Richelieu [2]

Richelieu [2]

Richelieu (spr. Risch'liöh), 1) Armand Jean Duplessis, Herzog von R., der Cardinal, geb. 5. Sept. 1585 auf dem Schlosse Richelieu in Poitou, widmete sich der Theologie u. wurde 1607 Bischof von Luçon. Bei der Reichsständeversammlung (1614) vertrat er die Geistlichkeit von Poitou u. gewann durch die von ihm gehaltene Abschiedsrede die Gunst der Maria von Medici so sehr, daß diese ihn erst zu ihrem Aumonier machte u. der Marschall d'Ancre, ihr Günstling, 1616 ihm als Staatssecretär das Departement des Krieges u. der auswärtigen Angelegenheiten übertrug. Nach dem Falle des Marschalls folgte R. der Königin nach Blois, mußte sich aber, da man seiner Treue mißtraute, nach Luçon u. dann nach Avignon begeben. Hier lebte er zurückgezogen, bis die Entführung der Königin durch den Duc d'Epernon aus Blois bewirkte, daß R. zu ihr gesandt wurde. Es gelang ihm auch, die Königin mit ihrem Sohn Ludwig XIII. zu versöhnen, allein bald zerfielen sie wieder, u. erst nach der Schlacht bei Pont de Ce gelang es R. die Königin zu besänftigen u. nach Paris zurückzuführen. Nach dem Tode Luynes', des Günstlings des Königs, 1622, wurde er durch Mitwirkung Marias vom Papst zum Cardinal ernannt u. trat 1624 in den Staatsrath. Über seine Verwaltung des Reiches als allmächtiger Minister, wobei er bes. Schwächung der politischen Macht der Calvinisten, Unterwerfung der französischen Großen unter die Macht des Königs u. Frankreichs Vergrößerung zum Sturze Österreichs vor Augen hatte, s.u. Frankreich S. 550. R. st. 4 Decbr. 1642. Seine Güter vererbte er an seinen Neffen Armand Jean de Vignerot; seine Nichten waren die Herzogin von Aiguillon u. Therese Vignerot. Er liebte u. übte Dichtkunst u. begünstigte die Wissenschaften, gab der Sorbonne ihre spätere Gestalt, stiftete (1635) die Französische Akademie, baute das Palais royal u. veranlaßte die schätzbaren Ausgaben lateinischer u. griechischer Schriftsteller durch die königliche Buchdruckerei. Er hat auch mehre theologische u. politische Schriften verfaßt, von denen Mémoires (im 7. u. 8. Band der Mémoires relatifs à l'histoire de France, Par. 1823), Histoire de la mère et du fils, Amsterd. 1730, 2 Bde.; Testament politique du Cardinal de R., 1764, 2 Bde., u. Journal du Cardinal de R., ebd. 1664, 2 Bde., die wichtigsten sind. Vgl. Auberg, Hist. de R, Par. 1660, 2 Bde.; Violart, Hist. du ministère de R., ebd. 1649; Le Clerc, Vie de R., Amsterd. 1753, 5 Bde.; Lettres du Duc de R., Par. 1696, 2 Bde; I. Reichelet, R. et la Fronde, ebd. 1858. 2) Louis François Armand Duplessis, Herzog von R., der Marschall von Frankreich, Urneffe des Vor. u. Sohn von Armand Vignerot, geb. 13. März 1696; 1710 bei Hofe vorgestellt, nahm er bes. die Frauen so für sich ein, daß der Herzog von R., sein Stiefvater, erschreckt über die Gunstbezeugungen der Herzogin von Bourgogne, selbst 1711 für ihn den Verhaftsbefehl auswirkte. Nach 14 Monaten aus der Bastille befreit, machte er den Feldzug 1712 unter Villars mit. Unter dem Regenten lebte er blos dem Vergnügen; ein Zweikampf, in welchem er im März 1716 den Grafen Gacé erstach, brachte ihn wieder auf 5 Monate in die Bastille, u. seine Theilnahme an der Verschwörung der Herzogin von Maine u. des Cardinal Alberoni gegen den Regenten 1719 das dritte Mal. Durch die Prinzessinnen von Charolais u. von Valois befreit, ging er ins Exil nach Conflans zum Bischof von Noailles. Nach Paris zurückgerufen, wurde er 1721 Pair u. Parlamentsmitglied, 1722 Gouverneur von Cognac u. 1725 Gesandter in Wien, wo er großen Luxus entfaltete u. 13. Mai 1727 die Friedenspräliminarien mit Karl VI. zu Stande brachte; er kehrte 1729 zurück u. machte die Rheincampagne unter Berwick mit; 1738 wurde er Marechal de Camp u. Generallieutenant des Königs in Languedoc, als welcher er sich erfolgreich gegen die Verfolgungen der Protestanten bei Hofe verwendete. Als Kammerherr 1744 wurde er Günstling des Königs u. unterstützte denselben bei seinen Liebesabenteuern, folgte ihm aber auch als Aide-de-camp ins Feld u. hatte 1745 Antheil an den Siegen von Fontenon u. Raucour. 