Radziwill

Radziwill

Radziwill, altes Geschlecht, dessen Ursprung sich in der Sagengeschichte Lithauens verliert; nach Einigen stammt es von den alten Großfürsten Lithauens ab, nach Andern von Lidzayko, lithauischem Oberpriester (Kriwe) unter dem Großfürsten Gedimin (1315–28) u. dessen Rathgeber. Schon 1750 betrugen die Besitzungen des Hauses R. zusammen 23 feste Schlösser, 426 Städte u. Flecken, 2032 Vorwerke, 10,053 Dörfer mit 502,658 Feuerstellen. Sie besaßen auf diesen Gütern fast sämmtliche Souveränetät, in mehren die statutarische Gesetzgebung, das Recht, daß nur an sie appellirt werden konnte, das Recht Truppen (über 6000 Mann), selbst Artillerie zu halten. Wappen: blaues Schild, darin drei schwarze Jägerhörner mit goldnem Beschläge, Bügeln u. Mundstücken, in der Mitte mit letzteren nach Art eines Schächerkreuzes zusammengesetzt. 1) Nikolaus I., Sohn von Lidzayko, welcher 1386 die Taufe erhalten haben u. 100 Jahre alt geworden sein soll. 2) Nikolaus II., Palatin von Wilna; er st. 1509, über 100 Jahre alt u. hinterließ von seiner Gemahlin Anna, Tochter des Großfürsten Monvid von Lithauen, namentlich drei Söhne, Nikolaus III., Johann u. Georg, welche Stifter dreier Linien wurden: A) Linie von Gouladz u. Medele: 3) Nikolaus III., Kanzler von Lithauen, wurde 1518 vom Kaiser Maximilian I., zu welchem er als Gesandter reiste, zum Reichsfürsten ernannt, ohne daß er Sitz u. Stimme im Fürstencollegium erhielt. Als das Geschlecht mit den Söhnen Nikolaus' III. wieder ausstarb, übertrug Kaiser Karl V. die Fürstenwürde 1547 auf die von seinen beiden jüngern Brüdern gestifteten Linien. B) Linie von Birze u. Dubinki; Stifter: 4) Georg, der jüngere Bruder des Vorigen; st. 1541. 5) Barbara, Tochter des Vorigen, welche 1546 die Gemahlin des Königs Sigismund August II. u. trotz allem Widerspruch der polnischen Edlen 1550 zu Petrikau als Königin von Polen gekrönt wurde, aber 1551 an Gift starb, s. Barbara 3). 6) Nikolaus IV., Bruder der Vorigen, wurde 1547 nach dem Aussterben der älteren Linie in den Fürstenstand erhoben. Bei der Vereinigung Lithauens mit Polen 1564 u. 1569 wurde diese Fürstenwürde gleich denen der Sanguskos u. Czartoryiskis ausdrücklich anerkannt, obgleich die R. sonst nach dem polnischen Grundgesetz dem übrigen Adel gleich waren u. die von ausländischen Souveränenverliehenen Standeserhöhungen von Polen nie anerkannt wurden. Nikolaus IV. hatte wieder zwei Söhne, Nikolaus V., dessen Linie mit seinem Sohne [794] Georg wieder ausstarb, u. Christoph Fürst zu Bierze. Dieser hatte auch zwei Söhne: Christoph u. Janus; a) der von Christoph II. gestiftete Ast erlosch schon mit dessen Sohne: 7) Christoph III.; dieser trat, da König Sigismund III. ihm einige Kronenämter verweigerte u. dieselben dem Fürsten Sapieha gab, als beider Gegner u. Freund der Schweden auf u. vermittelte auf dem Reichstage 1632 nach Sigismunds Tode seinen Glaubensgenossen, den Reformirten, einen günstigen Vertrag; König Wladislaw IV. ernannte ihn zum Großfeldherrn von Lithauen u. zum Palatin von Wilna, als solcher focht er tapfer gegen Rußland u. st. 1640. b) Der von Janus gestiftete Ast: 8) Janus, Bruder Christophs II. u. Oheim des Vorigen, war Castellan von Wilna, wurde