Gagern

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Gagern, eine freiherrliche Familie wendischen Ursprungs aus dem vormals pommerschen Fürstenthum Rügen stammend. Ihr ursprünglicher Name Gawern ist dem gleichnamigen Dorfe im Kirchspiele Gingst auf Rügen entlehnt, welches die Familie seit der ersten Hälfte des 14. Jahrh. besaß; der jetzige Name G. kommt schon im 16. u. 17. Jahrh. als ihr Familienname vor. Der älteste Ahn des Geschlechts ist Pribe Gawern, der zu Tor-Becke bei Gingst wohnte. 1487 erhielt die Familie vom Herzog Bogislaus X. von Pommern u. 1540 vom Herzog Philipp ihre Lehnsgüter auf Rügen bestätigt, u. 1693 wurde Claudius Moritz von G. unter die reichsunmittelbare Ritterschaft am Rhein aufgenommen. 1) Hans Christoph Ernst, geb. 25. Jan. 1766 auf dem Schlosse Kleinniedesheim bei Worms, studirte in Leipzig u. Göttingen Rechts- u. Staatswissenschaft, wurde dann Assessor bei der Regierung in Zweibrücken, wo sein Vater Oberhofmeister u. Geheimer Rath war, ging dann nach Wien, um die Geschäfte der Reichskanzlei kennen zu lernen, u. trat, erst 21 Jahr alt, als Präsident der Regierung in Hachenburg in nassauische Dienste. Eifriger Gegner der Französischen Revolution verwandte er sich in einem Briefe an den Nationalconvent 1792 für die Königin Marie Antoinette. Beim Andringen der Franzosen während des Revolutionskrieges flüchtete er nach Preußen u. begleitete den nassauischen Hof nach Baireuth. Nach dem Frieden von Lnneville 1801 zum Gesandten aller nassauischen Linien in Paris ernannt, wirkte er für diese reichliche Entschädigungen für ihre Verluste auf dem linken Rheinufer aus u. suchte Nassau soviel wie möglich von einem Anschluß an Frankreich fern zu halten. Bei Gründung des Rheinbundes gab er dem Zwange der Verhältnisse nach u. wirkte für Nassau neue Territorialentschädigungen u. das Präsidium im Fürstencolleg aus. Auch für die Erhaltung der Souverainetät anderer kleiner Fürsten wußte er Napoleon bei dessen siegreichen Erscheinen in Deutschland durch seine Vorstellungen zu gewinnen. Als aber die Lage Deutschlands eine immer mehr verzweifelte wurde u. die Rheinbundsfürsten zu napoleonischen Vasallen herabsanken, legte er verstimmt u. mißmuthig seine Ämter in Nassau 1811 nieder, ging nach München u. dann nach Wien in der Hoffnung, die dortigen Höfe für eine gemeinsame Thätigkeit zur Befreiung Deutschlands von der französischen Herrschaft zu gewinnen. Von 1812 bis 1813 betrieb er die Insurrection Tyrols u. schrieb anonym zur Belebung des deutschen Patriotismus eine Nationalgeschichte der Deutschen, welches Buch einen großartigen Erfolg hatte. Da seine Hoffnungen auf die Erhebung Tyrols fehlschlugen, ging er nach Wien u. trat mit Metternich in Verbindung, um für eine zukünftige Verfassung Deutschlands thätig zu sein. Auch den Freiherrn von Stein u. mehrere deutsche Höfe suchte er für denselben Zweck zu gewinnen u. wurde im April 1813 Bevollmächtigter des Prinzen von Oranien u. des Kurfürsten von Hessen bei dem für das nördliche Deutschland eingesetzten Verwaltungsrathe. Im Auftrage des Ersteren ging er sodann nach Schweden u. England u. kehrte nach der Vertreibung Napoleons aus Deutschland zurück, um als Gesandter für die Niederlande u. Nassau am Wiener Congresse Theil zu nehmen. Seine Abneigung gegen Preußen u. seine