1746 warb er als Gesandter in Dresden für den Dauphin um die Hand der Kurprinzessin [140] Maria Josepha. Zurückgekehrt kam er 1748 an Bouflers Stelle nach Genua, um diese Stadt gegen die Engländer zu decken; er bewies hier Muth u. wurde zum Marschall ernannt; 1755 wurde er Gouverneur von Guyenne, befehligte 1756 die Besatzung von Port-Mahon u. wurde 1757 an Stelle des Marschalls d'Estrées zur Armee nach Hannover gesandt; er machte sich hier durch Erpressungen u. Räubereien berüchtigt, drängte den Herzog von Cumberland bis an die Elbmündungen u. schloß die für Frankreich nachtheilige Übereinkunft von Kloster Seven, weshalb er abberufen wurde. Mit der Gräfin Dubarry u. dem Kanzler Maupeon stürzte er den Herzog von Choiseul, ohne daß er aber in den Staatsrath kam; als Director des Italienischen Theaters bewies er sich kleinlich. Nach Ludwigs XV. Tode lebte er in Bordeaux; da Frau von St. Vincent für 300,000 Franken falsche Wechsel auf ihn in Umlauf setzte, ging er nach Paris, wo seine Gewaltschritte in dieser Sache ihm einen kostspieligen Proceß zuzogen. Er war drei Mal verheirathet; zuerst als vierzehnjähriger Knabe mit Fräulein von Noailles (st. 1716); seit 1734 mit der Prinzessin von Guise (st, 17.10): seit 1780 zum dritten Male mit Frau von Rothe, einer Irländerin. Er st. 8. August 1788 u. hinterließ einen Sohn, den Herzog von Fronsac, u. eine Tochter, welche sich mit dem Grafen Egmont verheirathete. Seine Mémoires, Par. 1790–93, 9 Bde.; Correspond. particulière et histoire de R., ebd. 1789, 2 Bde.; Vie privée de R., ebd. 1791, 3 Bde.; Sämmtliche Werke von Soulerie ins Deutsche übersetzt. 3) Armand-Emanuel Duplessis, Enkel des Vor. u. Sohn des Herzogs von Fronsac, geb. 25. Sept. 1766 in Paris, Anfangs Graf von Chinon, später Herzog von Fronsac. Früh mit einem Fräulein von Rochechouart vermählt, ging er beim Ausbruch der Revolution nach Italien, dann nach Wien, darauf nach Rußland, nahm unter Suworow am Türkischen Feldzuge Theil, befehligte als Freiwilliger bei der Belagerung von Ismail ein russisches Bataillon, erhielt deshalb einen goldenen Degen, wurde russischer Oberst u. nach dem unglücklichen Ausgang des Feldzuges 1792 zum Prinzen Condé gesandt, um demselben im Namen der Kaiserin die Gründung einer Colonie am Asowschen Meere vorzuschlagen. Allein dies wurde abgelehnt, u. R. ging nun als Agent der Bourbonen nach Wien u. Berlin, nahm 1793 an der Belagerung von Valenciennes Theil u. kehrte dann nach Rußland zurück. Unter Paul I. commandirte er ein Regiment Kürassiere u. fiel in Ungnade, kam aber unter Alexander wieder nach Petersburg u. ging, als 1801 Friede zwischen Rußland u. Frankreich wurde, in sein Vaterland, um dort den Gläubigern seines Vaters u. Großvaters die reiche Erbschaft seiner Familie abzutreten. Bonaparte wollte ihn an Frankreich fesseln, allein er kehrte nach Rußland zurück u. wurde 1803 zum Gouverneur von Odessa ernannt. Er fand hier nur 400 Häuser mit 7–8000 Einw., keine Straße u. keine Einrichtung u. verließ bei seiner Rückkehr nach Frankreich 1814 Odessa als eine schöne u. reiche Stadt mit 2600 Häusern u. 35,000 Einw. Während der Hundert Tage begleitete er den König nach Gent, wurde am 26. Sept. 1815 dessen Minister u. schloß 20. Novbr. 1815 den zweiten Pariser Frieden mit den verbündeten Mächten. Er bewog die Kammer zu einer Reihe von Bestimmungen, durch welche die Feinde der königlichen Macht überwunden werden konnten, erließ am 8. Dec. 1815 eine Amnestie, schuf am 10. März 1818 durch ein Conscriptionsgesetz die Armee von Neuem, schloß mit den Verbündeten einen Vertrag, welcher deren Forderungen auf eine bestimmte Rente fixirte, u. erlangte am 2. Oct. 1818 auf dem Aachener Congreß die gänzliche Räumung Frankreichs durch die Verbündeten. Als jedoch über die beabsichtigte Umänderung des Wahlgesetzes Unruhen entstanden, nahm er 29. Dec. 1818 seine Entlassung u. bestimmte das als Nationalbelohnung für seine dem Vaterlande geleisteten Dienste gegebene Majorat von 50,000 Franken Einkünfte einem Hospital in Bordeaux. 1820, nach der Ermordung des Herzogs von Berry, wurde er an Decazes Stelle Präsident des Staatsrathes, trat jedoch, wegen der feindlichen Stimmung der Kammern gegen ihn, im Novbr. 1820 wieder aus (s. Frankreich [Gesch.] X. C). u. ging nach seinem Schlosse Causteilte bei Verneuil. Er st. 16. Mai 1821 in Paris. In Odessa wurde ihm auf dem Boulevard 1826 ein Denkmal errichtet.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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