Geschworengericht

Geschworengericht

Geschworengericht (franz. Jury [spr. Schüri] u. engl. [spr. Dschüri], Schwurgericht). I. Das Wesen des G-s besteht darin, daß nach dieser Einrichtung Geschworene (franz. Jurés, engl. Jurymen, s. unt. III.), die nicht vom Staate angestellt, sondern aus der Mitte des Volkes selbst gewählt sind, als Richter zur Aburtheilung eines einzelnen Falles bestimmt werden u. über die factischen Fragen nach innerer Überzeugung, ohne an Beweisregeln gebunden zu sein u. Rechenschaft geben zu müssen, so entscheiden, daß ihr Ausspruch die Grundlage des von den rechtsgelehrten Richtern zu fällenden Endurtheils ist. Obwohl Geschworene in einzelnen Ländern, z.B. in England u. Nordamerika, auch bei Entscheidung von Civilprocessen (s.d.) mitwirken, so ist doch die Mitwirkung der G. im Strafprocesse die in rechtlicher wie politischer Beziehung bei Weitem wichtigere u. auf dem Continent allein gebräuchliche. Wo G-e ins Leben gerufen wurden, war es nicht blos die strafrechtliche Rücksicht, daß auch das sorgfältigste Bestreben des Gesetzgebers, genaue Beweisregeln für die Beurtheilung der Wahrheit Historischer Thatsachen aufzustellen, stets mißlingen muß, indem eben bei den Hauptregeln des Beweises immer nur das Ermessen des Richters entscheidet, sondern es tritt überall der politische Charakter des Strafprocesses vorherrschend hervor. Wie dann auf der einen Seite das Verbrechen selbst als ein öffentliches, den Staat wenigstens mittelbar berührendes Unrecht u. als eine Angelegenheit erscheint, bei welcher jeder Bürger interessirt ist; so zeigt sich auf der anderen Seite das aus dem Mißtrauen gegen die vom Staate dauernd angestellten u. von ihm abhängigen Richter hervorgegangene Streben, die Freiheit der Bürger gegen ungerechte Verfolgungen u. gegen die Leiden, welche der Strafproceß immer in seinem Gefolge hat, dadurch zu schützen, daß unabhängigen Männern aus dem Volke, welche nach abgegebenem Wahrspruche wieder in das Volk zurücktreten, gewissermaßen als Vertretern der Volksgemeinde u. der in derselben herrschenden Rechtsidee, der Ausspruch über Schuld od. Unschuld des Angeklagten anheim gegeben wird. So kommt es, daß sich das G. immer nur in Staaten mit freier Verfassung findet, u. dies, wie auch die Natur der Sache, ist wieder erklärend dafür, daß das G. mit Öffentlichkeit u. Mündlichkeit der Verhandlung verbunden ist, u. daß für sie der Anklageproceß die Grundform des Strafverfahrens bildet.

II. Beruf des Geschworengerichts. A) Urtheilsjury. Der Beruf des G-s besteht zunächst nur in der Entscheidung über die thatsächlichen Unterlagen, durch deren Beantwortung die Hauptfrage, ob der Angeklagte schuldig ist, bedingt wird; den rechtsgelehrten Richtern bleibt neben den Geschworenen die Aufgabe, den Ausspruch der Letzteren unter das Strafgesetz zu subsumiren u. zugleich über alle Rechtspunkte zu erkennen, welche auf die den Geschworenen zur Beantwortung vorliegende Hauptfrage Einfluß haben. Zwar sagt man, daß die Geschworenen die Thatfrage, die rechtsgelehrten Richter dagegen die Rechtsfrage zu entscheiden haben, aber die Trennung zwischen diesen Fragen läßt sich nie scharf durchführen, u. jedenfalls entscheiden die Geschworenen, wenigstens mittelbar, dann über Rechtspunkte, wenn sie ein allgemein lossprechendes Verdict geben, od. wenn sie den Angeklagten, obgleich er die That verübte, für nicht schuldig erklären, weil sie die That für kein Verbrechen halten. B) Anklagsjury. Neben diesem hauptsächlichen Berufe zur Mitwirkung bei Fällung der Endentscheidung in einem Strafprocesse hat das G. abweichend in England u. Nordamerika noch eine andere Aufgabe. Jeder Verhandlung vor den Geschworenen muß, wie in jedem anderen Strafprocesse, eine schriftliche Voruntersuchung vorausgehen, welche den Thatbestand des begangenen Verbrechens constatirt u. die für die Schuld od. Unschuld des Angeschuldigten sprechenden u. dereinst bei der Hauptverhandlung zu benutzenden Beweismittel sammelt, u. welche durch die Erkenntniß darüber geschlossen wird, ob die Anklage stattfinde od. nicht. Ersteren Falles wird der Beschuldigte, der von nun an Angeklagter heißt, u. erst von jetzt an von den mit der Verstrickung in eine Untersuchung verbundenen nachtheiligen Folgen betroffen wird, z.B. Ruhen des Staatsbürgerrechts etc., durch das Erkenntniß (Verweisungserkenntniß) unter Feststellung der Natur des vorliegenden Verbrechens u. unter gleichzeitiger Benennung der zu gebrauchenden Beweismittel zur endlichen Aburtheilung vor die Geschworenen verwiesen. Dieses Erkenntniß nun, welches es nur mit der Frage zu thun hat, ob in den zur Untersuchung gekommenen Thatsachen die rechtlichen Voraussetzungen eines bestimmten Verbrechens[277] enthalten u. ob der Angeklagte dringend verdächtig sei, dieses Verbrechen begangen zu haben, u. welches überall von rechtsgelehrten Richtern gefällt wird, kommt in England ebenfalls zur Entscheidung eines G-s, welches, im Gegensatz zu der aus 12 Geschworenen bestehenden Urtheils-(Kleine) Jury, die Anklags- (Große) Jury (Grand Jury) heißt u. aus 23 Geschworenen besteht. Obwohl bei Einführung der Schwurgerichte in Frankreich im Jahre 1791 auch diese Anklagsjury mit aufgenommen wurde, so wurde sie doch durch den Code d'instruction vom 17. Novbr. 