Böhmen [1]

Böhmen [1]

Böhmen (Geographie u. Statistik), ehedem Königreich, jetzt Kronland u. Provinz des Kaiserthums Österreich; liegt zwischen Sachsen (im N.), preußisch Schlesien (im O.), Mähren (im SO.), Erzherzogthum Österreich (im S.) u. Baiern (im W.), u. hat einen Flächeninhalt von 943,93 QM. B. bildet nach seinen natürlichen Grenzen, die mit den politischen zusammenfallen, die Gestalt eines verschobenen Vierecks, dessen Seiten von Gebirgen rings umlagert werden. – Gebirge: im W. der Böhmerwald, nordwestlich gegen das Fichtelgebirge sich erstreckend; im O. das Erlitz-, Glatzer, Riesen-, Iser- u. Lansitzer Gebirge, ebenfalls in nordwestlicher Richtung verlaufend; zwischen diesen beiden parallelen Zügen stehen als Verbindung, von SW. nach NO. sich erstreckend, an der mährischen Grenze das Mährische u. an der sächsischen Grenze das Fichtel- u. Erzgebirge, so daß das Land beinahe völlig verschlossen ist, da nur die Elbe nach N. im Elbsandsteingebirge einen Durchbruch gebildet hat (woher die alte Ansicht von einem früheren großen böhmischen See). Doch ist das Land nicht ein völliger Kessel, noch weniger Thalebene, vielmehr, wie schon der Lauf der Flüsse zeigt, als ein eigenes Hochland mit nördlicher Abdachung zu betrachten, das aber im Innern wieder von mehreren Gebirgen durchzogen wird, als westwärts von der Elbe vom Mittel- u. Granitgebirg, von den Siebenbergen u.a. Im Allgemeinen dacht sich das Land von Süden nach Norden u. gegen die Mitte zu von Osten u. Westen ab u. bildet terrassenweise absteigende Hochebenen, die wieder von einzelnen Gebirgszügen überragt u. von einander geschieden werden. Dabei liegt das Land westlich der Moldau bedeutend höher, als der gegenüberliegende östliche Theil. Die Ebene von Budweis im südlichen Winkel des Landes hat 1100 Fuß Meereshöhe u. ist mit zahlreichen kleinen Landseen besäet, das Pilsener Flachland im westlichen Winkel, ebenfalls reich an kleinen Seen, liegt 200 Fuß tiefer, die Ebene um Königgrätz im östlichen Winkel erreicht nur eine Höhe von 8–700 Fuß u. das von der Eger durchströmte nördliche Plateau zwischen [13] Saatz u. Theresienstadt zeigt eine durchschnittliche Erbebung von nur 4–500 Fuß. Das Elbthal hat bei Prag eine Höhe von 550 Fuß, am Durchbruch der Elbe bei Bodenbach nur 400 Fuß über dem Meere. Die Hauptmasse der Gebirge besteht aus Urgebirge, dessen Formation im Süden sich bis in die weiteren Abdachungen gegen das Innere des Landes zeigt. Die fast durchgängig vorkommende Felsart ist Gneis, durchbrochen von Kalkstein, Hornblendeschiefer, Magneteisenstein, auch abwechselnd mit großen Strecken Granit, welcher im Norden den Gneis fast ganz verdrängt. Im SWesten von Prag bedeckt Grauwacke, Thonschiefer u. Übergangskalk das Urgebirge, während stellenweise auf dieser Felsschicht wieder Lager von Steinkohlen u. rothem Sandstein vorkommen. Die Kohlenformation tritt sporadisch im Innern u. im Süden, zusammenhängend an dem Fuße der Gebirge im NOsten auf. Die jüngste Flötzformation, die Braunkohle, zeigt sich in dem Thale zwischen dem Erzgebirge u. dem inneren westlichen Vorgebirge u. dort, wo die Quadersandsteinbildung vorherrscht. Mächtige Basaltmassen sind der Hauptbestandtheil des Mittelgebirges. Vulkanische Bildungen als Porphyr, Basalt, Klingstein u.s.w. finden sich in nicht geringer Menge vor, auch heiße u. kalte Mineralquellen (vgl. Böhmische Bäder). – Sämmtliche innerhalb B-s entspringende u. dasselbe durchströmende Flüsse gehören mit Ausnahme der Neiße, welche nach kurzem Laufe aus B. herausbricht, zum Stromgebiete der Elbe, welche aus mehreren Quellen 4220 Fuß hoch an dem südlichen Abhange des Riesengebirges (die Siebengründe genannt) entspringend, bei Hernskretschen nach Sachsen tritt, rechts mit Cylina, Iser, Polzen, links mit Aupa, Mettau, Adler, Chrudimka, Moldau (mit allen ihren Nebenflüssen), Eger, Bila. – Klima im Ganzen gemäßigt, nur im Gebirge rauh, mittlere Temperatur + 5–6° R.; in den tieferen Gegenden an der Moldau u. Elbe gedeiht der Wein. – Producte viele u. mannigfaltige; von Mineralien etwas Gold; viel Silber (1840 wurden 22,498,1845 31,600,1848 38,383 Mark gewonnen, in Przibam, Ratiborgis, Joachimsthal, Tabor u.a. O.); Kupfer wenig; Blei 17,000 Centn., nach mehrjährigem Durchschnitt; Zinn 2000 Centn.; Eisen 280,000 Centn., Uran 15,000 Centn., Eisenvitriol 32,000 Centn., Kupfervitriol 4000 Centn., Kobalt 200 Centn., Schwefel 6000 Centn., Graphit 21,000 Centn., Marmor, Gyps, Wetzschiefer, vorzügliche Erden zu Fayence, Steingut u. Porzellan, auch Walker- u. Farbenerden; Braun- u. Steinkohlen in großartigen Lagern mit fortwährend steigender Ausbeute (Steinkohlen 1840 4,299,000, 1844 5,703,000, 1848 7,830,000 Centn.), von Edelsteinen Pyrope (Granaten), Rubine, Topase etc. Pflanzen: viel Holz, Getreide, Obst, Flachs, Hanf, Hopfen, Wein etc. Hinsichtlich des Getreidebaues ist B. das reichste Land der österreichischen Monarchie, obgleich die Ausbeute des Bodens noch eine bedeutende Steigerung zuläßt. Nur ein Achtel des Flächenraums kommt auf unbenutztes od. unbenutzbares Terrain. Rindvieh- u. Pferdezucht (die letztere namentlich im Egerer u. Pardubitzer Kreise) ist nicht unbedeutend; die Schafzucht wird rationell vorzugsweise in Krummau, Grünberg, Horzowitz, Leitomischl betrieben. Federvieh-, bes. Gänse-, ferner Bienenzucht finden sich häufig mit dem landwirthschaftlichen Betriebe verbunden. Das Hochwild ist fast ganz verschwunden, u. die Jagd im Allgemeinen von geringerer Bedeutung, doch sind die Fasanerien B-s, deren man etwa 150 zählt, erwähnenswerth. – Einwohner 4,900,000, von denen 5350 auf 1 QM. kommen, darunter über 3 Mill. Slaven (Czechen), über 11/2 Mill. Deutsche u. 70,000 Juden. Nach dem religiösen Bekenntniß kommt die größte Menge auf die Katholische Confession, nur 90,000 Seelen auf die Protestantische. Sprache: böhmische, als Hauptsprache im Innern; in den Grenzkreisen, bes. in den 3 Kreisen nach Sachsen zu, sowie in den größeren Städten versteht u. spricht man auch wohl deutsch, u. an den meisten Gymnasien ist die Unterrichtssprache deutsch. Die Czechen sind munter, Musik u. Gesang. liebend, wozu sie auch vorzügliches Talent besitzen. Sie gehören zu den culturfähigsten Stämmen der slavischen Nation u. zeigen sowohl in wissenschaftlicher, wie in industrieller Beziehung eine große geistige Regsamkeit. Die deutsche Einwanderung hut indeß keinen geringen Antheil an der culturgeschichtlichen Entwickelung B-s, indem sie das Bestreben der Czechen wach rief, mit deutscher Bildung u. Gesittung gleichen Schritt zu halten. Die Bevölkerungsbewegung u. das Wachsthum der Industrie weist günstige Resultate auf. Seit 1780 hat sich die Bewohnerzahl verdoppelt; i. J. 1800 bewohnten B. 3 Millionen, 1834 schon 4 Millionen Menschen. B. hat 287 Städte, 279 Marktflecken u. 12,072 Dörfer. – Industrie u. Handel. Der Bergbau (mit fleißiger Verarbeitung der gewonnenen Metalle) ist in fortwährendem Aufschwung begriffen, namentlich ist die Kohlenausbeute von Jahr zu Jahr gestiegen. Da die Förderung jedes Industriezweiges, welcher sich der Dampfkraft u. des Feuers zur Erzeugung seiner Fabrikate bedient, mit der Billigkeit des Brennmaterials in genauem Zusammenhange steht, so ist auch in B. die gesammte Gewerbthätigkeit in großartiger Entwickelung begriffen, seit die Kohlenschätze des Landes ihr nutzbar geworden sind. Namentlich in den nördlichen Districten findet der fabrikmäßige Betrieb immer größere Verbreitung. Berühmt sind die Böhmischen Glaswaaren, welche aus etwa 100 Glashütten hervorgehen. Der durchschnittliche Werth der gesammten jährlichen Glasproduction betrug in den Jahren 1850–54 etwa 6 Mill. Fl. Die Fabrikation leinener, baumwollener u. wollener Zeuge in Spinnereien u. Webereien ist in schneller Progression begriffen. Außerdem verfertigt man Blechlöffel, lackirte