Tragödie

Tragödie

Tragödie (v. gr.), ist die dramatische Darstellung einer tragischen Handlung. Tragisch ist nicht das, was im Allgemeinen eine ernste Anschauung des menschlichen Lebens hervorruft, sondern das, was menschliche Kraft u. Größe als den Träger einer sittlichen Idee in einem solchen Kampfe mit inneren od. äußeren Hindernissen erscheinen läßt, daß das Leiden u. der Untergang des Individuums zugleich als ein Sieg der Idee selbst gefühlt wird. Die von innen kommenden Hindernisse, an denen der Mensch in seinem sittlichen Streben scheitert, sind die Leidenschaften; die äußeren der Gang des Schicksals, welches, wenn es ein höheres Interesse erwecken soll, nicht als eine plumpe, sinnlose Gewalt, sondern als der Ausdruck einer höheren göttlichen Ordnung sich darstellen muß. Schon Aristoteles hat die wesentlichen Erfordernisse der T. in der Definition bezeichnet, daß sie die Nachahmung einer ernsten u. in sich abgeschlossenen, nicht blos erzählten, sondern durch die handelnden Personen selbst dargestellten Handlung von einer gewissen Größe sei, welche durch Furcht u. Mitleid diese Affecte reinigt. Das deutsche Wort Trauerspiel drückt den ästhetischen Charakter der T. nur unvollkommen aus; denn dieser beruht nicht darauf, daß die Gemüthserschütterung, welche sie bewirkt, in Trauer endet, sondern die T. soll die Affecte, welche sie hervorruft, in ein höheres sittliches u. religiöses Element zurückführen u. in dem Schicksale des tragödischen Helden an die Gesetze einer höheren sittlichen Ordnung erinnern. Die Hauptsache bei der T. ist die Wahl der Fabel od. Handlung. Obgleich dieselbe aus dem Gebiet der Sage od. der Geschichte genommen, ja sogar eine erdichtete sein kann, so wird doch eine geschichtliche Fabel vorgezogen, theils weil die Zuschauer damit bekannt sind, theils weil so ihr Interesse mehr gesteigert wird. Die Handlung muß ein organisches Ganze ausmachen (Einheit der Handlung), u. kein Theil darf wegbleiben, weil sonst dem Ganzen etwas fehlen u. der Zuschauer etwas vermissen würde (Vollständigkeit der Handlung). Die Wichtigkeit der Handlung zeigt sich theils in dem, über dieselbe entscheidenden Vorgange, theils in den handelnden Hauptpersonen (Helden). Dieselben müssen vor Andern weit hervorragen, entweder durch ihre bürgerliche Stellung als Fürsten, Feldherren, hohe Staatsmänner, weil in ihr Wohl u. Wehe Viele verflochten sind, von ihren Planen Viele abhängen; od. durch sittliche Erhabenheit od. Größe anderer [745] Eigenschaften, weil unser Interesse dadurch um so mehr gefesselt wird. Ideale von Tugend u. Laster dürfen jedoch nicht in den Helden aufgestellt werden, weil es unmöglich ist sich für einen ganz lasterhaften Menschen sittlich zu interessiren, der tragische Untergang eines absolut fehlerlosen aber als rohe Ungerechtigkeit erscheinen würde. Je nachdem aus einem höheren od. niederen Lebenskreise der Held gewählt ist, ist die T. eine heroische od. bürgerliche. Der Held muß einen bestimmten Charakter haben; durch diesen kommt er in gewisse Situationen, welche in ihm die Leidenschaften wecken; diese nöthigen ihn im Drange der äußeren Ereignisse sich selbst zu überschreiten. u. so geht er unter. Das ist der Verlauf der Handlung einer T. Sprache u. Ausdruck müssen den handelnden Personen u. den Gemüthsstimmungen angemessen sein; es ist die pathetische Sprache, welche ihnen ziemt, welche aber nicht nach der französischen Decenztheorie in das Hochtrabende u. in hohle Declamation ausarten darf. Die Form der Einkleidung ist meist, wenigstens in der heroischen T., metrisch; die antiken Tragiker wählten den Senar, die deutschen den jambischen Versfuß überhaupt; die französische klassische T. war in Alexandrinern abgefaßt; vgl. Drama.