aber als Protestant von Sigismund III. von Polen seines Amtes entsetzt; er reihte sich den Gegnern des Königs an, wurde aber bei Guzowo geschlagen u. st. 1621; er war in zweiter Ehe vermählt mit Sophie, Tochter des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg. 9) Boguslaw, Sohn des Vorigen, geb. 1620; er wurde 1657 Generalgouverneur in Preußen u. st. 1669; mit ihm starb der Mannsstamm der Linie Birze u. Dubinki aus. 10) Charlotte Luise, Tochter des Vorigen, war erst an den Markgrafen Ludwig von Brandenburg u. später, nachdem sie katholisch geworden war (diese Linie der R-s war nämlich wie ein Theil des jüngern Zweigs reformirt), an den Pfalzgrafen Karl Philipp von Sulzbach vermählt u. st. 1695. C) Linie Olyka u. Nieswiez, Stifter; 11) Johann der Bärtige, einer der Söhne Nikolaus' II. u. Bruder von Nikolaus III. (s. oben 3), Großmarschall von Lithauen, st. 1522; er hatte zwei Söhne: 12) Johann der Jüngere, welcher seine Linie nicht fortsetzte, u. 13) Nikolaus VI. der Schwarze, welcher der Stammvater der jetzigen Familie R. wurde; sie waren beide 1547 Reichsfürsten geworden. König Sigismund August II. von Polenbestätigte diese Übertragung der Fürstenwürde 1549, wie die Würde selbst schon 1518 von Sigismund I. bestätigt worden war. Nikolaus war Wojewode von Wilna, stand bei König Sigismund August in großen Gnaden, befehligte dessen Armee in Livland u. eroberte dieses Land 1552 von den Deutschen Rittern für Polen. Als Statthalter dieser Provinz schlug er 1561 die Russen; dann ging er als Gesandter zum Kaiser Karl V., trat zur Reformirten Kirche über u. st. 1567. Er ließ die Radziwiller Bibel, Brzesc 1563, drucken u. hinterließ vier Söhne, Christoph Nikolaus, Reichsfürst zu Nieswiesz u. Olyka, Stanislaw, Albert, Reichsfürst von Kleck, u. Georg. Da der jüngste, Georg, Geistlicher war (er st. 1600 als Cardinal u. Erzbischof von Krakau), so errichteten die drei andern, zur Sicherung gegen die, ihnen vermöge eines Gesetzes von 1566 drohende Gefahr, ihre Güter vereinzelt zu sehen, 1587 ein Hausgesetz, nach welchem sie Majorate für die einzelnen Linien stifteten, deren jedes nur an den ältesten Sohn u. nach Aussterben einer Linie an die andere kommen sollte. Dies bestätigte König Sigismund III. u. die Reichsstände durch Confirmation, jedoch nicht durch Ordination. Die Linien Stanislaws (st. 1599) u. Albrechts (st. 1593) starben bald wieder aus u. nur 14) Fürst Nikolaus Christoph, der älteste der vier Brüder, setzte das Geschlecht fort; er war mit seinen Brüdern zur Katholischen Kirche zurückgekehrt u. machte ein Legat, daß die Exemplare von der von seinem Vater besorgten polnischen Bibel aufgekauft u. verbrannt würden; seine nach Palästina gemachte Reise beschrieb er lateinisch Braunsb. 1601, polnisch herausgegeben von Wargocki, Bresl. 1847; er st. 1616. 15) Fürst Alex. Ludwig, Sohn u. Nachfolger des Vorigen. 16) Fürst Michael Kasimir, Sohn des Vorigen, war mit einer Schwester Johanns III. Sobieski vermählt. 17) Karl Stanislaw, Sohn des Vorigen. 18) Michael Kasimir, Sohn des Vorigen, geb. 1709, war eine der Hauptstützen der sächsischen Partei in Polen, erhielt deshalb von August III. bedeutende Güter, stand 1757 beim Eindringen der Russen auf russischer Seite u. starb 1763 zu Wilna. 