Schwangerschaft

Schwangerschaft

Schwangerschaft (Graviditas), der Zustand einer werdenden Mutter von der Empfängniß bis zur Geburt des Kindes, im Zeitraum von 9 Sonnen- od. 10 Mondesmonaten od. 280 Tagen, mit nur geringen naturgemäßen Verkürzungen od. Verlängerungen. Die Empfängniß u. beginnende S. kann aus gewissen unbestimmten Gefühlen u. Erscheinungen während u. nach dem Beischlaf nur vermuthet werden; mit einiger Sicherheit, wenn die Katamenien einer Person, bei welcher sie in gehöriger [504] Ordnung waren, zur erwarteten Zeit nicht wiederkehren; doch kehren dieselben bisweilen nach der Empfängniß noch das nächste Mal wieder, od. erscheinen wohl auch, wiewohl schon seltener u. meist etwas schwächer u. mit kürzerer Dauer, bis zur Hälfte der S. fort, seltener darüber. Noch etwas höher wird die Wahrscheinlichkeit der erfolgten Schwängerung, wenn sich gleich die ersten Tage nach einer vorausgesetzten Empfängniß gewisse abnorme Gefühle bei der Geschwängerten einstellen, welche sehr verschieden, doch bei einer u. derselben Person in wiederkehrenden S-en meist dieselben sind. Frauen, welche sonst von Natur munter u. heiter sind, fühlen ohne Ursache sich mißmuthig, sind gleichgültig gegen sonst ihnen angenehme Sinneseindrücke, werden gegenseitig auch wohl leichter aufgeregt, reizbarer; sie werden auf ungewohnte Weise von krankhaften Gefühlen, Kopf- u. Zahnweh, Schwindel, Ohnmachten etc. belästigt. Das Gesicht ist entweder natürlich geröthet, das Blut ist überhaupt in lebhafterer Bewegung, was sich dann auch durch sogenannte fliegende Hitze andeutet; od. das Gesicht ist, u. dies gewöhnlicher, blaß; die tief liegenden matten Augen bekommen blaue Ringel u. dgl. Vorzüglich ist das Verdauungssystem gestört; die Schwangern erbrechen sich entweder nüchtern, od. auch auf Genuß ihnen gewohnter, sonst unschädlicher Speisen u. Getränke; sie haben Abneigung gegen sonst ihnen angenehme Speisen u. Getränke, so daß sie selbst den Geruch davon nicht vertragen; gegenseitig zeigen sie aber auch krankhafte Gelüste nach ihnen sonst gleichgültigen Nahrungsstoffen, ja wohl ganz ungewohnten Dingen, z.B. Kreide, Kohle etc., dies zuweilen in einem Grade, daß sie, wenn sie es zu befriedigen Gelegenheit haben, kaum widerstehen können (Pica u. Malacia, s. b.). Gewöhnlich bekommt ihnen auch dann das, wornach sie heftiges Verlangen haben, während sie es vielleicht zu einer andern Zeit nicht vertragen. Meist ist auch der Begattungstrieb nach geschehener Empfängniß gestillt, was selbst in Gleichgültigkeit, ja Widerwillen gegen einen vorher geliebten Mann übergehen kann, bisweilen aber auch erhöhete Flecken od. Ausschläge im Gesicht, eigener Geruch des Athems, häufiges Speicheln des Mundes, Nasenbluten, Schlüchzen Rauhheit od. auch Heiserkeit der Stimme, Aufschwellen des Halses u. andere Erscheinungen sind unsichere, bald gegenwärtige, bald fehlende Schwangerschaftszeichen. Vorzüglichen Nutzen für die Diagnosis der S. hat die Auscultation (s.d. 2) D) durch die Entdeckung eigenthümlicher Geräusche in der befruchteten Gebärmutter geleistet. Größere Sicherheit geben die einzelnen sicherern od. unsichern Merkmale zusammengenommen. Im Fortgang der S., im zweiten (Mond-) Monate, ist die allmälig anschwellende, sich zu einer Höhle bildende Gebärmutter so weit in ihrer Metamorphose gediehen, daß sie tiefer in der Unterleidshöhle herabsinkt; der ganze äußere Unterleib wird hiernach zugleich platter u. verliert die ihm eigene Wölbung unmittelbar über dem Schoßbein. Zugleich fangen auch die Brüste an