1808 wieder abgeschafft, u. an ihre Stelle trat eine blos aus rechtsgelehrten Richtern bestehende Anklagekammer, u. keiner der Staaten, in welchen neuerdings die Jury eingeführt worden ist, hat das Institut der Anklagejury angenommen. Die Anklagekammer bildet entweder einen stehenden Senat der Obergerichte (Hofgerichte, Appellationsgerichte), od. die Mitglieder derselben werden auch hierzu besonders von der Regierung ernannt. Sie besteht aus 3 bis 5 Mitgliedern. Sendet ein Untersuchungsrichter eine geschlossene Voruntersuchung an die Anklagekammer ein, so hat dieselbe in geheimer Berathung u., da vor ihr weder der Angeschuldigte noch Zeugen erscheinen, lediglich auf Grund der Acten zu prüfen, ob wider den Beschuldigten Beweise einer That vorhanden sind, welche das Gesetz für ein Vergehen od. Verbrechen erklärt, u. ob diese Beweise erheblich genug sind, um die Versetzung in den Anklagestand zu begründen. Die Anklagekammer kann vor Fällung ihres Erkenntnisses noch Vervollständigung der Voruntersuchung durch neue Ermittelungen verordnen. Findet sich keine Spur einer durch das Gesetz vorgesehenen strafbaren Handlung od. keine hinreichenden Anzeigen für die Schuld des Bezüchtigten, so spricht sie die Unzulässigkeit einer Anklage aus u. verordnet Freilassung, falls der Beschuldigte verhaftet ist; findet sie, daß ein Verbrechen vorliegt, welches nicht zur Competenz der Schwurgerichte gehört, so verweiset sie den Beschuldigten vor das competente Gericht. Erachtet dagegen die Anklagekammer, daß eine vor die Assisenhöfe gehörige strafbare Handlung vorliege u. daß die Anzeigen wider den Beschuldigten erheblich genug seien, so versetzt sie denselben unter gleichzeitiger Benennung der zu gebrauchenden Belastungs- u. Entlastungsmittel in Anklagestand u. verordnet die Verweisung desselben an den zuständigen Assisenhof. Gegen die Erkenntnisse der Anklagekammer findet kein ordentliches Rechtsmittel, sondern nur Nichtigkeitsbeschwerde statt. Da die Anklagekammer nicht freispricht, sondern nur ausspricht, daß in der schriftlichen Voruntersuchung, welche blos polizeilichen Charakter hat, ein genügender Grund nicht vorliege, um wider den Beschuldigten eine criminelle Hauptverhandlung vor Geschworenen eintreten zu lassen, so ist auch ein früheres Erkenntniß der Anklagekammer, welches die Erhebung einer Anklage für unstatthaft erklärte, kein Hinderniß, um später bei neu aufgefundenen Beweismitteln dieselbe Untersuchungssache von Neuem aufzunehmen.

III. Die Geschworenen. Um seiner Aufgabe zu genügen, bedarf es bei dem Geschworenen unerschütterlicher Gewissenhaftigkeit, gereifter Erfahrung, strenger Unparteilichkeit, Gerechtigkeits- u. Freiheitsliebe u. der Festigkeit, welche nur entscheidet nach gewissenhaftester Erwägung der vorgebrachten Belastungs- u. Entlastungsgründe. Da die Gesetzgebung aber nicht diese inneren Erfordernisse, sondern nur äußere Merkmale aufstellen kann, bei deren Vorhandensein erfahrungsmäßig die Vermuthung für das Vorhandensein auch jener inneren Eigenschaften spricht, so erklärt sich die große Verschiedenheit in den Gesetzgebungen über die Fähigkeit zur Verwaltung des Geschworenenamtes. Übereinstimmung findet sich nur rücksichtlich der Erfordernisse der Selbständigkeit, der Unbescholtenheit u. fast überall eines höheren, meist dreißigjährigen Lebensalters. In England ist nach der Parlamentsacte vom 22. Juni 1825 jeder Engländer, der über 21 Jahr alt ist u. aus eigenthümlichen Ländereien jährlich 10 Pfd. Sterl. od. aus Erbpacht jährlich 20 Pfd. Einkünfte hat (mit Ausschluß der Pairs, Richter, Geistlichen, Doctoren, Procuratoren, Coroners, Ärzte, Apotheker, Offiziere, Diener des königlichen Hauses etc.) fähig, Geschworener zu werden. Die Namen der Fähigen werden alljährlich für jeden District in ein Buch eingetragen, aus welchem dann der Sherif, so oft sich die Zusammenberufung eines G-s nothwendig macht, höchstens 72 u. mindestens 48 beliebig auszieht. In Nordamerika können in der Regel alle, welche wahlberechtigt bei der Wahl der Deputirten sind auch Geschworene werden, während dagegen z.B. in New York nur diejenigen hierzu befähigt sind, welche für bewegliches Vermögen 250 Dollars versteuern od. Grundeigenthum im Werthe von 150 Dollars besitzen. Für Frankreich bestimmt das Gesetz vom 7. Aug. 1848, daß jeder Wähler mit dem Alter von 30 Jahren Geschworener sein könne, wofern er nur selbständig, des Lesens u. Schreibens kundig u. nicht wegen gewisser Verbrechen verurtheilt ist. Eine Generalliste umfaßt alle zum Schwurdienst Verpflichtete. Besondere Gemeindebeamte wählen daraus jährlich die zugetheilte Anzahl, u. der Gerichtspräsident zieht endlich durch das Loos die für jede Sitzung erforderliche Anzahl. In Belgien kann nach dem Gesetz vom 15. Mai 1838 nur Geschworener sein, wer (nach Unterschied der Provinzen, Hauptorte u. kleineren Gemeinden) mindestens 110 resp. 250 Francs an directen Steuern zahlt, od. wer Mitglied der Repräsentantenkammer od. eines Provinzialrathes, Bürgermeister, Schöffe, Gemeinderath, Doctor od. Licentiat einer Facultät (mit Ausnahme der theologischen), Sanitätsbeamter, Notar, Anwalt, Wechselagent od. pensionirter Beamter mit wenigstens 1000 Francs ist. Ausgeschlossen sind Personen unter 30 u. über 70 Jahre, Minister u. höhere Verwaltungsbeamte, Richter u. Geistliche, Militärs. Der Präsident des ersten Instanzgerichtes reducirt die Liste der hiernach in jedem Gerichtsbezirk Befähigten auf die Hälfte u. diese der Präsident des Appellhofes wieder um die