Verona [1]

Verona [1]

Verona, 1) Provinz des lombardisch-venetianischen Königreiches, grenzt an Tyrol, den Gardasee, die Lombardei u. die Provinzen Mantua, Rovigo, Padua u. Vicenza, 52,33 QM.; ist im Norden durch die Ausläufer der Alpen (Mt. Lessini, M. Baldo) gebirgig, im Süden eben, mit reicher Vegetation, durch die Etsch mit ihren Zuflüssen u. den Tartaro bewässert; 314,900 Ew., deren Haupterwerbsquellen Reisbau u. Seidencultur sind; wird in elf Districte eingetheilt; 2) (in der Deutschen Heldensage Bern genannt), Hauptstadt darin, am Fuße der Alpen in einer fruchtbaren Ebene an der Etsch, welche es in zwei ungleiche Theile (der kleinere östliche wird Veronetta genannt) scheidet, u. an der Lombardisch-Venetianischen Eisenbahn (Venedig-Verona--Mailand), mit Abzweigungen von hier nach Mantua u. nach Botzen, ist eine starke Festung, der Hauptwaffenplatz des Königreichs, mit 15,000 M. Besatzung, u. bildet die nordöstliche Ecke des Festungsviereckes der Minciolinie; die Mauern, welche zum Theil noch von Theoderich, Karl[503] dem Großen u. den Scaligern herrühren, sind mit 17 Bastionen u. sechs Thoren versehen, die äußersten Mauern wurden 1520 unter den Venetianern erbaut; in Veronetta, auf dem Berge S. Pietro, wo ehemals die Burg Theoderichs stand, liegt das 1393 von Galeazzo Visconti ganz umgebaute, 1801 von den Franzosen zerstörte, 1850 neu erbaute u. stark befestigte Castell S. Pietro; das alte, zum Theil zerstörte Castell, ehemals Schloß der Scaliger, liegt an der Etsch u. ist jetzt Zeughaus, bei ihm der Ponte del Castello mit Brückenkopf; großartige Festungswerke u. Forts, zum Theil in der neueren Zeit unter Leitung des Grafen Bolza erbaut, umgeben die Stadt, so die Forts Radetzky, d'Aspre, S. Michele, S. Lucia, S. Massimo u.a. Sechs Brücken führen über die Etsch. unter ihnen ist der Ponte della Pietra theilweise römischen Ursprunges u. die unterste, der Ponte delle Navi, steht an der Stelle der Brücke, welche 1757 durch den Eisgang der Etsch weggerissen u. zu dem Bürgerschen Lied vom braven Manne Veranlassung wurde. Die Stadt hat einen Umfang von 13/4 Meilen, die Straßen sind meist eng u. unregelmäßig, nur der von der Kirche S. Anastasia, am Castell vecchio vorüber durch die ganze Stadt bis zu der schönen Porta Stuppa laufende Corso u. die Stradone Porta Nuova von der Piazza Bra zum Centralbahnhof sind gerade u. schön, die letztere die belebteste Gewerbsstraße. Von den vier Hauptplätzen ist die Piazza dei Signori mit Marmorquadern belegt u. von sechs Palästen (der Scaliger u. Palazzo del Consiglio) umgeben, die P. delle Erbe (das ehemalige Forum, j. Gemüse- u. Fruchtmarkt) mit Brunnen, dem Kaufhaus u. der Denksäule der Unterwerfung V-s unter Venedig von 1524 geschmückt, an der P. di Bra steht das Amphitheater, der Palazzo publico, das neue Theater etc. u. auf dem Campo marzio wird die Messe abgehalten. V. ist der Sitz des obersten Tribunals, der Provinzialdelegation, eines Tribunals erster Instanz, des Landesgerichts, einer Handels- u. Gewerbekammer, Postamts u. Telegraphenhauptstation, der obersten Militärbehörden des Königreichs (1848 von Mailand hierher verlegt), des zweiten Armee- u. des Landesgeneralcommandos, des Stadt- u. Festungscommandos, einer Geniedirection; außerdem eines Bischofs, Kathedralcapitels, einer bischöflichen Curie etc. Unter den Alterthümern steht das Amphitheater auf der Piazza Bra mitten in der Stadt obenan; es ist aus Marmor erbaut wahrscheinlich unter Antonin, büßte 1184 durch ein Erdbeben das oberste Stockwerk ein, ist aber gut erhalten, 513 Fuß lang, 410 F, breit, 100 F. hoch (im Innern 225 F. lang, 133 F. breit), 1477 