Halle [3]

Halle [3]

Halle, 1) (H. an der Saale), Immediatstadt des Regierungsbezirks Merseburg, unter einem aus Oberbürgermeister u. zehn Stadträthen bestehenden Magistrate, aus den drei, bis zum Jahre 1817 ganz abgesonderten Städten H., Glauchau u. Neumarkt bestehend, Sitz einer Universität, eines Oberbergamts für die niedersächsisch-thüringischen Provinzen, eines Oberpostamts, Schöppenstuhls, Kreisgerichts, Inquisitoriats für H., den Saalkreis u. einen Theil des Mansfelder Seekreises, eines Hauptsteueramts, einer Handelskammer, einer königlichen Bank-Commandite, königlichen Telegraphenstation etc. H. hat mehre schöne Plätze (Markt, Großer Berlin, Paradeplatz, Moritzkirchhof, Domplatz u.a.), aus den ehemaligen Stadtgräben ist eine Promenade gebildet. Kirchen hat H. neun (darunter eine katholische); unter ihnen sind die Marien- (Markt-) kirche, im 16. Jahrh. gebaut, mit vier Thürmen, von denen zwei (Hausmannsthürme) unter der Haube durch einen Gang verbunden sind (neben ihr steht die dazu gehörige, 1560 gestiftete Marienbibliothek mit ca. 17,000 Bänden, einigen werthvollen Manuscripten u. einer Todtenmaske von Luther); die Moritzkirche, schon im 12. Jahrh. begonnen, 1840 u. 1841 restaurirt; die Ulrichskirche, ursprünglich die Klosterkirche der Servitenmönche, die Domkirche, gleich der vorigen aus dem Anfange des 16. Jahrh. herrührend, aber unvollendet; Moritzburg, ehemaliger Sitz der Erzbischöfe, nachherigen Administratoren von Magdeburg, im Dreißigjährigen Kriege zerstört, jetzt eine schöne Ruine, das neue Universitätsgebäude (s. unt.), der Rothe Thurm auf dem Markte, am Fuße in neuerer Zeit mit gothischen Arcaden umbaut, in denen die Hauptwache ist, die Wasserkunst, welche das Wasser aus der Saale 90 Fuß hoch in einen kupfernen Behälter hebt u. von da aus den größten Theil der Stadt mit Wasser versorgt, die medicinische u. die chirurgische Klinik, die Residenz, in der sich mehrere Anstalten die geburtshülfliche Klinik) u. Sammlungen (die anatomische, die mineralogische der Universität u. die des Thüringisch-sächsischen Alterthumsvereins) befinden, die Salzwerke, die Gebäude der Franckeschen Stiftungen, der Packhof an der Saale, das Theater auf der Promenade. Unter den öffentlichen Anstalten nimmt die erste Stelle ein die Universität (seit 1815 Vereinte Halle-Wittenberger Friedrichs-Universität); sie ist 1694 von Friedrich I. statt der seit 1688 dort bestehenden Ritterakademie gestiftet u. genoß von Anfang an eines großen Rufs. 1806 wurde sie auf Befehl Napoleons, welcher den dort herrschenden vaterländischen Geist unter Professoren u. Studirenden fürchtete, aufgelöst, 1808 aber durch den König von Westfalen hergestellt. 1812 durch Napoleon aus denselben Gründen wie 1606 nochmals aufgelöst, wurde ihre Wiederherstellung durch Friedrich Wilhelm III. bald nach der Leipziger Schlacht angeordnet. Am 12. April 1815 wurde die vormalige Universität Wittenberg, deren Rehabilitirung wegen der stattgefundenen Belagerung Wittenbergs u. da diese Stadt Festung bleiben[878] sollte, nicht rathsam war, unter obigem Namen mit ihr vereint, u. die von dort verbleibenden Professoren nach ihrer Anciennetät nach