etwas gespannt u. aufgetrieben zu werden. Im dritten Monat erhebt sich die Gebärmutter allmälig aus dem Becken; nun wölbt sich auch der Unterleib wieder in voriger Weise Die Gebärmutter drückt zugleich auf die Harnblase, daher der gelinde, aber sehr häufige Drang zum Harnen, bes. vom zweiten Monate an fast jeden Morgen. Im vierten Monate erbebt sich die Gebärmutter so weit, daß sie mit ihrem Grunde bis zur Mitte zwischen dem Nabel u. der Schamgegend gelangt; es hebt von nun an also auch die äußerlich bemerkbare, größere Wölbung u. Anschwellung des Unterleibes vorwärts an, welche bis zum neunten Monat sich vermehrt, die Körperhaltung sichtbar verändert, zu leichten u. schnellen Körperbewegungen, Tragen etc. ungeschickt macht u. durch Hinterwärtsbeugen des Oberkörpers den Schwerpunkt mehr rückwärts zu legen nöthigt. Vom Ende des vierten Monats an fühlt man bei der Untersuchung durch die Mutterscheide nicht nur den vorliegenden Kopf des Kindes, sondern kann ihn auch leicht mit dem Finger in die Höhe schnellen u. darauf zurückspielen lassen. Im fünften Monate, also um die Mitte der S., treten gewöhnlich die ersten fühlbaren Bewegungen des Embryos, zwischen der 18.–20 Woche, am deutlichsten am Ende der letztern ein, welche viel zur Berichtigung der Zeitrechnung der S. beitragen, aber auch leicht durch Nichtbeachtung, od. Verwechselung mit Blähungen etc. täuschen können u. bei Auflegung der kalten Hand bemerkt ich u. in den folgenden Monaten immer deutlicher werden. Im sechsten Monat reicht der Grund der Gebärmutter bis an den Nabel; dieser verflacht sich von unten herauf u. bekommt seine Richtung nach oben. Im siebenten Monat steigt der Gebärmuttergrund zwei bis drei Finger breit über den Nabel, dessen Verflachung immer mehr zunimmt. In den Brüsten zeigt sich auch meist eine wässerige, milchähnliche Feuchtigkeit, welche aus den Warzen fließt, auch erscheinen die Venen der Brüste größer u. schimmern bläulich durch die Haut. Im achten Monat tritt der Grund der Gebärmutter bis zu der Mitte zwischen Nabel u. Herzgrube herauf u. neigt sich meistens etwas rechts. Die Wölbung des Unterleibes wird immer ansehnlicher; der Nabel zeigt sich ganz stach. Im neunten Monat hat der Gebärmuttergrund die Herzgrube erreicht; der vollkommen verstrichene Nabel fängt gegen das Ende des Monats an sich zu erheben, gewöhnlich fühlt man auch durch die Abdominaldecken hindurch die Füße des Kindes in der Gegend des Nabels. Die Brüste zeigen sich noch ausgedehnter, u. nicht selten fließt schon eine wässerige Milch aus den Brustwarzen. Im zehnten (Mond-) Monat senkt sich die Gebärmutter wieder abwärts, der Grund befindet sich zwischen Nabel u. Herzgrube; die Haut über ihm ist abhängig, der Nabel ist in konischer Form hervorgetreten u. unterwärts gerichtet. Sehr bedeutende Veränderungen erleidet aber auch in der S. der Hals der Gebärmutter, die sogenannte Scheidenportion. Im Anfange der S. steht der Gebärmutterhals etwas tiefer in der Scheide u. die Querspalte des Muttermundes ist rundlicher, als im nicht schwangern Zustande; im weitern Verlaufe der S. hebt sich dieser Theil immer höher in der Scheide hinauf u. verkürzt sich: die Wandungen des untern Theils der Gebärmutter werden dünner u. lassen selbst den vorliegenden Kindertheil durchfühlen, bis endlich in: 10. Monat der Muttermund wieder tiefer in der Scheide zu fühlen ist, zuweilen sich so weit öffnet, daß man mit dem Finger eindringen kann u. bei zu Ende gehender S. seine Länge verloren hat od. nach dem Kunstausdrucke verstrichen ist.