Vorliebe für die Niederlande u. die Kleinstaaten trug nicht wenig dazu bei, daß der Deutsche Bund nicht über das Wesen eines Staatenbundes mit lockerem Zusammenhalt hinauskam. Im zweiten Pariser Frieden war es. vorzüglich sein Werk, daß die aus Deutschland zusammengeraubten u. in Paris aufgestellten Kunstschätze den Eigenthümern wieder zurückerstattet wurden. Von 1816–18 war er für Luxemburg niederländischer Bevollmächtigter bei der Bundesversammlung in Frankfurt u. zog sich dann auf seine Güter Monsheim in Hessen-Darmstadt u. Hornan in Nassau zurück. Er wurde 1820 Mitglied der Darmstädter Abgeordnetenkammer u. 1829 vom Großherzoge zu lebenslänglichem Mitgliede der ersten Kammer ernannt. Bis in sein hohes Alter nahm er den lebhaftesten u. thätigsten Antheil an den politischen Angelegenheiten Deutschlands u. starb 22. Oct. 1852 auf seinem Landsitze Hornau. Er schr.: Resultate der Sittengeschichte, Frankf. 1808–22, 6 Bde., 2 Aufl. Stuttg. 1835–37,6 Thle.; Nationalgeschichte der Deutschen, Wien u. Frankf. 1814–26,2 Thle., 1. Theil 2. Aufl., Frankf, 1825; Beiträge zur Zeitgeschichte, ebd. 1814; Über die Auswanderung der Dentschen, Frankf. 1817; Über Deutschlands Zustand u. Bundesverfassung, Stuttg. 1818; Mein Antheil an der Politik, ebd. 1823–44, 5 Bde.; Ansprache an die deutsche Nation über den Vorgang in Köln, Lpz. 1838; Kritik des Völkerrechts, mit praktischer Anwendung auf unsere Zeit, Lpz. 1840; Der Einsiedler, Stuttg. 1822–27; Civilisation, Lpz. 1847, 1. Theil; Zweite Ansprache an die deutsche Nation (über die kirchlichen Wirren, Lpz. 1846); Allocution an die Nation u. ihre Lenker, Wien 1848. 2) Friedrich Balduin, Sohn des Vorigen, geb. den 24 Oct. 1794 in Weilburg, studirte von 1810–12 Mathematik in Paris, später Philosophie u. Staatswissenschaft in Göttingen, trat dann in österreichische Dienste u. machte im Regiment Riesch-Dragoner den Feldzug gegen Rußland mit; 1813 focht er bei Kulm, Dresden u. Leipzig, 1814 trat er auf seines Vaters Wunsch in niederländische Militärdienste über u. wurde bei Quatrebras verwundet. Seit 1815 setzte er seine Studien in Heidelberg fort u. kehrte 1817 als Hauptmann in den niederländischen Dienst zurück; 1824 u. 25 wurde er der Bundesmilitärcommission beigegeben u. stand dann mehrere Jahre den Arbeiten des Generalstabs in Gent vor, wo er die jüngeren Offiziere in der Mathematik u. den Kriegswissenschaften unterrichtete; 1830 wurde er Chef des Stabs bei dem Corps des Herzogs Bernhard von Weimar u. nahm als solcher, seine schon früher bewährte Tapferkeit aufs Neue an den Tag legend, an dem Kriege gegen Belgien Theil. 1838 wurde er Commandant eines Dragonerregiments u. begleitete einen niederländischen Prinzen nach Petersburg Seit 1843 Brigadier der Cavallerie u. 1844 General u. Flügeladjutant des Königs, verweilte er von 1844–45 in dem niederländischen Ostindien, um Heer u. Colonien zu inspiciren. Nach seiner Rückkehr wurde er Gouverneur vom Haag u. Provinzialcommandant von Südholland. Als er Anfangs 1848 von dem lebhaften Verlangen ergriffen, an der politischen Neugestaltung Deutschlands theilzunehmen, sich in den Niederlanden beurlaubte, übernahm er das ihm von den Siebzehnern übertragene Commando gegen die badischen Insurgenten. Politische Mäßigung mit militärischer Energie verbindend, begann er