19) Karl Stanislaw, Sohn des Vorigen, Palatin von Wilna; kam durch den Tod seines Vaters in den Besitz von 1,300,000 Thlr. Einkünfte u. konnte von denselben 6000 M. Soldaten stellen. 1762 setzte ihn August III. zum Großfeldherrn von Lithauen ein, um ihn so den Czartoryiskis u. der russischen Partei entgegenzustellen. Einer der entschiedensten Gegner des Königs Stanislaw II. August Poniatowski, konnte er doch dessen Wahl 1764 nicht hindern, bildete aber nun eine lithauische Conföderation zu Radom gegen denselben u. die Czartoryiskis, wurde geächtet u. flüchtete sich auf türkisches Gebiet. Seine Güter wurden mit Beschlag belegt u. unter dem Vorwand alter Schulden unter seine Gegner vertheilt. Er lebte später zu Dresden, schloß sich aber, als sich die Russen mit dem zur Nationalpartei übergetretenen König entzweiten, an die Russen an, stellte sich an die Spitze einer andern Conföderation, welche unter dem Schutze Repnins u. Rußlands errichtet wurde, zog mit 2000 Edelleuten in Wilna ein u. wurde vom Reichstag in alle seine Würden u. Güter wieder eingesetzt. Als sich darauf der König 1767 an diese Conföderation angeschlossen u. dieselbe zur Generalconföderation erhoben hatte, rückte R. mit den Russen in Warschau ein. Die Russen mißtraueten ihm aber, u. er ging heimlich nach Lithauen, wurde dort in seiner Feste Nieswiez überfallen u. seine Anhänger zerstreut, er selbst floh mit dem Rest seiner Baarschaft auf österreichisches Gebiet. Hier schloß er sich an die Fürstin Tarakanow, Tochter der Kaiserin Elisabeth u. des Grafen Rasumowski, an u. gedachte dieselbe auf den russischen Thron zu setzen. Er begleitete sie nach Rom, verließ sie aber hier, kehrte nach Lithauen zurück u. starb dort 1790. 20) Fürst Michael, Sohn des Vorigen, geb. 1744; Palatin von Wilna, vermählte sich mit Helene, Gräfin Przezdziecka (st. 1821), lebte unter den mannigfachen Stürmen der Zeit ruhig auf seinen lithauischen Gütern u. st. 28. März 1831 mit Hinterlassung von vier Söhnen, welche vier Linien gründeten: I. Ordination von Kleck: 21) Fürst Ludwig Nikolaus, geb. 1773, ältester Sohn des Vorigen; erhielt von demselben noch bei seinen Lebzeiten die Ordination Kleck u. residirte zu Radziwilomonty in Lithauen; er war vermählt mit einer geb. Gräfin Wodzinska u. st. 3. Dec. 1830. Jetziger Chef ist: 22) Fürst Leo, Sohn des Vor., geb. 10. März 1808, war Offizier in der polnischen Garde, ging 1830 nach dem Ausbruch der Revolution mit dem Großfürsten Constantin nach Rußland u. focht dann 1831 gegen die Polen; er wurde 1833 Flügeladjutant des Kaisers, zu mehren diplomatischen Sendungen gebraucht u. avancirte 1849 zum Generalmajor; er ging dann nach Constantinopel, um die Auslieferung der auf türkisches Gebiet[795] übergetretenen ungarischen Insurgenten vom Sultan zu verlangen, u. ist jetzt russischer Generallieutenant u. seit 1833 vermählt mit Sophie geb. Urossow, mit welcher er die confiscirten Güter seines Oheims Michael wieder erhielt. II. Ordination von Olyka, Nieswiez u. Mir: 23) Fürst Anton Heinrich, zweiter Sohn von R. 20), geb. 10. Juli 1775; kam noch als Jüngling an den Berliner Hof, mit welchem er durch seine Heirath bald verwandt wurde, u. lebte