Hälfte. Aus den Verbliebenen wird für jede Sitzung eine Specialliste von 30 Geschworenen durch das Loos ausgezogen. In Preußen können außer den Rechtsanwälten, Notaren, Professoren, approbirten Ärzten u. denjenigen Beamten, welche entweder vom König selbst ernannt sind, od. doch ein Einkommen von wenigstens 500 Thlrn. beziehen, überhaupt nur diejenigen zu Geschworenen berufen werden, welche jährlich wenigstens 18 Thlr. an Klassensteuer, od. 20 Thlr. Grundsteuer, od. 24 Thlr. an Gewerbsteuer entrichten. Die Ausnahmen sind[278] fast dieselben wie in Belgien. Die Befähigten werden für jeden Schwurgerichtsbezirk in eine besondere Liste gebracht, aus welcher der betreffende Regierungspräsident vor dem Beginn jeder Sitzungsperiode 60 Namen beliebig herauszieht. Diese 60 Personen werden dann vom Präsidenten des G-s nach seinem Ermessen auf 36 reducirt, welche als Geschworene für die nächste Sitzung berufen werden. In Hannover sind überhaupt nur die 1000 Höchstbesteuerten einer Provinz u. diejenigen zu Geschworenen fähig, welche eine Staatsprüfung bestanden od. eine akademische Würde erlangt haben. Aus der Zahl dieser Fähigen stellt ein Verwaltungsbeamter die Jahresliste zusammen, welche wieder vom jedesmaligen Präsidenten des G-s ohne Angabe von Gründen reducirt wird. Im Großherzogthum Hessen werden die Geschworenen genommen aus den 600 Höchstbesteuerten der Provinz, aus denen, welche auf einer deutschen Universität studirt u. ein Facultätsexamen bestanden haben, u. aus denen, welche die erste u. zweite Klasse der Gewerbsteuer zahlen. Die Zahl dieser Befähigten wird von der Regierungscommission jedes Regierungsbezirkes auf 300 Geschworenencandidaten reducirt u. diese Zahl vom Regierungspräsidenten am Hauptorte der Provinz auf 200 herabgesetzt. Diese 200 bilden die Jahresliste, aus welcher die Geschworenen für jede Sitzung ausgeloost werden. Den zum Geschworenenamte hiernach fähig erklärten Personen wird aus mannigfachen Gründen noch ein Ablehnungsrecht eingeräumt, durch dessen Geltendmachung sie die Streichung ihres Namens von der Geschworenenliste herbeiführen können. Die Gründe, aus denen ein an sich zum Geschworenen Befähigter die Functionirung als solcher zurückweisen kann, sind höheres Lebensalter (60–70 Jahr), Functionirung bei einer der letzten Sitzungen des G-s u. in den meisten Gesetzen noch Unabkömmlichkeit im Dienst u. eigenen Geschäft, so wie eigene od. der Familienangehörigen Krankheit.

IV. Die Competenz des Geschworengerichts, d.h. der Umfang der Verbrechen, über welche zu entscheiden das G. berufen ist, ist zwar in den verschiedenen Staaten sehr verschieden geordnet, allein nirgends sind dem G. alle Verbrechen zur Aburtheilung überwiesen, u. überall hat man die Rücksicht vorwalten lassen, daß, um theils die immer bedeutenden Kosten der Gerichtsverhandlungen vor dem G. nicht zu sehr wachsen zu lassen, theils um das Interesse an dem G. selbst nicht abzuschwächen, immer nur die schwersten Untersuchungsfälle vor das G. kommen. Während so in der Regel für die Competenzfrage nur die Höhe der angedrohten Strafe bestimmend ist, ist es bei den politischen u. Preßvergehen, welche zumeist vor das G. gewiesen sind, die Natur dieser Verbrechen, welche sie vor das G. gebracht hat, da man gerade bei Vergehen dieser Art die Abhängigkeit der vom Staate dauernd angestellten Richter am meisten fürchten zu müssen glaubte. Obwohl in England eine feste Grenzlinie nicht existirt u. Vieles dem Ermessen einzelner Beamten (Sherif, Friedensrichter) überlassen ist, so wird doch als Grundsatz festgehalten, daß alle schwereren, bes. die capitalen Verbrechen, vor die Jury zu verweisen sind. In Frankreich beruht die Competenz der Jury auf der Unterscheidung aller Gesetzesübertretungen in Contraventions, Délits u. Crimes (s.u. Criminalgericht II. A), welche letzte nur zur Aburtheilung an die Jury gehören. Ohne Rücksicht auf die Strafhöhe sind der Jury überdies noch alle politischen u. Preßvergehen zugetheilt. Im Wesentlichen auf die gleiche Unterscheidung ist in allen dem französischen nachgebildeten Gesetzbüchern bes. auch in den neueren deutschen die Competenz des G-s gegründet, nur daß hier u. da, sofern nicht der Charakter des Verbrechens entscheidend ist, die Grenzlinie verschiedentlich festgestellt ist, z.B. in Preußen mindestens dreijährige, im Thüringischen Strafgesetzbuche mindestens vierjährige, im Großherzogthum Hessen mindestens fünfjährige Freiheitsstrafe.

V. Sitzung des Geschworengerichts. Das G. ist keine ständige Behörde, sondern hält nur mit Unterbrechungen u. nach regelmäßig wiederkehrenden Zeiträumen ihre Sitzungen (Assisen). Fast überall werden je vierteljährlich derartige ordentliche Assisen abgehalten; falls das Bedürfniß vorhanden ist, werden auch außerordentliche Assisen einberufen. Die Dauer einer solchen Sitzung hängt von der Zahl der eben zur Entscheidung vorliegenden Untersuchungssachen ab. Sobald eine Assise abgehalten werden soll, werden die entweder ausgeloosten od. von den hierzu berufenen Organen ausgewählten Geschworenen einberufen. Die Zahl der einzuberufenden Geschworenen ist in den einzelnen Staaten verschieden. In England beträgt sie 48–72, in Belgien u. Hessen-Darmstadt 30, in Frankreich, in Preußen u. überhaupt in fast allen anderen Staaten 36. Überall werden außerdem für etwaige Behinderungsfälle noch 4–9 Ersatzgeschworene (engl. Tales) einberufen.