Bedeutsam für die Erkenntniß ist vor Allem die stufenweise Entwickelung der Erscheinungen. Die inneren [505] Vorgänge beieiner Schwangern zwecken alle darauf ab, sie zu dem Bildungsproceß des neu empfangenen Lebens geschickt zu machen. Sie ist nämlich nicht blos Bewahrerin des Empfangenen, sondern muß dem empfangenen Keime zugleich das Materiale seines Körpers liefern. Zunächst müssen sich dafür im eigenen Körper die Organe auf eine Weise bilden, welche dem Zweck entspricht. Dies betrifft zunächst die Gebärmutter als den Aufenthaltsort des neuen Wesens. Diese vergrößert sich also u. zwar nicht durch Ausdehnung, sondern Vermehrung ihrer Substanz, welche sich nicht allein auflockert, sondern auch ein Eigenvermögen, eine musculäre Contractionskraft bekommt, deren sie im Geburtsgeschäft zum Austreiben des Embryos nothwendig bedarf. In den ersten Monaten der S. ist der Theil, welcher später die Einhüllung des Embryos darbietet, mehr als ein Theil des mütterlichen Körpers anzusehen, u. nur nach u. nach wird er Eigenthümlichkeit des allmälig als selbständiges Wesen in die Erscheinung tretenden Kindes; doch bleibt der Mutterkuchen selbst die ganze S. hindurch ein Theil, auf welchen Mutter u. Kind gleiche Ansprüche machen. Eine Menge Andeutungen dienen zum Beleg, daß während der S. die Gebärmutter, die sonst als ein untergeordneter, organischer Theil erscheint, eine Art von Primat behauptet, welches sich nicht blos auf das Somatische, sondern auch auf das Dynamische u. Psychische erstreckt. Gewöhnlich ist die Gemüthsart u. der ganze Charakter einer Schwangern geändert. Im Durchschnitt sterben weniger schwangere, als nicht schwangere Frauen gleichen Alters in diesem Zeitraume. Leichte Krankheiten, z.B. kalte Fieber, werden zwar während der S. schwieriger geheilt, auch die Callusbildung bei einem Knochenbruche erfolgt bei ihnen schwerer, aber andere u. gefährlichere Krankheiten, wie z.B. u. insbesondere Schwindsucht, machen in der S. einen Stillstand. Das höhere Wirkungsvermögen deutet sich aber auch bei schwächlicheren Frauen durch einen eigenen Muth an, welchen sie während der S. behaupten u. welcher die Besorgnisse ganz niederschlägt, welche sie vielleicht früher wegen der Gefahren, Schmerzen u. Beschwerden der Geburt u. des Wochenlagers hatten. Überhaupt zeigt sich bei ihnen in dieser Periode eine größere Annäherung zum männlichen Charakter u. ein sicheres Gefühl von Selbständigkeit. Die Grenze des plastischen Vermögens einer Schwangern ist aber zu eng gezogen, wenn man selbige blos auf das Eigenleben derselben im Gegensatz des Kindeslebens beschränkt. Von den ältesten Zeiten an sprechen unzählige Erfahrungen dafür, daß auch schon eine lebhafte Vorstellung einer Schwangern Einflüsse auf die Bildung der Frucht äußere, welche sich nach der Geburt nicht nur durch Entwickelung, sondern auch (u. dies häufiger) durch Hemmung körperlicher u. geistiger Eigenschaften, sowie durch Abweichungen von natürlicher Bildung andeuten (s. Muttermaal u. Versehen).