nun abwechselnd in Berlin u. auf seinen Gütern in Polen; sein Haus war, da er Kunst u. Wissenschaften liebte u. betrieb, der Sammelplatz der Künstler; er trat als Componist auf u. setzte einige Scenen zu Goethes Faust. Seit 1815 war er Statthalter im Großherzogthum Posen u. residirte abwechselnd in Berlin u. Posen, seinem Landsitz Antonin bei Posen u. zu Ruhberg bei Schmiedeberg in Schlesien, nach der Julirevolution 1830 nur zu Berlin u. Ruhberg. Er st. 7. April 1833 in Berlin: vermählt war er seit 1796 mit Friederike Dorothea Luise Philippine, Tochter des Prinzen Ferdinand von Preußen, geb. 24. Mai 1770, st. 7. Dec. 1836 in Berlin; außer zwei Prinzessinnen: Elisabeth (geb. 1803 u. st. 27. Sept. 1834 in Freienwalde) u. Wanda (geb. 1813, vermählt seit 1832 mit Fürst Adam Czartoryiski, gest. 1845), hinterließ er zwei Söhne: 24) Fürst Wilhelm, geb. 19. März 1797, Sohn des Vor.; machte im zweiten preußischen Garderegiment den Befreiungskrieg mit, commandirte dann ein Bataillon im 19. Infanterieregiment, seit 1831 als Oberst das 11. Infanterieregiment, erhielt dann eine Landwehrbrigade, nahm seinen Abschied, trat aber 1842 als Generalmajor u. Commandeur der 6. Landwehrbrigade wieder ein u. ist jetzt (1861) General der Infanterie u. commandirender General des dritten Armeecorps; vermählt seit 1825 mit seiner Cousine, der Prinzessin Helene R., u. als diese 1827 starb, mit Prinzessin Mathilde Christiane von Clary u. Aldringer (geb. 1806). Er hat von Letzterer drei Söhne u. vier Töchter. 25) Prinz Boguslaw, Bruder des Vorigen, geb. 3. Jan. 1809, ist preußischer Major u. Mitglied des Herrenhauses; seit 1832 vermählt mit Leontine geb. Prinzessin von Clary u. Aldringer. – 26) Fürst Michael Georg, dritter Sohn von R. 20), geb. 24. Sept. 1778, machte unter Kosciuszko die Feldzüge 1792–94 mit, trat 1807, als die Insurrection in Preußisch-Polen ausbrach, in die polnische Insurrectionsarmee, erhielt dort ein Infanterieregiment, mit welchem er vor Danzig stand, u. wurde 1812 von Napoleon auf dem Schlachtfeld von Smolensk zum Oberst des 8. Regiments u. Brigadegeneral ernannt. 1815 bei Errichtung des Königreichs Polen wurde er Senator u. Divisionsgeneral. Als 1830 der Aufstand Polens gegen Rußland ausbrach, wurde er General en chef der polnischen Armee, setzte das Heer in Vertheidigungsstand u. commandirte in den Gefechten zu Anfang des Kriegs im Febr. 1831 u. in der Schlacht von Grochow, rieth aber dann zum Frieden. Doch die exaltirte Partei war gegen ihn, daher legte er seine Feldherrnstelle nieder u. trat als Gemeiner in das Heer zurück. Nach Unterdrückung der Insurrection wurde ihm Moskau zum Aufenthalt angewiesen; seit 1836 lebte er in Dresden u. st. 24. Mai 1850. Er war seit 1815 mit Alexandra geb. Gräfin Stecka (geb. 1796) vermählt u. hinterließ zwei Söhne, von welchen der ältere, Prinz Karl, 1821 geboren u. seit 1852 mit Prinzessin von Sobenska vermählt ist, u. eine Tochter. – 27) Fürst Andreas Valentin, jüngster Sohn von R. 20), geb. 1780; russischer Staatsrath u. Malteserordenskomthur; st. 1837. Vgl. Kajalowicz, Fasti Radziviliani, Wilna 1653.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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