VI. Verfahren vor dem Geschworengericht. Das Verfahren vor dem G. ist Folgendes: Neben den Geschworenen, welche nur die Frage zu entscheiden haben, ob der Angeklagte schuldig sei, das ihm zur Last gelegte Verbrechen verübt zu haben, ist stets ein aus rechtsgelehrten (3–5) Richtern besetzter Gerichtshof thätig, der über die Strafe u. die im Laufe der Verhandlungen auftauchenden processualischen Fragen zu erkennen hat u. dessen Präsident die ganzen Verhandlungen leitet. Dieser Gerichtshof ist ebenfalls keine ständige Behörde, sondern wird entweder nur für die einzelne Assise od. doch nur für eine kürzere Zeit (z. B. in Preußen ein Jahr) aus den Richtern des Bezirks von dem Obergericht od. dessen Präsidenten allein zusammengesetzt. Den Anfang der Sitzung macht A) die Bildung des G-s, welches in dem Falle richten soll. Hierzu werden zuerst die Namen der Geschworenen aufgerufen, die Namen der gegenwärtigen, bezüglich nach Herbeiziehung der erforderlich gewordenen Ergänzungsgeschworenen, werden in eine Urne geworfen u. nun einzeln herausgezogen, damit der Ankläger (Staatsanwalt) u. der Angeklagte ihre Recusationen ausüben können. Den Parteien steht nämlich überall (in England jedoch nur dem Angeklagten, indem der Anwalt des Königs nur aus gewissen, durch das, Gesetz bestimmten Gründen ablehnen kann) das Recht zu, ohne Angabe eines Grundes, die ausgeloosten Geschworenen so lange abzulehnen zu (recursiren), bis wenigstens noch zwölf nicht recursirte Geschworene da sind, u. es ist denselben, um dies Recht ausüben zu können, die Liste der Geschworenen vor[279] Beginn der Sitzung (1–3 Tage) mitzutheilen. Sind zwölf von keiner Seite abgelehnte Geschworene ausgeloost, so läßt der Präsident des Gerichtshofes die Geschworenen (woher sie ihren Namen haben) einzeln den gesetzlich vorgeschriebenen Eid leisten. Der Gerichtshof kann auch anordnen, daß außer den zwölf Geschworenen noch ein od. mehre stellvertretende Geschworene beigezogen werden sollen, welche der Verhandlung für den Fall beizuwohnen haben, daß es einem der Geschworenen unmöglich werden sollte, bis zum Schlusse der Verhandlung anwesend zu bleiben. Nach der Bildung des G-s folgt B) die Vorführung der Anklagepunkte u. die Aufnahme der deshalb vorgeschlagenen Beweismittel. Der Präsident des Gerichtshofes befragt den Angeklagten nach Namen, Alter, Stand etc. Die vor der Anklägerschaft gefertigte Anklageschrift u. das Verweisungserkenntniß werden verlesen, u. nach französischen u. den derselben nachgebildeten Gesetzgebungen erhält die Staatsbehörde zur Begründung der Anklage das Wort. Die von den Parteien genannten u. vorgeladenen Zeugen (u. zwar Belastungszeugen die des Klägers, Entlastungszeugen die des Angeklagten) u. Sachverständigen, welche bei Verlesung der Anklageschrift nicht zugegen sein dürfen, werden, nachdem sie vorher vereidet worden sind, einzeln vernommen; soweit sie zur Hauptverhandlung nicht zu stellen waren, werden ihre in der Voruntersuchung erstatteten Aussagen verlesen. Die Zeugenvernehmung erfolgt in England dergestalt, daß jede Partei die von ihr vorgeladenen Zeugen selbst verhört u. es sodann der Gegenpartei freisteht, gleichfalls Fragen an den Gegenzeugen zu stellen (Cross examination, Kreuzverhör); während in den übrigen Staaten die Vernehmung durch den Präsidenten des Gerichtshofs erfolgt u. es den Geschworenen u. Parteien nur freisteht, mit Erlaubniß des Vorsitzenden, einzelne Fragen unmittelbar od. durch den Präsidenten an die Zeugen zu richten. Die zum Beweise gebrauchten Urkunden werden verlesen u. sonstige Beweisthümer vorgezeigt. Ob der Präsident den Angeklagten vor od. nach der Vernehmung der Zeugen vernehmen will, hängt von ihm ab; allein dies ganze Verhör darf nicht darauf berechnet sein, ein Geständniß des Angeklagten zu erlangen, sondern nur die Wahrheit an den Tag zu bringen u. dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich über die wider ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu erklären. Der Präsident hat auch, nach dem Vorgange der französischen Gesetzgebung, meist die Befugniß, Zeugen u. Sachverständige, die auch nicht vorgeladen waren, im Interesse der Wahrheit u. Gerechtigkeit vorzurufen u., obwohl unbeeidigt, zu vernehmen, od. andere nothwendig scheinende Beweisstücke beibringen zu lassen (Pouvoir discrétionaire). Ist so die Beweisaufnahme, bei welcher alle Verhandlungen vor den Geschworenen vorgehen, beendigt, so folgen C) die Ausführungen u. Anträge der Parteien (Plaidoyer) des Anklägers u. des Angeklagten od. dessen Vertheidigers, dergestalt jedoch, daß stets dem Angeklagten das letzte Wort gebührt. D) Resumé des Präsidenten. Der Präsident erklärt darauf die Verhandlungen für geschlossen u. faßt die Sache in eine kurze Darstellung zusammen (Resumé), wobei er die Geschworenen auf die hauptsächlichsten Beweise für u. gegen den Angeklagten aufmerksam macht u. denselben die einschlagenden Gesetzesbestimmungen erklärt. Das englische Verfahren kennt diesen Theil der Verhandlung nicht, u. ebenso hat man denselben in Belgien 1831 abgeschafft, während Frankreich u. die meisten deutschen Strafgesetzgebungen mit demselben das Verfahren schließen lassen. E) Fragstellung. Am Schlusse stellt der Präsident die Fragen an die Geschworenen, welche von ihnen zu beantworten sind. Die Regeln über die Fragstellung sind durch die Gesetzgebung sehr verschieden geordnet, u. diese Bestimmungen sind um so wichtiger, als die Geschworenen nur die Fragen, welche u. wie sie eben ihnen gestellt sind, beantworten dürfen, letztere daher die Grundlage des zu fällenden Haupterkenntnisses selbst bilden. In England sind die Fragen in der Regel sehr einfach u. so generell, daß sich die Jury durch die Worte: guilty (schuldig), od. not guilty (nicht schuldig) vollständig u. definitiv über die Schuld od. Unschuld des Angeklagten aussprechen kann. In Frankreich ist durch den Code d'instruction von 1808 bestimmt, daß über die ganze That die eine Frage, ob der Angeklagte des näher zu bezeichnenden Verbrechens schuldig sei, gestellt u. nur auf gesetzliche Strafschärfungs-, Strafminderungs- od. Strafaufhebungsgründe besondere Fragen gerichtet werden sollten. Das Gesetz vom April 1832 bestimmte weiter, daß die Frage über das Dasein gesetzlicher Entschuldigungsgründe