Serbien [1]

Serbien [1]

Serbien (Servien, türkisch Sirp od. Serf-Vilajeti), 1) Fürstenthum, welches die zwischen Seitenzweigen des türkisch-griechischen Gebirgssystems gelegene Berglandschaft der Morawa einnimmt, auf dem rechten Ufer der Donau liegt, im Osten von Bulgarien, im Süden von Albanien u. Macedonien u. im Westen von Bosnien begrenzt wird u. einen Flächenraum von 998 QM. bedeckt. Zumeist von Gliedern der Dinarischen Alpen bedeckt, hat das Land nur in den Thälern der größeren Flüsse Ebenen von einiger Ausdehnung. Die Flüsse sind außer der Donau u. Save an der Grenze die Morawa mit ihren Zuflüssen, Timok (Grenzfluß gegen Bulgarien), Ipeck u. andere Nebenflüsse der Donau, Kolubara, Drina (Nebenflüsse der Save), letztere Grenze S-s gegen Bosnien. Das Klima ist gemäßigt u. wegen der hohen Lage, der Wälder u. der vielen Flüsse kühler als es nach der südlichen Lage sein sollte. Der Boden ist, obschon sehr gebirgig, doch fruchtbar, aber verhältnißmäßig wenig angebaut; man gewinnt Weizen, Reis, Hirse, Türkisch. Korn, Hanf, Gemüse, Obst (Kirschen, Kastanien, Äpfel, Feigen, Melonen, [865] Wassermelonen), Tabak, mehre würzhafte Kräuter, bes. Rosen, Basilicum, guten Wein; die Waldungen geben viel Holz, Pech, Knoppern, Galläpfel. Die Viehzucht ist Hauptbeschäftigung; man zieht Rindvieh, Schafe, Schweine (bes. viel), Federvieh; Wild ist reichlich (auch Bären, Wölfe); ergiebig sind auch Fischereien u. Bienenzucht. Die Gebirge sind reich an Metallen u. anderen Mineralien, man findet Silber, Kupfer, Eisen, Blei, Stein- u. Braunkohlen, Schwefel u.m.a., der Bergbau liegt aber noch in der Kindheit. Die Industrie ist noch sehr gering, wichtiger der Handel, bes. nach Österreich hin, mit Vieh (bes. Schweine), Wachs, Käse, Tabak, Baumwolle. Die Einwohner zählen 1,100,000 Köpfe, außer Serben (s.d.) noch 112,000 Walachen, aber mit serbischer Tracht u. Sitte, 18,000 Zigeuner, 16,000 Türken u. einige tausend Bulgaren u. Europäer. Mit Ausnahme einiger hundert Katholiken u. Protestanten bekennen sich sämmtliche Bewohner zur nicht unirten Griechischen Kirche. An der Spitze des Staates steht ein erblicher Fürst, welcher hinsichtlich der inneren Angelegenheiten ganz selbständig ist, aber an die Pforte Tribut (201,642 Gulden) zahlt, unmittelbar mit der Pforte unterhandelt u. bei derselben einen Agenten unterhält. Mit Ausnahme der unter dem Pascha von Belgrad stehenden Besatzungen der festen Plätze (Belgrad, Kladowa, Usidsche, Semendria, Schabacz, Sokol u. Orsowa) darf kein Türke im Lande sich häuslich niederlassen. Die Serben genießen vollkommene Religionsfreiheit, u. jeder Serbe kann mit einem Passe seiner Regierung durch die ganze Türkei Handel treiben. Behufs der Verwaltung ist das Land eingetheilt in die Stadt Belgrad u. 17 Kreise od. Nahien (Belgrad, Aleksinaz, Gurgussowacz, Kraina, Krajugewaz, Kruschewaz, Podrina, Posharewaz, Rudnik, Schabaz, Smederewo, Tschatschak, Ushize, Jagodina, Waljewo, Tschupria u. Zrnareka), an deren Spitze Natschalniks stehen u. welche in 55 Bezirke zerfallen. Die Verfassung ist vom Jahre 1838, wornach die Regierung sich in drei Gewalten theilt: in die gesetzgebende, vollziehende u. richterliche. Die erstere wird vom Fürsten, dem Senat u. der Skuptschina, die zweite vom Fürsten u. den vier Ministern (Inneres, Finanzen, Justiz u. Cultus, Äußeres) u. den Gerichten ausgeübt. Der Senat besteht aus einem Präsidenten u. 16 Mitgliedern (auch die Minister haben Sitz u. Stimme darin) u. ergänzt sich selbst, indem er dem Fürsten Candidaten vorschlägt. Die Skuptschina ist die allgemeine Landesversammlung. Das serbische Volk übte früher in derselben volle Souveränetät, später nur das Petitionsrecht aus, sowie auch von ihr die Fürsten erwählt wurden. Da aber die Staatsgrundgesetze von S. die Skuptschina nicht ausdrücklich erwähnten, so wurden deren Befugnisse u. Umfang zweifelhaft. 