen. Attila äscherte W. unter Valentinian III. ein u. erst Chlodewig baute 496 die Stadt wieder auf. Oft war W. Residenz Chlodewigs u. der Könige von Austrasien. W. ist in dem frühen Mittelalter berühmt durch das Nibelungenlied, indem hier die Residenz der Burgunden u. der Rosengarten (s. oben) war. Brunhilde errichtete hier ein Bisthum. 618 bei der Eintheilung des Fränkischen Reichs in Provinzen u. Grafschaften wurde W. Sitz eines Grafen; Genebald war der erste. Bei der Theilung unter Ludwigs des Frommen Söhne fiel W. an Ludwig den Deutschen, es gehörte von nun an immer zu Deutschland u. wurde als freie Reichsstadt betrachtet u. der Kurfürst von der Pfalz war ihr Schutzherr. Sie saß auf der Rheinischen Städtebank auf der vierten Stelle, worin sie mit Lübeck wechselte. 1073 erhielt sie von Heinrich IV. Freiheit von einigen Rheinzöllen, 1384 von Karl IV. den Judenzoll, von Ferdinand I. das Recht keine Juden zu dulden (doch wurden diese erst 1615 durch einen Tumult völlig verjagt). Auch war W. mit Nürnberg u. Bamberg auf der Frankfurter Messe zollfrei (s. Pfeifergericht). 1122 hier Friede zwischen Heinrich V. u. dem Papst, durch welchen der Investiturstreit entschieden wurde. 1495 hielt Maximilian I. seinen ersten Reichstag in W., auf welchem am 7. August der ewige Landfriede festgestellt wurde. Auf dem von Karl V. 1521 gehaltenen Reichstag daselbst wurde Luther, da er nicht widerrufen wollte, 18. April in die Acht erklärt u. das Wormser Edict (s.d.) gegeben. 1540 u. 1557 wurden hier die Wormser Religionsgespräche (s. Religionsgespräch f) gehalten, um eine Verständigung zwischen Katholiken u. Protestanten zu erzielen. 1547 hielt Karl V. nochmals einen Reichstag hier, u. 1578 Rudolf II. einen andern. 1632 eroberten es die Schweden u. 1635 die Kaiserlichen, 1644 nahmen es die Franzosen unter dem Herzog von Enghien durch Capitulation ein, zogen jedoch nach dem Frieden wieder ab. 1688 besetzten es die Franzosen unter Boufflers abermals, rissen die Festungswerke nieder, gruben das Wasser ab u. verbrannten am Pfingsttage 1689 die ganze Stadt, so daß nur der Dom u. die Synagoge stehen blieb. Am 17. September 1743 hier der Wormser Tractat, eine Erneuerung des Offensivbündnisses zwischen England, Savoyen u. Ungarn. 1801 wurde W. im Lüneviller Frieden an Frankreich abgetreten u. zum Departement Donnersberg geschlagen. Durch den Pariser Frieden 1814 kam es wieder zu Deutschland u. durch den Wiener Congreß 1815 an Hessen-Darmstadt. W. wurde im Mai (so am 17. u. 28.) u. Juni 1849 mehrmals von badischen Insurgenten besetzt, bis dieselben am 13. Juli von den Preußen vertrieben wurden, s. Hessen-Darmstadt S. 318. Der Ort, wo das von Rietschel modellirte Lutherdenkmal aufgestellt werden soll, ist gegenwärtig noch nicht bestimmt. Vgl. Pauli, Geschichte der Stadt W., Worms 1825; Lange, Geschichte u. Beschreibung der Stadt W., ebd. 1837; Fr. Zorn, Wormser Chronik, herausgeg. von W. Arnold, Stuttg. 1857: Brückner, Geschichte des Reichstags zu W., Heidelb. 1860; G. Wolf, Zur Geschichte der Juden in W. u. des deutschen Städtewesens, Bresl. 1862. 4) Sonst Sitz eines von Brunehilde gegründeten Bisthums in W.; begriff 8 QM. mit 20,000 Ew., hatte Sitz u. Stimme auf dem Reichstage, u. das Directorium auf dem Oberrheinischen Kreistage; das Stift bestand aus 13 Canonikern u. 9 Domicellaren. Das Wappen war ein schräg liegender silberner Schlüssel, in Schwarz, auf jeder Seite mit vier goldenen Kreuzchen geschmückt. Die acht Prälaten von St. Victor bis Gervilius werden mißbrauchsweise Erzbischöfe genannt. Das Gebiet des Bisthums kam 1802, so weit es auf dem linken Rheinufer lag, an Frankreich, das auf dem rechten Ufer befindliche 1803 an das Großherzogthum Hessen. Vgl. Wiegand, Zur Geschichte der Wormser Erzbischöfe u. Bischöfe, Worm 1855. 5) So v. w. Bormio. 6) Insel zum Kreis Hapsal des russischen Gouvernements Esthland gehörig, im Westen der Insel Dagö, 1,75 QM. groß, von 2000 Ew., Abkömmlingen der Schweden, bewohnt, welche einen eignen Dialekt reden u. Ackerbau, Viehzucht u. Fischerei treiben. Hier das Kirchspiel Olei u. in der Nähe das Eiland Nuckö, auch von schwedischen Nachkommen bewohnt.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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