den Kampf, fiel aber schon im Beginn[839] desselben den 20. April 1848 bei Kandern, wo ihm 1851 ein Denkmal gesetzt wurde. Vgl. Leben des Generals Friedrich von G., von Heinrich von Gagern, Lpz. 1857, 2 Bde. 3) Heinrich Wilhelm August, Bruder des Vor., geb. 20. Aug. 1799 in Baireuth, erhielt, für die militärische Laufbahn bestimmt, seine wissenschaftliche Ausbildung von 1812–14 auf der Militärschule in München, machte den Feldzug 1815 als Freiwilliger mit u. betheiligte sich während seiner Studien in Heidelberg, Göttingen u. Jena lebhaft bei den burschenschaftlichen Bestrebungen; 1821 wurde er Landgerichtsassessor in Lorsch, 1824 Regierungsassessor u. 1829 Regierungsrath in Darmstadt, 1832 controlirender Beamter im Ministerium des Innern u. der Justiz. Seine politischen Ansichten in Bezug sowohl auf den Bundestag, wie auch auf die ständischen u. sonstigen politischen Rechte der Einzelstaatsbürger standen indeß in Widerspruch mit dem herrschenden Systeme, u. da er als Abgeordneter zum Landtage 1832–33 die Redaction der Adresse an den Großherzog übernahm, wurde er in Folge der darin ausgesprochenen freisinnigen Ansichten pensionirt u. ihm der Kammerherrnschlüssel genommen; er wies jedoch die Pension zurück, machte sich durch Ankauf wieder wahlfähig, wurde 1834 wieder gewählt u. trat nun als parlamentarischer Führer an die Spitze der liberalen Partei. Nach dem Landtage 1835–36, wo er sich abermals bemühte politische Reformen im liberalen Sinne durchzusetzen, zog er sich auf sein väterliches Gut Monsheim zurück; 1845 wurde er Präsident des Landwirthschaftlichen Vereins in Rheinhessen u. zählte zu den populärsten Männern unter den Verfechtern eines besonnenen Liberalismus; 1847 trat er für die Stadt Worms wieder in die Kammer u. suchte den bereits in einer Streitschrift veröffentlichten Protest gegen die von der Regierung beabsichtigte Beseitigung der rheinhessischen Gerichtsverfassung auch in der Kammer durchzuführen. Für den Landtag 1847 bis 1848 gewählt, wurde er wieder Präsident des Finanzausschusses. In Folge des politischen Umschwungs Anfangs März 1848 trat er an die Spitze des neugebildeten liberalen Ministeriums mit der besonderen Leitung des Auswärtigen u. Innern. Als Mitglied des Vorparlaments in Frankfurt wurde er Führer der gemäßigten Richtung, u. seine politische Bedeutung stieg bald in einem so hohen Grade, daß ihn die Nationalversammlung, welcher er später als Abgeordneter angehörte, am 19. Mai zum Präsidenten wählte, s. Deutschland (Gesch.) XIII. C) c) u. d). Bei seiner Wiederwahl zum Präsidenten im Juni legte er seine Ministerstelle in Hessen nieder. Am 17. Decbr. 1848 wurde er Präsident des Reichsministerraths, gab aber den 10. Mai 1849 seine Entlassung, weil der Reichsverweser das vorgelegte Programm, worin die energische Einführung der Verfassung verlangt wurde, nicht annahm. Er war nachher die Seele derjenigen Partei, welche aus vormaligen Mitgliedern der Nationalversammlung bestehend den 25. bis 28. Juni 1849 in Gotha einen Convent hielt u. sich für das Dreikönigsbündniß erklärte. 