bei Strafe der Nichtigkeit an die Geschworenen gestellt werden solle. Dies System gilt im Wesentlichen auch in ganz Deutschland. Man unterscheidet hiernach Hauptfragen, welche auf diejenigen Thatsachen gerichtet sind, welche das Fundament der Anklage ausmachen; Beifragen, welche einen die Hauptfragen ergänzenden Charakter haben, indem sie sich auf solche Handlungen beziehen, welche nicht in der Anklageschrift behauptet worden sind, sich aber im Laufe der Verhandlung als möglich od. wahrscheinlich ergeben haben; u. Zusatzfragen, welche die die Strafbarkeit der Haupthandlungen erhöhenden od. mindernden Thatumstände umfassen. Werden von den Parteien Erinnerungen gegen die Fragen gestellt, so werden dieselben sofort erledigt, u. F) die Geschworenen ziehen sich nunmehr mit diesen Fragen u. unter Mitnahme etwaiger Beweisthümer zur Berathung zurück. Von diesem Zeitpunkte an bis zum erfolgten Ausspruche der Geschworenen darf eine Unterbrechung der Sitzung nicht stattfinden. Die Geschworenen, welche zu diesem Behufe bewacht werden, dürfen ihr Zimmer bis zu beendeter Berathung nicht verlassen u. mit Niemand verkehren. Nur dem Präsidenten ist auf Erfordern der Zutritt gestattet. Bei der Berathung über die ihnen vorgelegten Fragen haben die Geschworenen nur die Thatsachen in Betracht zu ziehen, auf welche die ihnen vorgelegten Fragen gerichtet sind. Es sind ihnen keine Regeln vorgeschrieben, von welchen sie die Vollständigkeit eines Beweises abhängig machen sollen, sie sollen ihre Antwort blos nach ihrer Überzeugung geben. G) Nach geschlossener Berathung stimmen die Geschworenen über die einzelnen Fragen, u. das Resultat dieser Abstimmung heißt das Verdict des G-s (Wahrspruch). Die Abstimmung eben so wie die Berathung des G-s leitet der Obmann des G-s, d.h. derjenige nicht abgelehnte Geschworene, welcher zuerst durch das Loos gezogen ist, od. derjenige, welchen die Übrigen[280] dazu wählen. Das Verdict muß in England u. Nordamerika auf Einstimmigkeit beruhen, u. die Geschworenen werden dort von aller äußeren Einwirkung so lange abgeschlossen, bis sie sich geeinigt haben. Aber weil dadurch weder die bürgerliche Gesellschaft, noch der Angeklagte eine wahre Sicherheit gerechter Aussprüche erhält, indem in der Forderung, daß Alle sich in einer Meinung einigen sollen, ein harter Zwang liegt, u. oft die Übrigen einem einzigen fest auf seiner Meinung beharrenden Geschworenen, um nur eine Einigkeit zu erlangen, nachgeben müssen, so ist diese Bestimmung in keine andere Gesetzgebung übergegangen, u. selbst diejenigen Staaten, welche im. Übrigen die G-e nach englischen Grundsätzen eingeführt haben, weichen hierin ab, indem z.B. in Malta u. Griechenland einfache Stimmenmehrheit entscheidet, in Portugal aber 2/3 der Stimmen zur Schuldigsprechung erfordert werden. In Frankreich genügt nach dem Gesetz vom 9. Septbr. 1835 schon einfache Majorität, aber wenn die Schuld nur durch eine Mehrheit von sieben gegen fünf Stimmen ausgesprochen wird, tritt der Gerichtshof selbst über den von den Geschworenen mit einfacher Majorität festgestellten Punkt in Berathung u. entscheidet denselben nach Mehrheit der Stimmen. So ist es auch in Belgien nach dem Gesetz vom 15. Mai 1838, u. in den verschiedenen deutschen Staaten hat man entweder jene französischen Bestimmungen adoptirt (Preußen, Hessen), od. für Beantwortung jeder dem Angeklagten nachtheiligen Frage eine Mehrheit von wenigstens 2/3 der Stimmen erfordert. Sind die Geschworenen über eine mit ihrem Ausspruche zusammenhängende Rechtsfrage, namentlich darüber, ob eine erwiesene Handlung ein Verbrechen enthalte, zweifelhaft, so haben sie das Recht, ein sogenanntes Specialverdict abzugeben, d.h. sie sprechen sich nur über den vorhandenen Beweis der Thatsachen aus u. überlassen es dem Gerichte, welches hierdurch hierfür competent wird, den damit zusammenhängenden Rechtspunkt zu entscheiden. Überdies rief in Frankreich die Erfahrung, daß die Geschworenen oft bei vollständig erwiesener Schuld ein Nichtschuldig aussprachen, nur um den Angeklagten nicht von der harten Strafe des Gesetzes treffen zu lassen, die Bestimmung des Gesetzes vom 28. April 1832 hervor, wornach die Geschworenen berechtigt sind, das Schuldig mit dem Zusatz: unter mildernden Umständen auszusprechen. Wenn das G. ausspricht, daß solche mildernde Umstände (Circonstances atténuantes) vorhanden sind, so ist der Assisenhof verpflichtet, statt der ordentlichen eine niedrigere Strafe anzuwenden. H) Verkündung des Wahrspruches. Nach der Beschlußfassung tritt das G. in den Gerichtssaal zurück u. verkündet dort durch den Obmann das Ergebniß ihrer Berathschlagung. l) Erkenntniß des Gerichtshofes. Wenn das G. den Angeklagten für nicht schuldig erkennt, so fällt der Gerichtshof ein freisprechendes Erkenntniß, u. der Angeklagte wird sofort entlassen. Ist dagegen das Urtheil der Schuld ausgesprochen, so wird von dem Ankläger (der Staatsbehörde) der Antrag auf Anwendung des Gesetzes, meist unter Stellung eines bestimmten Strafantrages, gemacht, der Vertheidiger erklärt sich hierüber u. der Assisenhof spricht dann nach vorgängiger Berathung sogleich das Urtheil in öffentlicher Sitzung aus. Der Ausspruch des G-s ist hiernach unumstößlich u. der Richter ist an denselben gebunden. Hiervon finden in der Regel nur zwei Ausnahmen statt. Findet nämlich der Assisenhof den Ausspruch des G-s undeutlich, unvollständig, sich selbst widersprechend, so hat der Präsident die Geschworenen, unter Angabe der Gründe, hierauf aufmerksam zu machen u. sie zu einer nochmaligen Berathung zu veranlassen. Beharren sie jedoch nach einer solchen auf ihrem Beschlusse, so bewendet es bei demselben Sodann kann der Assisenhof, wenn seine Mitglieder einstimmig überzeugt sind, daß die Geschworenen sich in ihrem Ausspruche materiell irrten, die Urtheilsfällung suspendiren u. die Sache an die folgende Sitzung u. an ein anderes G. verweisen, deren Ausspruch für den Assisenhof jedenfalls verbindlich ist. Diese Maßregel darf aber nie dann eintreten, wenn das G. den Angeklagten freisprach. Mit der Fällung des Erkenntnisses ist die Thätigkeit des G-s geschlossen. Für jeden neuen zur Entscheidung kommenden Straffall wird ein neues G. gebildet, bei welchem sich das beschriebene Verfahren wiederholt.