F. im Umfang u. hat 72 Arkaden im ersten u. zweiten Stockwerk u. 45 Stufenreihen von weißem Marmor übereinander mit Sitzplätzen für 27,000 Menschen; es wird jetzt noch oft zu theatralischen Vorstellungen gebraucht, in den Arkaden haben sich Handwerker niedergelassen. Ruinen des römischen Theaters sind am Fuße des Castells ausgegraben worden; außerdem sind bemerkenswerth die Ruinen zweier antiker Thore (Arco de'Leoni u. Porta de'Borfari), die Überreste des Residenzpalastes der Deutschen Kaiser u. Könige von Italien, altrömische Grabsteine u. Inschriften. Die schönste der 60 Kirchen (darunter 15 Parochialkirchen u. eine Synagoge) ist die Kathedrale S. Maria matricolare im lombardischen Styl aus dem 12. Jayry., mit den Statuen Rolands u. Oliviers am Portal, im Innern mit dem Grabmal des Papstes Lucius III., der Himmelfahrt Mariä von Tizian u. Frescen nach Zeichnungen von Giulio Romano; die berühmtesten der übrigen Kirchen sind: S. Fermo maggiore, im lombardischen Styl, mit Krypta von 1065, hat Gemälde von Paul Veronese u. Fr. Carotto; S. Maria l'antica mit den fünf Grabdenkmälern der Scaliger vor ihr; S. Zenone, eine Basilika im lombardischen Styl mit Bronzethüren, Sculpturen, Statuen von Christus u. den Aposteln, Wandmalereien u. einer Maria von Mantegna; S. Anastasia, ebenfalls im lombardischen Styl, mit Sculpturen, Fresken, Holzschnitzereien, Gemälden u. Denkmälern; S. Giorgio in Braida, mit Gemälden von Paul Veronose, Tintoretto, Morretto, Carotto u. A.; S. Pietro in Castello, wo Ludwig III. (s.d. 7) 905 von den Soldaten Berengars gefangen genommen wurde. Die Glockenthürme stehen gewöhnlich neben den Kirchen. Es gibt 13 Mönchs- u. Nonnenklöster, viele Paläste, unter ihnen der Pal. Giusti mit schönen Gärten u. herrlichen Aussichten; P. del Consiglio (Rathhaus) mit Statuen berühmter Veroneser, Cornel. Nepos, Vitruvius, Catullus, Fracastori, Maffei u. And. u. mit der öffentlichen Gemäldesammlung; der P. dell' Aquila, ehemals den Scaligern, später den Rittern von Brandenburg gehörig; P. Buri mit Gemälden; P. Canossa mit Fresken, Ölgemälden, Mineralien- u. Fossiliensammlung; P. Carli; P. Muselli mit Münzen- u. Medaillensammlung; P. Maffei. An Bildungsanstalten, Bibliotheken u. Sammlungen existiren in V. eine theologische Lehranstalt, 3 Gymnasien, eine höhere Schule für Kriegswissenschaften zur Ausbildung junger Offiziere für den Generalstab, bischöfliches Seminar, kaiserliches Convict in S. Anastasia, k. k. Mädchenerziehungsanstalt, Akademie für Landwirthschaft, Handel u. Gewerbe, Maler- u. Bildhauerakademie, Gesellschaft Pia Filarmonica zu Hebung der Tonkunst; Bibliotheka capitolare mit Palimpsesten (in ihr entdeckte Niebuhr 1817 die Institutionen des Gajus), Communalbibliothek, Museo lapidario mit griechischen, etruskischen u. römischen Inschriften, Basreliefs etc. (1617 gegründet, durch die Sammlungen des Grafen Maffei vermehrt). Kranken- u. Wohlthätigkeitsanstalten sind das Militärspital, Civilspital, Spital der Barmherzigen Brüder, Centralcommission für öffentliche Wohlthätigkeit, Findelhaus (für 3000 Findlinge), 3 Waisenhäuser u. Versorgungsanstalten für Kinder, Besserungshaus der Barfüßerinnen für Mädchen u. Frauen, Kinderbewahranstalt, Säuglingsanstalt, städtisches Arbeitshaus, Sparkasse. Außerdem gibt es 11 Infanterie-, 10 Cavalleriekasernen, Montirungshäuser, 3 Theater (Teatro Filarmonico für Opern, T. Moranda u. das 1846 erbaute T. nuovo), 8 Buchdruckereien, 2 Lithographische Anstalten, von industriellen Etablissements 25 Seidenfilatojen, Färbereien, Lederfabriken u. Gerbereien, eine große Maschinenfabrik, welche den gesammten Bedarf der