Die T. ist in Griechenland erfunden u. ausgebildet worden. Sie ist entstanden aus dem Dithyrambos (s.d.), einem Lied auf den Dionysos, welches an dem Feste dieses Gottes von schwärmenden Zügen lustig verkleideter Festbegeher in kunstloser Form gesungen wurde, indem man einen bestimmten Plan verabredete, die Ausführung desselben aber im Einzelnen der Improvisation überließ. Solche singende Schwärme od. Chöre (Χόροι κύκλιοι) sollen mehre aufgetreten sein, welche es einer dem andern zuvorzuthun gesucht habe; daraus sei ein förmlicher Wettstreit entstanden, es seien Kampfrichter ernannt u. Siegespreise, bestehend in einem Korb mit Feigen, einer Kanne Wein u. dgl., ausgesetzt worden. Dies soll zuerst durch Susarion (s.d.) um 577 v. Chr. aufgekommen sein. Thespis (s.d.) ging einen Schritt weiter u. setzte an Stelle der frühern improvisirten Schwänke eine vorher aufgezeichnete Action, in welcher neben dem Chor ein Schauspieler in der Rolle dieser od. jener Person auftrat u. Gespräche zwischen ihm u. dem Chor od. dem Chorführer mit Gesang des Chors abwechselten. Die Gegenstände dieser Action waren von der mannigfaltigsten Art, bald mehr, bald weniger mit der Dionysossage zusammenhängend, bald heiterer u. scherzhafter, bald ernsterer Art, od. auch beides mit einander gemischt. Nun wurde der Preis, welchen der Sieger bekam, ein erlesener Bock (Τράγος), welcher dann dem Dionysos geopfert u. dabei ein Opferschmaus gehalten wurde. So hieß T. nach den Einen ursprünglich ein solcher bakchischer Wettgesang, dessen Preis ein Bock war; nach Andern war der Bock nicht Kampfpreis, sondern wurde als Verwüster des Weinstocks während der Bewegung des Chors um den Altar des Dionysos auf demselben geopfert, wornach T. als Bocksopfergesang erklärt wird. Auch soll Thespis die Masken ersnndenod. wenigstens vervollkommnet haben, wodurch es eben möglich wurde, daß sein Schauspieler in mehren Rollen nach einander auftreten konnte, indem er dieselbe, sowie sein Costüm, während des Chorgesanges wechselte. Seit Thespis war u. blieb die neue T. ein hauptsächlicher Bestandtheil der attischen Dionysosfeier. Wieweit sein jüngerer Zeitgenosse Chörilos (s.d.) um 524 v. Chr. das Werk seines Vorgängers fortführte, ist ungewiß; er soll für Ausstattung des Schauspielers gesorgt haben, indeß wesentlich werden ihm nur Satyrspiele zugeschrieben. Ein Hauptverdienst in der Entwickelung der T. hatte Phrynichos um 500 v. Chr. Er faßte die T. in würdigem Sinne u. gab ihr, indem er die theatralischen Zurüstungen mit einem poetischen Stoff u. Plan verband, eine hohe künstlerische Haltung; damals erst kamen T-n zu ni öffentlichen Wettstreit. Er nahm seine Stoffe aus den mannigfachsten Sagen, bearbeitete auch große historische Ereignisse der Zeitgeschichte dramatisch (z.B. die Einnahme von Milet, die Phönicierinnen); ferner ließ er das Gespräch oft zwischen dem Chorführer u. dem Schauspieler wechseln u. benutzte für den Dialog namentlich den trochäischen Tetrameter; einzeln gebrauchte er auch Frauenrollen in seinen Stücken. Pratinas (s.d.), um dieselbe Zeit, u. sein Sohn Aristias werden, der Erstere als Erfinder, der Andere als Vervollkommner des Satyrdramas genannt. Ihre Vollendung erreichte die griechische T. durch die tragische Trias Äschylos, Sophokles u. Euripides. Die Neuerungen u. Verbesserungen dieser bestanden namentlich in der Einführung des zweiten u. dritten Schauspielers, in Beschränkung der Chorgesänge, Erweiterung des Dialogs, in