VII. Rechtsmittel. Der Grundsatz, daß der Ausspruch des G-s über die Thatfrage im Ganzen unumstößlich ist, durchdringt die Bestimmungen der auf G-e basirten Strafgesetzgebung über Rechtsmittel. Im schwurgerichtlichen Processe gibt es in den verschiedenen Gesetzgebungen überhaupt nur die Rechtsmittel der Revision, der Cassation u. der Appellation. A) Die Revision, welche in der französischen u. den ihr nachgebildeten Gesetzgebungen vorkommt, kann nur von dem verurtheilten Angeklagten eingewendet werden u. erwirkt für denselben eine Abänderung des Urtheils in folgenden drei Fällen: wenn er wegen eines Verbrechens verurtheilt u. ein Anderer wegen des nämlichen Verbrechens durch ein anderes Urtheil verdammt ist; wenn er wegen Tödtung verurtheilt ist, u. hinreichende Anzeigen für die fortdauernde Existenz der angeblich getödteten Person beigebracht werden; u. wenn die Zeugen, auf deren Aussagen das verurtheilende Erkenntniß sich gründete, des falschen Zeugnisses überwiesen werden. B) Die Cassation, welche überall vorkommt, erwirkt eine Vernichtung des ganzen Verfahrens sammt Urtheil dergestalt, daß der Straffall vor einem neuen G., nach Umständen vor einem neuen Gerichtshofe, zur nochmaligen Verhandlung u. Entscheidung kommt. Sie kann sowohl von dem Ankläger, als von dem Angeklagten eingewendet werden, von dem Ersteren jedoch nach den meisten Gesetzgebungen dann erst, wenn die Geschworenen ein Nichtschuldig ausgesprochen haben, u. dient daher hauptsächlich zum Schutze des Angeklagten. Cassation ist bes. zulässig, wenn Förmlichkeiten versäumt sind, welche bei Strafe der Nichtigkeit vorgeschrieben sind, wenn der Angeklagte mit seiner Vertheidigung nicht gehört worden ist, wegen Verletzung eines Strafgesetzes u. falscher Gesetzesanwendung, wegen mangelhafter Besetzung des Gerichts, wegen Incompetenz etc. Zur Entscheidung über das Cassationsgesuch, welches bei Verlust binnen kurzer Frist, meist innerhalb 3–5 Tagen, eingereicht werden muß, ist überall ein höchstes Gericht (Cassationshof) eingesetzt, welches, im Fall das Cassationsgesuch für begründet erkannt wird, unter Vernichtung des früheren Erkenntnisses, die Sache zur nochmaligen Entscheidung, nach Umständen[281] vor einen neuen Assisen- od. Appellhof verweist. In Frankreich kann zwar, wenn der Angeklagte in Folge eines verneinenden Ausspruchs der Geschworenen freigesprochen worden ist, diese Freisprechung durch keine Cassation aufgehoben werden, die Staatsbehörde aber im Interesse des Gesetzes Cassation einwenden. Eine hierauf etwa erfolgende Cassation bezieht sich gar nicht auf die Partei, sondern wird nur bekannt gemacht, um das Ansehen des Gesetzes u. dessen richtige Anwendung zu befestigen. C) Die Appellation endlich wird nur durch sehr wenige Gesetzgebungen zugelassen, kann nie gegen den unabänderlichen Ausspruch des G., sondern nur gegen den rein juristischen, vom Gerichtshofe herrührenden Theil der Entscheidung, bes. also hinsichtlich des Strafmaßes, eingewendet werden.