Blechwaaren, Stahlarbeiten, Gewehre, Sägeblätter, Schraubenstöcke, Krämpeln, Nadeln, Zinn- u. Bleiwaaren, Glocken etc.; Leder, viel Papier, Holzwaaren, Bleistifte, Thon- u. Porzellanwaaren. Auch die Bierbrauerei, Branntweinbrennerei u. Tabakfabrikation sind als wichtige Erwerbszweige zu erwähnen. In nicht geringem Maße machte sich für die industriellen Verhältnisse B-s die Veränderung der Zoll- u. Finanzpolitik Österreichs nach der letzten Staatsumwälzung bemerkbar, namentlich die daraus hervorgegangene Befreiung des Verkehrs von drückenden Zöllen seit 1856. Handels- u. Gewerbekammern zur Wahrnehmung der industriellen Interessen sind ebenfalls seitdem eingerichtet, Telegraphen verbinden die größeren Städte u. Eisenbahnen durchschneiden das Land von Prag aus nach verschiedenen Seiten. Im Betriebe sind[14] bis jetzt die Dresden-Prag-Brünner (auch Olmütz), Zittau-Reichenberg-Pardubitzer, die Prag-Lanaer u. die Budweis-Linzer Bahn; projectirt die Bahn von Prag nach Pilsen u. von dort nach Budweis, u. von Aussig nach Eger u. von dort weiter an die Baierische Bahn anschließend. – Die Verwaltung, welche von der Justiz getrennt ist, geht von der Statthalterei in Prag aus. An der Spitze der Gerichtspflege steht das Oberlandesgericht zu Prag unter der Leitung eines Generalprocurators. Außerdem bestehen die Justiz behörden aus 13 Landgerichten, 48 Bezirksstrafgerichten u. 210 Einzelgerichten. Das Landesmilitärcommando ist die oberste Militärbehörde B-s, u. hat seinen Sitz gleichfalls in Prag. Die geistlichen Angelegenheiten leitet der Erzbischof von Prag (Primas des Reichs) mit den 3 Bischöfen von Leitmeritz, Königgrätz u. Budweis; die Klöster sind größtentheils aufgehoben, nur 76 Mönchs- u. 11 Nonnenklöster bestehen noch. Die Protestanten stehen unter 2 Consistorien in Wien. Die Juden haben mehrere Synagogen u. stehen unter einem Oberrabbiner u. 11 Kreisrabbinern. Unterrichtsanstalten: 1 Universität (zu Prag), 3 bischöflich-theologische Lehranstalten, 1 erzbischöfliches u. 2 bischöfliche Priesterseminarien, 22 Mittelschulen od. Gymnasien, 1 Lehrinstitut der Moral für Juden, 1 israelitische Hauptschule, über 3500 katholische Trivialschulen, darunter über 1600 deutsche, 36 protestantische u. 21 jüdische Schulen, 1 ständische Technische Lehranstalt, 1 Handelsschule, 1 Bergbaulehranstalt, 1 Musikconservatorium etc. Neben den Trivialschulen bestehen noch gegen 3550 Sonntags- od. sogenannte Wiederholungsschulen für die Jugend von 12–15 Jahren, neben den Gymnasien noch 5 Realschulen. Andere wissenschaftliche Anstalten: mehrere gelehrte Gesellschaften, ein Nationalmuseum, 1818 gestiftet, u. zahlreiche Wohlthätigkeitsanstalten, 968 Armen-, 37 Kranken- u. 374 Versorgungshäuser etc. – Münzen, Maßen. Gewichte: B. rechnet mit Österreich nach Conventionsgulden, s.u. Österreich (Geogr.), ebenso sind die Maße u. Gewichte ganz die Wiener; die alten, hier u. da noch gewöhnlichen Maße sind: die alte böhmische Elle = 263,3 Pariser Linien, 121/3 Procent kürzer, als die Berliner Elle; der alte böhmische Fuß 131,4 Pariser Linien, 57/12 Procent kürzer als der Rheinische Fuß; der alte böhmische Getreidestrich hat 4 Viertel, 16 Maßel, 192 Seidel, 1/2 Strich = 14/5 Berliner Scheffel; als Getränkemaß hält das Weinfaß 4 Eimer, 128 Pinten, 512 Seidel, 1 Pinte = fast 14/5 Berliner Quart. Beim Handelsgewicht hat der Centner 6 Stein à 20 Pfund, also 120 Pfund à 32 Loth, 100 böhmische Pfund = 91,85 Wiener Pfund. Wappen: ein silberner Löwe mit goldener Krone u. doppeltem Schweife in rothem Felde. – Eintheilung: in 7 Kreise: Prag, Budweis, Eger, Gitschin, böhmisch Leipa, Pardubitz u. Pilsen, mit 79 untergeordneten Bezirkshauptmannschaften. Vgl. Schaller, Topographisches Lexikon des Königreichs B., Prag, 1791; J. G. Sommer, Das Königreich B., statistisch-topographisch dargestellt, ebd. 1833–51, 16 Bde.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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