Vervollkommnung der Orchestik, Ausbildung der trilogischen u. tetralogischen Aufführungsweise, endlich in verbesserter Ausstattung der Scene, des Chors u. der Schauspieler. Ihre Stoffe nahmen sie u. ihre Zeitgenossen aus dem Schatze alter Mythen u. Sagenkreise. Die T. des Äschylos ist großartig ernst; das Schicksal ist die Schuld des Helden, es wird mit ihm geboren u. er muß durch dasselbe fallen. In der T. des Sophokles entwickeln sich die Charaktere, u. indem der Held das Schicksal flieht, verstrickt er sich mit eigener Freiheit in dessen Netze. Hier wird schon der Dialog die Hauptsache, der Chor tritt mehr zurück. Euripides, der tragischste der Tragiker von den Alten genannt, war groß in der Darstellung des Affectes u. in glänzenden Gedanken u. legte den Grund zur modernen Kunstgestaltung der T. Vgl. W. K. Kayser, Hist. crit. tragicorum graec., Götting. 1845. Nach diesen mehrten sich in Athen die Bearbeiter der T-n u. mit ihnen die Arten dieser Gattung. Aus der Schule der Sophisten ging eine Menge Tragödienschreiber hervor, welche jedoch, abgesehen davon, daß sie die Tradition der Sagen veränderten u. sich willkürliche Abweichungen gestatteten, sich weder auf der Bühne od. in dem lesenden Publicum erhielten, noch auch einen bedeutenderen Einfluß auf den inneren Entwickelungsgang gewannen. Der Zeit nach theilt man diese Tragiker ein in Zeitgenossen des Sophokles (Euphorion, Jophon, Aristarchos, Achäos, Neophron, Jon); in Dichter der attischen Ochlokratie (Agathon, Xenokles, Melanthios, Meletos, Karkinos, Philokles, Morsimos u. A.); endlich in Dichter seit Ende des Peloponnesischen Kriegs bis zu Alexanders des Gr. Zeit (Chäremon, Apyareus, Theodektes u. A.) Denn obgleich mit dem Aufhören der antiken Zeit diese Gattung ihr äußerstes Ziel erreicht u. ihre geistigen Kreise vollendet hatte, lag es doch in der Natur der jüngern schaulustigen Jahrhunderte, daß man des tragischen Spiels auch unter veränderten Verhältnissen nicht entbehren konnte; dazu kam, daß schon Alexander der Große u. seine Nachfolger die besten T-n in den Kreis glänzender Festspiele[746] zogen u. viele Theater, bes. in Asien, erbauen ließen, was Veranlassung zur Ausbildung guter Schauspieler gab. Tragische Dichter kamen damals fast nur in Alexandria zum Vorschein, wo sie poetische Wettkämpfe anstellten. Unter ihnen zeichnete sich namentlich die sogenannte Tragische Pleias aus (Homeros Hieropolitanos, Sositheos, Lykophron, Alexander Ätolos, Philiskos, Sosiphanes u. Dionysiades, statt dessen Andere den Äantides nennen). Nachdem so das Theater überall unter den hellenisirten Völkern Wurzel gefaßt u. als Theil des Luxus namentlich an den Höfen der Fürsten sich angesiedelt hatte u. wandernde Schauspieler durch Übung eine stete Tradition der Form erhielten, konnte die T. zwar ohne literarische Bedeutung, aber als Lichtpunkt höherer Bildung, als Schmuck der Dionysien u. anderer Feste fortdauern, aber giltige Bühnenstücke wurden fortwährend aus Euripides', weniger aus Sophokles' Nachlasse gezogen, u. ihr Einfluß durchdrang die ganze Cultur jener Zeiten. Als aber nach u. nach der Pantomimus (s.d.) überwog u. der reißende Verfall der Sitten auch die neuen christlichen Verhältnisse, bes. des byzantinischen Hofes seit dem 4. Jahrh., ergriff, so verlor dieser ernstere Geschmack seinen Boden, u. man überließ die alten Tragiker dem gelehrten Studium. Dichter der Gattung erscheinen nicht mehr; den Schluß machen Compilationen der heiligen Geschichte.