H. versetzt, aber die nicht unbeträchtlichen Fonds zu Stipendien u. dgl. verwendet. Es hat Zeiten gegeben, wo die Zahl der Studirenden über 1200 betrug; jetzt sind deren 700 da. Mit der Universität verbunden sind theologische, pädagogische, juristische u. philologische Seminare, ein Seminar für Mathematik u. Naturwissenschaften, eine historische Gesellschaft, eine medicinische, eine chirurgische u. eine geburtshülfliche Klinik, deren jede abgesonderte Gebäude hat (s. ob.), ein anatomisches Theater, ein physikalisches Cabinet u. ein chemisches Laboratorium, physiologische u. pharmaceutische Institute, pharmakologische u. technologische Sammlungen, ein Botanischer Garten, in welchem sich die Sternwarte befindet, die Bibliothek von 80,000 Druck- u. ca. 215 Bänden Handschriften, gestiftet 1696. 1836 wurde das neue, an der Stelle des ehemaligen Theaters u. des alten lutherischen Gymnasiums erbaute Universitätsgebäude vollendet. Von wissenschaftlichen Anstalten sind außer denen der Universität noch zu bemerken: die Naturforschende Gesellschaft, der Naturwissenschaftliche Verein, der Thüringisch-sächsische Verein zu Erforschung vaterländischer Alterthümer, eine Polytechnische Gesellschaft, ein Landwirthschaftlicher Verein, ein Kunstverein, ein Stenographischer Verein (nach Stolze's System) u. außerdem viele andere industrielle od. wohlthätige od. künstlerische Zwecke fördernde Vereine, z.B. mehrere Liedertafeln, eine Singakademie, ein Handwerker-Bildungsverein, ein Jünglings-Verein, ein Verein zur Verhütung von Verbrechen u. zur Unterbringung entlassener Sträflinge, Frauenverein zur Unterstützung der Armen, zur Beaufsichtigung der Kleinkinderbewahranstalten, zur Erhaltung des Taubstummeninstituts, zur Hülfe für arme Wöchnerinnen, ein Missions-Hülfsverein, ein Verein zur Erbauung von Familienwohnungen, ein Bürger-Rettungs-Institut, eine Vorschußbank für Handwerker, eine Bürgerkrankenkasse, mehrere Sparkassen- u. Begräbnißkassen-Gesellschaften u. dgl. m. In der Vorstadt Glaucha sind die Franckeschen Stiftungen (seit 1698), bestehend aus dem Waisenhause (zwei über 800 Fuß langen, parallelen Flügeln), aus dem Pädagogium, der Lateinischen Hauptschule, mit der seit 1808 das städtische Gymnasium verbunden ist, der Realschule, höheren Töchter-, Bürger- u. anderen Schulen (in allen diesen Lehranstalten werden gegenwärtig täglich 3292 Schüler u. Schülerinnen von fast 150 Lehrern u. Lehrerinnen unterrichtet u. zum Theil erzogen), aus der von Cansteinschen Bibelanstalt (s. Canstein), mit Druckerei von mehreren Schnellpressen u. einer Stereotypengießerei u. aus einer Buchhandlung mit einer Buchdruckerei, nebst Apotheke mit Laboratorium u. für sich bestehenden Medicamenten-Expedition, einer Ostindischen-Missionsanstalt seit 1744, Kunst- u. Naturaliencabinet, Bibliothek etc. Alles dies gründete A. H. Francke (s.d.). Städtische Schulen sind die Gewerbschule, eine Knaben- u. Mädchenbürgerschule, eine Armen- u. drei Vorstadtschulen, eine Sonntagsschule, eine katholische u. eine jüdische Schule, so wie eine Dom-Töchterschule, eine höhere Töchterschule (Privatanstalt) u. eine Handlungs-Nachhülfe-Schule. H. ist Sitz