Lombardisch-Venetianischen Eisenbahn liefert; der ansehnliche Handel war früher noch bedeutender, bes. zwischen Deutschland u. Italien; 59,200 Ew. Der neue Campo santo (Gottesacker) ist ein von einer dorischen Säulenhalle mit einer Kuppelkirche eingefaßtes Viereck. Die Casa Cappeletti, das Haus der Familie der Julia, welche Romeo hier[504] fand u. deren Geschichte in V. spielt (s. Romeo u. Julia), ist jetzt Wirthshaus; auch wird in dem ehemaligen, jetzt von dem Militärfuhrwesen eingenommenen Franciscanerkloster in einem Stall (früher eine Kapelle der Klosterkirche) der angebliche Sarg Julias gezeigt. V. ist der Geburtsort vieler Gelehrten u. Künstler, des Catullus, Cornelius Nepos, Vitruvius, Plinius des Älteren, Jul. Scaliger, Lod. Nogari, Onofrio Panvinio, Fracastori, Sc. Maffei, der Architekten Falconetto, Fra Giacondo u. Sanmicheli. Hier fand auch Dante 1303 nach seiner Vertreibung aus Florenz einen Zufluchtsort. Schöne Aussichten über die Umgegend genießt man von der Brücke des Castello, vom Castell S. Pietro u. aus den Gärten des Palastes Giusti. In der Umgegend werden Marmor gebrochen u. viele Versteinerungen gefunden; im Pontenathal befindet sich das natürliche Felsenthor von Veja von 150 Fuß Spannung u. 10–15 Fuß Breite. Nördlich von V. liegt bei den Dörfern Volargna u. Dolèn die Klause (Berner Klause, Chiusa von V.), ein Engpaß an der Etsch u. auf der Straße über den Brenner; sie ist 1811 durch Sprengung der Felsen leicht zugänglich gemacht worden u. wurde früher durch eine venetianische, jetzt durch eine neue Feste vertheidigt. Hier schützte 1155 Otto von Wittelsbach das deutsche Heer unter Friedrich Barbarossa gegen die Mailänder.

V. wurde von den Euganeern, vielleicht von Brixia aus, gegründet u. später von den aus Massilia einwandernden Cenomanen in Besitz genommen. Die Stadt wurde bald blühend, u. es siedelten sich allmälig viel Römer in V. an; Pompejus führte eine Römercolonie hierher (Colonia Augusta). Kaiser Gallienus umgab es mit neuen Mauern, u. deshalb erhielt es den Beinamen C. A. Verona nova Galliena. V. ist berühmt in der Kriegsgeschichte: hier, auf den Raudischen Feldern, schlug Marius 101 v. Chr. die Cimbern; Decius 249 v. Chr. den Kaiser Philippus, welcher dann in V. ermordet wurde; Kaiser Constantinus 312 den Feldherrn des Maxentius, worauf er V. eroberte; Stilicho 403 den Gothen Alarich. Attila plünderte die Stadt aus. Später besaß sie der Herulerkönig Odoacer; diesen besiegte hier 27. Septbr. 489 der Ostgothenkönig Theoderich, eroberte die Stadt u. residirte hier; er hat in der deutschen Heldensage von V., welches nach dem griechischen Berona von den Germanen Bern genannt wurde, den Namen Dietrich von Bern. Der byzantinische Feldherr Narses vertrieb die Ostgothen aus V., 553, worauf die Stadt in den Besitz des byzantinischen Kaisers kam; 572 eroberten sie die Longobarden, deren Könige zum Theil hier residirten, bis sie durch Karl den Großen an das Fränkische Reich kam u. Hauptstadt des Königreichs Italien wurde. Als das Karolingische Reich in Italien verfiel, wurde V. durch mehre Abenteurer beherrscht; doch brachte Otto der Große die Stadt wieder an das Römische Reich, erlaubte ihr aber ihren Magistrat selbst zu wählen, weshalb sie bald als Republik betrachtet wurde. Im 13. Jahrh. warf sich Ezzelino zum Herrn der Stadt auf, nach dessen Tode 1209 die Veroneser Martin della Scala zu ihrem Oberhaupt wählten u. ihn nach fünf Jahren zum Dictator ernannten, s. Scala (Geneal.). Seine Familie blieb fast 200 Jahre lang die herrschende u. wurde 1310 vom Kaiser zu Herzögen erhoben, aber 1387 von Johann Galeazzo, Herzog von Mailand, verjagt. 