Nur von den drei größten Tragikern des Alterthums, Äschylos, Sophokles u. Euripides, sind auf uns vollständige Stücke gekommen, daher nur aus ihnen sich die Ökonomie der griechischen T. entnehmen läßt. Um die Beschaffenheit derselben u. die Eigenthümlichkeit ihrer Aufführung richtig zu verstehen, muß man festhalten, daß das Schauspiel in Athen nicht Privatunternehmen, bestimmt für die Unterhaltung des Publicums, war, sondern aus dem Dionysoscult hervorgegangen, blieb es fortan ein wesentlicher Bestandtheil dieser Feier, eines allgemeinen Volksfestes, ein Wettkampf der edelsten Talente zur Verherrlichung des Gottes. Gedanke u. Ausführung waren demselben religiösen Geiste entsprungen, das Werk des Dichters u. die Darstellung des Schauspielers tragen beide ein ideales Gepräge an sich. Äschylos, von der Würde dieser Festfeier durchdrungen, wurde Gesetzgeber der T. u. ihrer Ausstattung durch Costüme u. Malerei. Im Allgemeinen zeigt sich bei allem Streben nach Ausbildung u. Vervollkommnung doch ein gewisses beharrliches Festhalten an der überlieferten Form. Die Aufgabe des Tragikers war nun eine durch Zeit u. Ort begrenzte Handlung mit sittlichem Gehalt erfüllter Personen als den Ausdruck eines großen menschlichen Leides darzustellen. Was die sogenannte Einheit der Zeit u. des Ortes betrifft, so nahm man stillschweigend die Dauer eines Tages an u. dehnte diesen Zeitraum nur unmerklich bei vermittelnden Ereignissen aus, welche blos erzählt u. deshalb nicht streng berechnet wurden; noch weniger streng hielt man sich (namentlich Äschylos) an die Einheit des Ortes, da durch Umdrehen der Periakten (s.u. Theater S. 449) die Handlung leicht an einen andern Ort versetzt werden konnte; indeß liebte man nicht entferntere Orte wechseln zu lassen. Wesentlicher war die Einheit der Handlung, wodurch die T. sich am meisten vom Epos unterschied. Alle Episodien bei Seite gelassen, bedarf die T. am wenigsten eines mannigfaltigen u. ausgedehnten Stoffes, dagegen sind ihr Begebenheiten unentbehrlich, deren Glieder durch einen Causalzusammenhang in einander greifen. Nur derjenige Mythus war tragisch, in welchem alles menschliche Schicksal aus Gegenwirkungen von Willenskräften u. Entschlüssen, aus dem Widerstreite objectiver u. subjectiver Mächte floß. Die Handlung der T. bildet immer einen Kern u. Wendepunkt in bewegtem Leben, welcher alle demselben Kreise nahekommenden Personen ergreift u. gewaltsam umfängt. Übrigens blieb aber die Handlung einfach, der energischen Einfalt des antiken Gemüthslebens entsprechend. Nun lag das tragische Moment einer solchen Handlung in dem Streit, welcher zwischen dem göttlichen Rechte u. der menschlichen Leidenschaft, der Freiheit u. dem unfreien Irrthume entbrennt, u. indem so die attische T. diesen Dualismus u. Zusammenstoß gleich einem ethischen Proceß schlichtet u. der Lösung entgegenführt, knüpft so dieser Gegensatz wesentlich an zwei Figuren, welche die Action der beiden ersten Schauspieler ausfüllen. Aus der Gegenwirkung beider zieht die Handlung ihren innerlichen Fortschritt. Durch Verkettung u. Verschlingung der einzelnen Thatsachen u. Begebenheiten bewegt sich der Gang der T. nach den Gesetzen der Nothwendigkeit u. Wahrscheinlichkeit nach einem bestimmten Ziel u. Abschluß. Durch das steigende Pathos wird kein ruhiges u. gemüthliches Verweilen auf einzelnen Gebieten geduldet, sondern die Handlung bewegt sich in mehr u. mehr sich verengendem Kreise einem Höhepunkt (Peripetie) zu, wo ein Übergang vom Glück zum Unglück od. umgekehrt herbeigeführt wird. Diese Wendung ist die Katastrophe, um welche als zwei Hälften, als Anfang u. Ende, od. Knüpfung (Δέσις) u. Lösung (Λύσις), sich die ganze Handlung bewegt. Je nachdem die Katastrophe aus verwickelten Handlungen od. einfacher Grundlage hervorgeht, sind die T-n entweder verflochten od. einfache. Die Einzelhandlungen, wo es nicht auf Gedankenentwickelung, sondern auf das äußere Thun selbst ankommt, Gefechte, Zweikämpfe, Ermordungen u. dgl. läßt die T. nicht auf der Bühne selbst darstellen, sondern als an anderem Orte geschehen nur von Boten u. Herolden erzählen (den Endausgang erzählt oft im sogenannten