eines adeligen Fräuleinstifts von 1 Äbtissin, 1 Seniorin u. 7 Canonissinnen, 1702 vom Kanzler von Jena gegründet, u. hat ferner das 1341 gestiftete Cyriacus-Hospital, verbunden mit dem Stadtkrankenhause, Taubstummenanstalt, drei Kinderbewahranstalten, eine evangelische Diakonissenanstalt u. die königliche Provinzial-Irrenheilanstalt, eröffnet im Jahre 1844, seit 1842 das neue Zucht- u. Arbeitshaus, nach dem amerikanischen Systeme. Sehr merkwürdig ist H. durch seine Salzwerke. Es gibt deren zwei, von denen das eine in dem niedrigsten Theile der Stadt, der sogen. Halle, nahe am Markte sich befindet u. der Pfännerschaft, einer besondern Gewerkschaft, gehört; während das andere außerhalb der Stadt, jenseit der Saale liegt u. königlich ist. Beide erzeugen jährlich gegen 3690 Last Salz. Sie versieden durchschnittlich jährlich 1,734,130 Kubikfuß Soole, die so stark ist, daß sie gar nicht gradirt zu werden braucht. An ihr sind die Halloren (s.d.) vorzugsweise beschäftigt. H. hat Fabriken, bes. Stärke, Nudeln, Gries, auch eine Zuckersiederei; ferner besitzt es außer den 2 Waisenhausbuchdruckereien noch 6 Buchdruckereien, 16 Buch- u. Kunsthandlungen, 3 lithographische Anstalten, 3 antiquarische Haudlungen, mehrere Leihbibliotheken etc. Der Handel hat sich in neuerer Zeit bedeutend gehoben u. wird durch die Schifffahrt auf der Saale, welche durch die Elbe mit der Nordsee, durch Kanäle mit der Oder u. Ostsee in Verbindung steht, durch mehrere Chausseen von Magdeburg, Dessau, Berlin, Leipzig, Merseburg, Eisleben u. Querfurth, so wie von der Magdeburg-Leipziger, der Berlin-Anhalter u. der Thüringer Eisenbahn sehr begünstigt; eine Eisenbahn Halle-Nordhausen ist ebenfalls projectirt. H. betreibt einen beträchtlichen Gemüse-, Kümmel- u. Kardenbau, so wie ziemlich bedeutenden Lerchensang. H. hat auch Soolbäder, namentlich das seit 1846 bei Giebichenstein gelegene Soolbad Wittekind. Vergnügungen: mehrere geschlossene Gesellschaften, namentlich die auf dem Jägerberge, in dem Locale der Freimaurerloge: zu den drei Degen, außerdem das Museum, von der Universität u. zunächst für sie begründet, u. zugleich Journalisticum in der größten Ausdehnung; vier Schützengesellschaften. An Zeitschriften erscheinen hier: die Hallische Zeitung (im G. Schwetschkeschen Verlage), ein Wochenblatt, eine Neue Hallische Zeitung u. mehrere wissenschaftliche Journale; 38,290 Einwohner (excl. Militär). H. ist Geburtsort von den beiden Struensee's, Joh. Velthen, Fr. Hoffmann, J. A. Unger, J. D. Michaelis, Händel, dem 1859 ein Denkmal hier errichtet wurde, A. H. Niemeyer etc. – H., wenigstens seine Salzquellen, sind schon in ältester Zeit bekannt u. werden letztere wohl schon vor Christi Geburt von den Kelten benutzt worden sein. Ob es indeß der von Ptolemäus Kalägia genannte Ort ist, u. ebenso ob jene von Tacitus (im Jahre 58) erwähnten Salzquellen die Halleschen sind, bleibt zweifelhaft. Im 7. Jahrh. nahmen die Wenden die Gegend von H. in Besitz u. nannten den Ort Dobrebora (Gutsalz). 806 belehnte Kaiser Karí der Große den Grafen von Wettin mit H. (welches damals zuerst unter dem Namen Halla vorkommt); Otto der Große gab es 965 mit den Salzquellen dem Erzbisthum Magdeburg. 