1850 nahm er als Mitglied des Volkshauses an dem Erfurter Parlament Theil u. ging im Sommer d. I. nach Holstein, um den Herzogthümern seine Dienste zu weihen, wo er als Major dem Generalstab aggregirt wurde. Mitte Januar 1851 reichte er seine Entlassung ein, ging nach Monsheim, u. als er dieses Gut 1851 verkauft hatte, zog er 1852 nach Heidelberg. Er schr.: Rechtliche Erörterungen über die der Provinz Rheinhessen landesherrliche verheißene Garantie ihrer Rechtsverfassung etc., Worms 1847; Leben des Generals Friedrich von G., Lpz. 1857, 2 Bde. 4) Max, Bruder der Vorigen, geb. 1810 in Weilburg, trat 1829 in niederländischen Staatsdienst u. nahm Theil an dem Kriege gegen Belgien. 1833 trat er in den Privatstand, war aber später wieder im nassauischen Ministerium des Äußern beschäftigt. 1848 ging er als Vertrauensmann für Nassau u. Braunschweig zum Bundestage nach Frankfurt u. trat als Abgeordneter in die Reichsversammlung. Er wurde dann bei der Centralgewalt Unterstaatssecretär im Ministerium des Auswärtigen u. ging als solcher in Folge der Waffenstillstandsverhandlungen nach Holstein. 1850 nahm er als Abgeordneter für Limburg u. Nassau Theil an dem Erfurter Parlament. Seit 1851 wieder in nassauische Staatsdienste eingetreten, wurde er, zum Katholicismus übergetreten, Referent bei der neuen Centralorganisation des katholischen Schulwesens, wurde aber 1854 nach Wien berufen u. von der österreichischen Regierung zum Hof- u. Ministerialrath im Ministerium des Auswärtigen ernannt. 5) Karl, Bruder von G. 1), geb. 1769, studirte auf der Karlsschule, trat früh in französische u. schwedische Kriegsdienste, nahm dann pfälzische u. nassauische Dienste u. starb als baierscher General a. D., geisteskrank den 7. Dec. 1849 in Bockenheim. 6) Karl Adam, geb. am 21. Dec. 1774 in Maisselbritz auf der Insel Rügen, trat 1790 als Junker in das preußische Regiment von Knobelsdorf, nahm an der Rheincampagne Theil u. wurde 1794 Secondelieutenant. 1806 befreite er mit von Eisenhardt bei Gotha 600 preußische Kriegsgefangene u. zeichnete sich bei Lübeck so aus, daß Blücher ihn seinen Schützenofficier von Lübeck zu nennen pflegte. 1810 wurde er Capitän beim Leibinfanterieregiment u. erhielt 1811 eine Compagnie des neuformirten Normalinfanteriebataillons. Als Commandeur eines Bataillons des 4. ostpreußischen Infanterieregiments nahm er an der Belagerung von Spandau Theil u. wnrde nach der Schlacht bei Luckau Commandeur des 5. Reserveregiments (jetzigen 17. Infanterieregiments). Bei Großbeeren u. Dennewitz trug er wesentlich zum Siege bei, nahm 1814 Lasère u. wurde daselbst Commandant, stand 1815 beim Yorkschen Corps, wurde 1828 Commandeur der 6. Infanteriebrigade, 1831 Generalmajor, 1833 Commandant von Minden, 1837 als Generallieutenant verabschiedet u. st. am 5. Febr. 1846 in Berlin. 7) A. von G., war früher Offizier in preußischen Diensten u. machte als Major den Feldzug in Holstein u. Schleswig mit; nach der Schlacht bei Idstedt 1850 übernahm er nach der schweren Verwundung des Brigadecommandeurs das Commando der ersten Brigade, avancirte bald darauf zum Oberstlieutenant, zeichnete sich bei der Beschießung Friedrichstadts, wo er unter von der Tann commandirte, aus u. erhielt am Ende. des Feldzuges, nach dem Abgange des General von Gerhard, die Führung der Avantgarde. Er lebte darauf in Holstein u. schr. einige kleine Abhandlungen über Episoden aus der dritten schleswig holsteinschen Campagne.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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