VIII. Geschichte. Für die G. finden sich im Alterthume keine Analogien. Zwar kommen sowohl in Athen, als in Rom Gerichte vor, welche manche Ähnlichkeit mit demselben zu bieten scheinen, wie in Athen die Heliäa, ein Verein von 6000 jährlich durch das Loos gewählten Bürgern, aus welchem dann zum Spruch in den einzelnen Gerichten einzelne Abtheilungen, gewöhnlich zu 500, gewählt u. welche auch vereidet wurden; u. in Rom die Judices selecti, welche unter dem Vorsitz eines Magistrats in der nach Maßgabe des Strafgesetzes verschieden bestimmten Zahl von 32–75 über alle schwereren Verbrechen richteten. Allein der Hauptunterschied gegen das G. besteht dabei darin, daß diese Geschworenen immer auf eine bestimmte Zeit gewählt waren u. nicht allein über die That-, sondern auch zugleich über die Rechtsfrage entschieden. Aus demselben Grunde läßt sich das G. auch auf die altdeutschen Schöffengerichte nicht zurückführen. Seine eigenthümliche Ausbildung enthielt vielmehr das G. unter dem Zusammenwirken verschiedener Umstände, zunächst in England; hier entstand es wohl weniger aus Überbleibseln des Nordischen Rechtes, u. ebenso wenig aus den germanischen Eideshelfern (s.d.), da diese in älterer Zeit noch neben den Geschworenen vorkommen, als vielmehr hauptsächlich aus der Idee der Gesammtbürgschaft u. dem Kampfe der bürgerlichen Freiheit mit der königlichen Macht. Schon früh findet sich einestheils die Sitte, daß zur Beurkundung von Geschäften in den Districtsversammlungen gewisse Zeugen aus der Volksgemeinde herbeigezogen wurden, anderntheils legte man diesen Männern ebenso die Verpflichtung auf, bei vorgefallenen Verbrechen als Ankläger aufzutreten. Später, nachdem bes. die richterliche Gewalt sich mehr u. mehr in den Gerichtshöfen zu London concentrirte u. in den einzelnen Grafschaften nur durch herumreisende Richter geübt wurde, wurden die Vertreter der Gemeinde nicht mehr blos als Ankläger, sondern zugleich als Zeugen u. selbst als Richter über das Factum nach den von ihnen gepflogenen Verhandlungen angesehen u. benutzt. Das Detail der Einrichtungen, die Zwölfzahl der Geschworenen, das Erforderniß ihrer Einstimmigkeit etc. hat sich sehr allmälig u. nicht immer in Folge von Gesetzen, sondern auch durch Gewohnheiten ausgebildet. Im Ganzen auf den nämlichen Grundsätzen, wie das englische G., beruht die Einrichtung des G-s in Schottland (nur sitzen hier 15 Geschworene; auch ist die Bildung der Geschwornenlisten eine andere u. die Wahrsprüche brauchen nicht mit Einstimmigkeit gefällt zu sein), Irland u. Nordamerika; in letzterem Lande wurde bes. ein Entwurf von Livingston von Einfluß, indem er mehr od. minder allen späteren Gesetzgebungen der einzelnen amerikanischen Staaten vorschwebte. In mehreren Staaten geht die Wahl der Geschworenen, anders als in England, unmittelbar vom Volke aus. Ähnlich der englischen Einrichtung ist auch die Organisation des G-s in Portugal (Gesetz vom 29. Nov. 1836 über die Gerichtsorganisation, u. Criminalproceßordnung vom 3. Jan. 1837), so daß daselbst namentlich neben der Urtheilsjury auch eine Anklagejury vorkommt, u. in Malta, wo man indessen eine Anklagejury nicht kennt u. wo die Zahl der Geschworenen auf 9 beschränkt ist (Proceßordnung vom 10. März 1854). In Frankreich wurde das G. zuerst in Folge der zur Umgestaltung des früheren heimlichen Criminalverfahrens mehrfach vorgebrachten Reformvorschläge durch Gesetz vom 29. Sept. 1791 zwar nach Vorbild des englischen G-s, aber mit wesentlichen Modificationen eingeführt. Obgleich Napoleon demselben keineswegs günstig war, so wurde es doch auch bei Einführung der neuen Strafproceßordnung (Code d'instruction criminelle) vom 17. Nov. 1808 beibehalten, nachdem der Regierung ein ausgedehnter Einfluß auf die Besetzung des G-s gesichert worden war. Ein Gesetz vom 2. März 1627 verbesserte die Wahlordnung; andere Gesetze, wie vom 4. März 1831 u. 9. Sept. 1835, betrafen die zur Verurtheilung nöthige Stimmenzahl, die Zahl der Assisenrichter, die von 5 auf 3 herabgesetzt wurde, u. das Recht des G-s, das Vorhandensein mildernder Umstände auszusprechen. Im Jahr 1848 schien sich Anfangs unter dem Einflusse der republikanischen Ansichten eine gänzliche Umgestaltung des G-s durch Erstreckung der Fähigkeit zum Geschwornenamte auf alle Franzosen, welche 30 Jahre alt u. im Genusse der bürgerlichen Rechte seien, durch Beschränkung der Verurtheilungen, so daß immer mindestens 9 Stimmen zur Verurtheilung gefordert wurden, Übertragung der Auswahl der Geschworenen an selbständige Gemeindebeamte etc. vorbereiten zu wollen: allein die Gesetze vom 4. u. 9. Juni 1853 brachten die Gesetzgebung im Wesentlichen wieder auf das frühere System zurück. Durch ein Gesetz vom 31. Decbr. 1851 u. Decret vom 10. Juli 1852 wurde sogar den Geschworenen die Aburtheilung der politischen Vergehen, welche früher an das G. gewiesen waren, entzogen u. die schweren politischen Verbrechen an einen hohen Gerichtshof (Haute cour) gewiesen, bei welchem zwar auch Geschworene, aber nach einer anderen Zusammensetzung urtheilen. Fast alle anderen europäischen Staaten, in denen das G. Eingang fand, haben dabei die Grundlagen des französischen Strafprocesses angenommen; so Belgien, wo das unter holländischer Herrschaft abgeschaffte G. durch Gesetz vom 19. Juli 1831 ganz nach französischem Muster wieder hergestellt, durch Gesetz vom 15. Mai 1838 indessen in mehreren Punkten nicht unwesentlich modificirt wurde; u. Griechenland, wo das G. durch Gesetz vom 2. Febr. 1834 Eingang fand. Ebenso sind die französischen Grundsätze fast überall bei der Einführung des G-s in Deutschland die maßgebenden gewesen. Bis zum Jahr 1848 bestand das G. hier nur in den, auf dem linken Rheinufer gelegenen Provinzen Preußens, Hessens u. Baierns, wo man dasselbe, mit der französischen Herrschaft eingeführt,[282] auch nachdem diese Provinzen wieder deutsche geworden, zugleich mit den übrigen französischen Einrichtungen in Geltung gelassen hatte. In den anderen Landestheilen u. Ländern war dagegen