Schwangerschaft außerhalb der Gebärmutter (Extrauterin-S., Graviditas extrauterina): durch noch unerklärte Veranlassungen kann auch das menschliche Ei an andern Stellen als in der Gebärmutterhöhle Platz nehmen u. sich entwickeln, u. zwar bald in dem einen Eierstocke (Eierstocks-S., Graviditas ovarii), bald in einer Muttertrompete (Muttertrompeten-S., Graviditas tubae), od. an der Einmündungsstelle dieser in die Gebärmutter od. auch an einer andern Stelle in der Gebärmuttersubstanz (Graviditas interstitialis), od. in der Bauchhöhle (Bauchhöhlen-S., Graviditas abdominalis). In letztere kann die Frucht auch secundär nach Zerreißung ihrer Hüllen u. Austreten in die Bauchhöhle gelangen, indem sich eine Eierstocks- od. Muttertrompeten-S. in eine Bauchhöhlen-S. verwandelt. Sehr selten hat sich das Ei in der Blase od. Mutterscheide vorgefunden. Die Hüllen des Fötus sind denen bei S. in der Gebärmutter ziemlich gleich gebildet, doch erreicht derselbe selten seine volle Reise u. Ausbildung, namentlich nicht bei Eierstocks- u. Muttertrompeten-S., wo gewöhnlich eine Zerreißung des Eies schon in den ersten Monaten der S. erfolgt, welche meist schnell durch Blutung tödtet. Derselbe Ausgang kann auch bei andern Arten der Extrauterinal-S. vorkommen, od. die Frucht endet durch frühzeitiges Absterben, Einschrumpfen u. Vertrocknung u. kann in diesem Falle selbst durch Aufsaugung entfernt werden, od. sich durch Incrustation mit einer erdigen Masse in ein sogenanntes Steinkind (Lithopädion) verwandeln, was Jahre lang im Körper bleiben kann; od. es entsteht Entzündung u. Eiterung in dem Ei, wodurch das Kind zerstört u. dir Reste desselben durch Ausmündungen der Abscesse durch die Bauchbedeckungen, den Darmkanal, in seltenen Fällen auch durch die Harnblase u. die Mutterscheide, selbst mit Erhaltung des Lebens der Mutter, ausgeleert werden. Die Unterscheidung der S. außerhalb der Gebärmutter von der regelmäßigen hat oft große Schwierigkeiten, noch fast mehre die von Krankheiten der Gebärmutter od. Baucheingeweide. Anfangs ist der Verlauf der S. außerhalb der Gebärmutter oft dem der regelmäßigen ähnlich. Später erfolgen die Veränderungen am Mutterhalse nur unvollkommen u. unregelmäßig, bald folgen auch mehr od. weniger heftige Leibschmerzen. Der Umfang der Gebärmutter vermehrt sich bei steigender, mehr ungleicher Geschwulst des Leides nur unbedeutend; die Theile des Kindes werden deutlicher von außen gefühlt; von Zeit zu Zeit treten Blutflüsse aus den Geburtstheilen ein, auch findet sich ein blutiger Schleimabgang. Die Geburt folgt nicht zu rechter Zeit, trotzdem daß sich Wehen einstellen. Der Ausgang ist vorzüglich bei Eierstocks- u. Muttertrompeten-S gemeiniglich sehr ungünstig wegen Zerreißung des Eies, günstiger bei Absceßbildung, noch mehr bei Vertrocknung u. am glücklichsten bei der Auffangung. Nur bei Mutterscheiden-S. soll der Zustand durch die Geburt geendet haben. Die Kunst kann nur Linderung, selten durch den Bauchschnitt Hülfe bringen. Mehre Krankheiten der inneren Geschlechtstheile, od. der Organe des Unterleibes können auch durch mancherlei Ähnlichkeit der Symptome eine sogen. Falsche S. (Graviditas spuria) vorspiegeln, od. betrügerischer Weise dazu benutzt werden, als die Wind- u. Wassersucht der Gebärmutter, Anschwellungen u. Geschwülste derselben, ferner Krankheiten der Eierstöcke, die Bauchwassersucht, Geschwülste des Netzes u. Gekröses, Verhaltung der monatlichen Reinigung, Hysterie, Darmschwindsucht etc. Bes. gehören auch die Molenschwangerschaften hierher (s. Mole). Hier muß bes. die nicht nach dem Gesetz der S., der Zeit, dem Orte u. der Ausdehnung nach erfolgende Austreibung des Leibes, der Mangel an regelmäßigen Veränderungen des Muttermundes, das Vorhandensein eigenartiger Schmerzen u.[506] überhaupt eine sorgfältige Erforschung u. Abwägung der Erscheinungen gegen die Zeichen der S. aushelfen.