Recit der Exangelos); daher die stehenden Rollen dieser u. ihre oft schmucklosen Erzählungen. Die Form, deren sich die T. bedient, um, wie Aristoteles sagt, Nachahmung einer Handlung durch handelnde Personen zu sein, ist die dramatische od. der Dialog. Aschylos. hatte diesen durch Einführung eines zweiten Schauspielers geschaffen, Sophokles durch den dritten Schauspieler zur Vollendung gebracht. Der Dialog schreitet bald in längeren Wechselreden, bald in der sogenannten Stichomythie vorwärts, wo Vers um Vers, welche bisweilen abbrechend übergreifen u. sich verschlingen, od. auch Verspaare mit Frage u. Antwort einander entgegnen u. die Gedanken pathetisch Schlag auf Schlag schnell sich entladen. Außerdem aber, daß der Tragiker die Handlungen u. deren Entstehungen aus dem Innern der menschlichen Seele bis zu ihrer Ausführung in naturgemäßer Folge so anschaulich uns darlegt, daß sie aus unserer eigenen Seele hervorzugehen scheinen, zeigt er auch ihre Wirkungen auf das theilnehmende Gemüth in den Chorgesängen (s. Chor), welche bei Äschylos noch in überwiegender Ausdehnung u. der erhabensten Würde erscheinen, bei Euripides dürftig u. nüchtern,[747] oft nichts mehr als geschmückte Prosa sind. Die Chorgesänge bilden im Verlauf der T. Abschnitte. So heißt der erste Theil bis zum ersten Chorgesang (die Πάροδος, Einzugslied) der Πρόλογος, in welchem namentlich bei Euripides die der Handlung der T. vorausliegenden Thatsachen erzählt werden. Die übrigen Chorlieder heißen Στάσιμα (Standlieder) u. der zwischen zwei vollständigen Chorliedern liegende dialogische Theil heißt Ἐπειςῴδιον; der Theil endlich, hinter welchem ein Chorgesang nicht mehr folgt, heißt Ἔξοδος. Der tragische Chortanz (Ἐμμέλεια) war würdig, ernst, gemessen, doch dabei ausdrucksvoll u. lebhaft. Man meint, er habe namentlich in einer dem Inhalte der Chorgesänge angemessenen Gesticulation mit den Händen bestanden; eine besondere Art desselben war der Schwertertanz (Ξιφισμός). Das Metrum des Dialogs war Anfangs der trochäische Tetrameter, u. zwar schon vor Phrynichos, er begegnet noch in ziemlicher Ausdehnung in Äschylos' Persern; bald jedoch kam der jambische Trimeter zu fast ausschließlicher Anwendung, u. der trochäische Tetrameter findet sich nur noch an solchen Stellen angewendet, wo entweder ein größerer Affect herrschk, od. ein Übergang zu od. von den Chorliedern durch das Metrum vermittelt werden soll. Noch seltener wurden Anapästen gebraucht. Der Chorgesang bewegt sich in den verschiedensten Rhythmen; die Paroden bestanden meist aus Anapästen, seltener aus Trochäen; die Gesänge selbst waren meist im Dorischen Dialekt abgefaßt, strophisch gegliedert (s.u. Strophe) u. hießen dann Στροφικά; wenn sie einen Nach- od. Schlußgesang (Ἐπῳδός, Clausula) hatten, Ἐπῳδικά. Musikalisch begleitet wurde der Gesang mit der Flöte (Διαύλιον). Als Tonart ging man von der dorischen aus, worin die Attiker ihre Vorbildung empfingen, u. in ihrer Blüthezeit benutzten sie häufig u. wirksam die dorischen Rhythmen, welche zum würdigen Ton des dramatischen Vortrags stimmten, namentlich die zweiten Epitriten in Verbindung mit daktylischen od. logaodischen Reihen. Indessen mischten sie die schlichte Majestät der Doristi mit der gemüthlichen Weichheit u. Milde der Mixolydisti, welche sie in die pathetischen Scenen der T. einführten. Aus der äolischen Melik entwickelten sich die choriambischen, bes. die glykonischen Rhyihmen. Einen seltenen Gebrauch machte man von der ionischen Harmonie, welche zur enthusiastischen Andacht stimmte, vielleicht den seltensten von der Lydisti, u. wie es scheint nur in den Threnodien bei jugendlichen Rollen. Aus dieser eklektischen Musik entstanden endlich die Dochmien. Auch gestattete man sich den Übergang aus dem melischen in den recitativen Vortrag (Παρακαταλογή), od. sprang wohl in nicht gleichartige Rhythmen über durch die Μεταβσλή. Außer den beiden genannten Arten der Gesänge kamen auch noch solche zwischen dem Chorführer u. einem Schauspieler wechselnd vor (Κομμοί). Auch eingelegte Gesänge der Schauspieler (τὰ ἀπὸ σκηνῆς) kamen vor. Über die Aufführung der T-n s. Schauspielkunst u. Theater.