981 erhielt H. durch Otto II. Stadtrechte. Im 13. u. 14. Jahrh. führte die Stadt bereits mit ihren Landesherren,[879] den Erzbischöfen von Magdeburg, lange u. glückliche Kriege. 1435 wurde die Stadt von dem Kurfürsten von Sachsen, als Vollstrecker einer Reichsacht gegen sie, belagert; 1478 wurde H. vom Erzbischof Ernst von Magdeburg eingenommen u. die Pfänner eines großen Theils ihrer Vorrechte beraubt, auch 1484 statt des alten (schwarzen) Schlosses die (im Dreißjährigen Kriegewieder zerstörte) Moritzburg gebaut. Hier u. auf der 1519 begonnenen Residenz wohnten die Erzbischöfe, nachmaligen Administratoren. Die Reformation faßte in H. bald festen Fuß; 1541 wurde der erste lutherische Superintendent, Justus Jonas, berufen. Nach der Schlacht bei Mühlberg unterwarf sich hier Landgraf Philipp von Hessen in der Residenz dem Kaiser Karl u. wurde gegen die Capitulation verhaftet. Nach der Säcularisation kam H. unter die Herrschaft der Administratoren von Magdeburg, die in H. Residenz hielten. Im Dreißigjährigen Kriege wurde H. 1631 von den Schweden, 1632 von den Kaiserlichen, 1637 von den Sachsen genommen. 1648 wurde H. durch den Westfälischen Frieden brandenburgisch, leistete aber erst nach dem Tode des letzten Administrators von Magdeburg, August von Sachsen, 1680 Huldigung. Am 12. Aug. 1694 inaugurirte Kurfürst Friedrich III. die dasige Universität. Hier am 17. Oct. 1806 Sieg der Franzosen unter Bernadotte über die Preußen unter Prinz Eugen von Württemberg. H. wurde im Frieden von Tilsit westfälisch. Über die Schicksale der Universität s. oben. Am 28. April 1813 Gefecht zwischen den Preußen u. Franzosen; am 2. Mai wurde H. von den Preußen unter Bülow genommen u. vor der Schlacht von Leipzig besetzt; seitdem ist es preußisch geblieben. Vgl. J. C. von Dreyhaupt, Beschreibung des Saalkreises, insonderheit der Städte H., Neumarkt, Glaucha etc., Halle 1749, 2 Thle., Fol., Auszug u. Fortsetzung von Stiebritz, ebd. 1772 f., 2 Bde.; eine neue Fortsetzung A. Eckstein 1842 ff., 6 Hefte; Weiße, H. u. Merseburg, Merseb. 1823; F. Hesekiel, Blicke auf H. u. seine Umgebungen, Halle 1824; J. C. Förster, Übersicht der Geschichte der Universität H., ebd. 1794; J. C. Hoffbauer, Geschichte der Universität H., ebd. 1805; A. H. Niemeyer, Die Universität H. nach ihrem Einfluß auf gelehrte u. praktische Theologie, ebd. 1817; Franckens Stiftungen von Schulze, Knapp u. Niemeyer, ebd. 1792 f., 3 Bde.; J. Chr. Förster, Beschreibung u. Geschichte des Halleschen Salzwerks, ebd. 1799; F. A. Eckstein, Geschichte des Hospitals St. Cyriaci, ebd. 1841; F. Knauth, Geschichte u. Beschreibung von H., 1852, 2. Aufl. unter dem Titel: Heimathskunde, 1855; Derselbe, Wegweiser durch H. u. seine Umgebungen, 1853; H. in Vorzeit u. Gegenwart, 1851. 3) Kreis des Regierungsbezirks Minden (preußische Provinz Westfalen), Theil der vormaligen Grafschaft Ravensberg, 53/4 QM., gegen 32,000 Ew.; flach, nur von einer kleinen Bergkette durchschnitten; 4) Kreisstadt darin; 1400 Ew.; 5) so v.w. Hal, Hall u. Hallein.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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