Je mehr der schwangere Zustand des Weibes dessen Reizbarkeit erhöbt u., wenn auch nicht zu Krankheiten, doch zu Unpäßlichkeiten geneigt macht, u. je mehr es gilt gesunde Kinder zur Welt zu bringen, deren Wohlsein auch so sehr von einer glücklichen S. abhängt, um so mehr haben Schwangere sich einer geregelten Lebensweise zu unterwerfen u. in Allem Maß zu halten, ohne sich gerade durch pedantisch-diätetische Vorschriften unnöthig beengen od. ängstigen zu lassen. Die Schwangere bleibe daher auch wo möglich bei ihrer früheren Lebensart, wenn diese den Regeln einer guten Diätetik angemessen war. Sonst vermeide sie schwere, unverdauliche, blähende, sehr fettige, stark gewürzte od. gesalzene, geräucherte Speisen u. hitzige Getränke u. sei in dem gewohnten Genusse des Kaffees, Thees, Bieres od. Weines wenigstens mäßig, od. unterlasse diesen, wenn irgend Beschwerden, namentlich im Blute, eintreten, ganz. Lange Ruhe ist eben so nachtheilig, als zu große Anstrengung Unentbehrlich ist der tägliche u. lange Genuß der freien Luft, die Kleidung sei bequem, in keiner Art, wie durch Corsets u. Schnürleiber, beengend u. vorzüglich für Brust, Leib, für welchen am besten, theils zu diesem Zweck, theils um ihn zu unterstützen u. den Hängebauch zu vermeiden, für eine Leibbinde gesorgt wird, gehörig warm. Gemüthsbewegungen sind für Mutter u. Frucht gleich nachtheilig. Alle Sinnesaufregungen, bes. auch des Gesichts, sind wegen wenigstens bisweilen möglichen Versehens zu vermeiden. Immer sei die Sorge für einen ruhigen Schlaf eine der vornehmsten u. daher bes. lange Aufreizung am Abend verbannt. Da das Stillen so oft in Folge von mangelhafter Ausbildung der Brustwarzen erschwert od. unmöglich gemacht wird, so muß für diese in den letzten Monaten der S. vornehmlich gesorgt werden durch öfteres Hervorziehen derselben mit einer Thonpfeife od. einem Saugglase, Waschen mit Rum od. Franzbranntwein, Aufsetzen von Warzenhütchen, Schutz gegen Druck. Alle Ausleerungen müssen in gehöriger Ordnung gehalten, Stuhlverstopfung darf nicht über 24–36 Stunden geduldet werden. Die Befriedigung der sogen. Gelüste ist nur mit Einschränkung, nicht absolut zu gestatten, wenigstens nicht bei Nachtbeil bringenden, u. der Beischlaf ist nur selten, vorzüglich in den ersten Monaten, mit einer Schwangern auszuüben. Die S. macht nicht geneigt zu Krankheiten, wohl aber zu mancherlei oft sehr hartnäckigen u. lästigen, gewöhnlich aber mit ihr vorübergehenden od. selbst auch nur einige Zeit in ihr andauernden Beschwerden, welche jedoch weit mehr schwächliche, kränkliche, verzärtelte u. unter ungünstigen Einflüssen lebende Frauenzimmer treffen. Das störendste Übel ist das am meisten in der ersten Hälfte der S. gewöhnliche Erbrechen, vorzüglich durch erhöhte Reizbarkeit des Magens u. krampfhafte Anlage, oft aber auch durch Diätfehler, od. Vollblütigkeit, Erkältung der Füße erzeugt od. unterhalten u. manchmal aller geleisteten Hülfe spottend. Es erheischt strenge Diät, bei Vollblütigkeit kühlende Abführungsmittel, Brausepulver, Selterserwasser, bisweilen einen kleinen Aderlaß, od. Schröpfköpfe, od. Blutegel, od. mäßige Hautreize auf die Magengegend, Entfernung erhitzender Getränke, bei krampfhafter Disposition mehr krampfstillende Mittel, aromatische Magenpflaster. Manche Frauen, bes. blonde, solche, welche schon öfter geboren haben u. ältere leiden an Blutaderknoten der Schenkel u. äußern Geburtstheile, welche nicht blos schmerzhaft u. der Bewegung hinderlich sind, sondern durch Aufspringen gefährliche Blutungen veranlassen können u. durch den Druck der Gedärmütter auf die Gefäße, schlaffe Constitution, vieles