Zu Äschylos' Zeit wurde bereits das Komische ganz aus der T. geschieden, u. wenn auch nach der Aufführung einer Trilogie (s.d.), um die tragischen Thränen zu trocknen, noch eine scherzhafte Aufführung, das Satyrdrama (s.d.), eine Erfindung des Pratinas, Statt hatte, so daß eigentlich vier Stücke (Tetralogie) zusammen aufgeführt wurden, so waren doch die Satyrdramen von dem Inhalt der T-n geschieden. Jede zur Trilogie gehörige T. bildete aber auch für sich ein abgeschlossenes Ganze. Alsvollständige Trilogie ist nur noch die Orestie des Äschylos erhalten, welche aus Agamemnon, Choëphoren u. Eumeniden besteht; das dazu gehörige Satyrdrama Proteus ist verloren (auch Tragiker der neueren Zeit haben wieder ihre T-n zu Trilogien verbunden, wie z.B. Grillparzer den Gastfreund, die Argonauten u. die Medea). Vgl. G. Hermann, De compositione tetraloglarum tragicarum, Lpz. 1819. Indem die T-n mehrer Dichter zusammen aufgeführt wurden, entstand ein Wettkampf, in welchem der Beifall des Publicums u. die dazu gesetzten Kampfrichter (Agonotheten) entschieden. Der Preis des tragischen Dichters war ein Ährenkranz Der gewaltige Aufschwung der Zeit, in welcher Äschylos u. Sophokles lebten, gab auch der T. eine höhere Weihe u. Bedeutsamkeit u. weckte bes. während u. nach den Perserkriegen das Bewußtsein hellenischer Nationalität. Die Politik bedeutender Staatsmänner wurde auch von der T. unterstützt, u. es ist ein besonderes Verdienst der Tragiker, daß sie durch ihr Dichtertalent die religiösen, sittlichen u. politischen Ideen ihrer Zeit bestimmter hervorhoben u. ihren Zeitgenossen zum Bewußtsein zu bringen suchten. Sie gaben daher öfters den von ihnen behandelten Mythen, namentlich den attischen, eine Beziehung zur Gegenwart, ja die Wahl des Mythus war nicht selten geradezu durch politische Tendenzen bedingt; noch öfter sprach sich, namentlich in Euripides' T-n, ihre Theilnahme an den Zuständen u. Interessen des Staates u. an dessen vorzüglichsten Lenkern u. Wortführern in besonderer Anspielung durch Wort u. Charakterschilderung aus. Specialschriften über die T. gab es im Alterthum von Aristoteles, Dikäarchos, Heraklides Pontikos, Chamäleon, Aristoxenos, Asklepiades Tragiiensis u. Philochoros; aus neuerer,; eit von Welcker, Die griechischen T-n, Bonn 1839–41,3 Thle.; die Werke der griechischen Tragiker gesammelt von W. Dindorf (Poetae scen. Graec. cum fragm. fabul. perdit., Lpz. 1830, Oxf. 1851) u. A. Nauck (Trag. Graec. fragm., Lpz. 1856).