das Verlangen nach Einführung der G-e zurückgewiesen worden, bis das Jahr 1848 das Institut derselben sehr schnell in fast allen deutschen Staaten verbreitete. Doch ist es seitdem auch in mehreren derselben wieder gänzlich beseitigt worden, in anderen haben die ersten Einführungsgesetze wenigstens sehr wesentliche Abänderungen erlitten, welche theils darauf ausgegangen sind, die Zahl der vor das G. zu bringenden Straffälle einzuschränken, theils bezweckten, die Wahl der Geschworenen mehr in die Hände der Regierungen zu legen u. überhaupt auf solche Männer zu beschränken, bei denen die zum Geschwornenamte nöthige Intelligenz, sittliche Kraft u. Stärke vorausgesetzt werden kann. Österreich erließ unter dem 14. März 1849 ein Patent über das Verfahren in Preßübertretungsfällen, wodurch Geschworene zur Entscheidung berufen wurden, u. rücksichtlich schwererer gemeiner Verbrechen gab dasselbe die provisorische Strafproceßordnung vom 17. Jan. 1850; aber schon durch Verordnung vom 3. Jan. 1852 wurden die Geschworenen wieder beseitigt, u. auch die neue Strafproceßordnung vom 29. Juli 1853 nahm sie nicht wieder auf. Preußen führte das G. zuerst durch Verordnung vom 3. Jan. 1849 ein, welche durch Gesetz vom 3. Mai 1852 ergänzt wurde. Das preußische Verfahren hat sich fast in allen Punkten an das französische angeschlossen; für die ganze Monarchie bestehen 88 Schwurgerichtsbezirke. In Baiern wurden die G-e durch Gesetz vom 10. Nov. 1848, in Württemberg durch Gesetz vom 14. Aug. 1849, in Hannover durch provisorisches Gesetz vom 24. Dec. 1849, welches später durch die vollständigere Strafproceßordnung vom 8. Nov. 1850 ersetzt wurde, im Großherzogthum Hessen durch Gesetz vom 28. Oct. 1648, in Kurhessen durch Gesetz vom 31. Oct. 1848, in Nassau durch Gesetz vom 14. April 1849, in Baden durch Gesetz vom 5. Februar 1851 eingeführt. Im Königreich Sachsen u. Herzogthum Sachsen-Altenburg traten die G-e nur provisorisch durch Gesetze vom 18. Nov. 1848 u. 24. März 1849 u. nur für politische u. Preßvergehen in das Leben, wurden aber hier später wieder ganz beseitigt, indem die Strafproceßordnungen vom 17. Febr. 1854 u. 11. Aug. 1855 wohl Öffentlichkeit u. Mündlichkeit, aber nur Gerichte mit rechtsgelehrten Richtern kennen. Dagegen hat die sogenannte Thüringische Strafproceßordnung, welche für Sachsen- Weimar, Sachsen-Meiningen, die beiden Schwarzburg u. Anhalt-Dessau-Köthen seit dem 20. März, bez. 21. Juni, 26. April, 20. März u. 28. Mai 1850 gilt, die G-e beibehalten, obwohl ein Nachtragsgesetz vom 9. Dec. 1854 auch hier wesentliche Beschränkungen u. Abänderungen brachte. Die neueste Einführung des G-s ist in Koburg-Gotha erst im Jahr 1858 erfolgt. Eine Zusammenstellung der deutschen Schwurgerichtsgesetze haben Häberlin, Sammlung der neuern deutschen Strafproceßordnungen, Greifsw. 1652, u. Brauer, Die deutschen Schwurgerichtsgesetze, Erl. 1856 geliefert. Von den Cantonen der Schweiz führte zuerst Genf 1843 das Institut des G-s ein, gab ihm dabei aber manche ganz besondere Eigenthümlichkeiten, wie denn z.B. nach einem Gesetz vom 2. März 1848 hier nur ein Richter als Präsident ohne Theilnahme von anderen Assisenrichtern über die Rechtsfrage entscheidet u. auch bei correctionellen Fällen ein G. von 6 Mitgliedern mitwirkt. Ihm folgte Waadtland, indem es in die schon 1836 eingeführte Strafproceßordnung mit Mündlichkeit u. Öffentlichkeit durch Gesetz vom 31. Jan. 1846 die G-e ebenfalls sowohl für schwerere Criminal-, als auch correctionelle Fälle einfügte. Bern nahm die G-e durch Gesetz vom 2. März 1650, Freiburg mit der Strafproceßordnung vom 1. Juli 1850, Zürich durch Gesetz vom 2. Oct. 1852, wobei man bes. auch auf die Vorzüge des englischen G-s vor dem französischen Rücksicht nahm, Thurgau seit März 1852 an. Endlich wurde auch für die durch das Bundesgericht zu entscheidenden Straffälle nach Gesetz vom 27. Aug. 1851 die Mitwirkung von Geschworenen eingeführt. In Italien hat bis jetzt nur Sardinien das G. (durch Gesetz vom 26. März 1848 zunächst für Preßvergehen, seit 1854 allgemein) angenommen.

Vgl. Feuerbach, Betrachtungen über das G., Landsh. 1813; Gutachten der königlich preußischen Immediat-Justizcommission über das G., Berl. 1819, Lpz. 1842; Mittermaier, Die öffentliche mündliche Strafrechtspflege u. das G., Landsh. 1819; Derselbe, Die Mündlichkeit, das Anklageprincip, die Öffentlichkeit u. das G., Stuttg. 1845, u. Das Strafverfahren in seiner Fortbildung, Erl. 1856; Venedey, Das G. in den preußischen Rheinprovinzen, Köln 1830; Frey, Das G. aus historisch-strafrechtlichen Gesichtspunkten, Bern 1835; von Oggen, Über Geschworene u. Richter Köln 1835; Mohl, Über das G., Heidelb. 1838, 2. Ausg. 1848; Rüttimann, Bericht über die englische Strafrechtspflege, Zürich 1837; Reintal, Von der Jury, Münster 1844; Geib, Die Reform des deutschen Rechtslebens, Lpz. 1848; Krause, Deutsche Schwurgerichte, Lpz. 1843; Michelsen, Genesis der Jury, Lpz. 1847; von Stemann, Jury in Strafsachen, Hamb. 1847; Fölix, Über die Mündlichkeit u. Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens u. des G-s, Karlsruhe 1843; Dernburg, Über den Werth u. die Bedeutung der Schwurgerichte, Frkf. 1848; Littmann, Die Stellung der Geschworenen zu den rechtsgelehrten Richtern, Dresd. 1849; Rogan, Handbuch für Geschworene, Berl. 1849; Gundermann, Über die Einstimmigkeit der Geschworenen, Münch. 1849; Gneist, Die Bildung der G-e in Deutschland, Berl. 1849; Schwarze, Das G., Dresd. 1849; Holzinger, Die Schwurgerichte in Württemberg, Tüb. 1849; Büchner, Die französischen Revolutionstribunale u. das Schwurgericht, Erl. 1854; Biener, Das englische G., Lpz 1852–1855, 3 Bde.; Lewald, Die G-e, eine Schattenseite unserer Justiz, Berl. 1856; Ein mit rechtsgelehrten Richtern besetzter Schwurgerichtshof ist den Geschworenen vorzuziehen, Gotha 1856, u. zahlreiche Aufsätze im Archiv für das Criminalrecht u. der Zeitschrift: Der Gerichtssaal.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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