Sitzen, Schieflage der Gebärmutter, Neigung zu Verstopfung herbeigeführt werden. Sie erfordern die Entfernung falscher Lagenverhältnisse der Gebärmutter, kühlende Abführungsmittel, bisweilen einen Aderlaß, Waschen mit Essig u. Branntwein od. Alaunauflösung, Schnürstrümpfe, Einwickelungen, horizontale Lage (s. Barix). Außerdem sind die Schwangern auch noch manchmal Diarrhöen, mehr in der ersten Zeit, od. Koliken unterworfen, welche nach den gewöhnlichen Vorschriften der Kunst zu behandeln sind, Zahn-, Kopf-, Ohren-, Rücken- u. andere Schmerzen sind bald Erzeugnisse von Erkältungen u. verlangen dann die Anwendung ableitender Hautreize od. krampfstillender Mittel; bald auch mehr Folge von Orgasmus des Blutes, gegen welchen örtliche od. allgemeine Blutentziehungen dienlich sein können. Harnbeschwerden entstehen gewöhnlich von Erkältungen, u. es ist dagegen die Anwendung von warmen, trockenen od. feuchten Fomentationen u. der Genuß van Lein od. Hanfsamenthee nebst Beförderung der Hautausdünstung zu empfehlen. Die S. wird sehr oft der Gegenstand gerichtsärztlicher Untersuchungen u. Erörterungen, wobei der Arzt nicht nur alle über ihre Entstehung, ihren Verlauf, ihre Zeichen u. Dauer vorhandenen Erfahrungen sorgfältigst zu benutzen u. zu erwägen, sondern auch die genaueste innere u. äußere Untersuchung vorzunehmen sat. Es kommen vorzüglich folgende Gegenstände in Frage: a) Die Dauer der S.; da sich diese an keine ganz feste Zeit bindet, so haben für zweifelhafte Fälle von Vaterschaft die Gesetzgebungen gewisse Bestimmungen für das Maximum u. Minimum derselben getroffen. Das Gemeine u. Sächsische Recht nimmt 182 (180) Tage als niedrigsten, 302 Tage als höchsten Termin derselben an, das Preußische für ersteren 210, für letzteren 202 Tage an, das Österreichische für den kürzesten 181, für den längsten 300 Tage; b) Verheimlichung der S. (s.d.); c) die Möglichkeit der Befruchtung durch einen unvollkommenen Beischlaf, wobei nur ein theilweises, oberflächliches Eindringen des männlichen Gliedes u. auch nur eine mehr äußere Benetzung der Scheide mit dem männlichen Samen erfolgte, entweder wegen Gegenwehr des Frauenzimmers, od. enger Scheide, wird nicht fetten geläugnet. Hier gilt als Erfahrung, daß bisweilen auch unter solchen Umständen Befruchtung erfolgen kann; d) die Falsche S. (s. oben); e) die Frage, ob S. bei vorher nie menstruirt gewesenen, ad., wenn der Beischlaf während der Menstruation, od. im Wochenbette od. während der Stillungsperiode ausgeübt wurde, erfolgen könne. Es ist Thatsache, daß ausnahmsweise auch hier bisweilen ein Empfängniß vorgekommen ist; f) die Superfötation, s.d.; g) die vorgeschützte S.; hier muß vorzüglich die Exploration entscheiden; h) das Nichtwissen des Schwangergewesenseins, in so fern es als Entschuldigung benutzt wird; die Möglichkeit desselben wird ebenfalls durch einzelne Beobachtungen unterstützt; i) die Geisteskrankheiten u.[507] Gelüste der Schwangern; zu erstern haben Schwangere allerdings eine besondere Neigung, u. sie müssen daher auch in manchen Fällen als die Zurechnungsfähigkeit mindernd od. aufhebend eintreten, wie auch die krankhaften, öfter auf einem unwiderstehlichen Triebe beruhenden Gelüste. Vgl. Jörg, Die Zurechnungsfähigkeit der Schwangern u. Gebärenden, Lpz. 1837; Derselbe, Belehrung über die von Schwangern, Gebärenden u. Wöchnerinnen zu befolgenden Lebensregeln, ebd. 1839, 4. A. 1842; C. G. Carus, Lehrbuch der Gynäkologie, ebd. 1820, 2 Bde., 3. A. ebd. 1838; Derselbe, Zur Lehre von der S. u. Geburt, ebd. 1822.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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