1404 bemächtigte sich die Familie della Scala der Herrschaft wieder, behauptete sich aber nur kurze Zeit in selbiger, indem schon 1405 Carrara von Padua V. einnahm. Nach dessen Fall 1409 bemächtigte sich Venedig V-s, verlor es zwar zu Anfang des 16. Jahrh. in dem großen venetianischen Kriege wieder, wurde aber 1517 durch den Vertrag zwischen Venedig u. Frankreich wieder in dessen Besitz gesetzt. Seitdem blieb V. venetianisch bis zum Frieden von Campo Formio zwischen Frankreich u. Österreich, wo es von den Franzosen an Österreich überlassen wurde. Am 3. Juni 1796 wurde V. von den Franzosen unter Massena genommen u. an demselben Tage zog Bonaparte dort ein (s. Französischer Revolutionskrieg S. 644); Wurmser suchte im September vergebens hier durchzubrechen (s. ebd. S. 645); Anfang 1797 Aufstand gegen die Franzosen (s. Venedig S. 427). 1799 hatte Kray bei V. eine feste Stellung genommen, welche Scherer am 26. März vergebens angriff (s. Französischer Revolutionskrieg S. 649); am 15. April 1799 besetzten russische Truppen unter Suwarow die Stadt (s. ebd. S. 650), wurden aber am 3. Jan. 1801 von den Franzosen wieder vertrieben (s. ebd. S. 653). Am 17. Oct. 1805 hier Treffen zwischen den Franzosen unter Massena u. den Österreichern unter Erzherzog Karl, wobei Erstere sich der Brücke bemächtigten (s.u. Österreichischer Krieg S. 483). Nach dem Frieden von Presburg 1805 wurde V. an das Königreich Italien abgegeben. 1814 war V. der Hauptpunkt der französischen Vertheidigung unter dem Vicekönig Eugen von Italien, wurde aber von ihm am 3. Febr. geräumt u. kam durch den Frieden von Paris wieder an Österreich, welches es noch jetzt im Besitz hat. Hier wurde Ende 1822 der Congreß von V. gehalten. Mitte October erschienen der König von Preußen mit dem Fürsten Hardenberg u. Grafen Bernstorff, der Kaiser von Österreich mit dem Fürsten Metternich u. von Gentz, der Kaiser von Rußland mit Pozzo di Borgo, der König von Neapel u. mehre italienische Fürsten in V., England wurde durch Wellington, Frankreich durch den Herzog von Montmorency u. Chateaubriand repräsentirt. Die Hauptfrage war, ob Frankreich zu Gunsten Ferdinands VII. in Spanien einschreiten sollte. England war für friedliche Vermittelung, Villèle, der erste Minister Frankreichs, selbst stimmte für mildere Maßregeln, u. nochmals wurden daher im Dec. 1822 Unterhandlungen mit den Cortes versucht, welche jedoch kein Resultat gaben, worauf Frankreich endlich zum Einfall in Spanien 1823 schritt. Hinsichtlich der Türken u. Griechen beschloß man die Griechische Insurrection auf keine Weise zu unterstützen u. ließ daher die griechischen, schon nach Ancona gekommenen Gesandten nicht zu. Differenzen zwischen Rußland u. der Türkei sollten durch England, welches deshalb den Lord Strangford nach V. schickte, vermittelt u. auf Vollziehung des Vertrages von Bucharest Seitens der Pforte gedrungen werden. Piemont sollte von den Österreichern geräumt werden, die weitere Organisation des italienischen Staatensystems wurde ausgesetzt. Die geheimen Gesellschaften in Italien u. anderswo sollten unterdrückt werden. Im December verließen die Monarchen V. Ende März 1848 wurde V. von Radetzky in Belagerungszustand erklärt u. blieb das Hauptquartier Radetzkys in den Kriegen[505] gegen die Piemontesen. Am 6. Mai 1848 in der Nähe bei den Dörfern S. Lucia u. S. Massimo Sieg der Òsterreicher über die Piemontesen. Vgl. Onuf. Panvint, Antiquitates veron., Pad. 1668; Scipio Maffei, V. illustrata, Ven. 1731; Derselbe, Museum veronense, ebd. 1749.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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