Von Griechenland kam etwa 150 Jahre nach Sophokles u. Euripides die T. nach Rom; indeß die römischen Dichter beschränkten sich meist auf Nachahmung der griechischen. Abgesehen von den 10 Stücken des L. Annäus Seneca, welche dürftig in Inhalt u. mager in der Charakteristik der Personen, ohne Action breite Reden derselben abwechselr lassen u. blos zur Lesung, nicht zur Aufführung bestimmt waren, haben wir nur noch einzelne geringe Fragmente der früheren Tragiker, weshalb unsere Kenntniß der römischen T. nur lückenhaft ist. Dazu kommt, daß die einzelnen darüber erhaltenen Nachrichten in den Schriften der Alten weniger die Entstehungsgeschichte u. die Ökonomie der römischen T., als deren Aufführungszeit u. Darstellungsweise betreffen Die Gründer der römischen T., Livius Andronicus, Ennius u. Nävius, kamen aus Tarent u. Campanien. In Tarent wurden die Dionysien mit der Aufführung von T-n u. Komödien gefeiert. Aus den überlieferten Titeln u. Fragmenten der T-n ersieht man, daß von Andronicus an bis in die Periode vor Augustus die römische T. im Ganzen, wenn auch nicht übersetzt, doch in derselben Reihenfolge, aber selbständigen Versmaßen bearbeitet war. Auch wurden nicht selten, wie bei der [748] Komödie, zwei od. mehre griechische T-n in Eins verschmolzen. Erst etwas später, u. zwar wohl zuerst mit Pacuvius, traten Dichter auf, welche einheimische Stoffe behandelten; diese Stücke nannte man Fabulae praetextae. Ungewiß ist, ob des Ennius Ambracia eine solche gewesen; L. Attius schrieb zwei Prätexten, Brutus u. Aeneadae, Cassius Parmensis den Brutus, Curiatius Maternus den Nero u. Cato Uticensis. Einige dieser, wie Ennius, Attius, Pacuvius, Cassius u. Curiatius schrieben auch T-n, ebenso wie außer Andronicus u. Nävius auch M. Attilius, C. Titius, C. Julius Cäsar Strabo, L. Varius Rufus mit seiner berühmtesten römischen T. Thyestes, welche bei den Siegesspielen der Schlacht bei Actium aufgeführt wurde, Gracchus, P. Pomponius Secundus, endlich der bereits erwähnte Seneca. Namentlich gefiel dem praktischen römischen Sinne der sentenzenreiche Euripides, welcher daher am frühesten, später auch Sophokles u. Äschylos übertragen wurde. Neben dieser Nachbildung der griechischen T. sollen später nicht selten griechische Schauspieler Nationaldramen in Rom aufgeführt u. einige Römer, wie Pompejus Macer u. Plinius der Jüngere, griechische T-n geschrieben haben. Über die Einrichtung der tragischen Bühne u. die Aufführung von Stücken s. Theater u. Schauspielkunst. Vgl. Lange, Vindiciae tragoediae rom., Lpz. 1822; die Werke der römischen Tragiker sammelten Bothe (Poetae scen. lat., Halberst. 1823–24, 2 Bde.) u. Otto Ribbeck (Scenicae Romanorum poeseos fragmenta, Lpz. 1852–53, 2 Bde.). Eine eigenthümliche Art von Dramen waren die Hilarotragödien (Comoediae italicae, Phlyaken), deren Vaterland Tarent war u. deren erste von Rhinthon geschrieben worden sein soll, wenigstens erhielten sie in der Alexandrinischen Periode ihre regelmäßige Ausbildung; sie waren eine Art Fastnachtsspiele, welche tragische Stoffe burlesk behandelten, s. Griechische Literatur S. 634 f.

Die Literatur der neueren europäischen Culturvölker ist reich an den vortrefflichsten Erzeugnissen der tragischen Poesie; die T-n Shakespeare's unter den Engländern, Schillers u. Goethe's unter den Deutschen, Calderon's unter den Spaniern, Corneille's u. Racine's unter den Franzosen, Alfieri's unter den Italienern gehören zu den größten Zierden der poetischen Literatur dieser Völker. Ein wesentlicher Unterschied der antiken u. der modernen T. besteht darin, daß die erstere das tragische Verhängniß vorzugsweise in das Walten einer über dem Menschen stehenden Macht legt, während die moderne T. die tragische Katastrophe als Folge des eigenen Thuns des Menschen darstellt; daher die letztere, vor Allem bei Shakespeare, mit Hülfe einer scharfen, reichen u. tiefen Individualisirung des tragischen Helden den Verlauf der tragischen Handlung aus dessen eigenem Charakter ohne Einmischung dessen, was außerhalb des menschlichen Daseins liegt, zu entwickeln sucht. Man hat deshalb die antike T. wohl auch als Schicksalstragödie, die moderne als Charaktertragödie bezeichnet. Die Versuche die antike Schicksalstragödie wieder neu zu beleben, wie sie Schiller in der Braut von Messina u. bes. Müllner (s.d.) gemacht haben, entsprechen der modernen Welt- u. Lebensanschauung zu wenig, als daß sie die tragische Dichtkunst in die alte Bahn hätten zurückleiten können; vgl. Drama.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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