1848 ward zwar die Forderung gestellt, die Skuptschina in Zukunft regelmäßig einzuberufen, um die Controle über die Staatsgewalt zu üben, neue Gesetze zu berathen u. die Prüfung des Budgets vorzunehmen, doch wurde erst in neuester Zeit eine gesetzliche Bestimmung darüber getroffen; nach dem Gesetz vom Juli 1860 tritt seit August 1861 die Skuptschina regelmäßig aller drei Jahre zu dem genannten Zwecke zusammen u. besteht aus 120 gewählten Deputirten (je 1 auf 2000 Steuerpflichtige). Früher waren alle Gemeindevorstände (Kmeten) u. alle Hausväter (Starjeschina) zum Erscheinen in der Skuptschina berechtigt, später wurde sie aus den Gemeinde-, Bezirks- u. Kreisvorständen gebildet, seit 1848 bestand sie jedoch aus gewählten Deputirten (je 1 auf 1000 Steuerpflichtige). Die richterliche Gewalt hat drei Instanzen, die Bezirksfriedensgerichte, die Appellationsgerichte u. den Cassationshof. Die kirchlichen Angelegenheiten stehen unter der Nationalsynode, gebildet aus dem Metropoliten u. drei Bischöfen. Das Unterrichtswesen ist unabhängig von der Geistlichkeit u. in neuerer Zeit sehr gehoben worden; es besteht ein Gymnasium in Belgrad, vier Halbgymnasien, ein Lyceum für philosophische u. juristische Studien, eine Artillerie-, eine Ackerbauschule u.a.m. Die Staatseinnahmen betrugen 1856, 57 etwa 24 Mill., die Ausgaben 31/8 Mill. Gulden. Die Civilliste des Fürsten beträgt 240,000 Gulden. Dir reguläre Armee besteht aus 3 Bataillonen Infanterie, 1 Bat. Jäger, jedes zu 600 M., 2 Schwadronen Cavallerie u. 2 Batterien Artillerie; übrigens ist jeder Serbe bewaffnet u. im Nothfall von 18–50 Jahren kriegsverpflichtet, kleidet u. verpflegt sich selbst; so können zuerst 50,000, im äußersten Falle 150,000 Mann aufgestellt werden. Das Wappen besteht in einem Schilde, worin sich ein silbernes Kreuz in Roth mit vier Feuerstählen (Halbmonden) in den Ecken befindet, u. wird von einem gekrönten Purpurmantel umhüllt. Die Flagge ist roth, blau u. weiß, mit vier goldenen Sternen im obersten rothen u. mit dem Wappen im blauen Mittelfelde. Haupt- u. Residenzstadt ist Belgrad. Münzen, Maße u. Gewichte. Man rechnet wie im Türkischen Reich (s.d.) nach Piastern zu 40 Para à 3 Asper; da jedoch in S. keine eigene Ausmünzung stattfindet, so ist der Zahlwerth nach dem Curs der hier umlaufenden fremden Geldsorten zu bestimmen. Nach dem Platzcurse gelten die österreichischen Münzen, welche hier vorzugsweise cursiren, durchschnittlich: 1 Ducaten = 56 Piaster, 1 Gulden = 11 Piaster 30 Para, 1 Zwanzigkreuzerstück = 4 Piaster; nach dieser Währung werden die meisten Handelspreise gestellt. Die Steuern werden dagegen nach dem Contributionscurse erhoben, nach welchem 1 Ducaten = 24 Piaster, 1 Gulden = 4 Piaster 20 Para, 1 Zwanzigkreuzerstück = 1 Piaster 26 Para gelten, also 12 Platzcurspiaster = 5 Contributionsplaster od. 240 Platzcurspiaster = 100 Contributionsplaster = 1 Vereinsmark seinen Silbers. Längenmaß: die Arschin (Halebi) soll sein 0,708 Mètre = 314,14 Pariser Linien, wird aber gewöhnlich gerechnet zu 24 Wiener Fuß, also = 0,711 Mètre = 315,3 Par. Linien, Feldmaß: der Dan oranja (Morgen) = 35,97 Ares, Hohlmaß: das Getreide wird gewogen u. der Preis für 100 Oken gestellt. Flüssigkeitsmaß: man bedient sich zum Theil des ungarischen Eimers (53,3, Litres), zum Theil werden die Flüssigkeiten gewogen u. nach der Oka verkauft, welche man zu 1,25 Wiener Maß (1,769 Litres) rechnet. Handelsgewicht ist der Oka zu 4 Litra à 100 Drammen; 1 Oka = 1278 Gramms wird aber gewöhnlich zu 21/4 Wiener Pfund (1260,27 Gramms = 2,52 deutsche Zollpfund) gerechnet. Vgl. Possart, Das Fürstenthum S., seine Bewohner, deren Sitten u. Gebräuche, Darmstadt 1837; Richter, S-s Zustände, Lpz. 1840; Szafraniec Bystrzonowski, S., seine europäischen Beziehungen u. die orientalische Frage, ebd. 1845; Gabrilowitsch, Geographisch-statistisches Wörterbuch von S. (in serbischer Sprache), Belgrad 1846; [866] Jakschitsch, Statistik von S. (in serbischer Sprache), ebd. 1855; Tkalac, Das Staatsrecht des Fürstenthums S., Lpz. 1858; Kiepert, Karte von S., Weimar 1849. 2) Neu-S., s.u. Jekaterinoslaw.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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